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16.

Nun kam der Frühling wieder. Die Sonne leckte den Schnee von den Hängen. Es ging ganz allmählich, kein ungestümes Wasser rann die Lehnen herab und zerriß die Felder. An den Hangäckern war außergewöhnlich wenig Arbeit zu tun. Als die warmen Aprilwinde wieder wehten, da schürfte, hackte und kratzte es auf den Äckern mit emsigem Fleiße.

Die Bauern waren betroffen gewesen von der Wendung der Dinge. Etliche der Häusler waren fortgezogen, die andern hatten bezahlt, Häuslersaat ging vor Hofsaat. Nur wenige hatten sich unter den Eid geduckt. So ganz anders war das gekommen, als es sich die Bauern gedacht hatten. Jetzt wußten sie sich nicht zu raten.

Der Buchenhofbauer kam zum Vorsteher. »Vorsteher, du mußt die Bauern zusammenrufen, daß wir beraten, was zu tun ist. Wir haben die Gewalt über die Leute verloren. Der Lange am Moore hat sie uns aus den Händen genommen.«

»Es ging anders, als ihr erwartet,« antwortete der Vorsteher, »ihr klugen Leute. – Ich werde euch nur zusammenrufen, wenn eine Sache zu beraten ist, die der ganzen Gemeinde gilt, Steuern und so. Wovon du redest, das ist Bauernsache allein. Ihr habt sie in die Hände genommen, behaltet sie. Geht euren Weg, ich gehe den meinen.«

So hatte der Buchenhofbauer unverrichteter Sache heimkehren müssen.

Wieder war es Heidecker, der einen Ausweg fand. Die Bauern kamen ohne den Vorsteher zusammen und berieten, und wiewohl etlichen der Weg, den der Binsenhofbauer vorschlug, übel schien, gingen sie ihn doch.

Die Häusleräcker waren bestellt, da kamen die Leute auf die Höfe und fragten, wann und wo sie arbeiten dürften. Die Bauern bestanden auf der Lohnkürzung, und die Leute fanden sich damit ab. Nur wenige weigerten sich, für den gekürzten Lohn zu schaffen. Denen gegenüber waren die Bauern unnachgiebig.

Einer der Abgewiesenen ging zu Jakob Sindig und erzählte ihm, wie sich die Bauern hielten. Der sagte: »Kommt zu mir an das Moor oder geht zu den Köhlern. Ich kann den Bauern nicht vorschreiben, wieviel sie euch geben sollen.«

Richard Meißner war unter denen, die mit Wilm Larns in die Ebene gegangen waren. So war sein Platz frei. An Stelle der einen Familie aber traten deren drei, und Jakob Sindig hatte Arbeit für sie. Er schickte sie in den Wald, den zu lichten und neu zu pflanzen, andere ackerten die Felder des Moorgutes, und für wen weder im Walde noch auf dem Felde Arbeit war, der hackte und schaufelte im Moore. –

Es war ein warmer Tag im Anfang des Mai. Da spannte Jakob Sindig die Stiere vor den Pflug und zog die erste Furche in die Moorerde. Wohl an die zwanzig Schritte vom Rande herein war das Moor ausgetrocknet. Der Pflug brach die schweren Schollen, Modergeruch wallte auf, die Erde war schwarz. Langhin ging der Pflug, langhin und tief. Dem folgte die Egge, und der Egge hinterdrein schritt der Sämann. Das war Jakob Sindig. Mit weitausholendem Schwunge warf er die Körner in das jungfräuliche Land. Sie sanken, die abermals darüber gehende Egge begrub sie, und die Walze glättete den Boden.

Die Gräben waren bis in die Mitte des Moores, ja darüber hinaus dem Rande zu geführt. Wasser rann in ihnen. Die eingetrockneten Tümpel wurden geebnet, und die Sonne trocknete die feuchte Erde aus. Nirgends war Grautorf zu spüren. Axthiebe schallten über das Moor. Birken und Weiden sanken, und ihre Wurzeln wurden herausgegraben. Die Weiber der Zugezogenen hackten die Wurzeln der Binsen aus, und ging es auch langsam, so war es doch ein rüstiges, förderndes Schaffen.

Nach kurzer Zeit spitzte der gesäte Hafer aus der Erde, ein grüner Saatstreifen umsäumte das schwarze Moorland.

Pfingsten war da. Warme Winde wehten über die Wälder und die Saaten, die in den Tälern und an den Hängen hoch und frisch standen.

Da kam unter den Moorleuten die Rede auf den Binsenschnitter. Im Bärengraben sei er voriges Jahr gewesen und im Lokwa-Tale, bald hier, bald dort. Da aber sei er, das sei gewiß.

Jakob Sindig sprach wenig dazu, aber am Tage der Heiligen Dreifaltigkeit war er lange vor der Sonne auf dem Wege, streifte durch die Wälder, schaute in die Täler und wartete, daß er dem Binsenschnitter begegne.

Die Täler aber lagen still und friedlich da wie immer, die Bäche rauschten, durch den wogenden Wald ging ein tiefes Brausen. Kein Mensch auf den Feldern. Kein Binsenschnitter ging durch die Saaten. Die Sonne kam mit hellem Angesicht über die Berge und goß Goldflut über das junge Grün, das gute Ernte verhieß.

Da tappte ein schwerer Schritt den Waldweg daher. Joseph, der Händler, kehrte wieder in Bergroda ein. Er traf auf Jakob Sindig, lachte und grüßte ihn.

»Das is mir jetzt a gut's Zeichen, daß ich dir begegne,« sagte er, »nun hab' ich meinen Kasten nit umsunst in die Berge getragen. Das bringt mir Glück. Was schaffst du hier am früha Murgen, Jakob?«

»Dasselbe könnte ich dich fragen,« antwortete Jakob Sindig mißtrauisch.

»O, bei mir is das nit wunderlich, daß du mi da triffst. Kumm übers Jahr zur selben Stunde wieder daher, da triffst du mi a wieder. Ich kumm vun Steingrund, drüben über den Bergen, bin a alter Mann und kann wenig schlafen. Da wandre ich am früha Murgen aus. Den Tag brauch ich zum Geschäft.«

Das klang so treuherzig, daß Jakob Sindig das Mißtrauen von sich warf.

»Die Leute fürchten hier einen,« sagte er, »den Binsenschnitter. Den möchte ich mir ansehn, weil ich glaube, daß er ebenso Fleisch und Blut ist, wie es der Röder war.«

Der Alte lachte. »An Binsenschnitter wolltst abfangen, Jakob? Ja, nachher glaub ich schon, daß du finstere Augen machen mußtest, weil ich dir in a Weg lief. Ich bin kaner, Jakob, und glaub so wenig an den Geist wie du. Hast anen gesehn?«

»Nein, es ist kein Mensch durch das Tal gegangen.«

»Ja, nachher is der am Enn ausgestorben. Den Röder hast du a erlöst?«

»Ja.«

»Wer war das nachher?«

»Ich möchte es nicht sagen, Joseph, aber ein Mensch war es, ein niederträchtiger.«

»Wird der Binsenschnitter a nit anders sein. Und jetzt kumm. Die Sunne steht hoch. Da geht ka Binsenschnitter nit mehr.«

Sie gingen zusammen hinab in das Tal.

»Das ist mein Weg an Dreifaltigkeit, von Steingrund her,« plauderte Joseph. »Vorm Dreikönigstage kumm ich von der andern Seite, von Niederau, manchmal a von Auenfelde. Heute kehr ich auf die Letzt am Moore ein, und wenn du ein Bündel Stroh hast, hernach bleibe ich heute bei dir über Nacht. So und da is des Vorstehers Hof. Da fang ich heute an. Behüt Gott, Jakob. Auf'n Abend kumm ich zu euch.«

Jakob Sindig ging weiter.

Zur selben Stunde, als Jakob den Händler traf, schlüpfte Valentin Heubacher in sein Hanghäusel. Der Binsenschnitter war gegangen, aber Jakob Sindig hatte ihn nicht gesehn.

Daheim sprach Jakob nicht von seinem Wege, aber acht Tage später berichtete Jeremias, der auf eigene Faust geforscht hatte, der Binsenschnitter sei auch dies Jahr durch die Felder geschritten; und als sich Sindig erkundigte, wo das geschehen sei, da erfuhr er, daß es in Tälern gewesen war, die jenseits des Hanges lagen, an dem er dem Händler begegnet war. –

Die Bauern von Bergroda hatten ihre Not. Nicht nur, daß es an Leuten fehlte, die da waren, strafften den Nacken und fragten den Herrn wenig nach.

Am härtesten hatte die Wendung der Dinge den Binsenhofbauer getroffen. Dem waren sechs Häusler davongegangen. Vier waren ausgewandert, zwei arbeiteten bei Jakob Sindig. Von denen aber, die er behielt, hatten sich nur zwei auf Gnade und Ungnade ausgeliefert, die anderen hätten ihre Schuld bezahlt. Denen ging Häuslersaat vor Hofsaat und Häuslerernte vor Hofernte.

Der Bauer hatte nur etliche seiner Hangäcker bestellen können, und die zwei Häusler, die ihm überliefert waren, hatten in den Nächten arbeiten müssen, um den Samen in die eigene Erde zu bringen. Heideckers Saaten standen überall, auch auf den Taläckern, schlecht. Der Mangel an Arbeitshänden hatte es mit sich gebracht, daß die Arbeit nur obenhin getan wurde. Dann hatte der Bauer mehr Vieh verkauft als gewöhnlich. Aus Trotz hatte er es getan, weil Jakob Sindig ihm das Gegenteil geraten. Nun hungerten die Felder.

Gegen den Anfang des August ging ein schweres Wetter über die Täler. Der Regen stürzte in ungestümen Fluten aus den lastenden Wolken. Die Erde hatte nicht Zeit, langsam und in tiefen Zügen zu trinken. So rann das Wasser in wilden Bächen über die Hänge, verschlammte die Ährenfelder und riß tiefe Furchen hinein, entwurzelte Halme, so daß die Körner einer ungesunden Frühreife entgegengingen.

Der Herbst aber war sonnig. Die Sicheln klangen. Häuslerernte ging vor Hofernte. Nur der alte Ebert und der Metzner arbeiteten von früh bis an den Abend auf Heideckers Äckern. Die anderen kamen erst wieder, als ihre Ernte unter Dach. war. Sie lachten die zwei Törichten aus, die ängstlich waren und jammerten. Wie sie die Saat in der Nacht hinausgebracht hatten, so brachten Ebert und Metzner auch die Ernte in der Nacht herein. Das weckte das Mitleid der anderen, und es fielen bei der Arbeit harte Worte gegen Heidecker, absichtlich laut gesprochen, daß sie der Bauer vernähme. Der hörte sie wohl, aber er tat, als gingen sie an ihm vorüber. Nur ein Flimmern hatte er in den Augen.

Auf den anderen Höfen ging es ähnlich her. Hofernte vor Häuslerernte, wenn sich die Leute gebeugt hatten, hart und unerbittlich, und Häuslerernte vor Hofernte bei den übrigen. Lachen und Fluchen durcheinander. Wie wenn die Leute einen Haufen dürren Reisigs zusammenwerfen, so wuchs der Zorn unter ihnen. Er türmte sich hoch auf, und wenn ein Funke hineinfiel, so mußte es einen lohenden Brand geben. –

Jakob Sindig hatte unruhige Tage. Die Leute bestürmten ihn, er möge auch denen helfen, die sich gebeugt, da die Bauern zu hart mit ihnen umgingen. Es war ein lebhaftes Kommen und Gehen am Moore. Da wurde der Riese zornig. »Ich bin nicht euer Mundwart,« wehrte er sich, »mein Werk ist getan. Ich habe Unheil verhütet, ihr seid frei, etwas, das nie gewesen ist, solange ihr denken könnt, nun tut auch das Eure!«

In der Zeit war auf dem Binsenhofe schwere Sorge eingekehrt. Das Kind war krank. Der Bauer stand an des Kleinen Lager. Erst jetzt fühlte er, daß er ein Kind hatte. Es war geboren worden, und er hatte sich gefreut, es war gewachsen, und er hatte es kaum beachtet. Da war so viel Neues und Verdrießliches gewesen, so viel Kampf um Ehre und Gut, so viel Sorge um Verrat aus Lisas Munde, daß er durch seine Tage geschritten war wie gejagt. Nun wollte der Knabe von ihm gehen.

Da besann sich Heidecker auf Weib und Kind. Sein Weib war ihm entfremdet. Etwas Abweisendes lag in ihren Augen. So blieb nur das Kind. Groß und drohend reckte sich die Zukunft vor dem Bauern auf. Du mußt das Kind an dich reißen, sonst wird es, wie dein Weib ist, unter dessen Händen es geht. Fremd wird es dir sein, wenn du es nicht beizeiten an der Hand nimmst und es erziehst, wie du es brauchst. Und nun war das Kind krank.

Keuchend lag es in seinem Bettchen, schmal war es geworden, das Fieber jagte rote Blutwellen über die Wangen, die Händchen griffen suchend in die Luft, und in den Augen brannte der Fieberwahn.

Zerrissen im Inwendigen stand der Bauer vor dem Bettchen. Als er beten wollte, da sah er einen Eisklumpen vor sich und darin einen starren, toten Mann. Die Zähne schlugen ihm im Frost aufeinander. Er wandte sich stöhnend ab und ging in seine Kammer.

Draußen stand einer und starrte aus den Hof. Das war Jakob Sindig. Jeremias, der mit einer Botschaft auf dem Hofe gewesen war, hatte ihm die Kunde von des Kindes Erkrankung gebracht. Nun stand Jakob in der Nacht, sah durch die Scheiben die Bäuerin ab und zu gehen, sah, wie sie sich über das Kind neigte, ihm den Löffel an die Lippen hielt, sah sie an dem Bettchen niedersinken und war daran, alles über den Haufen zu werfen und hineinzustürmen: »Da bin ich, und nun weiche ich nicht wieder.«

Stunden kamen und gingen, und Jakob Sindig stand. Der Morgen graute, da kehrte er heim. Am Tage arbeitete er in Hast. Furchterregend sah es aus, wie er die Schollen über die Grabenränder warf. Die anderen beobachteten ihn und wußten nicht, woher die Wildheit kam. Er jagte Jeremias auf den Hof, zu fragen, wie es dem Kinde ginge. Der kehrte zurück mit der Botschaft, daß es noch sei wie gestern. In der Nacht aber stand Jakob Sindig wieder vor dem Hofe. Da trat die Bäuerin an das Fenster. Sie sah ihn, wußte, was ihn hertrieb, öffnete das Fenster und winkte ihm. »Er schläft,« sagte sie leise, »ich meine, es wird besser. Gehe heim, Jakob.«

Stolpernd stieg er den Weg nach dem Moorgute hinauf. In der anderen Nacht war er wieder da, aber er verbarg sich.

Es war in der fünften Nacht, da sah ihn Gertrud Heidecker abermals. Das Kind war am Gesunden. Sie hob den Knaben aus dem Bettchen, trug ihn an das Fenster, scherzte mit ihm, nahm seine Händchen und winkte durch das Fenster. Dem Kinde dünkte es Spiel, dem angstvoll Harrenden war es Erlösung. Nun kam er nicht mehr.

Auf dem Moorgute hatten sie eine gute Ernte gehabt. Der in das Neuland gesäte Hafer hatte üppig gestanden, und seine Rispen waren groß und schwer gewesen. Den verkaufte Jakob und erwarb dafür in Niederau Brotgetreide, als ob er ahne, daß er es brauchen werde. Etliche Wagen voll Getreide waren knarrend nach dem Moorgute hinaufgefahren. Heidecker hatte sie gesehen und gepoltert. Der Sindig sei gewiß verrückt geworden. Bisher sei es in Bergroda Brauch gewesen, Getreide hinab nach Niederau zu fahren, nicht aber von da herauf, aber er wisse schon, wo das hinaus wolle.

Auf den meisten Höfen sah es übel aus. Die Ernten waren gering gewesen. Felder hatten leer liegenbleiben müssen, andere hatte das Gewitterwasser zerrissen und verschlammt. Die Scheunen waren nur reichlich halb so voll wie in den anderen Jahren. Noch litt keiner, auch unter den Häuslern nicht, aber der Winter war lang.

Am günstigsten war es noch auf des Vorstehers Hofe. Die Häusler hatten ihm gearbeitet wie sonst. Der Bauer hatte sie an ihre Äcker geschickt, als ihm schien, es sei Zeit, daß die daran kämen. Dann waren die Leute um so freudiger auf den seinen bei der Arbeit gewesen.

Heidecker war im Sommer mehrfach über den Bergkamm gewandert und hatte neidisch auf des Vorstehers reiches Land gesehen, das nicht Hunger zu leiden brauchte und freudig Saatengrün und gelbe Ähren zeitigte. – –

Ebert war der erste, der, wie im vergangenen Jahre, um Weihnachten auf den Binsenhof kam, und es geschah, was er nicht erwartet hatte. Der Bauer sprach kein Wort, ging mit ihm auf den Getreideboden und maß ihm zu, was er begehrte. Dann kam der Metzner, und auch der empfing sein Teil. Das machte den anderen Mut. Wiewohl ihnen das Herz ängstlich schlug, ging doch einer um den anderen bittend auf den Hof: »Bauer, hilf mir aus.« Der Bauer aber setzte ihren Bitten ein hartes Nein entgegen, und ob sie auch winselten und barmten, er blieb dabei. »Nein!«

Das war der Streich, den die Bauern ausgesonnen hatten. Wir wollen sie doch noch zwingen. Der Winter ist lang, und sie müssen kommen.

Da ging abermals ein Schrei durch die Täler. Der Leinert, der Buchenhofbauer, der Kreuzbauer, der Bauer an den drei Tannen und alle anderen taten wie der Binsenhofbauer. Nein und nein.

Und in dem Jammer der Schrei nach dem Führer. »Jakob Sindig muß helfen!« Zu Haufen kamen sie nach dem Moore.

»Denen, die geschworen haben, geben sie Brot, uns wollen sie verhungern lassen. Hilf!«

»Habt ihr denn nicht gearbeitet?« fragte Jakob.

»Das haben wir.«

»So kauft.«

»Unser Geld ging auf. Es war allerlei, das man kaufen mußte. Du weißt, sie lohnen schlecht.«

»Ich habe erwartet, was nun geschieht, und will euch geben, was wir haben, aber es muß anders werden. Ihr könnt nicht wirtschaften und sollt auch von mir nicht geschenkt erhalten, was ihr begehrt. Es wird euch angeschrieben.«

Als die Bittenden fortgegangen waren, da saß er grübelnd am Tische. Dann ging er zum Vorsteher, um mit ihm zu reden. Auch der war traurig.

»Ich habe nicht gedacht, daß sie das fertigbrächten,« sagte er, »meinte, sie hätten vergeben und sich besonnen.«

»Weißt du keinen Rat?« fragte Sindig in Not.

»Einen weiß ich, aber du wirst ihm nicht folgen.«

»Rede, Vorsteher.«

»Gehe fort, Jakob Sindig. Du hast es gut gemeint mit den Leuten, aber du siehst, es ist stärker als du. Du kannst es nicht meistern. Es wird noch eine harte Zeit kommen. Die aber wird kurz sein. Eine ganz große Not wird noch kommen, dann werden sie sich auf beiden Seiten besinnen. Hernach will ich einspringen, und ich denke, daß ich es schlichten kann.«

»So tue es doch jetzt, greife zu,« bat Sindig.

»Jetzt nicht,« sagte der Vorsteher.

»Warum nicht?«

»Du bist mir im Wege.«

»Ich? Ich will mich still am Moore halten, aber fortgehen kann ich nicht; ich habe es versucht in ehrlichem Wollen, es geht nicht.«

»Sagte ich nicht, daß du meinem Rate nicht folgen würdest? Du willst dich still am Moore halten, aber du bist da. Sie werden dich in ihre Not hineinreißen, ob du willst oder nicht. In ihre Not und in ihr Verderben. Es wird Opfer kosten. Vielleicht auf beiden Seiten. Das kann man nicht mehr aufhalten. Du hast eines nicht gelernt, was dein Freund aus dem Moore konnte. Du kannst nicht hart sein und kannst keine Härte sehen. Das wissen sie, und so wird kommen, was zuletzt allen leid ist.«

»Ist das alles, Vorsteher, weisest du mir keinen Weg?«

»Stimme die Bauern um, das ist noch das einzige, das ich dir zu sagen weiß. Lehre sie klug werden und menschlich, solange es Zeit ist. Vielleicht gelingt es dir. Aber ich fürchte, sie hören nicht auf dich; denn sie hassen dich.«

»Sie hassen mich? Habe ich ihnen denn Übles getan?«

»Übles? Außergewöhnlich bist du. Das dulden sie nicht. Überlasse sie ihrem Geschick, die Bauern und die Häusler.«

»Was wird das sein?«

»O, es wird ein Hof brennen, vielleicht etliche, vielleicht auch bleibt da einer liegen und dort einer. Die Wälder werden unsicher werden. Kann auch wohl geschehen, daß die Soldaten kommen. Dann, wenn es vorüber ist, werden sie auf beiden Seiten verwundert dastehen: Wir Narren! Werden sich die Hände reichen, einiges wird gewonnen sein, sie werden den Lohn etwas erhöhen, sie werden die törichte Losung von Hofsaat und Häuslersaat begraben, die Leute werden ihre Not wieder haben und ihre Freude an des Händlers glitzernden Dingen, am Dreikönigstanze, am Herdfeuer, an ihrer Arbeit. Das wird alles sein.«

»Und das sollte man nicht erreichen, ohne daß Höfe brennen und Menschen bluten?«

»Ich fürchte: Nein.«

»Vorsteher, das kann ich nicht glauben. Darauf wage ich es erst recht, zu bleiben.«

»Glück zu, Jakob Sindig.«

»Und du bleibst abseits stehen?«

»Ja, bis meine Zeit gekommen ist. Leb wohl.« –

Dies Ziel sollte man nicht erreichen können? Dies kleine? Die Bauern her und die Häusler! Meinung gegen Meinung, Vernunft und Nachgiebigkeit auf beiden Seiten. Ist ja nicht viel nötig, gar nicht viel. Es muß gehen.

Jeremias erbot sich zum Gange durch die Täler, von Hof zu Hof, von Häuslein zu Häuslein. »Kommt am Weihnachtstage zum Wirte, alle, Bauern und Häusler, kommt, kommt alle! Es gilt den Frieden!«

Sie kamen. Verstockt und murrend die Bauern, zornig und verbissen die Häusler.

Jakob Sindig stand wie ein Eichbaum.

»Was wollt ihr, ihr Bauern?«

»Leute für unsere Felder.«

»Gut, da sind sie. – Was wollt ihr Häusler?«

»Arbeit und Brot.«

»Beides ist da. Warum der Streit?«

»Es lohnt unter dem Hunde. – Erlaßt uns den Eid und zahlt, was recht ist!« rief einer.

»Bauern,« bat Jakob Sindig, »erlaßt ihnen den Eid.«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Häuslersaat nach Hofsaat.«

»Seht den Vorsteher an. Er versteht es, beides zu vereinen. Geschieht jedem recht und ist ein freudiges Zusammenhalten von beiden Seiten.«

»Was geht uns der Vorsteher an!«

»Er ist doch euer erwählter Führer.«

»Nicht mehr; er hat sich abseits gestellt.«

»Seid menschlich. Es geht um Eingebildetes, ist kein wirklicher Grund des Streites da.«

»So mögen sie nachgeben.«

»Sie wollen es.«

»Was hindert sie dann am Eide?«

»Erlaßt ihnen den Eid. Macht es wie der Vorsteher.«

»Nein.«

Die Bauern erhoben sich. Drohend wollten ihnen etliche der Köhler den Weg vertreten.

»Zurück!« gebot Jakob Sindig, »wer hat euch in der Häusler Angelegenheit zu Richtern berufen?«

Er stellte sich vor die Ungestümen. Ungehindert gingen die Bauern hinaus.

»Leute,« sagte der Kreuzbauer unterwegs, »mir will scheinen, wir haben töricht gehandelt.«

»Willst du die gemeinsame Sache verlassen wie der Vorsteher?« fragte der Binsenhofbauer.

»Nein, aber – –«

» Sie halten zusammen. Wollen wir es anders machen?«

In Reisigers Wirtsstube aber brauste der Unwille auf.

»Es geht nicht im Guten,« schrien etliche, »so soll es im Bösen gehen.« So sagten die meisten.

Jakob Sindig hatte eine Zeitlang wie niedergeschmettert dagesessen. Dann richtete er sich hoch auf.

»Gewalttat? Noch bin ich euer Führer. Keine Hand an die Höfe! Gerechtes Gericht, wenn es sein muß. Gewalt, nie und nimmer! Geht heim. Noch habt ihr zu essen. Nun schafft euch Arbeit, gleich, wo und wie, am Moore, an den Kohlstätten, auf dem Wasser. Es ist gleich, aber arbeitet. Der Müßiggang brütet Unheil aus. Winterszeit ist gefährlich. Geht heim! Wenn es not tut, lasse ich euch wieder rufen.« –

Das neue Jahr kam frostklirrend in die Welt. Joseph war da gewesen. Frauen und Mädchen hatten eingekauft für den Dreikönigstanz, diese und jene mit den letzten Pfennigen.

Da ging der Gemeindebote durch die Täler. »Der Dreikönigstanz ist abgesagt.«

Der Dreikönigstanz ist abgesagt! Der Tanz ist abgesagt, dem Jahre ist die Krone genommen, dem Gesicht das Auge herausgerissen, die Sonne aus dem Firmamente gestoßen. Der Dreikönigstanz ist abgesagt!

»Wer hat ihn abgesagt?« fragten sie.

»Die Bauern.«

Auch der Vorsteher hörte davon. Wieder wandert der Gemeindebote von Hof zu Hof. »Morgen sollt ihr zum Vorsteher kommen.«

»Will er den Tanz wieder einsetzen?« fragten die Bauern drohend. »Gut, wir gehen hin. Er soll es wagen.«

»Wer hat den Tanz abgesagt?« fragte der Vorsteher.

»Wir,« antworteten die Bauern.

»Ihr habt das beschlossen?«

»Ja, einstimmig.«

»Wer gab euch das Recht, den Beschluß ohne mich zu fassen?«

»Glaubst du, daß wir dich fürchten? Wir tun, was wir für recht halten, auch ohne dich.«

»Ihr habt eine Sitte über den Haufen geworfen, die längst Gemeindesache ist. Aber daran will ich nicht rütteln. Die Bauern haben Häusler und Gäste aus ihrer Tasche freigehalten, so mag man es für eine Angelegenheit der Bauern ansehen. Gut. Der Tanz wird nicht stattfinden, ihr – Toren!«

»Was maßest du dir an?«

»Ruhe! Noch weiß ich nicht, ob ich gehen lasse, was im Werden ist. Vielleicht, daß ich Hilfe aus der Stadt rufe, eher, als ihr es vermutet. Noch widerstrebt es mir, weil wir gewöhnt sind, unsere Sachen selber zu richten und zu schlichten. Auf der Messerspitze aber steht es. Ist denn der Verstand ganz aus euren Köpfen gewichen? Ich sage euch: Haltet ein! – Das ist abgetan. – Gemeindebote, wer hat dich gesandt?«

»Die Bauern. Auf den Binsenhof haben sie mich bestellt.«

»Wer hat dir zu gebieten?«

»Du, Vorsteher.«

»In wessen Hand hast du versprochen, zu tun, wozu er dich ruft?«

»In deine, Vorsteher.«

»In vier Wochen bist du deines Amtes ledig.«

Die Bauern fuhren auf. »Bist du verrückt, Vorsteher? Er hat zu tun, was wir ihm gebieten.«

»Wenn ihr ihn in Lohn und Pflicht nehmt, ja. Als Gemeindebote hat er mir zu gehorchen. Ist einer, der widerspricht, den lade ich binnen heute und drei Tagen vor das Kreisgericht in Niederau.«

Der Gemeindebote war das Opfer geworden.

Am Dreikönigstage strömte es nach Reisigers Wirtshause. Männer, nur Männer, keine Frau, kein Mädchen. Die blieben daheim, jammerten und beteten, daß Gott das Unheil verhüte, das wie eine Wolke über den Tälern hockte.

Jakob Sindig war da. Rasch war er in seinem Bewegen, kurz und knapp in seinen Worten. Er sah wohl, daß etliche Äxte unter den Jacken trugen.

»Es ist euch leid, daß ihr mich zu eurem Führer gemacht habt?« sprach er, und seine Augen loderten.

»Hoho,« rief Aust, »wer sagt das?«

»Keiner,« redete Jakob Sindig weiter, »aber ich sehe es an euren Augen und daran, daß mancher von euch eine Axt unter der Jacke trägt. Ich kann euer Führer nur sein, wenn man mir gehorcht, ohne zu fragen, warum ich dies so, jenes anders mache. Das wollt ihr nicht.«

»Wir wollen,« riefen etliche laut.

»Ihr lügt, sonst würdet ihr heute nicht hierher gekommen sein. Habe ich euch gerufen? Die Sorge hat mich hergetrieben. Ist euch der Tanz so viel, daß ihr darum Leib und Leben hinwerfen wollt? Eurer Kinder Heim, eurer Weiber Herd? Daß euch der Tanz abgesagt wurde, das ist der Funke, der in den Reisighaufen geflogen ist. Den Haufen habt ihr geschichtet im Sommer, im Winter; nun brennt er, nun geht hin, zerbrecht die Höfe, schlagt die Bauern tot.«

»Täten wir nicht recht daran?«

»Um des Tanzes willen?«

»Der Tanz? Hm. Da ist ihre Härte.«

»Wer von euch hat daran gedacht? Ehrlich, wer? – Seht ihr, keiner. Das alles ist zurückgetreten vor dem verweigerten Feste. Wählt euch zum Führer, wen ihr mögt.«

»Jakob Sindig,« schrie Aust, »du siehst, wohin wir treiben. Jetzt willst du uns verlassen? Dann kommt auf dich, was geschieht. Wir wollen tun, was du für richtig hältst.«

»Wollt ihr das?« fragte Jakob Sindig hell und scharf.

»Ja.«

»Die Äxte weg! Werft sie unter den Tisch! Ich will nicht wissen, wessen Hand sie geführt.«

Polternd sanken die Äxte zur Erde. Scharrende Füße schoben sie hin und wider.

»Nun zum letzten Male: Wenn es sein muß, Gericht. Gewalt nie und nimmer. Ist das euer Wille?«

»Ja.«

»Habt ihr mir gefolgt und Arbeit gesucht? Auf das Moor ist keiner gekommen. Wer kam zu euch, ihr Köhler?«

»Keiner.«

»Und zu euch, ihr Flößer?«

»Keiner.«

»Ihr Unklugen! Nun euch die Bauern ein Spiel verderben, wollt ihr eine Herde Wölfe werden. Wehe, wer seine Hand nach einem Hofe reckt! Wer von euch hat die Zinsen an Wilm Larns gezahlt? Keiner. Arbeitet! Ihr seid daran, eine Herde Aufrührer zu werden. Zu heiliger Sache stehe ich euch zur Seite, zu gemeinem Aufruhr nicht.«

Das war der Dreikönigstag. Die Männer kehrten heim, Jakob Sindig als letzter. Er hatte über ihnen gelegen wie ein Wächter. Als das Unheil beschworen, da war Jakob wie verwandelt gewesen. Freundlich war er und milde, wie das seine natürliche Art war. Er setzte es in rascher Verhandlung durch, daß die Männer zur Arbeit griffen, etliche auf dem Moore, andere bei den Köhlern, den Holzfällern, den Flößern. Das hatten sie nie getan. Den Winter hatten sie verbracht wie die Hamster in ihrem Bau, hatten wenig oder keine Arbeit getan.

Die Weiber standen am Abend wartend an der Haustür. Da hörten sie feste, langsame Tritte. Ihre Männer kehrten heim. »Wie ist es gegangen?« fragten die Frauen ängstlich. »O, gut,« berichteten die Gefragten. »Jakob Sindig ist einer, der auch mit Worten totschlagen kann. Wie seine Stimme klang! Als ob man eine Sense auf den Dengelbock legt und darauf schlägt. So schneidig und durchdringend. Gott sei Dank, daß es so gekommen ist. Es sah aus, als wollte es oben hinaus lodern. Die Äxte waren scharf, und etliche schrien, daß man die Höfe zerbrechen müsse. Mutter, höllisch scharf ging das her, aber es war doch, als ob man unter einem Brunnenrohre säße, und das eiskalte Wasser rinne einem über den Rücken. Gott sei Dank, daß es zu wenden war. Ja, und morgen gehe ich zu den Köhlern.«

»Um Gott, du willst einer von den Waldleuten werden?«

Der Mann lachte. »Du bist dumm, Mutter. Den Winter über, nur den Winter über, daß man Arbeit hat und etwas verdient. Andere gehen an das Moor, wieder andere zu den Flößern.«

»Wer hat das so gerichtet?«

»Jakob Sindig.«

In allen Häuslein und auf fast allen Höfen: Jakob Sindig. Mit heißem Danke sprachen die meisten seinen Namen, und in den Dank mischte sich die Bewunderung. Das ist einer! Klug ist er und stark.

Auch auf des Vorstehers Hofe sprach einer von Jakob Sindig. Valentin Heubacher, des Vorstehers Kundschafter. Und der Bauer schüttelte verwundert den Kopf. So ein Mensch! –

Was doch das Moor für Arbeit machte. Erst hatte das wohl drohend ausgesehen, hernach hatte Jakob Sindig gemeint, es sei Kinderspiel, und jetzt war er endlich dazu gekommen, klar zu sehen. Eine große, schwere Arbeit war es, eine, die viel Hände brauchte, die aber doch schließlich zu zwingen war. »En oller Osse supte dat nich ut.« Die Tümpel waren tief. In einzelne hätte man ein Hanghäusel hineinsetzen können, und nicht einmal sein Dachgiebel hätte herausgeschaut. Jeder verschlang etliche tausend Karren Erde. Rechtschaffen weit aber war man schon. Große Strecken waren frei von Binsen und Birken, umgehackt waren sie, aufgewühlt und waren beträchtlich zusammengesunken.

Nun nahm Jakob Sindig Schnur und Richtlatte und Bandmaß, maß und schritt ab, zog lange Richtlinien über das Moor und legte den ersten Weg an, breit, von Gräben zur Seite begleitet und etwas höher als das umliegende Land. Von dem Hauptwege aus sollten dann Nebenwege in die Felder zur Seite gehen.

Häusler kamen am Morgen zur Arbeit und gingen am Abend wieder. Die an dem Moore wohnten, hatten das Gefühl, als ob Jakob Sindig der Herr wäre, Annedore und Jeremias aber die Wirte.

Annedore war nun frei, ganz frei von ihrem Irrtum. Sie hatte ihren Mann lieb mit der starken, guten Liebe, deren sie fähig war, und Jeremias nahm es dankbar und freudig hin. Förmlich durchgeistigt war sein kluges, schönes Gesicht mit den starken dunklen Brauen und der feinen Nase.

An den Abenden saß Jakob Sindig meist still unter den Leuten, aber es war kein verdrossenes Stillesein, eher ein friedvolles, wohliges. Die Leute sangen Lieder und erzählten, die Männer taten Winterarbeit, an die sie Jakob gewiesen. Es häuften sich Besen und Rechen, Körbe und Strohbänder.

In ganz Bergroda war der Friede eingekehrt, und die Häusler gingen froh und gern darunter. Wenn die Männer am Abend von den Kohlstätten oder dem Ufer der Lokwa heimkehrten, dann streckten sie die Glieder, warfen sich müde in den Stuhl und plauderten von der Tagesarbeit. Die Frau brachte das Essen auf den Tisch, und es ging dabei munter und behaglich her. Es war, als erwachse sichtbar in den Häusern ein Neues. Die Frauen gingen in den alten Jacken und Kleidern, aber die waren jetzt ganz und sauber. Und so die Kinder. Ihre fröhliche Art durfte sich entfalten. Wenn sie sich an Vater und Mutter drängten und schwatzten, dann gingen die Eltern auf ihr Geplauder ein. Da wurden auch die Kinderaugen heller, als sie seit langem gewesen waren. Wo die Not gelauert hatte, da lag das Frohsein wie eine Sonne.

Lachend trat der Vater am Lohntage unter die Tür, klimperte mit dem Gelde in der Tasche und fragte breitspurig: »Nun, Mutter, was möchtest du lieber, einen Bauernhof oder ein seiden Tuch?«

Dann lachte auch die Frau und, was seit den Tagen der jungen Liebe nie wieder gewesen war, sie lehnte sich in Zartheit an den Mann, legte ihm den Arm um den Nacken und sagte scheu: »Daß es uns einmal so gut werden würde! Man muß dem Sindig rechtschaffen dankbar sein.«

Ob der Mann dazu auch nickte, so wollte er doch seinen Anteil nicht geschmälert sehen. »Und mir?« fragte er dagegen. »Ist das nichts, was ich tue?«

»Halt wohl,« sagte die Frau darauf. »Du tust brav das Deine. Plagst dich schier mehr, als gut ist.«

So wohl und warm war es denen in Bergroda seit Menschengedenken nicht gewesen.

Kamen die Männer zusammen, dann sagte wohl einer: »Warum haben wir das nicht schon eher getan, daß wir im Winter zu den Flößern gingen oder zu den Köhlern?«

»Weil uns Jakob Sindig gefehlt hat,« erklärten andere. –

Auch die Bauern waren wieder zusammen gewesen. Als ob sie Gott mit Blindheit geschlagen hätte, war es. Nichts sahen sie in Jakob Sindigs Eingreifen als den Versuch, ihnen die Häusler abwendig zu machen.

»Wißt ihr, wie es stand?« fragte der Leinert.

»Ja, sie hatten Äxte mit und wären über die Höfe gekommen wie wilde Tiere. Was tun wir, wenn es geschieht?«

»Habt eure Flinten geladen,« schlug der Bauer an den drei Tannen vor.

»Und der erste Schuß dem Langen,« rief der Kreuzbauer.

»Es ist ja Friede. Meint ihr, daß es doch noch oben hinausfährt?«

»Man kann es nicht wissen.«

»Wem wird es zuerst gelten?« warf der Buchenhofbauer dazwischen.

Da schwiegen die Bauern erschrocken. Wem? Hoffte jeder: Mir nicht!

Dann rief der Leinert zornig: »Es ist gleich, wem. Sollen wir zuletzt doch klein beigeben? Sollen wir dem Langen dankbar sein, daß er das aufkommende Feuer noch einmal mit seiner Hand totgedrückt hat? – Wie wollen wir den Häuslern entgegentreten, wenn sie dennoch wieder um Brot oder Saat kommen?«

»Hart,« riefen die anderen, »biegen oder brechen. Wir sind die Herren.«

So gingen sie auseinander.

Von denen, die schwere Arbeit tun konnten, kam keiner, aber ein dürftiger Greis, der zu des Kreuzbauern Häuslern gehörte und sich nicht unter den Eid geduckt hatte, kam. Es ging stark auf das Frühjahr zu.

Der alte Bastian Krüger hatte auch das Saatgetreide verzehrt. Nun fehlte es ihm an der Aussaat. Er wagte es, ging auf des Kreuzbauern Hof, bat um Saat und erbot sich, hohen Preis zu bezahlen.

»Willst du unter den Eid gehn?« fragte der Bauer.

»Bauer, wie kann ich das, nachdem mir Wilm Larns die Schulden bezahlt hat. Ich hätte dann zwei Herren über mir. Wie kann ich das?«

»Gut,« sagte der Bauer kurz, »so laß dir die Saat von Wilm Larns geben.«

»Bauer, er wohnt weit« Sei barmherzig, gib mir, was ich brauche. Ich will es im Sommer abarbeiten. Du brauchst keine Sorge zu haben.«

»Nein.«

Der Alte aber war hartnäckig, flehte und jammerte, bat, erhöhte sein Gebot und wich nicht.

Die Verhandlung wurde auf dem Getreideboden geführt, auf dem der Kreuzbauer Korn schaufelte. Eine Weile ließ der Bauer den Alten gewähren und beachtete ihn nicht. Dann übermannte ihn jäher Zorn: »Geh, ich rate dir!«

»Bauer, ach Bauer!«

»Geh!«

»Nein, Bauer, ich bleibe, bis du – –«

Da umfaßte der Bauer das dürftige Männlein und warf es die Treppe hinab.

Die machte eine Windung. Der Häusler flog gegen die Wand, überschlug sich, rollte weiter und blieb blutend auf den Steinen des Hausflurs liegen. Kein Wort sagte er, hatte die Augen geschlossen, war wie tot, und von seiner Stirn rann das Blut.

Des Kreuzbauern Altmagd hatte den Lärm vernommen, kam herbeigestürzt und schrie laut auf.

»Schafft ihn hinweg!« gebot der Bauer.

Zwei Knechte trugen ihn in das Hanghäuslein, aber nur einer kehrte zurück und auch der in heller Empörung.

»Der Andreas läßt dir sagen,« sprach er zornig zu seinem Herrn, »du seiest ein Hund; er käme nicht wieder und ginge zu den Flößern.«

Der Bauer war blaß, aber er schwieg und verbiß seinen Zorn.

Neben dem Hofe stand ein Häuslein. Das war das Ausgedinge und wurde von des Bauern alten Eltern bewohnt. Des Bauern Vater hatte gesehen, wie man den blutigen Häusler fortgetragen, kam herüber auf den Hof und stellte seinen Sohn zur Rede. Wie Hammerschläge waren seine Worte. »Ihr treibt die Leute zur Verzweiflung,« rief er stark, »ihr unklugen, herzlosen Männer! Ist der Teufel unter euch gefahren? Meint ihr, es so zu zwingen?«

Der Sohn antwortete nicht. Er stand am Fenster und trommelte gegen die Scheiben. Nun sein Zorn allmählich verrauchte, war es ihm nicht eben wohl um das Herz.

Bastian Krüger war aus seiner Betäubung erwacht. Tiefe Wunden in seinem Gesicht waren von geronnenem Blute bedeckt, die linke Hand war ihm gebrochen.

Andreas, der Knecht vom Kreuzbauernhofe, aber war zu den Flößern gelaufen und hatte geklagt.

Aust hörte die Klage an und schwieg, indes die anderen fluchten und drohend die Hakenstangen schwangen.

Anderen Tages aber kam ein ernster, schweigender Zug nach des Krügers Häuslein. Die Leute hatten düstere Augen und blasse Gesichter. Etliche reckten die Fäuste gegen den Hof.

Aust aber wehrte ab. »Herunter die Fäuste! Rühre keiner an den Hof! Gericht, nicht Gewalt! Jakob Sindig soll richten.«

Die Leute zogen ein Wägelchen aus dem Häuslein. Daraus legten sie zwischen Decken den zerschundenen Alten. So fuhren sie fort.

Der Kreuzbauer aber sandte auf die Höfe. »Kommt, der Aufruhr bricht aus. Ich bin der erste, dem es gilt.«

Die Angeforderten fragten den Boten, was gewesen sei. Der erzählte. Von des Bauern zorniger Tat sprach er und dem Zuge der Männer, die heute den Bastian Krüger geholt.

Da sanken die Bauern in sich zusammen, es rann ihnen das Grauen über den Rücken. Der Kreuzbauer wartete umsonst. –

Jakob Sindig arbeitete im Moore, als der traurige Zug kam. Er sah ihn von weitem und wußte: Jetzt ist die Entscheidung da, die furchtbare, die ich überwunden zu haben glaubte, und alles ist umsonst gewesen, alles.

Jammervoll sah die lahme Hand des Alten aus. Laut klagend redeten die Wunden in des Greises zerschundenem Gesicht, und Gericht forderten die traurigen, guten Augen.

Jakob Sindig redete wenig. Nur was geschehen war, ließ er sich erzählen, das aber fragte er haarklein heraus und sagte hernach zu dem Alten: »Du bist nicht ohne Schuld. Warum bist du nicht gegangen?«

Die Männer standen harrend zur Seite. Was würde nun geschehen? Würde Jakob Sindig Richter sein, gerechter Richter, oder kam nun doch das Unwetter, das die Höfe zerbrach, die Höfe und die Hütten?

Jakob Sindig war in seine Kammer gegangen. Der Riese sank in die Knie. »Ich habe das nicht gewollt, Herrgott. Hört es, Gertrud und Wilm und Wischen und Marie und alle, die ihr mich liebhabt. Ich habe das nicht gewollt. Nun muß ich.« Er zog bessere Kleider an, warf einen langen Blick auf seine Kammer, als nähme er Abschied. Dann ging er hinab. Annedore, Jeremias, Robert und die anderen, denen er ein gütiger Herr gewesen war, umdrängten ihn. »Bleib,« flehten sie, »bleib! Um Gottes willen!«

Jakob Sindig reichte ihnen die Hände. »Schütze euch Gott, ihr Guten. Ich muß gehen. Gericht ist nicht Gewalttat. Gericht aber muß ich halten.«

Jeremias und Robert wollten sich anschließen. Jakob aber hieß sie, am Moore bleiben, und sie gehorchten.

»Kommt,« sagte er zu den Leuten und schritt ihnen voraus. Fremd ging er unter ihnen, als sei alles um ihn her versunken.

Auch auf dem Binsenhofe hatte man den Zug gesehen, der nach dem Moore ging. Marlene lief zur Bäuerin: »Bäuerin, nun holen sie den Jakob Sindig. Es muß etwas auf des Kreuzbauern Hofe geschehen sein. Sie haben den Bastian Krüger nach dem Moore gefahren. Der aber sah aus wie der blutige Heiland. Nun soll Jakob Sindig ihnen vorangehen.«

Sie heulte auf. »Die Höfe werden brennen. Die Menschen sind wie die Tiere!«

Gertrud Heidecker war erschrocken, und ihre Hand hatte nach dem Herzen gegriffen.

Als sie den Zug vom Moore zurückkommen sah, nahm sie ihren Knaben auf den Arm, richtete sich hoch auf und schritt hinaus an den Weg.

Sie stellte sich vor Jakob Sindig. »Jakob, ich habe dir etwas zu sagen. – Geht weiter, ihr Leute.«

Das Kind hielt sie ihm entgegen. Nun versank alles hinter ihr. »Den siehe an, Jakob. Soll man sagen, daß sein Vater ein Mordbrenner war?«

Jakob Sindig senkte das Haupt.

»Und siehe mich an. Muß ich es dir sagen, daß ich dich liebhabe? Weißt du es nicht längst? Verstehst du nicht, was ich tat? Um uns rein zu machen, widerstand ich meinem Herzen. Und dich stark zu machen und rein, verwies ich dich von dem anderen Wege, der leicht gewesen wäre. Willst du über den Haufen werfen, was du in langen Jahren aufgebaut hast?«

»Hab Dank,« sprach Jakob Sindig leise und müde, »Hab Dank! Aber du irrst. Ich werde kein Mordbrenner sein. Hast du den zerschlagenen Greis gesehen, den hilflosen, dem auch die Hand zerbrochen ist? Kein Hof wird auflodern, ich verspreche es dir. Nicht Rache, nicht Gewalttat gilt es, Gericht will ich halten und muß ich halten. Ich bin ihr Führer. Ziehe ich die Hand von ihnen ab, dann geht die Lokwa morgen rot von Blut. Das ist kein Strohfeuer, das jetzt in ihnen brennt. Das ist gerechte Empörung, die nach Sühne ruft. Leb wohl, ich muß.«

Er schritt dem Zuge nach und wandte sich nicht.

Drinnen aber fuhr Heidecker auf sein Weib los.

»Was war das? Sollen die Leute mit Fingern auf dich weisen? Was wolltest du mit dem Langen?«

»Einen Menschen wollte ich retten, den einzigen in Bergroda, der ein Herz hat.«

»Den einzigen? Sind wir anderen Tiere?«

»Ja, Mörder und Selbstmörder.«

»Mörder?« fragte der Bauer keuchend, und der tote Kaspar reckte sich vor ihm. »Wer hat dir gesagt, daß ich ein Mörder sei? Was weißt du? Lisa warf sich für dich auf, was hat sie dir gesagt? Rede!«

Gertrud Heidecker fuhr jäh zurück. Ein grelles Licht flog über zurückliegende, unklare, düstere Tage. Jetzt sah sie klar, und das Grauen schüttelte sie.

»Mörder!« rief sie in starker Betonung, »nun hast du selber die Decke von den vergangenen Tagen gerissen. Nun weiß ich, was dir die Nächte zerriß und dich machte, wie du geworden bist. Mörder!«

Da ging der Bauer taumelnd hinaus. –

An der Lokwabrücke standen Wartende. »Jakob Sindig wird Gericht halten,« war es wie auf Windesflügeln über die Hänge gelaufen, zu den Köhlern war es gedrungen, den Wald hatte es durcheilt und den Holzfällern die Arbeit aus den Händen genommen.

Valentin Heubacher hüpfte in seiner Stube wie ein Füllen. »Ich will gnädig sein,« sagte er zu seinem Weibe, »ich bin gut gelaunt. Sie fressen sich auf, sie fressen sich auf! Heute singen wir das Lied ohne die Elle.« –

Auch er stand unter den Wartenden. Und der Zug kam daher. Jakob Sindig schritt voraus, ernst und traurig, aber wie aus Stein gehauen. Ein gewaltiger, gerechter Wille thronte auf seiner Stirn. Seine tiefliegenden Augen sahen nach innen. Hinter ihm drein fuhr Aust das Wäglein mit dem gemißhandelten Alten. Der hatte die Augen geschlossen. Ihm bangte vor dem, was kommen wollte. Daheim hätte er sein mögen in seinem Hüttlein. Die vielen Menschen! – Und nach dem Wäglein kamen die Männer, trotzig, schweigend.

Die Harrenden an der Lokwabrücke spürten den heiligen Ernst der Stunde und ehrten Jakob Sindigs Entschluß. Einer riß die Mütze vom Haupte, und die anderen taten es ihm nach. Jakob Sindig aber sah es nicht. Geradeaus schaute er, nur geradeaus.

»Verdammt,« knirschte der Schneider zwischen den Zähnen, »das ist, als gingen sie in die Kirche.«

Als sie auf die jenseitige Höhe kamen und den Kreuzbauernhof liegen sahen, schien Jakob Sindig zu erwachen. Er wandte sich und fragte verwundert: »Was wollen die vielen Leute? Ist heute Feiertag, daß ihr nicht an der Arbeit seid?« Dann mit scharfer Stimme: »Daß keiner die Hand gegen den Hof oder den Bauern hebt! Vorwärts!«

Der Kreuzbauer lief in höchster Erregung durch das Haus. Er hatte nach Hilfe ausgeschaut, war gegen das Tal hin gelaufen, auf den Boden gestiegen, hatte gewartet, von Stunde zu Stunde, dann von Minute zu Minute. War keiner gekommen von denen, die er gerufen. Einer aber war dagewesen. Das war der Vorsteher.

»Ich will nicht mit dir rechten,« hatte er gesagt, »wenn einer den Verstand verloren hat, so ist das schlimm, wenn ihn aber ein Haufe verliert, so kommt es über die Menschen wie ein Rasen. Einen Rat will ich dir geben. Jakob Sindig wird kommen. Gehe fort vom Hofe, daß er dich nicht findet. Wir wollen ihn zu mir laden, und ich stehe dir dafür, daß wir es richten können.«

»Vom Hofe soll ich gehen?« rief der Bauer. »Das ist alles, was du weißt? Was aber geschieht hier, indes ich fort bin?«

»Nichts. Ich bürge dir dafür. Es wird kein Stein verrückt, den Deinen wird kein Haar gekrümmt werden, solange Jakob Sindig an der Spitze des Haufens steht.«

»Tue deine Pflicht!« schrie der Bauer, »bleibe hier. Da hängen die Flinten. Greif zu und stehe mir bei! Ist der Lange über den Haufen geschossen, sinkt den andern das Herz in die Schuhe.«

»Du willst auf Jakob Sindig schießen?«

»Ja, so ist es ausgemacht.«

»Ausgemacht! Herrgott, ausgemacht! Wo sind die, mit denen du es ausgemacht hast?«

»Gehe heim, Vorsteher, ich brauche dich nicht. Kommt schon keiner von den andern, so will ich allein zu Ende bringen, wozu sie den Mut nicht haben, die Erbärmlichen. Gehe heim!«

»Leb wohl, Kreuzbauer.« Der Vorsteher ging langsam den Hang hinab. Droben aber nahte der Zug der Richter.

Der Kreuzbauer lag im Fenster auf den Knien und hatte das Gewehr auf das Fensterbrett gelegt.

»Seht das Gewehr!« schrie einer der Häusler ängstlich und drängte zurück. Da wichen auch die anderen zur Seite. Jakob Sindig aber schritt unbeirrt auf das Haus zu. Ein Schuß krachte, und die Kugel flog pfeifend an Jakobs Haupte vorüber. Er schritt weiter. Ein zweiter Schuß, und Jakob hatte an der Linken das Gefühl, als hätte ihn eine Wespe gestochen.

Und nun stand er in der Stube. Der Bauer hatte das Gewehr umgedreht und rannte auf den Eintretenden los mit geschwungenem Kolben. Jakob fing das niedersausende Gewehr mit der Hand auf, schlug es gegen die Dielen und warf es dem Bauern zerbrochen vor die Füße.

»Du tollwütiger Mensch,« sagte er.

Die Bäuerin aber kroch winselnd auf den Knien an Jakob heran. »Hab Erbarmen, Hab Erbarmen! Er hat nicht gewußt, was er tat.«

»Was heulst du?« fragte Jakob. »Gericht will ich halten, gerechtes Gericht. Setz' dich daher,« gebot Sindig dem Bauern.

»Wer hat dich zum Richter gemacht?« tobte der Bauer. »Ein Wegelagerer und Räuber bist du, der in die Häuser einbricht, nichts weiter!«

Da sah ihn Jakob mit einem langen Blick an, der Bauer fühlte, wie es in dem Riesen anfing zu lodern, und wie er sich Gewalt antat, ruhig zu bleiben.

»Setz' dich daher!« wiederholte Jakob, und der Bauer gehorchte. Dann wandte sich der Richter an die Leute, die langsam nachgedrängt waren. »Bringt den Bastian Krüger herein!«

Aust trug ihn auf dem Arme daher wie ein Kind und stellte ihn dann auf die Füße. Die Stube war voller Menschen, voller schweigender, erschütterter, wartender Menschen, die die ungeheure Wucht der Stunde fühlten.

Sah keiner den Nachbarn und hätte hernach keiner zu sagen gewußt: Der hat neben mir gestanden, der ist dazu gekommen, der fortgegangen.

»Bastian Krüger, erzähle den Hergang!« gebot Jakob Sindig.

Der Alte erzählte mit leiser Stimme.

»Ist das so, Bauer?« fragte Sindig.

»Ja,« rief der Bauer trotzig.

»Was hast du dazu zu sagen?«

»Nichts weiter als: Hinaus! Hinaus, ihr alle! Sollen wir uns ducken vor euch? Hinaus, ihr Aufrührer!«

Die ungestümen Köhler fingen an zu fluchen und drängten vor. Der Bauer schäumte, seine Augen waren glasig, unflätige Worte überstürzten sich, und er gebärdete sich wie ein Irrsinniger.

Die Erregung aber sprang auf die Leute über. »Totschlagen muß man den Hund und den Hof einäschern!« schrien sie. Und dann: »Laß ab, Jakob Sindig. Wir wollen ihn abtun wie ein Kalb, laß ab! Wozu Gericht, wenn er ist wie ein toller Hund!«

Sie drängten vor. Jakob Sindig faßte den Bauern, schleuderte ihn hinter sich und befahl mit drohender Stimme: »Weicht zurück!«

In dem Augenblicke flog ein greller Schein in die Stube. Aus dem Ausgedingehäuslein schlugen die Flammen.

»Feuer!« schrie der Haufe, drängte hinaus und stand starr und tatenlos vor dem lodernden Brande, hörte drinnen Menschen an verschlossener Tür rütteln, hörte sie gellend um Hilfe rufen und rührte keine Hand.

Jakob Sindig stöhnte wie ein zu Tode getroffener Stier, lang und tief wie unter Bergeslast. Der Kreuzbauer stürmte an ihnen vorüber.

»Meine Eltern verbrennen!«

Da war ihm Jakob Sindig zur Seite. Er trat die Tür ein, brennendes Gebälk brach durch die Decke, ein Feuerregen ergoß sich auf zwei alte, müde Menschen, die ohnmächtig auf den Fliesen lagen. Jakob Sindig hob den Alten auf, der Bauer seine Mutter. Sie trugen sie über den Hof nach dem Hause.

Des Bauern Gesinde schwang den Feuereimer. Jakob Sindig rief Aust zur Hilfe. Er und etliche der Köhler arbeiteten wacker mit. Das Häuslein brannte nieder, ohne daß die Flammen auf den Hof übergesprungen wären.

Jakob Sindig hatte ein rußiges Gesicht. Zudem glühten seine dunklen Augen wie Kohlen.

»Her zu mir!« rief er den Leuten zu, und sie scharten sich um ihn.

»Wer hat den Brand an das Haus gelegt?«

Es kam keine Antwort.

Im Bauernhause war der alte Kreuzbauer erwacht. Er ging hinaus, seinem Retter zu danken, weil ihm die Bäuerin gesagt, wer ihm sein altes Leben erhalten hatte.

»Das ist gut, daß du kommst,« sagte Jakob Sindig. »Ist das Feuer von selbst aufgegangen?«

»Nein,« berichtete der Alte. »Wir hörten ein Tappen und glaubten, daß sich eine der Mägde vor euch in das Haus geflüchtet habe. Dann kehrte der Schritt zurück. Die Haustür wurde abgeschlossen und dann die andere. Darauf begann es zu knistern und zu prasseln. Das Feuer ist an mehr als einer Stelle zugleich angelegt worden.«

»Wer hat das getan?« fragte Jakob Sindig wieder, und auf seiner Stirne stand dick wie ein Strang eine Zornesader. »Wer hat das getan und die armen Leute eingeschlossen, daß sie verbrennen sollten, der Greis und die Greisin? Wer war so entmenscht? Heran! Hat er den Mut gehabt zu der teuflischen Tat, so habe er auch den zur Wahrheit! Heran!«

Sie schauten einander an, unsicher, fragend, mißtrauisch. Warst du es? Zu hinterst aber stand Valentin Heubacher, bebend wie eine Birke im Herbststurme, hatte ein gelbes, verfallenes Gesicht und bohrte die zuckenden Hände tief in die Hosentaschen. »Ihr sollt euch auffressen,« murmelte er, »ihr sollt euch auffressen!«

Jakob Sindig stand wartend in höchster Spannung. Dann lief ein Zucken über sein Gesicht. Eine Esche stand ihm zur Hand. Mit raschem Griffe riß er einen Ast herab, zerbrach ihn zwischen den Händen, schleuderte ihn den Harrenden vor die Füße, schlug mit der flachen Hand durch die Luft und zürnte: »Aus! Aus!« Es klang wie Hammerschläge auf den Schmiedeamboß.

Er wandte sich zurück nach dem Hofe.

Aust aber fuhr unter die Leute. »Geht heim, sage ich, geht heim. Verdammt! Wer ist der Elende, der gerechtes Gericht gemein gemacht hat! Geht, sonst schlagen wir drein!«

Scheu und gebückt schlichen die Leute davon, und laut weinend ging der alte Bastian Krüger nach seinem Häuslein.

Jakob Sindig aber stand vor dem Kreuzbauern. »Bauer,« sagte er traurig, »du bist Zeuge meines Bruches mit ihnen gewesen. Das ist abgetan. Ich habe gemeint, sie seien Menschen, aber das Tier in ihnen ist stärker. Nun besudele ich mich nicht wieder mit ihnen. Es ist aus. Ich habe einen Streich empfangen, wie wenn ein Baum in die Wurzel getroffen wird. Ich stehe dir zu gerechtem Urteil. Gehe an das Gericht nach Niederau. Klage mich an, mich allein; denn ich bin ihr Führer gewesen. Eines aber muß ich noch abtun. Ich stehe vor dir wie ein Bettler und bitte dich: Vergib mir. Das habe ich nicht gewollt. Das nicht, bei Gott.«

Die Selbstanklage war erschütternd. Der Kreuzbauer, durch sein Gewissen und die sich überstürzenden Ereignisse aus allen Fugen gerissen, zitterte und hielt sich kaum aufrecht.

Des Bauern Vater aber legte Jakob Sindig die Hand auf die Schulter. »Ich habe viel von dir gehört und hatte dich bis heute doch nicht gesehn. Nun begreife ich, daß du nicht anders sein kannst, als du bist. Du hast Unheil verhüten wollen mit ehrlichem Willen. Was geschah, ist nicht deine Schuld. Mein Sohn wird nicht an das Gericht in Niederau gehen. Nun aber sage mir, was du wolltest.«

»Gerechtes Gericht,« sprach Jakob Sindig traurig.

»Sprich deutlicher. Was wolltest du von dem Bauern, der den Bastian Krüger die Treppe hinabwarf?«

»Sühne sollte er ihm zahlen, so viel, daß der alte Mann leben konnte, solange es Gott will, ohne fragen zu müssen, was werde ich morgen auf dem Tische haben.«

»Das war alles?«

»Das war alles.«

»Es ist weniger als gerechte Sühne. Bauer,« wandte er sich an seinen Sohn, »was ich jetzt sage, rede ich in deinem Namen. – Dem Bastian Krüger wird sein Acker vom Hofe aus bestellt werden, er soll den Tisch gedeckt finden alle Tage und nie mehr um Saatgut auf den Hof kommen müssen. Die Losung aber: Hofsaat vor Häuslersaat, die fahre zum Teufel. Häuslersaat und Hofsaat, eines mit dem anderen, wie es die Zeit gibt und ein gerechter Wille, der unter der Liebe geht und das miteinander vereinbaren kann. Ist es dir recht, Jakob Sindig?«

Der preßte des Alten Hand. »Was du von den Häuslern sagtest, das ist, um was ich kämpfe, was du aber von dem Bastian Krüger sagtest, das ist mehr, als ich gefordert hätte. Habe Dank, Bauer. Du machst mich schamrot.«

Der Bauer wandte sich an seinen Sohn. »Du hast gehört, was ich in deinem Namen zugesagt. Willst du es halten?«

»Ja,« rief der Kreuzbauer aufspringend, »du hast mit den Häuslern gebrochen, Jakob Sindig, ich breche mit den Bauern. Ein ehrlicher Bauer will ich wieder sein und ein Mensch und den Weg gehen, den uns der Vorsteher vorlebt. Hier ist meine Hand.« –

Langsam ging Jakob Sindig vom Kreuzbauernhofe. Die Brandreste des Häusleins verkohlten, und ein feiner Rauch stieg in zitternden Wellen empor.

›Nun ist es gut,‹ dachte der Schreitende, ›aber es hat weh getan. Weher noch als die Untreue des Mädchens, auf das ich baute. Jetzt bin ich frei. Wilm Larns wird sein Geld nicht zurückverlangen. Es soll den Leuten geschenkt sein. Ich will es ihm langsam abzahlen. Frei bin ich, frei!‹

Aust und etliche andere hatten auf Jakob gewartet. Als er herankam, redeten sie ihn an. Der aber winkte mit der Hand und schritt weiter.

Als er dem Binsenhofe nahe kam, hoffte er, daß Gertrud Heidecker harrend am Wege stehen werde, aber es war niemand zu sehen. Die Nacht war rasch herabgesunken, und Jakob schritt nach dem Moore zu.

Da hatte keines mehr ein Arbeitsgerät angerührt, als Jakob Sindig mit den Leuten fortgegangen war.

Jeremias nahm sein Weib in die Arme und weinte. »Nun werden wir ihn nicht wiedersehen,« klagte er, und Annedore nickte dazu.

Robert Lindner und die anderen waren auf eine Kuppe gelaufen, um zu beobachten, ob auf dem Kreuzbauernhofe die Flammen emporschlagen würden. Sie warteten und sprachen in Mutmaßungen, und durch ihr erregtes Sprechen flogen heiße Worte der Liebe zu Jakob Sindig und des Erbarmens mit ihm. Und dann stieg drüben eine dunkle Rauchwolke auf, Flammen züngelten über die Bergspitzen. »Der Kreuzbauernhof brennt!« schrien die Harrenden. Robert Lindner rannte heim und schrie den Schreckensruf in die Stube, warf den Kopf auf den Tisch und schluchzte wie ein Kind.

Auch die anderen kehrten vom Auslug heim, und die Hoffnung wagte sich scheu aus dem Winkel. »Vielleicht war es nur die Scheune,« sagten, die später gekommen waren. »Der Brand war klein und währte nicht lange.« Keiner aber wagte, vom Hause fortzugehen. Sie hockten zusammen, eines sich am anderen aufrichtend, und waren dankbar, wenn einer ein zuversichtliches Wort sprach.

So traf sie Jakob Sindig. Sie sprangen auf ihn zu, wie Kinder nach einem Unwetter in die Sonne springen. »Da bist du, da bist du!«

Und Jakob Sindig sah die Getreuen an, sah ihre ehrliche Freude, der grausame Schmerz in ihm zerrann. »Habt Dank, ihr Lieben,« sprach er und reichte ihnen die Hände. »Es ist aus zwischen mir und denen, die mich zu ihrem Führer gemacht hatten. Den alten Kreuzbauern und sein Weib wollten sie elend im Häuslein verbrennen lassen. Ich bin fertig mit ihnen. Nun lebe ich für euch und mich. Vielleicht, daß auch mir noch einmal ein Glück wird. – Annedore, gib uns das Abendessen.« – –

Auch auf dem Binsenhofe hatte einer lauernd am Bodenfenster gestanden. Als Heidecker Rauch und Flammen gesehen, da war er hinabgerannt, hatte die Fäuste in die Augen gebohrt und geschrien: »Der Kreuzbauernhof brennt!«

Gertrud Heidecker setzte sich in die Ecke und schlug die Hände vor das Gesicht.

»Nun ist Jakob Sindig tot,« klagte ihre Seele. »Sie sind ihm aus den Händen geglitten. Er hat sich ihnen in den Weg geworfen. Nun ist er tot, tot!«


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