Arthur Schnitzler
Therese
Arthur Schnitzler

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Einmal in früher Vormittagsstunde – Therese hielt eben ihren Kurs ab – erschien zu ihrer Überraschung Karl bei ihr. Seine Miene, schon die Art, wie er eintrat, ließen sie Böses ahnen. Da sie ihn fragte, ob er sich nicht eine Viertelstunde gedulden wolle, bis die Stunde zu Ende sei, ersuchte er sie brüsk, ihre »jungen 339 Damen« – auch dies war wie mit Hohn vorgebracht – wegzuschicken. Was er ihr mitzuteilen habe, dulde keinen Aufschub. Therese konnte nicht anders, als ihm willfahren. Er wandte den Blick ab, als die jungen Mädchen an ihm vorüber das Zimmer verließen, wie um sie nicht grüßen zu müssen, und kaum mit der Schwester allein, ohne jede Einleitung, begann er: »Dein Sohn, der Lumpenkerl, hat die unerhörte Frechheit, mir aus dem Landesgericht diesen Brief zu schicken«, und er reichte ihn Theresen.

Sie las für sich: »Werter Herr Onkel. Da ich in wenigen Tagen nach unverschuldeter, wegen widriger Umstände verbüßter Haft das Gericht verlasse und ferne von der Heimat eine neue Existenz gründen will, ersuche Euer Hochwohlgeboren in Anbetracht näherer Verwandtschaft um Beitrag zu Reisekosten im Betrag von zweihundert Gulden österreichischer Währung, die von morgen an bereit zu halten bitte. Mit vorzüglicher Hochachtung bin ich, sehr werter Herr Onkel, Ihr –«

Therese ließ den Brief sinken, zuckte die Achseln.

»Nun,« schrie Karl, »möchtest du so freundlich sein, dich zu äußern.«

Therese unbeweglich: »Ich habe mit diesem Brief nicht das geringste zu tun, und ich weiß nicht, was du von mir willst.«

»Ausgezeichnet. Dein Sohn schreibt mir aus dem Landesgericht einen Erpresserbrief – jawohl, einen Erpresserbrief.« Er riß ihr den Brief aus der Hand und wies auf die Stellen: »in Anbetracht naher Verwandtschaft« – »von morgen an bereit zu halten bitte«. – »Dieser Lump weiß, daß ich mich in öffentlicher Stellung befinde. Er wird zu anderen Leuten gehen, sie 340 anbetteln, sich dort als mein Neffe ausgeben, als der Neffe des Abgeordneten Faber . . .«

»Von einer solchen Absicht kann ich in dem Brief nichts entdecken, und dein Neffe ist er ja wirklich.«

Die abweisende, spöttische Haltung Theresens machte Karl völlig rasend. »Du wagst es, dieses Subjekt noch in Schutz zu nehmen? Meinst du, ich weiß nicht, daß er ein paarmal zu uns um Geld geschickt hat? Marie, gutmütig, aber blöd wie immer, hat es mir verheimlichen wollen. Glaubt ihr, mir kann man etwas verheimlichen? Meinst du vielleicht, ich hab' nicht immer gewußt, was du für eine Existenz führst, unter dem Deckmantel deines sogenannten Berufes? Ja, schau' mich nur an mit deinen großen Kuhaugen. Glaubst du, ich fall' dir darauf hinein? Ich bin dir nie hineingefallen. Du wirst noch auf dem Mist krepieren, genau so wie dein Herr Sohn. Du willst 's ja nicht anders. Wenn man dir schon einmal einen Ausweg gezeigt und wenn sich schon ein Esel gefunden hat, der dich beinahe geheiratet hätte – nein, lieber in Freiheit weiterleben, Liebhaber wechseln wie 's Hemd, das ist bequemer und lustiger. Und mit den Mäderln da, was machst du denn mit denen? Lektionen –? Haha! Werden wahrscheinlich herangebildet zum Gebrauch für semitische Wüstlinge –?«

»Hinaus«, sagte Therese. Sie hob nicht den Arm, streckte die Hand nicht aus, unhörbar beinahe sagte sie: »Hinaus!«

Karl aber ließ sich nicht beirren. Er sprach weiter, ungehemmt, wie es ihm über die Lippen kam. Ja, so, wie Therese es in der Jugend getrieben, sagte er, so treibe sie es jetzt weiter, – in einem Alter, wo andere 341 Frauenzimmer doch allmählich zur Besinnung zu kommen pflegen, schon aus Angst, sich lächerlich zu machen. Ob sie sich denn einbilde, daß sie ihm je etwas habe vormachen können? Als junges Mädel schon habe sie mit seinem Freund und Kollegen angebandelt, dann war die Geschichte mit dem lumpigen Leutnant gekommen, – und von wem der saubere Sohn sei, an dem sich nun ihr Schicksal erfülle, das werde sie wohl selbst schwerlich mit Sicherheit sagen können. Was sie dann später als »Fräulein«, als »Hüterin der Kleinen« angestellt, das sei ja nur gelegentlich gerüchtweise an sein Ohr gedrungen. Und nun – auch darüber sei er informiert – ziehe sie mit irgendeinem älteren, reichen Juden umher, den sie jedenfalls dadurch zu halten versuche, daß ihre sogenannten Schülerinnen –

In diesem Augenblick trat Herr Wohlschein ein. Es war ihm zwar nicht anzumerken, daß er die letzten Worte gehört oder gar verstanden hätte; immerhin blickte er betroffen von Karl zu Theresen hin. Karl hielt den Augenblick gekommen, sich zu entfernen. »Ich will nicht länger stören«, sagte er; und mit einer kurzen, fast höhnischen Verneigung gegenüber Wohlschein schickte er sich an, das Zimmer zu verlassen. Therese aber: »Einen Augenblick, Karl«, hielt ihn zurück. Sie stellte vor, völlig ruhig. »Doktor Karl Faber, mein Bruder; Herr Wohlschein, mein Bräutigam.« Karl verzog leicht den Mund. »Besondere Ehre.« Und er wiederholte: »Um so weniger will ich stören.« – »Pardon,« sagte Herr Wohlschein, »ich habe fast den Eindruck, als wenn ich derjenige wäre, der gestört hat.« – »Nicht im geringsten«, sagte Therese. – 342 »Gewiß nicht,« bekräftigte Karl, »kleine Meinungsverschiedenheit, wie das in Familien nicht zu vermeiden ist. Also nichts für ungut«, setzte er hinzu, »und viel Glück. Meine Verehrung, Herr Wohlschein.«

Kaum war er zur Türe draußen, so wandte sich Therese an Wohlschein. »Verzeih, ich konnte nicht anders.« – »Wie meinst du das, daß du nicht anders konntest?« – »Ich meine, es verpflichtet dich zu nichts, daß ich dich als meinen Verlobten vorgestellt habe. Du bist nach wie vor völlig frei in deinen Entschließungen.« – »Ach so – so meinst du das. Aber ich will gar nicht frei sein, wie du das nennst,« er riß sie mit brutaler Zärtlichkeit an sich, »und jetzt möchte ich wissen, was dein Herr Bruder eigentlich von dir gewollt hat.«

Sie war froh, daß er von der Unterhaltung nichts gehört hatte, und erzählte ihm so viel davon, als sie eben für richtig hielt. Beim Abschied stand fest, daß die Hochzeit am Pfingstsonntag stattfinden und daß die Abreise Franzens nach Amerika jedenfalls vorher erfolgen solle.


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