Arthur Schnitzler
Therese
Arthur Schnitzler

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In diesen trügerischen Vorfrühlingstagen fühlte Therese ohne eigentlichen Schmerz, wie ihre Zärtlichkeit für Max sich allmählich zu verflüchtigen begann, und die Leere, die Aussichtslosigkeit ihres Daseins kamen ihr immer bedrückender zu Bewußtsein. Die Anstalt, in der ihr Vater weilte, hatte sie seit Monaten nicht mehr betreten. Als nicht unwillkommener Vorwand für diese Versäumnis hatte ihr eine Bemerkung des Assistenzarztes anläßlich ihres letzten 62 Besuches gedient: daß nämlich der Vater von ihren Besuchen nicht den geringsten Gewinn hätte, daß sich aber für sie sein Bild immer nur nach der traurigeren Seite hin verändern und eine Erinnerung, die ihr tröstlich und verehrungswürdig sein müßte, ihr als eine quälende und gespenstische durch ihr ganzes ferneres Leben nachgehen würde. Nun aber kam plötzlich ein Brief aus der Anstalt, daß sich der Oberstleutnant, wie es bei dieser Krankheit zuweilen der Fall sei, auffallend besser befinde und den Wunsch ausgesprochen habe, seine Tochter wiederzusehen. Therese aber empfand diese Weisung bedeutungsvoller, als sie gemeint war, so etwa, als könnte ihr aus den Worten, vielleicht schon aus der Stimme des Vaters Trost, Erleuchtung, zum mindesten Beruhigung kommen. Und so wanderte sie an einem trüben, föhnigen Tag auf der Landstraße, über die der geschmolzene Schnee in kleinen schmutzigen Bächen floß, in schwerer und doch nicht hoffnungsloser Stimmung der Anstalt zu.

Als sie zu ihrem Vater in das zellenartige kleine Zimmer trat, saß er an einem Tisch mit Landkarten und Büchern vor sich, wie Therese ihn so oft zu früherer Zeit gesehen, und er wandte sich zu ihr mit einem Blick, in dem es wie früher von Vernunft, ja von Lebensfreude zu blitzen schien. Aber kaum hatte sein Blick ihre Erscheinung erfaßt, ob er sie nun erkannt hatte oder nicht – dies sollte ihr niemals klar werden –, so verzerrte sich der Ausdruck seines Gesichtes; seine Finger krampften sich zusammen, und plötzlich ergriff er einen der dicken Bände, als wollte er ihn der Tochter an den Kopf schleudern. Der Wärter fiel ihm in die Hände. Im selben Augenblick trat der Arzt ein, und sich durch einen 63 raschen Blick mit Theresen verständigend, sagte er: »Es ist Ihre Tochter, Herr Oberstleutnant. Sie haben gewünscht, sie zu sehen. Nun ist sie da. Sie wollten ihr gewiß etwas sagen. – So beruhigen Sie sich doch«, fügte er hinzu, da es dem Wärter kaum möglich war, des Wütenden Herr zu werden. Nun erhob der Oberstleutnant die rechte, freigewordene Hand, und gebieterisch wies er nach der Türe. Als Therese nicht sofort Miene machte, diesem Wink Folge zu leisten, nahm sein Auge einen so drohenden Ausdruck an, daß der Arzt selbst Therese an den Schultern faßte und rasch aus dem Zimmer zog, dessen Türe der Wärter sofort hinter ihr schloß. »Sonderbar,« sagte der Arzt auf dem Gang zu Therese, »auch wir Ärzte lassen uns doch immer wieder täuschen. Als ich ihm heute morgen von Ihrem bevorstehenden Besuch Mitteilung machte, schien er höchst erfreut. Man hätte ihm die Landkarten und Bücher nicht geben sollen.«

Beim Tor drückte er Theresen die Hand in einer anderen Weise, als es sonst seine Art zu sein pflegte, und bemerkte: »Vielleicht, Fräulein, versuchen Sie es in den nächsten Tagen doch noch einmal; ich werde – mit ihm reden; und vor allem werde ich dafür sorgen, daß er die gefährlichen Bücher nicht mehr in die Hände bekommt. Diese Lektüre scheint allerlei wieder in ihm aufzuwühlen. Schreiben Sie mir ein Wort, Fräulein, wann Sie kommen wollen; ich werde Sie am Tor erwarten.« Er sah sie seltsam an, drückte ihre Hand fester, und sie fühlte, daß es nicht gerade ihr Besuch bei dem Vater war, auf den es ihm ankam. Sie nickte ein Ja und wußte, daß sie niemals wiederkommen würde.

64 Langsam ging sie der Stadt zu. Er weiß alles, dachte sie. Darum hat er mich hinausgejagt. Was soll nun mit mir werden –? Und plötzlich, in ihre Bedrücktheit leuchtend wie ein Blitz, kam ihr der Einfall, daß Max, wenn er seinen Abschied nehme, um in das Fabrikunternehmen seines Oheims einzutreten, wovon er in der letzten Zeit manchmal sprach, sie heiraten könnte, ja, eigentlich müßte. Einer seiner Kameraden hatte erst vor wenigen Wochen den Dienst quittiert, um ein Mädchen von ziemlich zweifelhaftem Ruf zu ehelichen; während Max Therese doch als anständiges Mädchen kennengelernt und, wie nun einmal der Ausdruck lautete, verführt hatte. Zum erstenmal auch stellte sich ihr das, was zwischen ihm und ihr vorgegangen war, im Klange dieses Wortes dar, und sie lehnte sich auf. War sie nicht die Tochter eines hohen Offiziers? und, wenn auch unbemittelt, aus guter Familie? Stammte die Mutter nicht sogar aus einem alten Adelsgeschlecht? Max war es ihr einfach schuldig, sie zu seiner Frau zu machen.

Schon bei ihrem nächsten Zusammentreffen mit Max, ohne eine passende Gelegenheit abzuwarten, wagte sie eine Anspielung; Max verstand zuerst nicht recht oder wollte nicht verstehen, und Therese lächelte und küßte ihm seine üble Laune fort; – beim nächsten Mal wurde sie deutlicher, es kam zu Verstimmung, Zank und Streit; Therese, wenn auch ohne eigentliche Zärtlichkeit für Max, doch immer noch recht verliebt in ihn, gab ihre Versuche so plötzlich auf, als sie sie begonnen, und ließ die Dinge weitergehen, wie sie gehen wollten. 65


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