Maximilian Schmidt
Die Hopfenbrockerin
Maximilian Schmidt

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XIV.

Bergwald war inzwischen in dem Gebirgsdörfchen angekommen, in dessen Nähe sich Glashütte und Spiegelschleife befanden, in welch letzterer der alte Lechner beschäftigt war. Nachdem er sich im Gasthaus ein Nachtquartier gesichert, drängte es ihn, in die Nähe seiner Erkorenen zu kommen. Er wollte indessen zuerst dem Fabrikherrn seinen Besuch machen, um von diesem Näheres über seine Verwandten zu hören; nicht als ob er mißtrauisch gegen dieselben gewesen, aber man erfährt durch Fragen mancherlei, was zu wissen vorteilhaft ist.

Der Hüttenherr empfing ihn sehr zuvorkommend, denn der Name des Künstlers war ihm nicht unbekannt. Er freute sich, diesen persönlich kennen zu lernen, und als ihm Bergwald sagte, daß er die Spiegelfabrikation noch nie gesehen, erbot er sich sofort, ihn nach den Glasöfen zu führen, die jetzt wieder in vollem Betrieb waren. Auf dem Wege dahin sah er auch die etwas höher erbauten, braunen Holzhäuser, welche den Arbeitern zur Wohnung dienten.

»In einem dieser Häuser ist wohl auch Lechner zu Hause, der mit Kleinschwert in Nürnberg associert ist?« fragte Bergwald.

»Ganz richtig,« antwortete der andere. »Es ist das zweite Haus von rechts, das mit den schönen Blumenstöcken am Fenster. Ich selbst habe ihn ja seinerzeit in 201 das Geschäft gebracht und ihm so zu seinem Glück verholfen. Seine Eltern leben mit ihrer Tochter noch hier, und ich werde diese von Neujahr ab im Kontor verwenden, wenn sie sich vorher nicht in anderer Weise bindet.«

»Wie so? Ist sie verlobt?« fragte Bergwald.

»Man hält sie dafür, der Lehrer, der bis vor kurzem hier war, soll der Bräutigam sein. Er ist jetzt in Eschlkam, wird aber, sobald das neue Schulhaus dort oben fertig ist, wahrscheinlich wieder hieher versetzt.«

Bergwald horchte diesen Worten mit angehaltenem Atem. Er glaubte falsch gehört zu haben.

»Das ist vielleicht nur eine Vermutung?« fragte er, ängstlich nach dem andern blickend.

Dieser zuckte die Achseln.

»Ich war heute über Nacht im Schulhaus zu Eschlkam,« fuhr Bergwald fort. »Ich kenne Lehrer Mändl; er sagte aber kein Wort davon, daß er verlobt sei.«

»Dann ist es jedenfalls noch nicht so weit,« meinte der Fabrikherr. »Auf dem Land giebt es so wenig Neuigkeiten, daß man nach allem hascht, was halbwegs von Interesse ist.«

Sie waren jetzt bei den Fabriksgebäuden angekommen, aber Bergwald hatte alles Interesse für die Fabrikation verloren. Er empfahl sich auch alsbald von dem Hüttenherrn, um nach dem Hause des alten Lechner zu eilen.

Sein Herz klopfte schneller, als er vor Traudls Wohnung stand. Die prächtigen Blumen vor dem Fenster wurden sicher durch ihre fleißigen Hände so gut gepflegt. Mit wohlgefälligem Blick musterte sie der Künstler. Nun trat er in den Hausflur. Er fand die Thür, welche in 202 die Wohnstube führte, angelweit offen, aber niemand war zu sehen.

Der Raum, in den er blickte, erschien ihm wie ein Heiligtum. Bei aller Einfachheit war es hier so sauber und traulich, daß man sofort erkannte, daß hier eine sorgsame Hand waltete, daß es das Heim braver Leute sei. Nachdem er sich eine Weile an dem Anblick dieser Stube ergötzt, klopfte er mit seinem Stock an die offene Thür, um sich bemerkbar zu machen. Da kam, wie es schien, aus der an die Stube angrenzenden Küche Traudls Mutter.

Sie sah den Fremden einen Augenblick prüfend an, dann schlug sie die Hände zusammen und rief:

»Oes seid's der Herr Bergwald? Is's nöt so?«

Bergwald blickte mit rührender Ehrerbietung nach der würdigen alten Frau mit dem etwas blassen, doch anmutvollen Gesicht, das Edeltrauds Züge unverkennbar trug.

»Sie haben es erraten,« entgegnete der Maler. »Darf ich eintreten?«

»Natürli; kommen's nur eina in d' Stuben und setzen's Ihnen nieder. Wir haben viel miteinander z' diskrieren. Alle Stund hab i Ihna erwart. I kann mir's denken, nach wem's umschau'n, aber d' Traudl is nöt dahoam – sie is über Land – heut fruah schon mit der Mändl-Nachbarin.«

»Aber sie kommt doch heute noch zurück?«

»I kann's nöt sagen, wie lang sie si in Eschlkam verhalten.«

»In Eschlkam?« fragte Bergwald erblassend.

»Ja, dorthin is's mit der Nachbarin; dera ihra Sohn is dort Schullehrer und –«

203 »Und?« fragte Bergwald mit stockendem Atem.

»Sei' Geburtstag is heut. – Sie guater Herr!« begann dann die alte Frau mit Wärme, wohl erkennend, wie weh sie dem jungen Mann, der ihr sofort volles Vertrauen einflößte, thun müsse, wenn sie ihm die Wahrheit offen eingestehe.

»Mei', d' Traudl red't von Ihna, wie's nöt lieber reden könnt' und Sie san ja der Schwager von unserm Franz. I woaß, wie schön daß 's an eam g'handelt haben; der Herr vergelt's Ihna! Es is ja g'wiß, es is nöt recht, daß er uns so lang verkehrt hat, aber i trag eam's nöt nach und i bet alle Tag, daß's eam wieder guat geh'n soll.«

»Das Mutterherz läßt halt nicht aus,« meinte Bergwald gerührt. »Wie wäre ich glücklich, noch eine so liebende Mutter zu haben, oder noch eine solche zu bekommen – kurz, Euch, liebe Frau, da Sie ja alles zu wissen scheinen, Mutter nennen zu dürfen.«

Frau Lechner blickte jetzt mit unverhohlenem Wohlgefallen nach dem jungen Mann, dann sagte sie:

»I seh's, d' Traudl hat wahr g'red't – sie kann ja nöt anders reden – aber, därf i ganz offen sein? – ja, ja, i muaß offen reden – und i kann nöt glauben, daß mei' arm's, bei uns auferzogenes Deandl wo anders hin paßt, als zu uns in 'n Wald eina. Sie san a reicher, ang'seh'ner Herr, a Deandl von an' Schleifer taugt nöt für die Welt, in der Sie hausen. Dös hat der Vater b'haupt und d' Traudl hat's mahli aa eing'seh'n, hat's eing'seh'n und –«

»Was wollen Sie damit sagen?« unterbrach sie der Maler. »Sollte es Grund haben, daß der Lehrer –«

204 »Ja, ja, dös hat scho' Grund. Der Mändl-Fritz hat seit etli Jahr an nix anders denkt und hat's so viel gern.«

»Und d' Traudl?« fragte Bergwald ungeduldig.

»Mei', dös Deandl hat's selm nöt g'wußt, wie guat daß's eam is. Erst jetzt, wie's vor d' Wahl g'stellt is worn, wie's Enk, guater Herr, hat kenna g'lernt und viel über die Sach nachdenkt hat – die Wahl is ihr mentisch schwer worn – aber sie hat doch dös Richtige troffen, sie hat's selm dakennt, daß's für a gnädige Frau nöt paßt, daß's nöt so hoch außi därf. Ich woaß's nöt, wie's heut ebba ganga hat in Eschlkam. Da hör i's Wagl; jetzt kimmt's. Da kann's Ihna glei alles selber sagen.« Sie stand auf und eilte zum Fenster.

Bergwald war über die Rede der alten Frau wie halb betäubt. Grausam vernichteten ihre Worte die schönsten Hoffnungen, von denen sein Herz erfüllt war. Er mußte sich an der Stuhllehne festhalten, als er jetzt ebenfalls aufstand, um, wie er glaubte, Traudl eintreten zu sehen. Aber es kam nur der Knecht mit zwei Briefen, wovon der eine für Traudls Eltern, der andere für Bergwald bestimmt war.

Hastig griff letzterer nach diesem und als er ihn gelesen, suchte er die Thränen von den Wangen zu trocknen, die unaufhörlich seinen Augen entquollen. Die alte Lechnerin, welche den Brief ihrer Tochter an sie ebenfalls gelesen, sah ihn tief bewegt an.

»Gel,« sagte sie, »Sie fluachen mein' Deandl nöt?«

»Nein,« entgegnete der junge Mann, »ganz gewiß nicht. Sie hat mir zwar in diesem Augenblick sehr weh gethan, aber dennoch will ich sie segnen, solange ich lebe. Sie war das erste Mädchen, das mich zu fesseln verstand, 205 sie soll das einzige bleiben.« Dann zog er ein Etui, einen wertvollen Schmuck enthaltend, aus der Tasche und fuhr fort: »Hier, diesen Schmuck habe ich als Brautgeschenk ihr zugedacht, Sie sollen ihn ihr am Hochzeitstag übergeben – nicht eher, versprechen Sie mir das! Aber ein paar Zeilen möchte ich ihr hinterlassen, ehe ich dieses Thal verlasse, nach dem ich mit so seligen Hoffnungen kam. Und so leben Sie wohl, gute Mutter!« Er drückte der Frau die Hand und bat sie, auch ihren Mann, der noch in der Schleiferei beschäftigt war, zu grüßen.

Weinend geleitete sie den jungen Mann zur Thür und sah ihm nach, so lange es anging.

Langsamen Schrittes schlug er den Weg zum Dörfchen und seinem Quartier ein. Die Felsenspitzen des Osser glühten noch, während die Waldhänge schon im Schatten lagen.

Schmerzlich blickte der Künstler zu den Bergspitzen auf.

»Wie lange werdet ihr noch leuchten!« sagte er. »Ein paar Minuten und der Schatten steigt zu euch hinauf, denn nichts ist beständig auf dieser Welt, am unbeständigsten aber das Glück.«

In seinem Quartier angekommen, begab er sich sofort auf sein Zimmer. Dort saß er lange am offenen Fenster und blickte in die sternenhelle Nacht hinaus. Der Anblick der leuchtenden Gestirne wirkte lindernd auf seinen Schmerz. Es ist ja sicher, daß jeder Schmerz etwas Religiöses hat, das immer tröstend auf das Gemüt wirkt. Das fühlte auch Bergwald, und es fiel ihm der Spruch eines griechischen Philosophen ein, der sagte:

»Schmerz, du bist kein Uebel. Du führst die Geister 206 zur Erkenntnis, den richtigen Weg zur Geistesfreiheit zu gelangen und spornst an zu edlen Thaten.«

So gestärkt und gesammelt, schrieb er dann an Edeltraud.

Erst spät legte er sich zur Ruhe. Der neckische Traumgott gaukelte ihm heitere Bilder vor, alles Mögliche, nur die nicht, welcher er zuletzt so heiß, so schmerzlich gedachte.

Am nächsten Morgen sandte er den Brief an Traudls Eltern.

Die Morgensonne stieg soeben über dem künischen Gebirge auf, als er zum Wanderstock griff und den Weg über den Brennespaß einschlug, um auf den Arber zu gelangen. Er blieb öfter stehen und blickte zurück nach der ärmlichen Hütte, dem Heim Traudls, es war ihm, als sähe er Traudls Eltern ihm teilnahmsvoll nachgrüßen.

»So arm und doch so reich!« sagte er sich. »Aber ihr sollt nicht arm bleiben, sollt keine Not mehr leiden, ich will an euch thun, was ich als Sohn gethan hätte.«

Mit diesem Vorsatz schritt er dann rüstig aufwärts zur Kronenkuppe des Arber, des Königs vom Böhmerwald. Eine ganze Welt eröffnete sich dort seinen Blicken, unendliche Waldmassen, unzählige Kuppen, Seen und Flüsse, aber das alles konnte ihn heute nicht begeistern. Wie glücklich stimmte ihn gestern, wo sein Herz noch freudiger Hoffnungen voll war, die Herrlichkeit der Schöpfung! Heute streifte er sie nur flüchtig. Nur auf einem Punkt verweilte lange sein Blick, auf dem von hier aus wohl erkennbaren Dörfchen, wo die ärmliche Hütte stand, aus welcher er sich den köstlichsten Schatz seines Lebens zu holen gedacht.

Als er den Abstieg begann, war es ihm, als wäre es eine Lebenswende, ob zum Guten oder Schlimmen, wer 207 weiß das! An dem unfern des Gipfels von Urwald umrandeten, tief dunklen See machte er Halt. Hier herrschte Todesstille, nur hin und wieder fiel ein welkes Laub aus dem überhängenden Ahorn in das schwarze, unbewegliche Wasser. Lange blickte der Künstler sinnend hinein.

»Da müßte sich's gut ruhen, tief unten, vergessen und –«

Doch sofort ermannte er sich, und den Abstieg fortsetzend rief er:

»Auf zu neuem Leben! Zu neuem, schönem Schaffen! Arbeit läßt alles überdauern, jeden Verlust überwinden. Mein Ideal aber bleibt das Mädchen vom Regenthal.« –

Erst gegen Abend desselben Tages kehrte das Gefährt mit Frau Mändl und Edeltraud wieder zurück, begleitet von Fritz, dem glücklichen Bräutigam. Nachdem die erste Begrüßung und die üblichen Glückwünsche vorüber, unterrichtete die Mutter Traudl von dem Besuch Bergwalds und gab ihr dessen Brief.

Traudl wollte ungestört lesen. Sie suchte ihren Lieblingsplatz auf, die Bank unter dem Feldbirnbaum, dessen Blätter der Herbst bereits rot und gelb gefärbt. Hier öffnete sie das Schreiben des von ihr so hoch verehrten Mannes, von dem auch die Mutter mit so viel Wärme sprach.

Der Brief hatte folgenden Inhalt:

»Meine liebe, teure Freundin Edeltraud! Wenn es wahr ist, daß die Ehen im Himmel geschlossen werden, so müssen wir arme Menschenkinder uns der höheren Fügung willig unterwerfen. Geistig bleibe ich doch mit Ihnen vermählt, denn stets werde ich jener weihevollen Stunden gedenken, wo mich der Zauber der heiligen Unschuld, welche 208 mir aus Ihrem schönen Auge entgegenstrahlte, für immer gefangen nahm. Mein Leben will ich fortan, wie bisher, nur der Kunst weihen. Sollte es mir an Idealen gebrechen, wird mir die Erinnerung an Sie die verkörperte Muse der echten Kunst vorführen, deren Weihekuß mich begeistern soll für das ewig Schöne und Wahre. Wandere ich auch weiter, ein Teil meiner Seele bleibt bei Ihnen zurück. Grüßen Sie mir Vater und Mutter, wie nicht minder Ihren Bräutigam. Er darf mich zu seinen besten Freunden zählen. Stets ihr treuer Freund Otto Bergwald.«

Traudl las das Schreiben unter vielen Thränen, die auf das Blatt niederfielen. Dann blickte sie lange zu dem von der untergehenden Sonne goldig beleuchteten Steig, auf welchem der Künstler sich entfernte. War es ihr doch, als hätte auch er einen Teil ihrer Seele mit sich genommen. –

Der Bräutigam kam und weckte sie aus ihren Träumen. Sie reichte ihm den Brief zum Lesen hin.

»Wir wollen ihn stets in Ehren halten,« sagte Fritz, nachdem er gelesen. »Ich will mich seiner Freundschaft würdig zeigen, indem ich mich bestrebe, dich glücklich zu machen.«

Dann schritten sie schweigend mit verschlungenen Händen dem Elternhaus zu. – – – – –

Ambach im Sommer 1899.

 

 


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