Maximilian Schmidt
Die Hopfenbrockerin
Maximilian Schmidt

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II.

Es dämmerte bereits, als der Schleifer und seine Tochter die ersten Häuser von Falkenstein erreichten, wo sie die ersehnte Nachtherberge zu erhalten hofften. Aber diese Aussicht war sehr fraglich, denn noch standen die vorausgeeilten Hopfenbrocker jammernd und weinend vor dem Eingang zum Ort. Ein langer, hagerer, durch einen großartigen Schnurrbart martialisch aussehender Mann, nach der blauen Dienstmütze und dem langen blauen, rot eingefaßten Rock als Polizei- und Magistratsdiener erkennbar, verwehrte den Leuten den Eintritt, indem er dabei mit seinem Stocke herumfuchtelte, und sie aufforderte, anderswo Nachtherberge zu suchen.

Die Ursache dieser Maßregel war ein in vergangener Nacht in einer Scheune ausgebrochener Brand, in welcher ebenfalls Hopfenbrocker genächtigt hatten, die aus Unvorsichtigkeit das Unglück verschuldet. Nur mit angestrengtester Mühe war es gelungen, des Feuers noch rechtzeitig Herr zu werden. Die Bevölkerung Falkensteins war infolgedessen heute hocherregt und man wollte den Ort von den durchziehenden Leuten, die nur in Scheunen herbergten, wenigstens für die nächsten Tage freihalten. Dazu waren wegen des morgigen Markttages in St. Quirin ohnedies sämtliche Wirtshäuser bereits von Kaufleuten überfüllt. Der Polizeidiener also fuchtelte mit seinem Stock und schien taub zu sein gegen das Geschrei der Weiber und das Weinen 18 der Kinder, die sich nach Rast und Nahrung sehnten, aber er kämpfte dabei sichtlich mit seinem guten Soldatenherzen. Das eiserne Kreuz und zwei Kriegsdenkmünzen waren ja an seinem Rock sichtbar. Er wurde jeden Augenblick weniger scharf, und es klang sogar gemütlich, als er sagte:

»Liebe Leutln! I weiß, es is hart, daß ihr für dös G'sindel von gestern nacht büßen müßt, aber der hohe Magistrat muß vom höhern Standpunkt die Sache betrachten. Leutln, schaut's, daß's in die nächsten Bauerndörfer unterkömmt's, in Ruderszell, in Postfelden, da kriegt's Stroh und Millisuppen mit Jakobi-Erdäpfel. Und so schwenkt's rechts ab. Marsch!«

Aber die Leute ließen sich nicht so leicht abweisen. Sie suchten zu vermitteln, und einige kleine Mädchen nahten sich ihm auf Geheiß ihrer Mütter und baten mit aufgehobenen Händen:

»Bitt gar schön, Herr, laßt's uns eini!«

»Patscherle, kloane, i därf ja nöt. Wißt's, was Pflicht is? Gel, dös wißt's nöt? Was i iatz thua, is Pflicht, is Disziplin, Gehorsam dem Befehl der Obern –«

Er konnte nicht weiter belehren, denn Traudl und ihr Vater kamen herbei und wollten ohne Aufenthalt weiter.

»Halt!« rief ihnen der Polizist zu. »Es wird nix passiert.«

»Mei' Vaterl is krank,« erwiderte Traudl, »er kann nimmer weiter. Wir zahl'n unser Sach und betteln um nix.«

»Bitt gar schön! Bitt gar schön!« schrieen die Kinder dazwischen, sich teilweise an des Polizisten langen Füßen anklammernd.

19 Dieser sah jetzt mit großen Augen nach dem hübschen Mädchen.

»Donnerkeil!« rief er, »solche Augen schießen Bresche durch Stein und Eisen.« Aber er besann sich sofort wieder und fügte bei: »Mädel, es fällt mir schwer – aber es giebt keine Ausnahmen, so gerne ich auch – Donnerkeil!«

»Bist iatz du nöt der Schirmer-Hans, der früher G'freiter bei die Elfer (11. Regiment) – fünfte Kumpanie – der 's eiserne Kreuz kriegt hat bei Wörth – Höllsaxendi – freili bist es!« rief jetzt der Schleifer-Toni.

»Und ob i der bin!« erwiderte stolz der Polizist. »Mi kennt die ganz' Welt, aber du – was sehg i, du tragst ja d' Feldzugszeichen, bist Veteran! Kriegskamerad – ja für di gilt mei' Maßregelung nöt. Sag mir, wie 's d' hoaßt.« Dabei wollte er sich dem Schleifertoni nähern, aber die Kinder ließen nicht los von ihm und schrieen fortwährend wie aus einer Kehle:

»Bitt gar schön! Bitt gar schön!«

»Kannst di nimmer erinnern an 'n Anton Lechner von deiner Kumpanie?« fragte ihn dieser.

»Donnerkeil! Der Anton Lechner! Mei' Kumpaniespezl! Ja, du bist es! Grüaß di Gott tausendmal!« Dabei drängte er sich zu dem Alten und reichte ihm herzlich die Hand, indem er fortfuhr: »Ja, freili, jetzt kenn i di so z'nach und z'nach. Woaßt no', wie wir nebeneinand den Sturm auf Wörth g'macht hab'n. Hurra! Bruderherz – solche Leut laßt ma nöt vor der Thür stehen. Du bist mei' Gast! Is dös dei' Tochter?«

»Ja, mei' Edeltraud.«

»Ah, pardon – Edeltraud? – Der Nama erinnert 20 mich – aber jetzt kommt's nur in mein Palais, daß wir uns dort ausplaudern könna.«

Jetzt bemerkte er, daß der ganze Troß der Hopfenleute noch immer dastand und auf Einlaß hoffte.

»Leutln!« rief er, »i hab' strengsten Befehl, heut koa' G'sindel in 'n Markt z'lassen. Also thuats, wie i Enk g'hoaß'n hab.«

»Aber lieber Schirmer,« sagte der Schleifertoni, »wir, i und mei' Tochter g'hör'n ja aa zu dem G'sindel. Es san meine Landsleut, arme Schleifersfamilien, die gleich mir brotlos worn san. Druck halt an' Aug zua und hab a Herz!«

»A Herz? Und ob i a Herz g'habt hon! I moan, dös sollst du wissen, und daß i no' oans hab, dös sollst glei sehn.« Und zu den Leuten sich wendend, rief er dann:

»Auf die Fürsprach von mein' lieben Kriegskameraden Anton Lechner will ich, obwohl 's mir einen Verweis eintragen wird, Gnad für Recht ergehen lassen, denn, so viel ich jetzt erkenne, seid's ös koa' G'sindel, und mein Auftrag is nur gegen a solches g'richt'. Aber i bitt' mir aus, daß ihr euch nur in die äußeren Straßen begebt, damit –«

»Die Leut soll'n nur mir nachgeh'n,« sagte jetzt ein herzugekommener, freundlich aussehender Bürger Falkensteins, »ich bring's schon unter. Kommt's nur – und zu essen sollt's auch kriegen!«

Ein Jubelruf folgte diesen Worten.

Schirmer aber rief:

»Da seht ihr's, das is das goldene Herz von Falkenstein. Man kennt die Werke der christlichen Barmherzigkeit. Und also, habt wohl acht auf Feuer und Licht, das bitt ich mir aus und somit guate Nacht alle mitanand!«

21 Frohen Mutes folgten die Leute dem voranschreitenden Bürger. Schirmer aber sagte zu seinem Kriegskameraden und dessen Tochter:

»Euch zwei nehm i ins Quartier. Mei' Weiberl wird 22 a mentische Freud haben, wenn s' di kenna lernt. Hab viel von dir diskriert.«

Er plauderte auf dem ganzen Weg. Teils waren es Lobsprüche auf sich selbst, teils auf »sein Weiberl« und seinen »Muckl«, das einzige Kind. Die Falkensteiner guckten neugierig nach dem Alten und seiner schönen Tochter, sie glaubten nicht anders, als daß eine Arretierung stattfinde; man hielt die Leute für Böhmen. Die gemütliche Art und Weise, in welcher der Polizist mit den vermeintlichen Arrestanten verkehrte, hatte nichts Auffallendes; man war das von dem Veteranen gewohnt.

Der Weg führte sie am Gasthaus »Zur Post« vorüber, in welchem der junge Mann, der ihnen seine Hilfe angeboten, abgestiegen war. Er blickte soeben aus einem Fenster des oberen Stockes und erkannte sofort die beiden wieder.

Mit diesem Mädchen hatte er sich, seit er es gesehen, in Gedanken beschäftigt. Er erschrak förmlich, als er dasselbe jetzt als vermeintliche Arrestantin sah. Daß diese Leute nichts Uebles verschuldet, das verstand sich für ihn von selbst; es konnte also nur ihre Armut Anlaß zu einer solchen Behandlung gegeben haben. Sofort nahm er sich vor, beim Bürgermeister des Ortes für die Fremden einzustehen und ihnen seine Hilfe in jeder Weise anzubieten.

Schirmer lenkte jetzt in ein Seitengäßchen ein, in welchem seine Behausung lag, die nach wenigen Schritten erreicht war.

Es war ein kleines, sauberes Häuschen mit einem Vorgärtchen, in welchem Blumenflor und Gemüsebau sichtlich wohlgepflegt waren. Frau Schirmer, ein starkes, 23 robustes Weib, war gerade mit Ausjäten von Unkraut beschäftigt, als ihr Mann mit den Gästen ankam.

»Weiberl!« rief er ihr zu, »da bring i mein' ehemaligen Kumpaniespezl, woaßt, 'n Anton Lechner, von dem i dir viel erzählt hab. Er und sei' Tochter – schau's nur an – der Lechner hat so a Tochter! – sind auf ara Fußreis begriffen und da hab i's eing'laden, bei mir ihr Absteigquartier z'nehmen, und so sag ihnen »Grüß Gott!« Lenerl.«

Frau Schirmer musterte erst den alten, krank aussehenden Mann mit nicht gerade befriedigten Blicken, dann dessen Tochter. Beim Anblick derselben nahm ihr Gesicht sofort eine freundlichere Miene an, und mit angeborener Gutherzigkeit den Leuten die Hand reichend, sagte sie: »Grüß Gott alle zwei! Was mei' Mannerl thut, is mir recht, und so seid's willkommen. Kömmt's nur glei eini in d' Stuben.«

Dort hieß sie die Fremden ihre Gepäckstücke ablegen und sich niedersetzen, was sich der Schleifer nicht zweimal sagen ließ.

»Müad, müad!« seufzte er.

»So rast's Enk nur aus. Was z'essen kriegt's glei,« sagte die Frau. »Nachher könnt's in der obern Stuben, die für unsern Muckerl alleweil imstand is, auf an' guat'n Bett g'höri schlafen. Für d' Tochter richt i schon a was z'am.«

»O, mei',« versetzte der Schleifer, »wir möchten koa' Ung'legnat machen; für uns is ja an' Unterschluf im Heuboden aa guat gnua.«

»Ja, wenn wir oan hätten, an' Heuboden!« versetzte lachend Schirmer, der jetzt seinen Dienstrock ausgezogen 24 hatte und sich im kurzen Gradelspenser präsentierte. »Bruderherz, jetzt san wir nöt in Frankreich, sondern z' Falkenstoa', der Perle des bayerischen Waldes, und als Gast von an' eisernen Kreuzritter kriegt mei' Kriegskamerad a Bett und koa' Heu, und sei' Tochter – wie hoaßt's jetzt glei wieder?«

»Edeltraud oder kurzweg Traudl,« sagte das Mädchen.

»Edeltraud! Der Nama erinnert mi – i woaß nöt glei –«

»G'wiß wieder an a alte Bekanntschaft!« unterbrach ihn lachend seine Frau.

»Kann wohl sein,« entgegnete der Mann, seinen langen Schnurrbart nach aufwärts drehend – »also, was hab i sag'n woll'n? – Ja, für d' Jungfer Edeltraud wird mei' Weiberl schon auch a entsprechende Liegerstatt herrichten. Jetzt aber mach, Lenerl, daß wir was z'essen krieg'n; für's Trinken sorg i schon, dös vergiß i nöt.«

»O, unserthalben braucht's nöt viel,« versicherte der Schleifer abermals bescheiden. »A warm's Millisupperl – höchstens. Sunst hab i nach nix Verlange.«

»A Millisupperl?« rief Schirmer. »Dös is nöt zu verachten, wenn ma nix anders hat. Aber – wenn man einen Herrn Sohn besitzt, der fürstlich Taxischer Jäger is, und dieser Herr Sohn, mit Namen Muckl, hin und wieder seinen Herrn Eltern ein Wildbret zukommen läßt, wenn's grad auch nöt die edelsten Teile vom Hirsch oder Reh sind: Spezl, dann menagiert man hochadelig, wie's einem Ritter vom Eisernen Kreuz ziemt. Und also, heut mittag war ein solcher Hirschragout-Tag mit Knödel, und abends is Repetitionsessen der reichlichen Ueberbleibsel, dazu ein 25 famoser Trunk aus unserm fürstlichen Brauhaus! Bruderherz, so was hält Leib und Seel zam!«

Der alte Schleifer mußte lachen über den noch fortwährend anhaltenden guten Humor seines alten Kameraden.

»Du bist halt alleweil no' der Alte!« sagte er. »Mei', dir geht's halt guat. Sag' – so is enk der Sohn halt recht anhängli?«

»Der Muckerl? Dös versteht si! Unser Muckerl lebt und stirbt für uns,« rief Schirmer.

»Dös muaß wahr sein,« fiel die Frau ein, welche den Tisch deckte. »Alleweil hat er no' Zeitlang nach uns, und so oft's eam sei' Dienst erlaubt, macht er uns die Freud' und b'sucht uns, is's aa nur auf etli Stunden. Und wie er moant, daß er uns a Freud machen kann, so g'schieht's. Ja, der Muckerl is scho' recht! Er halt dös vierte Gebot in Ehren.«

»Dös könna nöt alle Eltern von ihre Kinder sagen,« meinte seufzend der Schleifer.

»Vater!« rief Traudl bittend.

»Wie moanst dös? Hast du aa an' Sohn?« fragte Schirmer.

Der Schleifer nickte nur bejahend mit dem Kopf. Edeltraud aber antwortete für ihn und sagte nur, daß ihr Bruder Kaufmann in Nürnberg sei.

Die Eheleute hörten das mit sichtlicher Verwunderung.

»Donnerkeil!« sagte Schirmer mit einem Blick des Bedauerns auf die armselig gekleideten Gäste. »Und es is eam recht, daß sei' alter Vater ins Hopfenbrocken geht?«

»Dös woaß er ja nöt,« erwiderte, wie entschuldigend, Traudel. »D' Arbet in der Fabrik is halt auf längere 26 Zeit eing'stellt worn und warum sollten wir feiern, wenn uns in der Holledau a kloana Verdeanst sicher is.«

»Und da woaß der Bruada nix davon?« fragte Schirmer kopfschüttelnd und fuhr dann, zu seinem Freunde gewendet, fort: »Woaßt, Spezl, mei' Wort gilt was bei unserem Veteranenverein, i sorg, daß d' a G'schenk kriegst –«

»Dös laßt bleiben, Schirmer!« unterbrach ihn der Alte. »I nimm koa' G'schenk. Was wir zur Roas' brauchen, dös ham ma. An' Almosen mag i nöt.«

»No', wie 's d' willst! Aber von seine Kameraden därf ma schon ebbas annehma. Hast ja du im Feld aa mit manchem dei' Bißl teilt, was d' übri g'habt hast. Mi, Spezl, hast amal trinken lassen, just wie wir auf Wörth g'stürmt ham. Mei' Feldflaschen hat mir a Kugel wegg'rissen g'habt und mi hat dürst', mei' Zung war wie'r a Stückl trocken's Leder. Toni, hab i g'sagt, laß mi an' Schluck aus deiner Flaschen thoa. Mit Freuden! hast mir g'antwort. Trink, auf daß wir firti wern mit die afrikanischen Affen! Den Trunk vergiß i dir niemals, Bruderherz! Wir ham eahnas aber aa zoagt, dena Kerls. Bissen ham's wie d' Katzen und g'schrieen wie d' Teufel, aber es hat eahna halt nix gnutzt: die boarischen Teufel ham si nöt g'forchten und so um a Dutzend rum hab i schon zahm g'macht. – Aha! Spürt's den Duft vom Wildbret? Jetzt herg'sessen zum Tisch und zuagriffen nach Herzenslust!«

Nach einem kurzen Tischgebet, welches die Frau vorsprach, setzte man sich zur Abendmahlzeit.

Freilich konnte der Schleifer nur wenig davon genießen, so sehr ihm der Kamerad auch zusprach und mit 27 dem vollen, steinernen Maßkrug anstoßend, den im Volk der Umgebung bekannten Spruch des durstigen Falkensteiner Ritters Heinrich zitierte:

»Ich bin der Herr von Falkenstein,
Sauf aus und schenke ein!
Hei! Das ist ein lustiges Junkerleben,
So lange die Bauern Steuern geben.«

»So hat's der Ritter amal g'halten auf unserer Burg oben, der mit 'n Humpen in der Hand no' abbild't is,« erklärte dann Schirmer. »Ja, die Burg, Leut'ln, müaßt's enk anschau'n!«

»Dort oben muaß's schön sein!« meinte Edeltraud.

»Die Schönheit sollst morgen seh'n,« versprach die Hausfrau.

»Und mei' Weiberl expliziert alles so schö', wie der Pfarrer auf der Kanzel,« fügte Schirmer bei. »Ihr werd'ts es scho' sehg'n morgen.«

»Morgen?« meinte Edeltraud, »da heißt's frühzeitig wieder weiter wandern, daß ma auf Regensburg kömma.«

»Weiter nix?« rief Schirmer. »Auf Regensburg in oan Tag – bei acht Stunden Wegs! Daß mei' Spezl no' ganz auf'n Weg liegen bleibt? Da wird nix draus! Und morgen is Dienstag vor Bartlmä, wo in der Quer (St. Quirin) der berühmte Jahrmarkt abg'halten wird, zu dem von allerwärts her Waldler kömma. Mein Muckl erwarten wir auch. Also hoaßt's für morgen: dableiben! So laut' der Regimentsbefehl.«

»Ganz richti!« setzte Frau Schirmer hinzu. »In der Fruah geh'n wir auf d' Burg und nachmittags auf'n Kirta. Is's, daß der Vater nöt mit will, so soll er dahoam bleiben und 's Haus hüaten.«

28 Traudls Augen glänzten vor Freude über diese ihrer harrenden Genüsse.

Der Schleifer freilich meinte, daß er unmöglich dem Kameraden länger zur Last fallen könne, aber Schirmer sagte kategorisch:

»I bin dei' erster Vorg'setzter als G'freiter bei der Kumpanie gwen, und heut stehst wieder unter mein' Befehl, und wie's 's Lenerl expediert hat, so g'schieht's. Verstandiwu? Und also sollst leben! Und jetzt sollst noch a Liadl hör'n aus unserer Feldzugszeit. Lenerl, bring' mir d' Guittar! Denn wißt's, Leutln, bei mir wird alleweil no' frisch g'sunga und 's liebste Lied is mir »Die Wacht am Rhein« – da geht mir's Herz auf und i moan, i seh's wieder vor mir, die Zuaven und Turkos, die wir glei' bei Weißenburg und Wörth bei die Ohren packt ham, so wild, daß's aa g'schrieen haben. Also singt's mit, allezam, denn dös Lied gilt so viel wie'r a Gebet für an' echten Deutschen.«

Sofort ward denn auch das Lied angestimmt. Da war es denn Edeltraud, welche sogleich die erste Stimme sang, denn als die Tochter eines Veteranen war ihr das Lied von frühester Jugend auf bekannt und lieb, aber auch der Schleifer stimmte gern mit ein und es war ihm, als vergäße er alle Müdigkeit und alles Leid, das sein Herz erfüllt. Es klang gar prächtig in die laue Sommernacht hinaus. Die Fenster standen offen, außen gleißte das Mondlicht auf den Georginen und Malven, die sich leicht bewegten, als lauschten sie vergnügt dem Gesange im friedlichen Heim. Aber nicht die Blumen allein, sondern noch andere lauschten vor dem kleinen Häuschen, nämlich der Bürgermeister von Falkenstein in Begleitung des jungen 29 Mannes, welcher sich ganz besonders für die armen Leute zu interessieren schien.

Derselbe war, wie erwähnt, zum Bürgermeister gekommen, um sich wegen der Arretierung der beiden zu erkundigen; er erfuhr indessen, daß von seiten des Polizisten keinerlei Anzeige eingetroffen. Er hatte sich dem sehr gefälligen Ortsvorstand als Otto Bergwald, Kunstmaler aus Nürnberg, vorgestellt. Bergwald hatte sich als Künstler schon einen Namen gemacht und dem Bürgermeister, der die Kunstberichte der Zeitungen mit Interesse verfolgte, war er nicht unbekannt. Otto war zunächst Genremaler und so hatte ihn die Szene, da er die beiden Fremden zum ersten Mal erblickte, wie die Tochter dem todmüden Veteranen aus dem Quellbächlein Wasser schöpfte, und ihre Gestalt von der untergehenden Sonne magisch beleuchtet war, sofort mächtig erfaßt und er suchte sie in seinem Skizzenbuch so gut wie möglich festzuhalten. Es war das Künstlerauge, das die Züge des fremden Mädchens sozusagen verschlang und dieses dadurch ganz eigentümlich berührte.

Der Bürgermeister geleitete den jungen Künstler zur »Post« zurück, in deren Gastzimmer mehrere Einheimische und zur Sommerfrische anwesende Gäste ihr Abendbier tranken. Da ließ es aber Otto keine Ruhe. Er wünschte durchaus zu erfahren, welches Reiseziel die beiden Leute hätten. Des Mädchens so überaus ansprechendes, edles, unschuldsvolles Gesicht mit den wundervollen Augen, er mußte es nochmals sehen, ihr Bild womöglich mit seinem kleinen Handphotographenapparat fixieren und sah, wie jeder Künstler, schon dieses fertige Kunstwerk vor seinen 30 Augen, das er für die nächste Ausstellung in der Hauptstadt bestimmen wollte.

Der Bürgermeister, welcher an dem Kunsteifer des jungen Mannes sein Wohlgefallen hatte, war erbötig, sofort nähere Nachrichten bei dem Amtsdiener einzuholen und lud den Künstler ein, ihn zu dessen Behausung zu begleiten. Sie erfuhren aber schon auf dem Weg dahin durch Nachbarsleute Schirmers, daß die Fremden Bekannte des Amtsdieners und dessen Gäste seien.

Sie waren nahe an Schirmers Häuschen gekommen; nun lockte sie der Gesang weiter an und beide lauschten mit sichtlichem Vergnügen den schönen Tönen, die selbstredend nur von dem fremden Mädchen kommen konnten. Als das Lied zu Ende war, rief Schirmer:

»Hochachtung, Jungfer Edeltraud! Das heißt man singen, da geht einem das Herz im Leib auf. Du kannst ja singen, wie r a Zeiserl. Da möcht i schon was extras von dir hör'n. Kannst was?«

»Freili kann's was!« erwiderte der Vater.

»Sing eahna a Liedl aus unserm Wald, woaßt, dös der Mändlfritz so gern singt,« und zu den andern setzte er erläuternd hinzu: »Dös is nämli der Sohn von unserm Nachbar und unser Schullehrer, a g'scheiter, a Raritäts-Herr!«

»Und a g'mütlicher Herr!« vervollständigte Traudl. »Es war a Freud', bei dem was z'lerna. Und d' Musi versteht er, wie nöt leicht einer. Er komponiert selm die schönsten Lieder. Dös Lied vom Bayerwald hat aber an' ehemaliger Tischlerg'sell aus der Gegend von Eisenstein g'macht – 'n Dichterfritz hoaßen's 'n. Und also, Sie 31 begleiten mi?« bat sie Schirmer. »Es geht mit 'n G-dur-Akkord.«

»Also guitarrkundig?« rief Schirmer. »Verstärkte Hochachtung! Sing – i bin g'richt'.«

Und Traudl sang mit ihrer hübschen Naturstimme das Lied vom Bayerwald:

»Dort wo die Bayerwaldler Riesen steh'n,
Ihr kennt's es all', ihr habt's es all' scho' g'seh'n.
Beim Burgstall, Arber und beim Ossaspitz,
Dort is mei' allerliebster Heimatsitz.
Dort rauscht das Bacherl hell,
Ja wohl, bei meiner Seel,
Wie nirgend sunst im ganzen Bayerland.
Dort san die Leut' so bieder, fromm und treu
Sie kenna d' Falschheit nöt, san allzam glei',
Sie ham an' kecken Sinn, an' frischen Muat –
D'rum bin i, Bayerwald, dir guat.«

»Leut'ln, ja wie is mir damals g'wen,
Wie i' mi' hab' im blau'n G'wandl g'sehn
Und wie s' mi' ham in d' Kasern einidruckt,
Wie hat's da d'rin im Herzel zuckt:
Denn von mein Bayerwald,
Da geh' i' g'rad mit G'walt,
Wenn mi' der Herrgott einmal rufen thuat!
Und wie i' kömma bin dann wieder z' Haus,
Vor Freud' hab' g'laubt, i' kenn' mi' gar nöt aus,
Hab' g'lacht, hab' g'jauchzt, hab' g'weint, ja nur daweg'n,
Weil i' den Bayerwald hab' g'sehg'n.«

Die Außenstehenden waren nicht weniger von diesem Volksgesang entzückt, als Schirmer und seine Frau, was der Hausherr durch ein Hoch auf die ausgezeichnete Sängerin und einen tüchtigen Trunk bekräftigte. Der Bürgermeister aber versprach dem jungen Künstler, er werde morgen alles 32 Nähere über Schirmers Gäste in Erfahrung bringen, und beide begaben sich wieder ins Gasthaus zurück.

Für die Wanderer aber war es jetzt Zeit, sich zur Ruhe zu begeben. Vorher aber ward noch der Schlaftrunk eingenommen, bestehend in einem »selbstangesetzten Heidelbeergeist.«

»Das ist unser Falkensteiner Kognak,« sagte Schirmer. »Mei' Weiberl versteht si auf den Hoabeerlwein, sie macht 'n selm und – trinkt 'n aa selm. Also auf ihra Wohlsein, auf euer Wohlsein, und auf dös von mein' Muckerl! Alle soll'n leben!«

»Und du daneben!« rief der Schleifertoni.

Man stieß an und trank aus. Schirmer geleitete dann den Kameraden in Muckels Stube im oberen Stock, wo dessen Photographiebild, mit einem Eichenkranz umgeben, an der Wand hing, rings umgeben von Reh- und Hirschgeweihen und einem ausgestopften, falzenden Auerhahn.

»Mein' Muckerl sei' Residenz!« berichtete Schirmer. »Du wirst 'n morgen scho' kenna lerna – a Prachtbua!«

Traudl erhielt ein kleines Gemach nebenan angewiesen, doch blieb sie am Bett des Vaters, bis er einschlief. Er hatte noch im Halbschlaf an seinen Sohn gedacht, denn leise entfuhr es seinen Lippen:

»'s müaßt schön sei', so an' Sohn z' haben!« 33


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