Maximilian Schmidt
Die Hopfenbrockerin
Maximilian Schmidt

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VII.

Auf dem Bahnhof zu Wolnzach waren mit dem Schnellzug aus Nürnberg zwei junge Männer angekommen, welche es bei dem herrlichen Morgen vorzogen, zu Fuß den eine Stunde weiten Weg nach dem Markt Wolnzach auf gut gehaltenem Sträßchen zurückzulegen, statt auf den erst in einigen Stunden stattfindenden Abgang des Lokalzuges in die Holledau zu warten. Der eine dieser Herren war Otto Bergwald, der einen kleinen Photographieapparat um die Schulter hängen hatte, der andere, ein großer, schlanker Mann mit einem sehr einnehmenden Gesichte, von dunklem Vollbart umrahmt, war Franz Lechner, der Bruder Edeltrauds. Er glich der Schwester wohl Zug für Zug, hatte dasselbe längliche Gesicht, die gleichen Augen, sogar seine Sprache erinnerte den Künstler an jene der schönen Wäldlerin. Diese Erinnerung allein war es, welche es ihm ermöglichte, eine gewisse Gereiztheit gegen seinen Begleiter zu unterdrücken.

»Ich weiß wirklich nicht,« sagte Franz, »wie du dazu kommst, Schwager, dich auf einmal in das Geschäft einzumischen, dem du doch bis jetzt fern gestanden? Du weißt doch, daß wir bis jetzt unsern Hopfen stets von Spalt bezogen haben. Nun sollen wir plötzlich in Wolnzach einkaufen und du willst persönlich dabei sein? Warum das?«

»Ich finde eben Gefallen daran, einmal die Sache mit anzusehen, bei der ich als stiller Mitinhaber der Firma 98 Kleinschwert beteiligt bin und wobei mich mein Prokuraträger Lori vertritt,« versetzte Otto.

»Nun, ich hoffe, du wirst mit meiner Geschäftsführung nicht unzufrieden sein. Die Rente, welche du aus dem Geschäfte ziehst, ist keine geringe.«

»Ich bin auch damit zufrieden, deshalb lebe ich ausschließlich nur meiner Kunst, die selbst mein Pseudonym »Bergwald« deckt.«

»Nun, jedenfalls rentiert deine Teilnehmerschaft am Geschäft besser als die Kunst,« meinte Franz mit etwas spöttischem Lächeln.

»Aber das, was mir die Kunst einbringt, ist mir unendlich mehr wert, als was mir dein Gewinnkonto auswirft, und die längst gehegte Idee, mich ganz aus dem Geschäft zurückziehen und mir irgendwo in schöner Gebirgsgegend ein Heim zu gründen, wird immer lebendiger in mir.«

»Das ist doch dein Spaß?« entgegnete Franz lächelnd und sein inneres Erschrecken bekämpfend.

»Durchaus nicht. Hast du und meine Schwester Marga doch schon mehrmals den Wunsch ausgesprochen, alleinige Inhaber der Firma zu werden.«

»Der Wunsch ist entstanden durch das oft kleinliche Vorgehen deines Prokuraträgers, des alten Lori.«

»Aber Lori war ja das Faktotum meines seligen Vaters, er ist die ehrlichste Seele von der Welt, dem nur die Blüte unseres Hauses am Herzen liegt und dem wir ein gut Teil des Vermögens verdanken – das ist doch ein Glück, diesen Mann im Geschäft zu haben? Uebrigens, wenn du imstande bist, das Haus, welches mein alleiniges Eigentum ist, abzulösen, kann dein Wunsch erfüllt werden. 99 Du machst ja mit Glück in Differenzgeschäften, erwirbst Geld –«

»Das hat dir gewiß der spionierende Lori hinterbracht.«

»Das weiß ich vom Bankhaus selbst, welches einmal irrigerweise deine Nota an die Firma schickte, statt an deine private Adresse. Daraus ersah ich, daß du gewonnen hast. Doch, um auf das vorige Thema zurückzukommen, die Idee, mich vom Geschäft zurückzuziehen, ist mir neuerdings gekommen, als ich jüngst im bayerischen Wald war. Sag mir doch, – du bist doch selbst aus dem Wald? Woher?«

»Aus dem Regenthal.«

»Was ist dein Vater?«

»Mein Vater? Der ist in einer Spiegelschleife beschäftigt, so eine Art Magazinier, Aufseher –«

»Hast du noch weitere Angehörige?«

»Das weißt du ja: Mutter und Schwester.«

»Ach du Glücklicher! Dir leben noch Eltern! Das muß dich doch freuen? Du besuchst sie doch öfter?«

»Dazu läßt mir das Geschäft keine Zeit,« erwiderte Franz errötend.

»Aber treibt dich denn nicht das Herz dazu?«

»Das Herz? Im Geschäft kommt das erst in zweiter Reihe.«

»Aber ich dächte, die Liebe zu den Eltern hätte mit dem Geschäft gar nichts zu thun? Hätte ich meinem guten Vater nur ein Jahr seines Lebens erkaufen können, ich hätte mein ganzes Erbe dahin gegeben.«

»Um dann selbst zu darben,« meinte der andere. »Das sind Phrasen, die vor der Vernunft nicht stand halten.«

100 »O doch. Wären meine Eltern hilfsbedürftig gewesen, es wäre mir eine Lust gewesen, sie zu unterstützen, meinen Verdienst mit ihnen zu teilen und so die kindliche Dankbarkeit nach bestem Können zu bethätigen. Du warst vielleicht in solcher Lage und kannst dich darüber freuen.«

»Ich? Nein. Auch bin ich ganz anderer Ansicht. Alles hat seine Grenzen, auch die kindliche Dankbarkeit. Es ist doch nur Pflicht, was die Eltern an ihren Kindern thun. Sie müssen diejenigen, welchen sie das Leben gegeben, zu ordentlichen Menschen zu erziehen trachten, damit sie selbstständig werden. Das ist ihre Pflicht und dafür können sie doch keine Entschädigung verlangen?«

»Kindliche Liebe können sie verlangen,« versetzte Otto. »Und wer sollte ihnen Hilfe in der Not bringen, wenn nicht die eigenen Kinder? Hilfe in der Not kann jeder Bedrängte von seinem bessergestellten Nebenmenschen verlangen, um wie viel mehr vom eigenen Sohn. Gesetzt den Fall, deine Angehörigen würden in unverschuldete Not geraten, die Fabrik, wo sie beschäftigt, hätte die Arbeit eingestellt. Wenn sie zum Beispiel, um sich vor Hunger zu schützen, wie so viele andere hierher wandern müßten, um Verdienst zu suchen – als Hopfenbrocker, würdest du, als wohlhabender Mann, das nicht verhindern?«

»Dieser Fall ist nicht denkbar,« protestierte Franz. »Wie könnten meine Angehörigen so tief sinken, dieses Hopfengesindel zu vermehren. Wie du nur einen solchen Fall ausdenken kannst! Da sieh einmal,« suchte er seinen Begleiter abzulenken, »das Paar, das uns dort entgegenkommt. Das sind Leute, wie man sie bei den Hopfenbrockern findet. Knöpfe deinen Rock zu, damit sie die 101 goldene Kette nicht sehen. Das Gesindel ist zu allem fähig.«

Zwei in ihrem Anzug herabgekommene, verlotterte Burschen von kaum zwanzig Jahren wackelten sichtlich betrunken die Straße daher. Sie hielten sich umschlungen und plärrten mehr als sie sangen:

»Heiliger CastulusEs ist hier die Wallfahrtskirche St. Kastl auf dem nahen gleichnamigen Berg bei Röhrbach gemeint. Das Lied ist eine Nachäffung des bekannten Pinzgauerschen Wallfahrtsliedes und hat folgenden Ursprung:

Etliche Strolche hatten einen Schimmel gestohlen und denselben, als sie sich verfolgt sahen, in eine Feldkapelle versteckt. Sie konnten aber das Tier nicht rechtzeitig wieder holen, und als später die Kapelle geöffnet wurde, fand man den Schimmel verhungert. Darum nennt man, wie schon oben erwähnt, fälschlich die Holledauer auch »Schimmelfänger« und die vereinzelten Kapellen, welche dort und da die Hügel krönen, »Schimmelkapellen«.

und uns're liabe Frau,
Oes werd's uns ja wohl kenna, wir san von der Holledau;
Förden san ma neune gwen, heuer sched grad drei,
Sechse san beim Schimmelstehl'n; Maria steh uns bei.«

Sobald die Strolche bei den beiden Herren angekommen, hielten sie im Gesang inne und baten um eine Beisteuer zu ihrem Reisegeld.

Während sie eine Gabe empfingen, fragte Bergwald:

»Warum sucht ihr nicht Verdienst beim Hopfenbrocken?«

»Haben gezupft,« erwiderte der eine, »zwei Tage gezupft unter Weibern und Kindern, aber weil wir freie Männer sein wollen, haben wir nach unserem Belieben gezupft, und unser Belieben geht nit schon um sechse an, wo wir unsern Rausch von gestern noch nit ausg'schlafen 102 haben, kurz, wir zupfen, wann's uns beliebt. Aber der Hopfenherr sagte uns, er wolle das nicht, und so sind wir wieder Freiherren geworden.«

»Wo reist ihr jetzt hin?«

»Hinaus aus dem Schelmenlandl, benamst Holledau, fort von den Schimmeldieben und dem Zupfergesindel, mit dem wir nichts gemein haben, fort nach der Residenz, wo man uns achtet und selbst der Herr Polizeipräsident von uns Notiz nimmt. Haben's nit noch a Zigarrl?«

Otto mußte über die Unverschämtheit dieser Taugenichtse lachen. Er gab jedem noch die verlangte Zigarre, welche auch sofort in Brand gesetzt wurde. Dann wanderten sie weiter, wieder das Lied anstimmend:

»Heiliger Castulus usw.«

Aber Otto rief sie nochmals zurück.

»Bei wem seid ihr in Arbeit gestanden?« fragte er sie.

»Beim Bichlbräu in Wolnzach. Glei an der Straßen, wenn ma den Berg hinab is, liegt sei' Hopfengarten. Sie wer'n dös Zupferg'sindel glei sehg'n. Und also merci und Servus.«

Damit entfernten sie sich singend.

Otto blickte ihnen mit sichtlichem Vergnügen nach, dann machte er rasch einige Striche in sein Skizzenbuch.

»Ich glaube gar, die Lumpen gefallen dir?« fragte Franz.

»Ja, die beiden gefallen mir,« entgegnete Otto. »Auch dich werden die Hopfenzupfer interessieren. Hilf mir, einige hervorragende Figuren suchen; du weißt schon, wie ich sie liebe.«

»Dich reizt alles, was fahrendes Volk heißt,« meinte Franz geringschätzig.

103 »Sieh da, wie prächtig der Hopfen hier zu beiden Seiten der Straße steht. Hei! Das ist ein Segen! Das ist Wolnzacher Siegelhopfen. Erste Qualität. Prachtvoll!«

»Der Preis wird für die Käufer auch prachtvoll sein,« lachte Bergwald.

»A bah! Bei der anzunehmenden Ueberproduktion haben wir Nürnberger schon den Preis festgesetzt. Uebrigens der Wahrheit die Ehre: das Holledauer Gewächs giebt dem Spalter nichts mehr nach.«

Er riß einige Trollen ab, rieb sie in der Hand, und schlürfte mit Wohlbehagen den Duft ein.

Während dann Franz an der immer herrlicher werdenden Hopfenkultur seine Augen weidete, suchte Otto den von den Strolchen bezeichneten Hopfengarten des Bichlbräu, in welchem, wie ihm ja bekannt, Franzens Vater und Schwester arbeiteten.

Es währte nicht lange, hatten sie die Stelle erreicht und damit auch den ersten Platz, an welchem zahlreiche Hopfenbrocker beschäftigt waren. Es war ein buntes Bild, das sich ihnen darbot, wie die Familien beisammen saßen und um die Wette die Trollen von den Ranken zupften, einzelne Personen mit gefüllten Körben zum Kassier eilten, dort die Messung vornehmen ließen und nach erhaltenem Lohn wieder fröhlich zurückeilten zu ihren Standpunkten.

Otto schlug das Herz in freudiger Erwartung, das Mädchen wiederzusehen, dessen er stets gedachte. Dabei war er aber auch neugierig, welchen Eindruck es auf seinen Schwager machen würde, wenn er seine Angehörigen unter den von ihm so verachteten Hopfenbrockern erkannte. Das sollte die Strafe sein für seine Herzlosigkeit, für das Benehmen eines Emporkömmlings, der sich seiner niederen 104 Herkunft schämte und dem der ihm so plötzlich zugefallene Reichtum das Herz versteinert, jede tiefere Regung selbst für seine armen Angehörigen hinweggenommen.

»Geh' du von hier oben in den Hopfengarten, ich thue das Gleiche von der Mitte aus,« schlug Bergwald vor; »am Ende dort unten kommen wir wieder zusammen, und hast du eine hübsche Gruppe gefunden, wie sie sich für mich eignet, so führst du mich hin.«

»Ob ich das Talent habe, für dich etwas Passendes auszufinden, lasse ich dahingestellt,« entgegnete Franz. »Mich interessiert der schöne Hopfen mehr als diese Leute, aber ich will doch sehen –. Also auf Wiedersehen!«

Damit schritt er in die Hopfenkultur hinein. Die Arbeiter achteten nicht viel auf ihn, da ja fortwährend Hopfenhändler die Gärten besuchen.

Aber nach einigem Umherwandern ward seine Aufmerksamkeit für das Hopfenzupfervolk doch in Anspruch genommen. Er glaubte die von ihm noch nicht vergessene Mundart seiner Waldheimat zu vernehmen, und näher zusehend, waren es bekannte Gesichter, die er erblickte, Fabrikarbeiter aus dem Regenthal.

Es war ihm doch eigen zumute, sich so plötzlich unter seine Landsleute versetzt zu sehen; doch ließ er sich von niemand scharf ins Auge fassen, obwohl sie ihm einen »Guten Morgen« wünschten, was er aber in seinem Hochmut unerwidert ließ.

Plötzlich hielt er inne. Dort auf einem Haufen Ranken saßen ein älterer Mann und ein Mädchen. Ersterer erinnerte ihn sofort an seinen Vater. Und als er näher hinsah, erkannte er ihn wirklich. Es war kein Zweifel, der Hopfenzupfer war sein Vater. Das Mädchen konnte er nur 105 etwas von der Seite sehen, aber er erkannte in ihr sofort seine Schwester Traudl. Er hatte diese als vierzehnjähriges Kind verlassen; jetzt war sie zur Jungfrau herangewachsen, er vernahm ihre Stimme, ja, es waren bekannte Laute, die an sein Ohr schlugen. Es überkam ihn ein eigentümliches Gefühl. Das Blut schoß ihm zu Kopf. Nur mit Mühe konnte er einen Ausruf der Ueberraschung unterdrücken. Unwillkürlich trieb es ihn, sich den Seinen zu nähern, sie zu begrüßen, es war ein Moment, in welchem das kindliche Gefühl in ihm die Oberhand gewann, aber schon im nächsten Augenblick überwog jene Regung das Gefühl der Schande, seine Angehörigen in solcher Beschäftigung zu sehen.

Rasch wandte er sich ab, und ohne sich noch weiter um das übrige Volk zu kümmern, schritt er zur Straße hinaus, wo ihn sein Schwager bereits zu erwarten schien.

Dieser hatte durch den Kassier inzwischen schon erfahren, daß die Leute aus dem Regenthal hier beschäftigt seien und sah mit Spannung der Ankunft des Schwagers entgegen. Im höchsten Grad erregt, kam dieser jetzt herbei.

»Nun?« fragte Otto. »Was ist dir?«

»Nichts, nichts,« log Franz, sich mit Gewalt zur Ruhe zwingend.

»Hast du kein Motiv für mich gefunden?«

»Ein Motiv? Ach ja, ich habe eines gefunden – eines, bei dem ich selbst –« Er stockte.

»Du mußt Landsleute getroffen haben. Der Kassier sagte mir, es seien Leute aus dem Regenthal hier, also aus deiner Heimat.«

»Die hab' ich gesehen. Sie grüßten mich.«

»Und du hast sie wieder begrüßt?«

»Begrüßt? Nein, das nicht.«

»Nicht? Du schämtest dich wohl dieser Bekanntschaft? Aber sprich doch – du bist so aufgeregt?«

»Was soll ich sagen? Das Ungeheuerliche ist eingetroffen; was ich nie für möglich gehalten, es ist wirklich der Fall.«

»Erkläre dich deutlicher; ich verstehe dich nicht.«

107 »Verstehe ich's? Denke nur, unter den Hopfenbrockern ist mein Vater, meine Schwester!«

»Edeltraud?« fragte Bergwald sich vergessend.

»Du kennst ihren Namen?« Franz sah ihn überrascht an.

»Weiter, weiter!« drängte Otto.

»Weiter? Du siehst mich fassungslos. Ich weiß gar nicht, was da zu thun ist. Am besten wird es sein, ich reise sofort ab.«

»Ohne die Deinen gesprochen zu haben?« rief Otto. »Nicht möglich! War deine Mutter nicht dabei?«

»Die Mutter? Nein, sie sah ich nicht.«

»Wenn sie krank daheim läge? Wenn deine Schwester, dein Vater hier Verdienst suchten, um daheim der Not zu steuern? Franz, denkst du nicht an diese Möglichkeit? Liegt dir so wenig an deiner Mutter, daß du nicht erfahren willst, wo sie blieb, wie es ihr geht? Hat dich das bißchen erheiratete Geld denn ganz verknöchert? Wenn dem so ist, will ich dein Teilhaber nicht mehr sein. Ich ziehe mein Kapital aus dem Geschäft und thue, was mir mein Herz gebietet.«

»Aber was soll ich denn thun?«

»Deine Pflicht. Geh zurück und begrüße sie. Es sind brave, ehrliche Leute, du brauchst dich ihrer nicht zu schämen.«

»Dahin zu ihnen zurückkehren? Nein, das kann ich nicht!«

»So lasse sie ins Gasthaus bitten und thue dann, was dir, – ich will nicht sagen dein Herz, denn es scheint wirklich fraglich, ob du eines hast – sondern was dir die Vernunft vorschreibt.«

108 »Ja, du hast recht, ins Gasthaus will ich sie kommen lassen,« versetzte Franz entschlossen.

»Und was willst du mit ihnen?«

»Sie müssen heim!«

»Müssen? Du kannst sie nicht zwingen. Du kannst sie höchstens bitten, von dir so viel anzunehmen, daß ihre augenblickliche Notlage, denn eine solche ist es sicherlich, gestillt wird. Ich gestatte dir, das auf unser Geschäftskonto zu setzen, gleichviel, wie hoch die Summe ist, denn es ist auch eine Schmach für unsere Firma, die weltbekannte Hopfenhandlung, wenn man erfährt, daß –«

»Schweig!« rief Franz erregt. »Freilich ist es eine Schmach. Sie dürfen hier nicht länger bleiben!«

Im Gasthause zum Bichlbräu angekommen, ließen sie sich zwei ineinander gehende Zimmer geben und war es dann das erste, daß Franz den die Gäste bewillkommnenden Wirt bat, den alten Lechner und dessen Tochter kommen zu lassen.

»Ah,« sagte der Gastgeber, »Sie sind wahrscheinlich der Herr Lehrer Mändl, welcher sich so warm um die Leute annimmt? Nun, Sie werden selbst von ihnen hören, daß es ihnen an nichts fehlt. Und meine Tochter hat die Traudl wirklich sehr lieb gewonnen. Habe ich Sie als richtig erkannt?«

Franz wußte nicht zu antworten, aber Bergwald versetzte für ihn:

»Er ist nicht der, für welchen Sie ihn halten, sondern er ist der Bruder; möchte aber nicht, daß seine Angehörigen von seinem Hiersein eher erfahren, als bis sie ihm gegenüber stehen.«

109 Der Gastgeber entfernte sich, um dieser Weisung zu folgen.

Inzwischen nahm Bergwald ein kleines Gabelfrühstück ein und unterhielt sich nebenbei mit der Tochter des Gasthofbesitzers, welche zufällig im sogenannten Herrenzimmer zu thun hatte. Er brachte das Gespräch auf die Regenthaler und fand vollauf bestätigt, was ihr Vater schon gesagt. Sie erging sich in Lobeserhebungen über Edeltraud, die wahrlich ein besseres Los verdiente, denn als Hopfenbrockerin verwendet zu werden, die für ein Landmädchen einen ganz ungewöhnlichen Bildungstrieb besitze, regen Sinn für alles Höhere und Schöne hätte und eine prächtige Stimme besäße.

»Da hat sie Ihnen gewiß auch schon das Lied vom Bayerwald vorgesungen?« fragte Otto.

»Schon recht oft; das vom Bayer- und vom Böhmerwald und eine Menge anderer Volkslieder. Es ist rührend, sie von ihrer Heimat sprechen oder singen zu hören, und ich hätte beinahe Lust, den Vater zu bitten, mit mir einmal den bayerischen Wald zu bereisen, um Traudls Heimat kennen zu lernen.«

Bergwald war von diesem Gespräch aufs angenehmste berührt. Die Unterhaltung wurde jedoch unterbrochen, da man durchs Fenster den alten Lechner mit seiner Tochter herankommen sah. Sie waren in Arbeitskleidung und schienen sich in Vermutungen darüber zu ergehen, warum man sie mitten im Tage zurückrufe.

»Ich will mich nun auch auf mein Zimmer begeben,« sagte Bergwald. »Haben Sie einstweilen Dank für Ihre Mitteilungen.« 110


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