Maximilian Schmidt
Die Hopfenbrockerin
Maximilian Schmidt

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XIII.

Ein frischer Luftzug wehte durch das Land. Die Stimmung des Herbstes mit seinem sonnigen Glanz und seinem schwermütigen Hauch des Vergänglichen lagerte über der Schöpfung. Die Lärchen hatten sich schon golden gefärbt und der gelbe Ahorn hob sich in vielfältiger Pracht ab von dem kraftvollen Hintergrunde der Schwarztannen und dem ernsten Rotbraun der Buchen. Traudls Auge glitt oft träumerisch über die wehenden weißen Fäden, dann schimmerte es wieder in feuchtem Glanz oder blitzte jäh auf, gleich einem Wetterleuchten in dunkler Nacht.

Sie hatte Auerbachs »Frau Professorin« gelesen, aber dieses Buch hatte durchaus nicht die Wirkung hervorgebracht, welche der alte Schleifer davon erwartet. Ein Maler Reinhardt, ein übermütiger Mann, verliebt sich ins Lorle, die Tochter eines Dorfwirtes, heiratet sie, nachdem er eine Anstellung als Professor erhalten und zieht mit ihr in die Stadt. In ihrer neuen Stellung macht nun Lorle, die ja nur auf dem Dorfe erzogen und nichts als ihren Mutterwitz hat, eine Menge Verstöße in der noblen Gesellschaft, worüber ihr Mann sich nach und nach so empört, daß er ihr das Leben sauer macht und es dazu bringt, daß Lorle sich veranlaßt sieht, im geheimen sich von ihm zu scheiden und wieder in ihr Heimatdorf zurückzukehren, um dort enttäuscht von erträumtem Glück freudlos ihr Leben hinzubringen.

184 Traudl fand in dieser Erzählung keine Nutzanwendung auf sie selbst, und wie es der Vater wohlmeinend glaubte, auch nicht auf Bergwald. Dieser war ein gesetzter Mann, den sie einer niedrigen Handlung gar nicht für fähig hielt, und was »Lorle« anbelangt, so konnte sie sich diese gar nicht recht vorstellen. Und daß sie schließlich ihren Mann verließ, wollte ihr schon gar nicht in den Sinn, denn Traudl wußte nichts anderes, als daß die Ehe unzertrennlich und beide Gatten in Leid und Freud aushalten müssen bis zum Tod.

Mit dem Ergebnis dieser Lektüre war aber durchaus nicht gesagt, daß Traudl in Bezug auf Bergwald mit sich einig war. Sie dachte wohl recht oft in herzlicher Verehrung an ihn; sie mußte bei jeder Gelegenheit an ihn denken. Auch war ja fortwährend von ihm die Sprache. In dem Nachbardorf wurde ein neues Schulhaus gebaut und es war der Wunsch des Schulinspektors, daß Mändl mit nächstem Jahr wieder hieher komme, da er so glänzende Resultate in seiner Schule erzielt.

Traudl sah oft von ihrer Gredbank aus hinüber zu dem Hügel, auf welchem der Schulhausbau rüstig vorwärts schritt. Gleich daran stieß ein prächtiger Laubwald, der sich jetzt in die buntesten Farben gekleidet hatte. Von dort hatte man auch eine ausgedehnte Fernsicht über das künische Gebirg und den Arberstock, dann hinab in das reizende Thal, durch welches der von Erlenbäumen begleitete Regenbach rauschte. Es mußte dort schön zu wohnen sein, zumal sich auch ein Obst- und Ziergarten beim Haus befand, den der Mändlfritz angelegt hatte. Von dort konnte man auch herüber sehen zur Wohnung der alten Eltern, man konnte sie jede Stunde besuchen oder sie bei sich 185 empfangen, ihnen mit Milch und Butter aushelfen, denn es waren für das Futter von zwei Kühen reichende Grundstücke bei dem Anwesen, kurz, man konnte sich gegenseitig helfen, mit Wort und That. Und wie konnte sie sich selbst nützlich machen als Frau des Lehrers. Sie hatte Spitzen klöppeln, sticken und nähen gelernt und war dann imstande, den Schulmädchen Arbeitsunterricht zu geben, welcher bis jetzt fehlte, sie konnte also beitragen zur besseren Erziehung der Jugend, konnte thätig sein zum Besten der Menschheit. Und das an der Seite eines braven, charaktervollen Mannes, keines »Reinhardt«. Wie war die Zukunst so schön!

Sonderbar! Aehnliche Gedanken überwogen mit jedem Tag mehr die Erinnerung an Bergwald. Das Bild, welches ihr der Bruder vorgemalt, reizte sie nicht. Das Leben in der Stadt unter lauter unbekannten Leuten konnte sie sich nicht als ein angenehmes vorstellen. So ungeschickt, wie das Lorle meinte sie, würde sie sich zwar nicht benehmen, aber wenn man dort erführe, daß sie schon als Hopfenbrockerin gearbeitet, so würde man sie dort wohl über die Achsel betrachten, was sie hier nicht zu fürchten hatte.

Alle diese Erwägungen brachten das Herz des Mädchens dem Landsmann immer näher, und daß die Eltern die zunehmende Glut eifrig schürten, verstand sich von selbst. – – –

Lehrer Mändl hatte sich in seiner neuen Heimat Eschlkam möglichst gut eingerichtet, nur fühlte er sich in der großen ihm zur Verfügung gestellten Wohnung sehr vereinsamt, so daß er mehr, als er es gewöhnt war, im Gasthaus die Abende zubrachte. Es fanden sich dort fast täglich durchreisende Touristen ein, welche die schöne Herbstzeit noch zu Ausflügen in das Waldgebirge anlockte, 186 namentlich auf den nahen Hohenbogen mit seiner weiten Fernsicht. Der Lehrer konnte da manchen guten Rat erteilen, denn er kannte den ganzen Bezirk auf das genaueste, nicht nur in örtlicher, sondern auch in geschichtlicher Hinsicht. Er unterrichtete auch seine Schüler mit besonderer Vorliebe in jenen beiden Gegenständen, der Ortskunde und der Heimatsgeschichte, wozu ja gerade der berühmte Paß von Eschlkam und Neugedein so unerschöpflichen Stoff bietet, jene merkwürdige Wasserscheide, welche nicht nur die Zu- und Nebenflüsse der Donau und Elbe von einander trennt, sondern auch die Sprache, Sitte, Tracht und sogar die Bauart so auffallend scheidet.

Da dankte dem Lehrer denn mancher Tourist und setzte mit gesteigertem Interesse seine Wanderung fort, wo Sage und Geschichte ihm das Geleite gaben.

Am Michaelitag, der im Walde als ein halber Feiertag gehalten wird, war zwischen den Waldvereinen der Umgegend eine Bergfahrt nach dem Burgstall vereinbart worden, und es wollten sich daran auch viele Deutsche aus Böhmen beteiligen, die schon am Vorabend in Eschlkam eintrafen, um dort in dem altrenommierten Neumaierschen Gasthause Nachtquartier zu nehmen, so daß das Haus völlig besetzt war. Infolge dessen brachte ein gegen Abend ankommender Herr, der hier übernachten wollte, die Wirtin in große Verlegenheit, dies umsomehr, als sich derselbe als ein Nürnberger vorstellte und diese stets zu den willkommensten ständigen Sommerfrischlern dortselbst zählen. Die einzige Rettung war das Schulhaus, in welchem Lehrer Mändl ein wohleingerichtetes Fremdenzimmer besaß und er war auch sofort bereit, den Fremden, der einen sehr sympathischen Eindruck auf ihn machte, zu beherbergen.

187 Dieser Fremde war Otto Bergwald, der im Begriff war, sich zu Edeltraud zu begeben, um sich den Entscheid auf seine in Wolnzach an sie gerichtete Anfrage zu holen.

Da der Lehrer den Namen Bergwald noch nicht gehört, ihm überhaupt über dessen Verhältnisse zu Traudl nichts bekannt war, so ahnte er nicht, daß er seinen Nebenbuhler bei sich beherberge. Als der Maler als sein Reiseziel das Regenthal und die Ersteigung der Arbers nannte, so nahm Fritz an, der Fremde würde den Besitzer der dortigen Glasfabrik besuchen, der mit Bergwalds Vater, dem alten Kleinschwert, bekannt war.

Beide junge Männer fühlten sich rasch zu einander hingezogen, jeder erkannte in dem andern sofort den ehrlichen Charakter und das treue, deutsche Gemüt, welches sich in ihren Reden offenbarte. Der Abend, den sie im Gasthaus verbrachten, verging in anregendster Unterhaltung, der Lehrer interessierte sich für Bergwalds Kunst und letzterer war überrascht von dessen gesunden Anschauungen betreffs der jetzigen Kunstrichtung.

Ihre Gespräche wurden oft durch die heiteren Gesänge der vergnügten Bergfahrer unterbrochen und auch Mändl trug seinen Teil hiezu redlich bei. Erst spät traten die beiden jungen Männer den Heimweg an und Bergwald erfreute sich eines gesunden Schlafes in dem traulichen Heim des Lehrers.

Gugelhupf und Blumenstrauß, welche am darauffolgenden Morgen den Kaffeetisch zierten, deuteten auf ein Fest und der Maler erfuhr alsbald, daß der Lehrer heute seinen Geburtstag feiere, wozu er ihm nicht nur herzlich gratulierte, sondern ihm auch versprach, ein Bild zur Ausschmückung seinen jungen Heims zu schicken, dem, wie er 188 meinte, nur eine liebenswürdige Hausfrau fehle. Der Lehrer dankte und meinte, er wüßte sich schon eine solche und hoffe auf Verwirklichung seiner diesfallsigen Wünsche.

Nun war es aber Zeit zur Bergfahrt nach dem Hohenbogen. Die fröhlichen Bergfahrer klopften an Thüren und Fenster des Lehrerhauses, um Mändl aufzufordern, sich ihnen anzuschließen. Dem Maler fiel es schwer, sich so bald von seinem liebenswürdigen Wirt zu trennen und dieser schlug ihm vor, die Bergfahrt auf den Hohenbogen mitzumachen und von dort nach dem jenseitigen Thal abzusteigen, von wo aus ihn dann die Lokalbahn bis zum Fuß des Arber brächte. Falls er den Besitzer der dortigen Glashütten besuchen wolle, finde er im Dorf daselbst eine sehr gute Restauration, die ihm treffliches Unterkommen gewähre.

Der Plan fand Bergwalds sofortige Zustimmung und nach wenigen Minuten waren die beiden, vom herrlichsten Herbstwetter begünstigt, auf dem Wege nach dem vielbesuchten Hohenbogen.

Der Hohenbogen bildet im westlichen Böhmerwald einen über zwei Stunden langen, malerischen, im Bogengestalt sich majestätisch erhebenden Waldrücken gleichsam als Hintergrund zu dem historischen Paß und Einbruchsthor zwischen dem Osser und Czerchow. Er bildete ehemals auf seiner höchsten Erhebung, dem 3360 Fuß hohen Burgstall eine Grenzhut mit einer Grenzwacht, welche die so oft bedrohte Umgegend schützte und bewachte. Der Lehrer erklärte den hier Fremden während des Aufstieges, wo sie über ein Meer von Felsblöcken gingen, wie diese von den Bergstürzen herrühren, welche dieses Gebirge infolge einer furchtbaren Katastrophe wahrscheinlich in der 189 Eiszeit zu erleiden hatte. Die jetzigen Gebirge des Bayer- und Böhmerwaldes wären ja nur die imposanten Ueberreste einstiger riesiger Größe, welche dem Hochgebirge nichts nachgab, ja vielleicht sogar überragte. Er erklärte ihm, daß das jetzige Hochgebirge überhaupt viel später infolge einer großen Erruption sich emporgehoben habe. Das herzynische Gebirge, zu welchem der Böhmerwald gehöre, war also schon früher vorhanden als die Alpen, aber seine einstigen Gipfel liegen als Felsblöcke zu seinen Füßen, und nur riesige Stumpen, abgebrochene Kegel, seien zurückgeblieben.

»So wandern wir über Trümmer, die vielleicht schon vor Millionen von Jahren hieher geschleudert wurden?« meinte Bergwald. »Nun sehe ich sie schön und üppig mit Moos überzogen und bewaldet, und zwischendurch rieseln klare Quellen, und wollte ich jedes schöne, sich uns darbietende Motiv skizzieren, wir kämen nie vorwärts.«

Aus letzterem Grund machte er nur einigemal etwas länger Halt, wenn die übereinander gestürzten Felsblöcke ganz eigentümlich seltsame Bildungen veranlaßt hatten. Nachdem die Diensthütte erreicht war, wo kurze Rast gehalten und in der dortigen Restauration ein Imbiß eingenommen worden, stieg die Gesellschaft auf den nahen Burgstall. Hier zeigte sich dem spähenden Auge eine weite, herrliche, entzückende, ja unbeschreiblich schöne Aussicht nach Böhmen und Bayern.

Die Bergfahrer stimmten angesichts dieser herrlichen Ausschau, welche durch eine klare Luft und die goldig blaue Beleuchtung noch erhöht wurde, das hehre Lied an:

»Wer hat dich du schöner Wald
Aufgebaut so hoch da oben &c.«

190 Bergwald aber suchte auf den vorgelagerten Donauhöhen die Ruine Brennberg, und als er sie mit dem Fernglas entdeckte, gedachte er mit seligen Empfindungen jener Stunde, wo er von dort mit Edeltraud hereingeschaut nach ihren heimatlichen Bergen. Unwillkürlich wandte er sich mit der Frage an den Lehrer, ob man von hier aus das Regenthal mit seinen Fabriken sehen könne.

»Leider nein!« entgegnete der Lehrer. Er wollte noch weiter sprechen, da wurde er plötzlich durch den Ruf unterbrochen:

»Donnerkeil! Ist das nicht der Herr Bergwald?«

Es war Muckl Schirmer, der diesen Ausruf ausgestoßen. Er stand, ein Mädchen am rechten und eine ältere Frau am linken Arm führend, vor dem Künstler, der gerade nicht freudig über dieses Zusammentreffen überrascht war. Doch wurde er alsbald beruhigt, denn Muckl fuhr fort:

»Geben S' mir nur Ihre Hand; ich bin ein guter Kerl, der nicht nachträgt. Man hat halt hie und da so einen Rappel. Aber die Ursache hievon ist jetzt abgethan – hier stell ich Ihnen meine neueste Braut vor, Fräulein Rosa, und hier die Tante, Frau Thekla Pankratz –«

»Nun, da gratuliere ich,« erwiderte Bergwald, erheitert durch die komischen Knixe, welche Braut und Tante ihm zuteil werden ließen. Er reichte jeder die Hand und fragte erstere:

»Darf man wohl bald zur Hochzeit Glück wünschen?«

»O bitte,« machte das Fräulein, »mein lieber Nepomuk muß ja erst definitiv werden, und muß sich dann in eine gute Lebensversicherung einkaufen, damit ich als Witwe auch ein angenehmes Leben habe.«

191 Bergwald und Mändl konnten nur mit Mühe das Lachen unterdrücken.

»Sie müssen wissen,« entschuldigte Muckl, »mein Bräutl ist halt noch sehr jung und sehr naiv.«

»O, ich finde, daß sie sehr vernünftig ist,« erwiderte Bergwald.

Muckl wollte ihm nun erzählen, wie er, von einer Lustreise in die Holledau heimkehrend, während der Stellwagenfahrt von Regensburg nach Donaustauf seine Braut kennen gelernt, aber Bergwald schien nur Interesse für die herrliche Aussicht zu haben.

»No', und darf man Ihnen gratulieren?« fragte er endlich den Künstler. »Ich weiß ja vom Bruder selbst, wieviel es geschlagen hat.«

»Entschuldigen Sie! Ich möchte mir jetzt die Rundschau hier betrachten,« entgegnete Bergwald ziemlich abweisend. »Es ist hier so wundervoll.«

»Ja, wundervoll!« rief die Tante; »das ist das richtige Wort. Wundervoll!«

Bergwald grüßte und entfernte sich dann mit seinem Begleiter.

Nachdem die Runde um den weiten Wall des Burgstalls gemacht war, ging es wieder zurück zur prächtig im Schatten mächtiger Eschen und Ahornbäume gelegenen Diensthütte zum bereitgehaltenen Mahl.

Bald nach diesem drängte es Bergwald, seinem Reiseziel zuzueilen. Einige Vereinsmitglieder, welche in gleicher Richtung ihren Wohnort hatten, übernahmen mit Vergnügen die Führung des Künstlers und versprachen, ihm auch noch die am Fuße des Berges liegende Ruine Lichtenegg zu zeigen. Bergwald verabschiedete sich somit herzlich 192 von seinem liebenswürdigen Wirt und bat ihn, indem er ihm seine Karte reichte, um seinen gelegentlichen Besuch in Nürnberg.

Der Lehrer begleitete ihn noch eine kleine Strecke, und beim Abschied wünschten sie sich beide Glück auf ihrem weiteren Lebenswege. Dann nahm Bergwald sein Ränzchen, das ihm der Lehrer zuvorkommend getragen, auf den Rücken, und wanderte mit seinen Begleitern vergnügt von dannen.

Fritz Mändl sah ihm nach, so lange er in seinem Gesichtskreis war; schließlich schickte er ihm noch einen Juhschrei nach, der von den Fortgehenden freudig erwidert wurde.

Da er sich auf seinen Platz zurückbegeben wollte, sprach ihn Muckl Schirmer an und erneute mit ihm die Bekanntschaft aus der Studienzeit zu Regensburg, indem er den Lehrer gleich mit »du« ansprach. Im Laufe des Gespräches fragte er:

»Wo aus macht der Herr Bergwald?«

»Er geht nach Regenthal und dann auf den Arber,« antwortete der Angeredete.

»So, Regenthal zu? Also is's richti, hat er si dös Waldlerblüml erobert? Die Sach hätt' mir bald 's Leben kost', und dös alles wegen einer Hopfenzupferin. Ich will ihr deshalb nicht zu nah treten, ich kenn noble Leute, die ebenfalls in der Holledau waren –«

»Was hat denn die Holledau mit Herrn Bergwald zu thun?« fragte Fritz.

»Auf der Reise ins Schelmenlandl hat er's ja bei uns in Falkenstoa' kennen g'lernt.«

193 »Wen denn? Die Tochter vom Glasfabrikanten in Regenthal?«

»A Narr! Die Tochter vom Schleifer,« versetzte Muckl. »Du kennst ja 'n Franz Lechner ebenfalls, der gleicher Zeit mit uns in Regensburg war. Er ist jetzt, was man so sagt, ein Geldprotz und Teilhaber des Hauses Kleinschwert in Nürnberg. Der Kleinschwert is aber der Herr Bergwald, der Schwager vom Franz, den's jüngst in Wolnzach außig'scheitelt ham.«

»Hör auf!« rief jetzt der Lehrer, »Mensch, du machst mich ganz dumm!«

»Ein solches Kunststück bring ich nöt zam,« erwiderte lachend der andere. »Aber sollt dir der Maler wirkli nöt g'sagt haben, daß er's auf'n Lechner sei' Schwester, d' Edeltraud, abg'sehn hat?«

»Edeltraud?« fragte der Lehrer, über und über errötend. »Schirmer, ich muß dich bitten, von dem Mädchen nur mit größter Hochachtung zu sprechen, sonst –«

»Sonst schießt du mir auch eins auffi? Aber auf Ehr und Seligkeit, es is a so. I hätt ja die Traudl selber mögen, unter uns g'sagt; aber ihr Vater hat mir abwinken lassen, weil ihra Herz schon vergeben is; natürli an den reichen Nürnberger. Der Lechner hat mir ja selber g'sagt, daß sei' Schwager um der Traudl ihra Hand ang'halten hat, und daß die Sach' in Richtigkeit is, das ist klar, sonst reiset er nöt hintri zu ihr nach Regenthal. Mir is's recht. I hab mi anderwärtig entschädigt und gönn eam sei' Glück. Aber was hast denn?« unterbrach er sich. »Du bist ja kasweiß?«

Der Lehrer konnte sich in der That kaum mehr auf den Füßen halten.

194 »Schirmer,« sagte er mit zitternder Stimme, »was du mir da erzählst, ist ein Dolchstich in mein Herz. Traudl hab ich mir ausersehen als meine künftige Hausfrau –«

»No', so sind wir unser drei!« unterbrach ihn Schirmer, roh lachend. Er nahm aber sofort eine ernstere Miene an, als er in des Lehrers Gesicht blickte, und er gab ihm den wohlgemeinten Rat:

»Mach dir nöt so viel daraus. Mach's, wie ich und denk dir: A andere Mutter hat auch a schön's Kind!«

Mändl war aber nicht von so flatterhafter Anlage.

»Du glaubst also wirklich,« fragte er nochmal, »daß der Maler und Traudl –«. Er stockte.

»Daß die zwei zamspinnen, halt ich für a Thatsach,« erwiderte Schirmer. »Ich hab dir nur g'sagt, was ich weiß. Es kann dir nöt schwer fall'n, zu erfahr'n, was der Maler im Regenthal hinten für G'schichten malt. Adis einstweilen! Meine Angebetete blinzelt mir schon lange zu, wieder zu ihr zu kommen, denn weißt, ich bin ihr unentbehrlich.«

Damit eilte er seiner »Angebeteten« zu.

Fritz Mändl aber kehrte nicht mehr in den Kreis der lustigen Bergfahrer zurück. Es war ihm zu Mute, als ob plötzlich das Gebäude seines Glückes, das er wachend und träumend sich aufgebaut, ein Opfer der alles zerstörenden Flammen geworden. als wäre die Windsbraut über die stolzen Forste hingesaust und hätte die Jahrhunderte alten Riesen des Waldes hinweggefegt und nichts zurückgelassen, als ein grausiges Feld von zersplitterten Baumleichen. Die ganze Welt schien ihm verstümmelt, weil seine Hoffnungen zerstört waren.

Der einzige vernünftige Gedanke, den er zu fassen 195 vermochte, war der, sich sofort an Ort und Stelle von alledem zu überzeugen, was er soeben vernommen. Er nahm sich vor, sofort nach Eschlkam zurückzukehren, sich vom Schulinspektor Urlaub für den nächsten Tag zu erbitten und dann zur Heimat zu eilen.

Wie er über den Hang des Hohenbogens auf weglosem Pfad, den er selbst eingeschlagen und wobei er über Felsen und Klüfte springen mußte, ungefährdet hinab kam, konnte er später selbst kaum begreifen. Die Leute, welche ihm dann im Thal begegneten und ihn grüßten, schien er gar nicht zu sehen, so daß ihm mancher kopfschüttelnd nachblickte.

In unbeschreiblicher Gemütsstimmung kam er endlich nach Hause. Als er zu seinem Schulhause stürmte, erblickte er zu seiner Ueberraschung seine Mutter, die ihn schon die Straße heraufkommen sah und ihm zum Gruß entgegeneilte. Sie erschrak aber nicht wenig, als sie das blasse, von Schmerz verzerrte Gesicht des Sohnes sah.

»Ja, Fritz, was is dir denn?« fragte sie und folgte ihm in die Stube, wo er sich erschöpft, wie ein gehetztes Wild, niederließ.

»Ach, Mutter,« rief er, »ich bin der unglücklichste Mensch auf der Welt! Mein ganzes Leben ist verpfuscht, meine schönsten Hoffnungen sind vernichtet, alles, alles ist dahin!«

»In Gottes heiligen Nam'! Was is denn g'schehn?« jammerte die Mutter. »Red doch!«

»D' Edeltraud, mein Alles, sie ist für mich verloren!«

»D' Traudl? Verloren? Wieso denn?«

»Sie hat sich mit einem Nürnberger, ihrem Schwager, verlobt. Ich selbst hab ihn bei mir beherbergt und ihm 196 den Weg ins Regenthal gezeigt! Man könnte lachen, wenn's nicht zum Verzweifeln wär!«

»Aber Fritz, was willst denn da machen?« fragte die Mutter.

»Ich weiß nur so viel, daß ich ohne Traudl nicht leben mag – daß ich –«

Er vollendete nicht. Die Nebenthüre öffnete sich und zu seiner größten Ueberraschung trat Traudl in die Stube.

»So sollst mi zur Straf haben müassen für Zeit und Ewigkeit!« sagte sie tief errötend. »Da, Fritz, nimm mei' Hand, und kann i di glücklich machen, so g'schieht's. Dir alloa' g'hört mei' Herz.«

Der Uebergang im Gemüt des jungen Mannes von der schmerzlichsten Aufregung zur höchsten Freude war derartig, daß er im ersten Augenblick nicht wußte, ob er wache oder träume, und bald nach der Mutter, bald nach Traudl starrte.

Erstere lachte und sagte:

»No', was verlangst no' mehr? Jetzt hast ja, was d' willst.«

197 Dann wandte sie sich zum Fenster und blickte auf die Straße hinaus. Sie wollte nicht sehen und nicht hören, was hinter ihrem Rücken vorging. Gesprochen wurde nichts; aber bewegungslos schien das junge Paar auch nicht zu sein.

Endlich preßte es dem glücklichen Fritz aber doch die Frage heraus:

»Ja, wie kommt's denn, daß ich dich mit der Mutter da find, g'rad jetz da find zu mein' Heil, in der fürchterlichen Lag?«

Das war bald erklärt. Es war ja des Lehrers Geburtstag, den er in der Folge ganz vergessen hatte. Die Mutter wollte ihm in seinem neuen Wohnort persönlich gratulieren, und sie glaubte ihm eine besondere Freude zu machen, wenn sie Traudl mitbrachte. So fuhren denn die beiden Frauen zusammen nach Eschlkam, und als sie dort den Lehrer nicht antrafen und hörten, daß er wohl erst abends zurückkehren werde, beschlossen sie, auf ihn zu warten und quartierten sich im Gasthaus ein, wo heute wieder Platz für sie frei geworden.

Dann aber kam die Rede auf Bergwald. Traudl erzählte dem Lehrer nun, wie sie diesen kennen gelernt, wie er ihr gleichsam Auge und Herz geöffnet, und verhehlte auch nicht, daß Bergwald wirklich um sie geworben und daß sie, nachdem sie erfahren, daß Fritz ihr ebenfalls gut sei, einen qualvollen Kampf durchgekämpft habe. Schließlich sei ihr aber die Erkenntnis gekommen, daß ihr Herz, ohne daß sie es wußte, ihm, dem Mändl-Fritz, gehörte. Hätte sie aber noch daran gezweifelt, so wußte sie es, seit sie vorhin durch seinen verzweiflungsvollen Schmerz erkannt, wie stark seine Liebe zu ihr sei. Daß Bergwald 198 schon so bald käme, sich ihre Antwort zu holen, das hatte sie nicht erwartet, und nun sollte ihr Fritz Rat erteilen, wie Bergwald, ohne ihn zu kränken, die nötige Mitteilung zu machen sei.

Traudl hatte alles in so offener und herzlicher Weise hervorgebracht, daß in dem Lehrer nicht das leiseste Fünkchen von Mißtrauen aufkommen konnte. Er riet ihr, an Bergwald einige Zeilen zu schreiben und diese dem Kutscher, der sie hergefahren, nach Regenthal mitzugeben. Sie selbst solle mit seiner Mutter erst wieder dorthin zurückkehren, wenn Bergwald von dort abgereist. Auch Traudl zog es vor, diesem jetzt nicht zu begegnen.

So schrieb sie denn an der Maler folgende Zeilen:

»Lieber Herr und Schwager! Auf Ihren Antrag hin, der mich armes Mädchen so hoch ehrt, habe ich mein Herz geprüft, lange, lange, und jetzt war es mir erst klar, daß ich dieses Herz schon lange, ohne daß ich es selbst recht wußte, verschenkt hatte an einen wackeren Mann, meinen Nachbar und Lehrer Fritz Mändl, der das schöne Lied vom Bayerwald mir gelernt hat, das Ihnen so gefällt. Sie kennen ihn jetzt, denn Sie waren ja gestern sein Gast. Mit ihm kann ich in der Heimat bleiben, die ich nie verlassen möchte. Für eine Dame in der Stadt passe ich nicht. Ich würde Sie nur in Verlegenheit bringen und Sie unglücklich machen. Aber seien Sie überzeugt, daß ich Sie nie vergessen werde, so lange ich lebe, daß ich Ihnen in treuer Freundschaft zugethan bleibe und sehnlichst wünsche, daß es Ihnen gut gehe, und Sie so glücklich werden, wie Sie es so hoch verdienen. Dank für alles, was Sie meinem Bruder edelmütig gethan, Dank für jedes liebe Wort, das Sie mir gegeben. Leben Sie wohl, verzeihen Sie mir und 199 denken Sie auch ferner nicht ungern an Ihre stets dankbar ergebene Edeltraud Lechner.«

Mit diesem Schreiben wurde der Kutscher nach Regenthal zurückgeschickt. Er ward beauftragt, den Brief bei Lechner abzugeben und erst auf dessen Weisung hin wieder hieher zu kommen. Ein zweiter Brief des Lehrers verständigte dessen künftige Schwiegereltern von dem Vorgefallenen und bat sie um ihren Segen.

Und dann wurde Verlobung gefeiert, erst im engsten Familienkreis, dann, als die Bergfahrer zurückgekommen, im Gasthaus in fröhlichem Kreis. Mutter und Braut hatten sich zwar zeitig auf ihr Zimmer zurückgezogen, der Lehrer aber hielt tapfer aus und erfreute die Gesellschaft durch seinen Gesang, der ihm noch nie so schön und freudig aus der Kehle gedrungen, wie an diesem Tag, der so jäh namenloses Weh in unendliches Glück verwandelt. 200


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