Maximilian Schmidt
Die Hopfenbrockerin
Maximilian Schmidt

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III.

Am frühen Morgen des nächsten Tages hatten sämtliche Wäldler ihren Marsch nach Regensburg fortgesetzt, mit Ausnahme des Schleifer-Toni und seiner Tochter. Jener fühlte sich, trotzdem er ordentlich ausgeruht, doch noch sehr angegriffen. Der Frühstückstisch war in der Laube des kleinen Vorgartens hergerichtet, wo bereits der Hausherr, eine lange, mit Quasten versehene Pfeife im Munde, ein rotes Fez auf dem Kopf und mit seinem weißen Spenser bekleidet, eine großmächtige Kaffeetasse vor sich, Platz genommen hatte.

Traudl hatte schon abends vorher ihr besseres Kleid aus ihrem Rückentuch herausgenommen und zurechtgerichtet. Es war von violetter Farbe, dazu eine weiße, mit Spitzen versehene Schürze, und um den Hals hatte sie einen weißen Spitzenkragen, beides von ihr selbst geklöppelte Arbeiten. Ein gelbseidenes Knüpftüchel vervollständigte ihren Anzug. Die üppigen, schwarzen Zöpfe hatte sie zu einem Nest aufgesteckt. Auch der Schleifer hatte sein Sonntagsgewand angezogen, bestehend in Janker und Beinkleid aus blauer Leinwand, einer Weste aus geblümtem Seidenstoff und einem rotseidenen Knüpftüchel unter dem weißen, umgelegten Hemdkragen. Die Kriegszeichen auf dem Janker waren mit besseren Bändern versehen, als auf dem gestrigen Gewand.

»Donnerkeil!« rief Schirmer, da er die Gäste 34 herankommen sah. Der Ausruf galt dem schönen Mädchen. Er bot ihm galant die Hand zum Morgengruß und hieß Traudl neben sich Platz nehmen. Dann grüßte er den alten Freund, dem er den Ehrenplatz, d. h. denjenigen, von dem er die schönste Aussicht hatte, einräumte.

Während der üblichen Nachfragen über das »Wie geschlafen?« und »Was geträumt?« schenkte die Hausfrau den Kaffee ein und bot dazu frischgebackene Semmeln an.

»Schmecken lassen!« sagte sie, »die Sach ist da und euch von Herzen vergunnt.«

»Nehmt euch ein Exempel an mir!« sagte Schirmer. »A guater Kaffee halt Leib und Seel z'am. Weißt ja Lechner, wie wohl er uns gethan hat in Frankreich drin.«

»Ja,« meinte der Angeredete, »wenn wir halt oan g'habt ham!«

»O, mir is er selten ausganga. Die Madames und Mademoiselles haben mir stets beim Abschied nebst einem – ich mein, eine Quantität Kaffeepulver mitgeben.«

»Du hast es halt aa verstanden!« entgegnete der Schleifer lachend.

»Hab' ich auch!« erwiderte, sich den Bart streichend und nach aufwärts drehend, der Amtsdiener.

»I glaub', da könnt i schöne G'schichten erfahr'n?« versetzte die Hausfrau. »Aber i glaub, es is besser, i weiß's nöt. Was i nöt weiß, macht mir nöt heiß.«

»Sag mir einer, ich hab' koa' g'scheit's Weiberl!« rief Schirmer. »Jetzt aber 's Programm für den heutigen Tag: Vormittag Besuch der Burg, was mei' Frau mit Jungfer – halt! heut muß man Fräulein sagen, meiner Seel!«

»Bitt' schön, sagen S' kurzweg Traudl!«

35 »Nein, Edeltraud ist mir ansprechender. Also weiter: Nachmittag geht 's in die Quer zum Volksfest, wo ich dienstlich zugegen sein muß, um Gesetz und Ordnung zu handhaben. Du, Toni, bleibst natürli z' Haus, giebst mir auf alles, was da is, wohl acht und laßt dir's wohl sein. I hoff', daß der Muckl bis Mittag aa da is und – da werd's schaugn! Und daß i nöt vergiß! Zwoa Häuser weg von mir wohnt der Regensburger Bot', der Werner, gleichfalls an' Elfer von Anno 70, den b'suachst, der wird a Freud' haben! Jetzt aber muaß i aufs Rathaus, der Herr Bürgermeister erscheint pünktlich, und ich bin die Pünktlichkeit selbst. Also her 's Patscherl, liab's Edeltrauderl, gute Unterhaltung auf der Burg! Du, Lechner, kannst es von da herunt anschaug'n, und sollt' dir a Sehnsucht nach an' Radi kömma, dort steckens drin, g'fälliger Verlaub! Vergiß aber 'n Werner nöt!«

Damit empfahl er sich, legte seinen Dienstrock an, setzte die Dienstmütze auf und verließ in wichtigem Dienstschritt sein Häuschen.

Das vorgeschriebene Programm ward getreulich befolgt. Da Frau Schirmer wegen des Mittagsmahles frühzeitig wieder nach Hause mußte, machte sie sich, einen großen Strohhut auf dem Kopf, in Begleitung Edeltrauds, die zum Schutz vor den Sonnenstrahlen ein mit Spitzen besetztes weißes Tuch über den Kopf geworfen, sofort auf den Weg zur Burg.

Traudel sah in ihrer heutigen Kleidung noch reizender aus, und alle Leute, welche den beiden im Markt begegneten, sahen mit Wohlgefallen nach dem schönen Mädchen, das nicht darauf achtete, da es gar keine Ahnung hatte, daß ihm diese Blicke galten. Die Hauptstraße des 36 schönen, äußerst freundlichen Marktes durchschreitend, kamen sie am Gasthaus »Zur Post« vorüber. Ganz zufällig blickte Edeltraud zu den Fenstern im oberen Stock empor, und bemerkte an einem derselben, den jungen Mann, seine Zigarre rauchend, der sich gestern so hilfreich gegen ihren Vater gezeigt. Sie fand es selbstverständlich, freundlich hinauf zu grüßen, was der Obenstehende natürlich erfreut erwiderte. Frau Schirmer nahm das Mädchen sofort »ins Gebet« und Traudl erzählte, was sich gestern ereignete.

»No', dös war ganz schön von ihm, und es thut auch nichts zur Sach, daß d'n heunt grüßt hast,« sagte Frau Schirmer, »denn der Mensch muaß dankbarli sein für jede Guatthat. Aber i möcht' di doch warna, trau koan Mannsbild, den im Herrnstand scho gar nöt, denn du bist a brav's, sauber's Deandl, aber halt a Glasschleifers Tochter, an' arm's Hascherl, no' ja –«

Und nachdem sie eine Weile geschwiegen, fragte sie geradeweg: »Sag' mir amal aufrichti, hast no' koa' Anfechtung von irgend wem g'habt?«

»I?« fragte Traudl lachend. »Wie kömmet i dazua? Auf unserer Schleif völli einsam im Waldthal!«

»No', überall giebt's Mannsleut, die an' Aug auf a schön's Deandl hab'n. I moan nöt d' Fabrikarbeiter. Es giebt ja andere gnua, Buchhalter, an der Grenz giebt's Aufseher oder Schullehrer, die schöne Lieder machen könna – hast ja gestern so oans g'sunga – wia?«

»Dös Lied vom Mändlfritz moant's?« fragte Traudl und das freundliche Bild des Genannten stand plötzlich vor ihrem geistigen Auge. Den Gedanken, welchen Frau Schirmers Frage hervorgerufen, suchte sie dann sofort durch 37 die Antwort zu unterdrücken: »An so was hab' i no' gar nöt denkt.«

»Denk' aa künfti' nöt d'ran! Denk, der Satanas steckt in an' jeden Mannsbild, der umherschleicht und zu verschlingen droht.«

»No', Ausnahmen wird's wohl geben?« meinte das Mädchen, schalkhaft lächelnd. »Zum Beispiel Enka Mann, der Herr Schirmer, und Enka Sohn, der Herr Muckl –«

»Ja, dene hab i 'n Teufel rechtzeiti austrieben!« Und möglichst hochdeutsch sprechend, fuhr sie fort: »Ueberhaupt's ist das die Kunst einer Frau. Du wirst schon g'hört haben, wie man Rosenwildlinge veredeln kann, so veredelt das Weib auch den Mann, daß er sich nur nach ihrem Willen nach und nach entwickelt. Du verstehst das noch nöt. Aber hüte dich! Der Versucher schreitet umher, wie ein brüllender Löwe. Aber jetzt muß i's Reden aufhörn, der Schloßberg macht schnaufen.«

Der Bergkegel, auf welchem die Burg Falkenstein thront, ist über und über mit Granitblöcken besät, welche teils von der Natur, teils durch die Kunst mit Tannen und Eschen bestockt und mit grünem Buschwerk überzogen sind. Vielfache Wege und Stege führen durch diesen herrlichen Park zur Burg empor, teils durch enge Felsenklüfte oder weite Felsenthore, über kleine mit Stegen aus Baumzweigen überbrückte, lustig murmelnde Quellenbächlein, an Abgründen vorüberführendem, durch Naturholzgeländer geschütztem Pfad; hie und da eröffnet sich ein lachender Ausblick in das Thal und in die Ortschaft hinunter, überhaupt ein Naturpark, wie er schöner und großartiger nicht gedacht werden kann. Der ganze deutsche Wald mit seinen vorzüglichsten Bäumen und Sträuchern ist hier vertreten, 38 zahllose farbenprächtige Waldbäume zwischen üppigen, samtenen Moospolstern und schwankenden riesigen Farnwedeln eingestreut, erfreuen das Auge.

»No', was sagst da?« fragte Frau Schirmer ihre Begleiterin.

»I moan, i bin wieder dahoam in unsere Berg,« erwiderte Traudl, und ihre Augen füllten sich mit Thränen.

»Ja, was d' sagst! So schön kann 's ja dengerst bei enk im Wald nirgends sein?«

»O ja,« erwiderte die Gefragte lebhaft.

»Am Osser, am Arber und am Hohenbogen, da is 's grad so; freili nöt so bequem herg'richt't, aber halt viel größer, weiter, mächtiger, i kann mi nöt ausdrucken. Ja, ja, recht schön is 's da heroben scho', aber bei uns dahoam is's halt aa viel schö'. I freu mi scho' wieder auf hoamzu.«

Frau Schirmer war nicht sonderlich ergötzt, daß das Mädchen den »hinteren Wald,« den sie stets nur als ein Sibirien bezeichnet hörte, einen Ort, »wo Hund und Katzen einander gute Nacht sagen«, schöner fand, als diesen wunderbaren Park. Indessen kamen sie am Thorbogen an, durch welchen man in den Burghof gelangt, welcher teils von dem Hauptstock des Schlosses, teils von schon verfallenen Arkaden umgeben ist. Daran stößt die ältere Schloßkapelle, zu welcher von diesem Bogen aus eine eigene steinerne Treppe emporführt. Der höchstgelegene Felsblock trägt den im Geviert erbauten und mit Zinnen geschmückten Wartturm, von dessen Höhe man eine prächtige Aussicht genießt.

Frau Schirmer erzählte dem Mädchen von den tiefen Verließen, welche der Turm im Innern birgt. In einem noch erhaltenen Gewölbe desselben zeigt man viele 39 Porträts ehemaliger Besitzer, darunter auch jenes des Ritters mit dem Pokal, dessen Trinkspruch gestern abend Schirmer angeführt.Burg Falkenstein war ursprünglich eine Pertinenz der Grafschaft Bogen, kam später an die Landgrafen von Leuchtenberg und dann an die Herzoge von Oberbayern. Im Jahr 1641 von den Schweden zerstört, gelangte die Burg später an die Grafen von Türring-Jettenbach und 1829 durch Kauf an den Fürsten von Thurn und Taxis, welchem man die sorgfältige Erhaltung der Burgruine und der herrlichen Anlagen des Parkes verdankt.

Am meisten interessierte Edeltraud die sogenannte »Weiberwehr«, ein befestigter Platz beim Einlaßthor. Hier hatten die Frauen des Marktes Falkenstein im Hussitenkriege den stürmenden Feind abgewehrt, welcher darauf in der Nähe von Cham von den Bürgern genannter Stadt und dem gesamten Landvolk der Umgegend aufs Haupt geschlagen wurde.

Auf diese Merkwürdigkeit, die »Weiberwehr«, legte Frau Schirmer ganz besonderes Gewicht, indem sie, belehrend daran anknüpfend, mit Nachdruck sagte:

»Da hat man ein Beispiel, was wir Weiber alles vermögen. Die Falkensteiner Weiber ham d' Hussiten vertrieben, die 's ganz' Deutschland in Schrecken g'setzt und große Heerhaufen überwunden haben.«

Während dieser und anderer Gespräche hatten sie das »Schanzl« erstiegen, einen isoliert dastehenden Felsenkegel, mit dem Burgplatz durch eine Brücke verbunden, ungefähr 40 Meter hoch, mit herrlicher Aussicht in die blumige, von den Silberwellen des Perlenbaches durchschlängelte Thalmulde und auf die mit blauem Luftschleier umsäumten Höhenzüge des bayerischen Waldes.

40 Ein Ausruf des Entzückens entfuhr da dem Mädchen, aber es schwieg sofort wieder, denn der junge Mann von gestern lag hier auf den Fels hingestreckt und machte Zeichnungen in sein Skizzenbuch. Als er die beiden Frauen 41 bemerkte, erhob er sich und grüßte, sich an Traudl mit den Worten wendend:

»Ah – wir kennen uns schon, nicht wahr? Wie geht's heute Ihrem Vater? Hat er sich erholt?«

»I dank der Nachfrag,« entgegnete Traudl, »es geht ihm scho' besser – wir san ja so guat unterbracht, da bei Frau Schirmer.«

»Habe die Ehre!« sagte der Künstler auf diese Vorstellung hin grüßend zu der Frau.

»Die Ehr ist ganz meinerseits,« entgegnete diese verbindlich.

»Ich habe recht bedauert, daß Ihr Vater gestern meinen Wagen nicht benützte,« wandte sich nun jener wieder an Traudl. »Aber Sie möchten vielleicht wissen, wer ich bin? Ich heiße Otto Bergwald und bin Kunstmaler aus Nürnberg.«

»Kunstmaler?« versetzte Traudl. »Wie muß dös schön sein, wenn ma' dös, was ein' g'fallt, im Bild festhalten kann.«

»Ja, gewiß ist das schön, sowohl bei der Landschaft, wie bei Personen, für die man Interesse hat.«

»Da haben's g'wiß unser schön's Falkenstein zeichnet?« fragte Frau Schirmer. »Kann man's nöt sehn?«

»Warum nicht? Es ist aber nur eine angefangene Skizze.«

»Ja, ja, noch nöt ausg'führt,« that Frau Schirmer verständnisvoll. »Dös thuat nix. Lassen's mir's nur sehn. – Ah – schön – schön! Muaß sagen: Schön! Sprechend ähnlich!«

»Was sagen Sie?« fragte der Künstler Traudl.

»I kenn' ja nix und erlaubet mir gar nöt, zu urteilen,« lautete ihre Antwort.

»Ach so, Sie kennen ja die Gegend noch gar nicht. Aber ich will Ihnen eine Skizze zeigen, über die können Sie vielleicht Ihr Urteil abgeben?«

Er schlug einige Blätter in seinem Buch zurück und hielt dieses dem Mädchen hin. Es war eine mit Wasserfarben ausgeführte, flüchtige Skizze, welche einen erschöpft am Boden liegenden, alten Mann zeigte.

»Jeß, mei' Vaterl!« rief Traudl. »Ja, wie is dös nur mögli, so natürli! Und sogar die zwoa Kriegszeichen! Dös is ja wundervoll!«

»So sah ich ihn gestern zum erstenmal, als er Rast hielt,« sagte der Künstler erklärend zu Frau Schirmer, und dann zu Traudl: »Nun, da es Ihnen gefällt, zeige ich Ihnen noch eine weitere Skizze.«

Er blätterte abermals im Buch und das Erstaunen Traudls ward aufs neue hervorgerufen. Sie sah ihr eigenes Bild, so wie sie gestern gekleidet war, mit dem gelblichen Kopftuch und dem rötlichen Perskleid nebst der blauen Schürze.

»Herrjegerle!« rief sie, die Hände zusammenschlagend, »dös bin ja i! Dös bin i wahrhafti!«

»Also hab' ich Sie getroffen?« fragte der Maler, sichtlich erfreut über diese Wirkung seiner Skizze.

Statt des Mädchens antwortete Frau Schirmer, welche neugierig in das Buch geblickt hatte:

»Ja, dös is d' Edeltraud, wie's leibt und lebt! Hexen Sie die Leut nur so in Ihra Büchl hinein? Da is ma ja koan Augenblick sicher, wo ma nöt aa verewigt wird.«

Bei diesen Worten richtete sie sich den Hut etwas 43 zurecht, als erwartete sie, daß sie von dem Künstler sofort »verewigt« würde. Dieser jedoch schien sie nicht zu verstehen. Sein Auge war auf Traudl gerichtet, es war wieder derselbe durchdringende Blick wie gestern, der das Mädchen gleichsam gefangen nahm, ohne es jedoch aus der Fassung zu bringen. So fing es auch sofort wieder zu plaudern an.

»Warum haben's grad mi in dös Buach 'nei'g'malt, an' arm's Schleiferdeandl? Und no' dazua im Wertag'wand.«

»Weil Sie mich gerade so interessiert haben. Edeltraud – das ist doch Ihr Name? – wenn Sie in vornehmen Kleidern gesteckt wären, hätte ich Sie vielleicht weniger beachtet; das sieht man ja überall. Ich mache aber meine Studien mit Vorliebe im Volk, wo die Natur noch unverfälscht, wo noch Poesie zu finden ist.«

»Ja, wir in Falkenstein sind noch poetisch, das muß wahr sein!« stimmte Frau Schirmer im schönsten Hochdeutsch bei.

Der Künstler lächelte.

Edeltraud aber meinte:

»Da sollten's zu uns in 'n Wald kömma, da seheten's d' Natur unverfälscht, 'n schwarzen See mit der grausigen Seewand, 'n Rachel, rings von Urwald und Felsen eing'faßt, und erst wenn ma' oben steht am Osser oder Arber, wo's d' weit einisiehgst ins Böhmerland, und außa ins Boarn, und bis hin zu die Tiroler Riesenberg – no' freili, so was laßt si nöt malen – da wird oan grad betet z' Muat, aber es bleibt oan in Gedanken, aa ohne daß ma's in an' Büachl mit hoam nimmt.«

44 Der Künstler blickte mit Wohlgefallen auf das für seine Waldheimat so begeisterte Mädchen, dann sagte er:

»Sie haben recht. Der Anblick einer großartigen Landschaft, der unser Inneres ergriffen und begeistert hat, lebt mit uns fort, auch ohne erst durch stümperhaftes Menschenwerk im Gedächtnis erhalten zu werden. Aber, nicht alle Menschen vermögen von einer Landschaft groß begeistert zu werden. Jeder sieht sie mit eigenen Augen und mit eigenem Herzen an; es kommt auf die Seele, auf das Gemüt des Beschauers an; wie diese das Bild wiederspiegeln, so wirkt es auf uns und so bleibt es uns in der Erinnerung.«

»Ja, es kimmt auf d' Stimmung an,« bestätigte Traudl. »I hätt' gestern grad aufjauchzen könna, wie i aus 'n Wald rauskimm und die Gegend da bei Sonnenuntergang sah, während mei' arm's Vaterl an gar nix dabei denkt hat, als wie lang no' der Weg is zur Nachtherberg. Gottlob, wir ham's guat troffen beim Herrn Schirmer. Er is ja a Kriegskamerad von mein' Vater und d' Frau Schirmer hat's uns so guat g'macht, daß wir ihr nöt gnua danken könna.«

»Das ist sehr edel von Ihnen, verehrte Frau,« sagte der Künstler und setzte, seinen Hut lüftend, hinzu: »Mein Kompliment!«

»O bitte; dös is ja gar nöt der Red wert,« entgegnete Frau Schirmer geschmeichelt. »Uebrigens, wollen S' mir a Freud machen, so lassen S' uns no' mehr Bilder in Ihrem Buch seh'n. I bin nämli a große Kunstfreundin, müssen S' wissen.«

Der Künstler war gern hiezu bereit und zeigte die Blätter, welche teils Landschaften, teils Genrebilder 45 enthielten. Dabei machte er Traudl auf die erst jüngst aufgenommenen Skizzen der vorzüglichsten Ruinen des Bayerwaldes aufmerksam, wie Weißenstein bei Regen, Kollenburg, Nußberg, Lichtenegg, Neuenrandsberg, Runding usw., deren Aufnahme der Zweck seiner Waldreise gewesen. Als dann auch die Porträtskizze eines jungen Mannes erschien, rief Traudl plötzlich überrascht:

»Dös is ja mei' Bruada, der Franz! Ja, ja, er is's, mei' Bruada Franz!«

»Was sagen Sie da?« rief der Künstler überrascht. »Das wäre Ihr Bruder? Franz Lechner?«

»Also hab' i's erraten? Ja, der is's!«

»Den muaß i mir genau anschaugn,« sagte Frau Schirmer, »damit i woaß, wie r a Sohn ausschaut, der im Hanfsama sitzt und seine alten Eltern in Not und Elend laßt.«

»Aber Frau Schirmer!« rief Traudl verweisend.

»Ist das hier bei Lechner der Fall?« fragte der Maler.

»No', was denn!« entgegnete die Frau rückhaltslos. »Müassen die arma Leut da, die 'n letzten Pfenning für seine Büldung g'opfert haben, jetzt ins Hopfenbrocken zieh'n z'wegen 'n kloan Verdeanst. So was wenn i von mein' Muckl erleben müßt! Mir kehret si 's Herz im Leib um, wenn i dran denk!«

»Aber, Frau Schirmer, es is doch koa' Schand, wenn ma arbeit,« beschwichtigte Traudl verlegen. »Feiern, wenn d' Not im Haus is, dös wär a Liaderlichkeit.« Und sich dann an den jungen Mann wendend, fragte sie: »Sie kenna also mein' Bruada, Herr? Wie geht's eam denn? Mei', i hab'n so viel gern g'habt, und gar nix mehr laßt er von eam hör'n!«

46 Otto Bergwald war von dem Gehörten aufs höchste überrascht. Ohne die anklagenden Aeußerungen Frau Schirmers hätte er sofort enthüllt, in welchem Verhältnis er zu dem Original seines Bildes stand, jetzt aber fand er es für besser, nur zu sagen:

»Franz Lechner ist ein guter Bekannter von mir und so viel ich weiß, befindet er sich wohl.«

»Dös freut mi!« erwiderte Traudl. »I möcht 'n so gern wieder amal sehgn!«

»Warum kommen Sie nicht nach Nürnberg?« meinte Bergwald. »Er müßte sich ja auch freuen, seinen Vater und seine Schwester wiederzusehen.«

»Na', na',« versetzte Traudl rasch, »er müaßt si ja schaama wegen uns arme Leut – obwohls koan bravern und ehrlichern Mann auf der Welt giebt, wie mein Vater. Aber der Franz kann halt aa nöt, wie er will. Sei' Frau hat halt 's Geld g'habt und da muaß er si halt fügen. Es is aa besser, er kimmt mit'n Vater nöt zam; sie könnten sich nöd guat reden mitanand.«

»Kennen Sie seine Frau?« fragte der Maler, dessen Gesicht eine förmliche Schamröte übergossen hatte. Es schien, als schäme er sich für seinen »guten Bekannten«.

»Sei' Frau?« fragte Traudl. »Wie sollt i die kenna? Nöt amal a Bildl hat er uns g'schickt von ihr.«

»Auch nicht von seinem kleinen Buben?«

»Was? An' Buam hat er? Da is er wohl recht glückli? Wie mi dös freut!«

»Da sehen Sie! Ich habe Mutter und Kind hier skizziert. Das Kind hat wahrhaftig Ihre Züge. Jetzt begreife ich, was mir beim ersten Blick an Ihnen so 47 auffiel. Es waren diese Augen, diese Züge; da sehen Sie nur!«

Traudl hatte die Hände gefaltet und konnte sich an dem Bilde des Kindes nicht satt sehen. Ihre Augen schwammen in Thränen. Ihre Rührung wurde wohl in etwas gemildert, als sie das Bild der Mutter betrachtete. Das waren keine einnehmenden Züge; es sprach aus diesem Gesicht eine gewisse Kälte, eine unverkennbare Herzlosigkeit. So wenigstens schien es Traudl.

»Hat's ihra Kinderl gern?« fragte sie.

Der Künstler bejahte.

»No', dann will i's aa gern haben,« sagte Traudl.

Auch Frau Schirmer musterte die Skizze, und das Ergebnis waren die Worte: »'s Büabl g'fallt ma schon.« Dann aber mahnte sie ihren Gast daran, daß es Zeit sei, nach Hause zu gehen, damit das Mittagessen zeitig fertig werde, und sie nicht zu spät in die Quer kämen.

»St. Quirin? Das ist auch mein Nachmittagsziel,« sagte der Künstler. »Da sehen wir uns also wieder. Ich möchte dort Studien machen.«

»Studien?« fragte Frau Schirmer. »Sie suchen wohl interessante Köpfe? Da schau'n S' nur, daß S' mein Schirmer erwischen, den alten Veteran, der –«

»Sie meinen den Amtsdiener? Den hab' ich mir schon gestern geholt,« sagte der Künstler, lachend der Frau das wohlgetroffene Porträt ihres Mannes zeigend.

»Maria und Josef! Hat 'n schon!« rief die Frau. »Ham S' mi etwa aa scho' beim Bandl?«

»Noch nicht, verehrte Frau! Aber sicher sind Sie nicht vor mir.«

»Geh'n ma!« drängte Frau Schirmer ihre Begleiterin.

»In dem Huat will i nöt g'macht sei'; der ander, den i zum Kirta aufsetz, steht mir besser. Und also, auf Wiedersehen in der Quer!«

»Ich werde Sie also wiedersehen,« sagte der Künstler zu Traudl. »Macht es Ihnen Freude, so mache ich Ihnen das Bildchen Ihres Neffen zum Geschenk.« Damit löste er das Blatt aus dem Buch und gab es Traudl.

»Vergelt's Gott tausendmal! Dös g'freut mi scho' recht,« versicherte Traudl. »Dann müassen S' mir aa no' erzähl'n von mein' Bruadern, 'n Franz? Gel?«

»So viel Sie wollen!« versprach Bergwald. »Auf Wiedersehen!«

Traudl trat mit Frau Schirmer den Abstieg an. Als sie noch einmal zurückblickte, bemerkte sie, wie ihr der Künstler aufmerksam nachsah. Gruß und Gegengruß erfolgten nochmals.

Wie war doch alles so sonderbar!

Schweigend folgte Traudl ihrer Begleiterin. Sie schreckte förmlich zusammen, als diese plötzlich zu ihr sagte:

»Hast nöt vergessen, was i im Raufweg zu dir g'sagt hab'? I moan, vom Satanas, der in jedem Mannsbild steckt –«

»Aber halt Ausnahmen giebt's aa,« unterbrach sie Traudl, in ihre natürliche Heiterkeit zurückverfallend.

»Und a solche moanst, is der Maler dort, vor dem koa' Mensch sicher is, daß er 'n in sei' Büachl 'nei' verhext?«

»Dös moan i und möcht's als g'wiß behaupten.«

»So? Warum denn?«

»Ham S' seine Augen g'seh'n, wie s' so guat und 49 freundli g'schaut haben? Und hoaßt's nöt: In den Augen liegt das Herz?«

»Mi hat er ja kaum ang'schaut,« meinte die Frau scherzend. »I bin halt koa' so frisch's Bleamal mehr wie du.«

»I? Mei' Gott, i bin ja gar nix als an' arm's Schleiferdeandl.«

»Reich bist, wenn's d' brav bleibst und dei' unschuldis Herz b'haltst,« entgegnete Frau Schirmer.

»Mei' Herz?« fragte das Mädchen.

Dann schwiegen beide. Fremde, welche zur Burg aufstiegen, schritten an ihnen vorüber. Frau Schirmer betrachtete jeden mit Neugierde, grüßte auch jeden Unbekannten und empfing Gegengrüße.

Traudl merkte nicht auf das alles. Ihre Gedanken waren bei den Bildern des jungen Malers, bei diesem selbst. Seine Augen schwebten ihr vor im Geist, aus ihnen blickte sicherlich kein – Satanas. 50


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