Maximilian Schmidt
Die Hopfenbrockerin
Maximilian Schmidt

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VI.

Die HallertauAls Quelle wurde Dr. T. B. Prechtls vortreffliches Werk: »Geschichte der Märkte Au, Wolnzach, Mainburg und Nandlstadt« benützt., im Volksmund Holledau genannt, ist ein etwa drei Quadratmeilen umfassendes, altbayerisches Ländchen zwischen Amper, Ilm, Donau und Abens gelegen, ein aus Waldhügeln, Wasserscheiden, zahllosen kleinen Quellengebieten bestehendes und teilweise von großen Forsten umrahmtes Terrain. Hart an dem Thor der Hallertau liegen die Städte Moosburg, Abensberg, Neustadt a. D. und Pfaffenhofen. Schon in uralten Zeiten war die Hallertau sehr bevölkert und mit vielen Ortschaften, Herrenhäusern und Schlössern versehen, obgleich der Boden, aus losem Sand und Lehm gemischt, nicht zu dem dankbarsten gehört. Dieses zwischen großen, belebten Heerstraßen gelegene Gebiet war früher gleichsam eine Insel, an welcher die Welt vorbeizog. Nur eine einzige größere Straße führte mitten durch die Hallertau von Freising nach Abensberg, welche mit Recht eine Straße der Armut genannt wurde. Viele Tausende fahrenden Volkes, Handwerksburschen, Komödianten, Gaukler, Zigeuner, Hausierer, Vagabunden u. a., ziehen alljährlich dieses Weges. Kein Wunder, daß unter ihnen viele waren, welche die Begriffe von Mein und Dein nicht streng nahmen und namentlich sollen die Roßdiebstähle während und nach dem 89 dreißigjährigen Krieg derart überhand genommen haben, daß die kurfürstliche Regierung von Landshut in einem Erlaß die strengste Bestrafung der Roßdiebe androhte und befahl, daß an den vier Grenzen der Hallertau, nämlich an den Pfleggerichtsgrenzen Freising, Moosburg, Abensberg und Pfaffenhofen vier Galgen als warnendes Zeichen für die Diebe errichtet wurden. Seit jener Zeit gilt der Spruch:

Die vier Galgen zu Freising, Moosburg, Abensberg und Pfaffenhofen hüten die Grenzen der Holledau.

Infolgedessen spricht man von den »Roßdieben in der Holledau«, obgleich nur »Landfahrer und umvagierte Leith« dieses Verbrechens bezichtigt wurden, so daß die Holledauer nicht sowohl die Diebe als die Bestohlenen waren. Daß ein solch abgeschlossenes Ländchen oft vortreffliche Schlupfwinkel für die Spitzbuben bildete, ist erklärlich, und mußte es sich deshalb auch den Namen »Schelmenländl« gefallen lassen. Die Holledauer ließen sich aber den Spott der Nachbarn nicht nur gefallen, sondern machten sich in ihrem angeborenen Humor und ihrer Schalkhaftigkeit selbst über die ihnen angedichteten Dinge lustig. Das Volk lacht, scherzt und spottet gutmütig über sich selbst, womit es aber nicht verzichtet, unberufene Spötter sich gehörig zu »leihen« zu nehmen. Die Holledauer sind ein kräftiger, altbayerischer Menschenschlag. Im Vergleich zu den andern altbayerischen Gegenden ist ihre Nahrung eine ganz vortreffliche. Das Geselchte von selbstgezüchteten Schweinen bildet eine Nationalspeise; dazu trinkt der Hallertauer auch an Wochentagen sein Bier, ja dieses bildet sozusagen mit die Hauptnahrung, und beim Hallertauer Bier wird gewiß der Hopfen nicht gespart.

90 Das weitere beliebte Stichwort, daß die »Holledauer da anfangen, wo die gescheiten Leute aufhören,« haben die Holledauer gründlich zu Schanden gemacht, denn sie waren im Gegenteil sehr gescheit, daß sie den Hopfenbau in ihren Gebieten einführten, für welchen die Bodenmischung ihres Landes, die sanften Anhöhen, die Flußthäler mit sonniger, südlicher Lage sich ganz besonders eignen.

Obwohl schon vor tausend Jahren hier wie überall in Oberbayern teilweise eingeführt, ist der Hopfen doch erst seit den Dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts hier die Hauptquelle des Wohlstandes geworden. Statt ausschließlich meist kümmerliches Getreide, baut jetzt der Holledauer seinen Hopfen, eine Handelspflanze, welche fast jede Familie, selbst die kleinsten Leute in den Strom eines ganz neu gesteigerten Arbeitslebens gezogen hat. Vorzugsweise wird dieses Gewächs in Wolnzach und Umgebung, in Mainburg, Au, Pfaffenhofen und anderen Orten gepflanzt, um daraus den weltbekannten Nektar zu bereiten.

Jeder, selbst der Taglöhner hat sein Hopfengärtchen und löst aus demselben ein Stück bares Geld. Mitten im Wald stößt man auf einen geschützten, gegen Süden geneigten Fleck, der mit Hopfen bedeckt ist, man sieht Kirchhöfe ganz in Hopfen versteckt und aus den steilsten Schluchten der zerrissenen Sandhügel, wo sonst kaum eine Ziege weidete, ragt ein Wald von Hopfenstangen. Die an Stangen oder an Drähten sich aufschlingenden, üppigen, mit unzähligen Trollen bewachsenen grünen Ranken gemahnen an Weinberge und stechen anmutig ab gegen die dunklen Nadelwaldungen und das leuchtende Grün der Wiesen.

91 Da herrscht schon vom ersten Frühjahr an ein wimmelndes Leben in den Hopfengärten, der Boden wird gehäufelt, gedüngt, gesäubert und die Hopfenfexer werden beschnitten, alsdann werden die Reben aufgebunden und es wird den ganzen Sommer über dem Gewächs die größte Aufmerksamkeit und Sorgfalt zugewendet. Hängt doch die ganze Jahreseinnahme von dem mehr oder minder guten Gedeihen der Trollen ab und der Holledauer Hopfen ist zur Zeit einer der gesuchtesten in Bayern. Selbst Engländer haben an mehreren Plätzen, wie in Marzell, im Empfenbachthal und am Haunerhof, zunächst Wolnzach, große Grundstücke erworben, um hier in großartigem Maßstab die Hopfenkultur zu betreiben.

Ist dann der Herbst erschienen, so öffnet die vordem so abgeschlossene Holledau ihre Thore. Trotz der Lokalbahn, welche jetzt durch das Wolnzach und Abensthal führt, kommen immer noch wenige Holledauer in die Welt, aber die Welt kommt zu ihnen in die Holledau, zunächst in Gestalt von Hopfenhändlern und des aus aller Welt herbeiströmenden Volkes der Hopfenbrocker. Da kommen ganze Familien aus der Oberpfalz, dem bayerischen Wald, aus Böhmen, Mähren, sogar auch Norddeutsche und bringen ein lustiges Leben in das Ländchen. Frohe Gesänge hallen durch die Thäler, denn die Arbeit ist keine mühselige; alte Leute und Kinder sind dabei verwendbar, und darum betrachten arme, aber mit Kindern reich gesegnete Familien diese Arbeit in den grünen, würzig duftenden Hopfengärten und der gesunden, frischen Luft gleichsam als eine Art Sommerfrische, als Erholung in ihrem sonstigen schweren Leben.

Schlechtweg betrachtet man diese Hopfenbrocker nur als 92 Gesindel, was aber durchaus nicht zutreffend ist. Zweifellos befinden sich unter den an fünftausend aus aller Herren Länder Zugereisten viele fragwürdige Persönlichkeiten, aber die meisten sind doch nur arme Leute, arbeitsam und Verdienst suchend, die man oft kurzweg mit »Gesindel« zu bezeichnen pflegt und damit ehrliche, brave Leute beschimpft. Manche Hopfenbrocker kommen aus bestimmten Ortschaften schon seit vielen Jahren und sorgen in deren Heimat die Leute selbst dafür, daß nur gut Beleumundete sich ihnen anschließen. Dieses Verhältnis war auch bei der Karawane der Fall, welcher sich der alte Schleifer-Toni und seine Tochter angeschlossen. Letztere hatten infolge ihrer Eisenbahnfahrt einen Vorsprung vor ihren Landsleuten erhalten und kamen einen Tag vor diesen in dem lieblichen, am Wolnzachflüßchen in einem weiten, grünen Thal gelegenen Markt an.

Der schöne Ort zählt bei 2200 Einwohner, die in den Lokalgewerben, hauptsächlich aber in der sehr stark betriebenen Hopfenkultur, welche bis in die Straßen des Marktes sich erstreckt, sehr anständige Nahrungsquellen finden.

Lechner und seine Tochter fragten sofort nach dem Brauereibesitzer, für dessen Hopfengärten sie in Arbeit genommen waren und an den sie durch den Lehrer ihres Ortes, den Mändlfritz, empfohlen waren. Sie waren nicht wenig überrascht, als sie, in dem schönen Haus ihres Arbeitgebers angekommen, ihren Namen genannt, dort von der Familie sehr freundlich empfangen und ihnen ein hübsches Gemach zur Wohnung angewiesen wurde, mit dem Bemerken, daß sie Frühstück und Abendmahlzeit hier auf ihrer Stube, das Mittagessen aber im Hopfengarten 93 mit den andern erhalten würden. Für heute – es war gerade Mittagszeit – sollten sie im Gastlokal ihr Mahl einnehmen.

Der alte Lechner, den diese Zuvorkommenheit etwas befremdete, meinte zwar, sie verlangten nichts Besseres als ihre Kameraden, aber der Brauer meinte mit einem Blick auf die Kriegsdenkmünze, man müsse bei einem Veteranen, der die siegreichen Schlachten mitgekämpft, eine Ausnahme machen, und er, der selbst längere Zeit gedient, wisse solche Leute zu schätzen. Edeltraud aber empfand dankbar das Entgegenkommen, das sie bei der Frau und der mit ihr etwa im gleichen Alter stehenden Tochter des Hauses, »Lorli«, gefunden, die sie mehr als »Hoa'gast«, denn als Hopfenbrockerin zu betrachten schienen. Nachdem Lechner und seine Tochter ein recht bürgerliches Mittagessen eingenommen, wollten sie sofort an die Arbeit gehen und erbaten sich deshalb die nötige Anweisung. Aber man bedeutete ihnen, daß der heutige Tag zum Ausruhen von der Reise bestimmt sei, und da abends auch die übrigen Landsleute eintreffen müßten, erst morgen die Arbeit beginnen würde.

Dem Schleifer-Toni kam das freilich sehr erwünscht. Die Nachtfahrt hatte ihn doch angegriffen, auch hatte er sich von dem Anfall am vorgestrigen Tag noch nicht völlig erholt, besonders aber hatten die Vorkommnisse in Falkenstein sein Gemüt erregt. Hätte er gewußt, daß der fremde Künstler sich wiederholt und noch in Brennberg seiner Tochter genähert, er würde wieder in große Unruhe und Sorge gekommen sein. Dagegen hätte es ihn sicher recht gefreut, wenn ihm der Hopfengutsbesitzer mitgeteilt hätte, daß der »Mändl-Fritz« an ihn einen Brief des Inhalts 94 gerichtet, er möchte den alten Veteranen als solchen respektieren, und ihn und dessen Tochter mehr als Gäste behandeln, wie als Hopfenbrocker, doch ohne, daß diesen von der Mitteilung eine Andeutung gegeben werde. Eine Postanweisung zur Deckung der Kosten war gleichfalls erfolgt, doch ließ der Brauer den Betrag sofort wieder zurückgehen und schrieb im gleichen Sinn, wie er sich dem Veteranen und seiner Tochter gegenüber geäußert.

Während der Vater ruhte, besah sich Traudl vom Fenster aus das Leben und Treiben auf der Straße. Hunderte von Leuten passierten den Markt in den buntesten Gruppen, man hörte alle möglichen Mundarten, worunter die böhmische Sprache stark vertreten war. Teils zogen sie weiter in das Innere der Holledau, Mainburg und Au zu, teils blieben sie in Wolnzach und meldeten sich bei den Hopfenbauern, von welchen sie bestellt oder schon in den Vorjahren beschäftigt waren. Mitunter zeigten sich freilich Figuren, welche auf den ersten Blick eher Strolchen als ehrlichen Arbeitern glichen und das erstere auch in der That waren. Es sind dies arbeitsscheue Leute, welche sich durch die Wanderung in die Holledau dem Auge der Sicherheitsbehörden entziehen wollen, sich einige Tage mit Hopfenzupfen befassen und das dafür erhaltene Geld sofort wieder verjubeln. Sie kommen meist aus der Residenzstadt, wo sie Stadtverweis erhielten, hierher, wohl auch in Gesellschaft ihrer Zuhälterinnen, und diese Leute tragen dann die Schuld, daß man über das Volk der Hopfenbrocker so schlimm aburteilt und von dem »Gesindel in der Holledau« spricht, das aber glücklicherweise nur zur Zeit der Hopfenernte dort ist und nach Beendigung derselben zum Trost der Holledauer wieder von dannen zieht.

95 Gegen Abend trafen endlich, vom weiten Marsch erschöpft, auch Traudls Landsleute aus dem Regenthal ein.

Sie wurden alle in den großen Räumlichkeiten des Brauhauses so gut wie möglich untergebracht und verköstigt und sie ließen sich das ihnen Vorgesetzte trefflich munden.

Am darauffolgenden Morgen ging es dann freudig in die Hopfengärten hinaus. Die Lerchen jubelten im blauen Aether und schienen sich des Getriebes unter ihnen zu freuen, aber auch die Kinder jubelten, neben ihren Eltern herlaufend, denn bei den meisten war es der erste Lohn, den sie für ihre Arbeit empfangen sollten, und schon jetzt griffen sie nach den leeren Geldbeutelchen in der Hoffnung, daß es noch heute in denselben »scheppern« werde.

Bald lagerten sich die Leute gruppenweise oder in Familien unter den üppigen, grünen Hopfenreben, die heuer ganz vorzügliche Trollen hatten und den Besitzern die besten Aussichten auf einen guten Preis erhoffen ließen.

Die Reben werden je nach Bedarf von den Balken, zu welchen sie sich an Schnüren hinaufgeschlungen, herabgerissen, und die Trollen nun emsig von den Leuten in Körbe gezupft. Hat man einen Metzen voll gezupft, so trägt man die Trollen zum Kassier, der in der Mitte des Hopfengartens Platz genommen, schüttet den eingebrachten Hopfen in das Maß und erhält dann die dafür bestimmte Taxe von 20 bis 25 Pfennigen sofort ausbezahlt. So gering diese Taxe auch für die Zupfer sein mag, so stark läuft sie bei dem Hopfenbauer ins Gewicht, da auf einen Zentner präparierten Hopfen etwa zehn Mark Zupferlohn trifft. Ein sehr guter Zupfer bringt es auf zwei 96 Mark per Tag und auch etwas mehr, Familien mit Kindern auf etwa vier Mark.

Sobald es in den Taschen der armen Leute zu »scheppern« beginnt, mit anderen Worten, sobald sie einen handgreiflichen Erfolg ihrer Arbeit verspüren, erheitert sich unwillkürlich ihre Stimmung, sie werden gesprächig, fangen zu erzählen und alsbald auch zu singen an und geben gern ihre Volkslieder zum Besten, deren Melodien man weithin vernimmt.

Die Wäldler gehen da allen andern voran und ist es namentlich das allbekannte Lied vom Böhmerwald, welches durch die grünen Rebengelände hallt und in welches dann nicht nur die Wäldler, sondern auch alle anderen Arbeiter freudig einstimmen:

Es war im Böhmerwald,
Wo meine Wiege stand,
Im schönen grünen Wald. 97


 << zurück weiter >>