Maximilian Schmidt
Die Hopfenbrockerin
Maximilian Schmidt

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X.

Muckerl war schon nach etlichen Tagen wieder körperlich gesund und dienstfähig, aber seelisch befand er sich in einem Zustand, wie man einen solchen bis jetzt noch nie an ihm gewohnt war. Er mußte ohne Unterlaß an das schöne Waldblüml, die Edeltraud, denken. Sie hatte es ihm angethan, schon in den ersten Stunden des Beisammenseins mit ihr. Daß er seiner so wenig Herr war und das Mädchen am Tanzboden mit seiner Zärtlichkeit belästigte, das sah er jetzt wohl halbwegs ein, aber das Vergehen dünkte ihm nicht so schlimm. Ohne das unberufene Dazwischentreten des Künstlers hätte sich die Sache sicherlich, so meinte er, in Wohlgefallen aufgelöst. Gegen diesen Künstler hatte er deshalb eine solche Wut empfunden, umsomehr, als er annehmen zu müssen glaubte, daß dieser sich nur ein loses Spiel, wie es die Stadtherren so gerne thun, mit dem unschuldigen Kind erlauben wollte. Dieses war hauptsächlich das Motiv seines aufbrausenden Wesens gegen den Fremden, dazu kam noch die Eifersucht, zu welcher ihm das vertrauliche Benehmen Traudls Bergwald gegenüber Veranlassung gab. So sehr ihm der Gedanke an den unberufenen Beschützer in Zorn brachte, so angenehm war ihm die Erinnerung an das schöne Mädchen, das einen so tiefen Eindruck auf ihn gemacht.

Seine Mutter hatte ihm auch gelegentlich von Traudls 134 Bruder in Nürnberg erzählt, und da stellte es sich heraus, daß Muckl mit demselben gleichzeitig die Realschule in Regensburg besuchte und sogar einige Zeit mit ihm befreundet war, und er erinnerte sich, daß Lechners Sparsamkeit schon damals beinahe an Geiz grenzte. Er war daher nicht sehr verwundert über das, was er erfuhr und schimpfte weidlich auf »den neidischen Gesellen«, dem er gelegentlich seine Meinung sagen werde. Umsomehr, meinte er, brauche Traudl einen Freund und Beschützer und er schloß mit den Worten:

»Sobald i a Forstwartei krieg, wird 's Deandl g'heirat.«

»Natürli, sunst nixen?« entgegnete lachend Frau Schirmer.

»Warum nöt?« fragte Muckl.

»Für di paßt nur a Frau mit an' Huat,« meinte die Mutter.

»Den kauf i ihr schon,« entgegnete Muckl.

»A Deandl, dös nix hat, wie 's geht und steht?«

»Brav is's und schön is's –«

»Aber halt koan Kreuzer hat's.«

»No', Muatterl, du stammst aa von koan Millionär ab und bist doch a richtige Frau wor'n.«

»Aber a Fabrikdeandl war i nöt und aa koa' Hopfenzupferin in der Holledau.«

»Wie so?« fragte Muckl. »A Hopfenzupferin? I hab' gmoant, der Lechner macht mit seiner Tochter a Lustroas' in d' Holledau?«

»Ja no', die mehrern von die Hopfenbrocker halten's aa für a Lustroas',« erwiderte die Frau.

135 »A Hopfenbrockerin?« sagte Muckl nachdenklich. Es folgte eine lange Pause.

»Wo brocken's denn?« fragte er dann.

»No', halt in der Holledau. Um 's nähere hab' i's nöt g'fragt.«

»No', d' Holledau wird so groß nöt sei', da wird ma's leicht erfragen könna!«

»Möchtst eahna nöt nachreisen, die Hopfebrockerleut?« fragte die Mutter spöttisch.

»Warum denn nöt? 's giebt dennast unter die Hopfenbrocker aa viel ordentliche und brave Leut'. Und is's denn nöt beim Vater, an' Veteran?«

»'s Deandl is brav, da sag i nöt na',« versetzte Frau Schirmer, »und d' Arbet, is's was da will für oane, bringt ihr koa' Schand, aber – laß g'scheit mit dir reden – wenn ma' amal sagen könnt, dei' Frau, die Frau Forstwartin Schirmer is a Hopfenbrockerin gwen, so hätt' dös grad scho' seine Mucken, abg'sehn von allem andern.«

»Wie hast dir denn nacha du mei' Frau vorg'stellt?«

»A Bürgerstochter, hätt' i gmoant, von dahier, oder a Tochter von an' Vorg'setzten von dir, der dir amal weiter hilft. Woaßt, der Mensch muaß alleweil höher streben. Moanst, es fuxt mi nöt oft, daß dei' Vater alleweil katzenbuckeln muaß vor jedem Bürgersmann, er, der Eisernkreuzritter? Er, bei sein' Geist! Aber er hat halt neamd g'habt, der 'n protischiert hat und ohne 's Protischiern geht 's heuntigen Tags nöt vorwärts.«

»Aber i verlang' mir ja nöt höher auffi als bis zur a schön' Forstwartei, schö' g'leg'n im Wald, und dazua a Weiberl, dös i gern hab' und nöt heirat, daß i 136 avanschier. Und so a Deandl is d' Edeltraud. Sollt mir's oana schiach anschaug'n, dem zoaget i's!«

»Natürli! Alleweil raufen, daß d' vom G'richt gar nimmer wegkimmst. Wirst scho' sehgn, was dir dösmal passiert.«

»Dösmal passiert mir nix, sollt's aber sein, so will i's gern leiden fürs Deandl, dös i halt gern hab'n muaß, dös i nimmer aus'n Kopf außi bring'.«

»Was moanst denn, daß der Vater zu so was saget?«

»Der Vater? Dem g'fallt's selber, der saget höchstens: ganz wie i, ganz wie i!«

Frau Schirmer schien von dieser Behauptung nicht sehr erbaut.

»Dös is nur so rapidi capiti,« meinte sie. »In ara kurzen Zeit woaßt nix mehr davon.«

»Dös wirst scho' sehg'n!«

»Ja, dös werd' i sehg'n,« sagte die Mutter in einem Ton, der anzeigte, wie sehr sie überzeugt sei, daß die Sache im Sand verrinne. Als dann Schirmer herzukam und seine Frau ihm von der plötzlich erwachten Leidenschaft des Sohnes erzählte, lachte er laut auf und sagte:

»Ganz wie i! Ganz wie i! Strohfeuer!«

Muckl aber meinte nur kurzweg: »Oes werd's es scho' hör'n.«

Die Eltern hörten es auch bald durch einen Brief ihres Sohnes, in welchem er ihnen mitteilte, er habe zu seiner Erholung einen achttägigen Urlaub erhalten, und diesen benütze er zu einer Reise in die Holledau. Er kenne den Spruch: Wolnzach, Nandelstadt und Au sind die drei größten Städte in der Holledau, und an diesen Plätzen werde er Edeltraud schon auffinden usw.

137 »Jetzt macht der Lalli wirkli die Dummheit und roast der Hopfenbrockerin nach!« rief Frau Schirmer.

»Laß 'n roasen,« entgegnete der Vater; »'s is erst a Frag', ob er's find't. Dös müaßt völli a Glückssach sei'. Der stellt si d' Holledau vür, wie unser Falkenstoanerthal, moant leicht, wenn er schreit: Edeltraud, wo bist? so lauft's glei daher und sagt: Da bin i, Muckerl! Der Patschi! Glaub' mir, dem vergeht's Schreien und 's Suachen wird eam aa bald z'wider wer'n, denn d' Holledau is ja größer, wie unser ganz's Amtsgericht; da suach, wenn 's d' nöt woaßt, wo aus und wo an.«

»Liaba Gott,« erwiderte Frau Schirmer, »wenn's nur seiner G'sundheit nöt schad't, so rumz'suachen aufs g'ratwohl in der Leidenschaft.«

»Dös is ja g'rad g'sund,« sagte Schirmer, »dös kühlt d' Leidenschaft wieder ab. Wenn ma' ebbas gar so lang suachen muaß und nöt find't, giebt ma's auf. Dös war aa mei' Fall.«

»So? Also hätt'st mi nöt lang g'suacht?«

»Di? Ja, ja, grad' scho', i glaub' scho', aber bei dir hab' i 's Suachen nöt nöti g'habt, di hab' i a so glei g'funden – immerhin,« sprach er hochdeutsch, »aber war es ein vierblätteriges Kleeblatt, sozusagen ein Glücksfund, als ich dich erblickt haben thu.«

Diese poetische Wendung schien Frau Schirmer wohlgefällig aufzunehmen, denn sie erwiderte heiter:

»Der Mensch kann halt sein' Schicksal nöt entgeh'n!«

»Dös is aa mei' Glauben, und also lassen wir 'n Muckerl sein'n Schicksal über und wart ma's ab. Wir wer'n ja sehg'n, wie's eam geht in der Holledau.« –

Dem sein Glück in der Holledau suchenden Forstmann 138 war es aber bis jetzt sehr wechselvoll ergangen. Sein Ziel war vorerst Au, wo sein ehemaliger Kollege, der, früher in fürstlich Taxisschen Diensten, nunmehr im Schlosse zu Au als Jäger angestellt war. Von ihm hoffte er thatkräftige Unterstützung seiner Angelegenheit. Deshalb verließ er in Abensberg, dem Geburtsort des berühmten Geschichtsschreibers Aventinus, die Bahn, welche er von Regensburg aus benutzt hatte, und schritt wohlgemut im hübschen Abensthal hinauf, gegen Mainburg und Au zu. Er trug eine graue Joppe ohne Forstmannsabzeichen, um seine Stellung nicht jedem sofort kenntlich zu machen, ein graues Hütchen und einen festen Stock mit einem aus einem Rehgewichtl verfertigten Griff. In seiner Tasche hatte er seinen Monatsgehalt, und war also frohen Mutes, der durch das prächtige Wetter und die hübsche Gegend, welche er durchwanderte, noch erhöht wurde.

Er war noch nicht weit gekommen, als er schon an den Hügeln zu beiden Seiten des Weges auf Hopfenpflanzungen stieß, die gleich Weinbergen, jedoch höher und dichter, anzusehen waren und einen äußerst freundlichen Anblick gewährten. Unter und zwischen den grünen, dicht mit Trollen besetzten Reben gewahrte er am Boden lagernd mehrere Gruppen von Arbeitern, welche nur Hopfenbrocker sein konnten. Ein des Weges kommendes Bäuerlein ward deshalb von ihm mit der Frage angehalten:

»Wie heißt man's denn da herum?«

»Da hoaßt ma's halt in der Holledau,« entgegnete der Gefragte und schritt rüstig weiter.

»In der Holledau? Ja, bin i denn schon in der Holledau?« fragte sich Muckl. »Der halt' mi halt zum Narren. Bis Au müssen ja noch fünf bis sechs 139 Gehstunden sein.« Er hielt es deshalb für ganz überflüssig, unter den Hopfenbrockern hier herum nach Edeltraud zu suchen.

So kam er an Siegenburg vorüber, einer freundlichen, jenseits der Abens gelegenen Ortschaft. Er sah schwer beladene Wagen die Straße herfahren, welche auf den Weg nach Siegenburg ablenkten. Die Ladung erkannte er sofort als Hopfen.

Muckl fragte einen der Fuhrknechte, welcher angehalten, um an dem Sattelzeug etwas zu richten:

»Woher, Schwager?«

»Aus der Holledau,« entgegnete ihm dieser.

»So, so, von Au?« fragte Muckl.

»Na', von Marzoll, wo d' Engländer ihre Hopfengärten haben. Der Hopfen kimmt aus Siegenburg, wo er präpariert wird, woaßt, dörrt und g'schwefelt.«

»Wo liegt denn Marzoll?«

»Im Empfenbachthal – halt in der Holledau,« erwiderte der Fuhrknecht und trieb mit einem »Hi! hi!« seine Pferde wieder an, indem er dem Fragenden noch einen »Laß dir da Weil!« wünschte.

Muckl schüttelte den Kopf. Er meinte, der habe ihm auch nur so etwas »vorgeschwefelt.«

Der schöne, zu seiner Rechten sich hinziehende Dürrenbacher Forst nahm jetzt seine Aufmerksamkeit in Anspruch, wie nicht minder die vielen dies- und jenseits der Abens gelegenen Ortschaften, deren Häuser sämtlich durch besonders hohe Dächer auffallen, weil auf den Dachböden der Hopfen getrocknet wird, wo noch nicht eigene Hopfendörren errichtet sind. Vor jedem dieser Häuser stehen in der ganzen 140 Holledau Hopfendarren, das sind breite Holzsiebe, auf welchen die erste Trocknung der Trollen stattfindet.

In einer dieser Ortschaften kehrte Muckl ein, da er bei der zunehmenden Schwüle einen gewaltigen Durst verspürte. Auf der Gred vor dem Dorfwirtshause saßen etwa sechs Bauern, ihre Pfeifchen schmauchend und Bier trinkend. Es waren Hopfenbauern, die jetzt auf das Resultat ihrer diesjährigen Ernte mit banger Neugierde warteten. Muckl grüßte, setzte sich an einen Nebentisch und bestellte sich eine Maß Bier.

Die Bauern sahen neugierig nach dem Gast, sie hielten ihn für einen Hopfenhändler. Einer jener Leute, welche den Verkauf vermitteln, ein sogenannter Schmuser, näherte sich nach einer Weile und fragte Muckl geradeweg:

»I kann Enk an' guaten Hopfen verraten, Herr, soll's sein, daß's oan suacht's?«

Muckl strich sich den Schnurrbart. Es schmeichelte ihm, daß man ihn für einen vermöglichen Hopfenhändler hielt. Unwillkürlich griff er in die Hosentasche, wo er sein gefülltes Portemonnaie verwahrt hatte.

»Wie steht denn der Preis?« fragte er.

»Ja no', den werd's Ihr schon b'stimmt haben. Wie moant's ebba, was er heuer gilt?«

Nun erinnerte sich Muckl, daß ihm sein Kamerad oft gesagt, der Zentner habe schon einmal sechzig Mark gekostet. Er wußte nicht, ob das viel oder wenig sei, aber er sagte frischweg:

»No', bis auf vierzig Mark wird er kömma.«

»Ihr moant's: hundert und vierzig Mark!« versetzte der andere.

»Warum nöt gar! Vierzig moan i!«

141 »Was?!« rief der Schmuser, und die andern Bauern, welche zugehört hatten, schrieen ebenfalls wie aus einem Mund. »Was? Der will uns uzen? Glaubt der, wir ham Holzbirn zu verkaufa! Wenn er nöt macht, daß er weiter kimmt, so –«

Muckl sah sich die sechs Gesellen an und fand es für klug, andere Saiten aufzuziehen.

»Seid's nur ruhig, Manna!« rief er. »Was versteh' i von eure Hopfenpreis! I versteh mi nur drauf, ob reiner Hopfen im Bier is. Das is hier der Fall und so stoß ma an und trinken auf unser G'sundheit, das is immer das g'scheitste, was der Mensch thun kann.«

Die Leute waren mit dieser Erklärung zufrieden, und stießen lachend an.

»Was is nacha in Wirklichkeit heuer der Preis?« fragte jetzt Muckl.

»Heuer is a guat's Jahr,« erwiderte der Schmuser, »die Trollen sind fett und schö' grean (grün); der Landhopfen wird si wohl auf zwoahundert aussiwachsen per Zentner. Der Siegelhopfen kommt aber bedeutend höher.«

»Was is dös? Siegelhopfen?« fragte Muckl.

Man erklärte ihm hierauf, wie der anerkannt beste Hopfen, wie er um Wolnzach, Mainburg und Au wachse, unter Aufsicht einer eigenen Kommission, dem Hopfenamt, in Ballen verpackt, und dann zum Zeichen seiner Echtheit mit rotem Siegel versiegelt wird.

»Wie viele Zentner baut ma denn auf oan Tagwerk?« fragte der wißbegierige Jäger.

»Unterschiedli; fünf, sechs, ja oft acht Zentner, je nach 'n Sorten.«

»Da tragt ja a Tagwerk, wie zum Beispiel da herum 142 sechzehnhundert Mark? Da müaßt's ja lauter reiche Leut sei'! Da sind wir draußen im Getreideland ja die reinsten Fretter gegen euch,« meinte Muckl. »Warum baut's denn da überhaupt no' a andere Frucht als Hopfen. I bauet lauter Hopfen, überall Hopfen; was Rentablers giebt's ja gar nöt.«

Die Bauern lachten und wiesen mit den Pfeifenstummeln auf den Schmuser, womit sie sagen wollten, der kann dir drauf d' Antwort geben. Er gab sie auch.

Er erzählte, wie er der gleichen Ansicht gewesen und bei Uebernahme seines nicht unbedeutenden, väterlichen Hofgutes durch verstärkten Hopfenbau schnell reich werden wollte. Die ersten Jahre ging es vortrefflich, trotz der großen Arbeitslöhne, welche der Hopfenbau beansprucht, er fühlte sich als wohlhabender Mann. Plötzlich trat aber eine Mißernte ein, dann folgte Ueberproduktion, kurz, der Ertrag deckte nicht einmal mehr die Herstellungskosten und nach etlichen Jahren mußte er Schulden halber den Hof verkaufen, es blieb ihm nichts übrig, als selbst zu taglöhnern und nebenbei im Herbst einen Schmuser oder Hopfenmakler zu machen. Eine Art Trost fand er darin, daß es mehr solch dumme Leute in der Holledau gebe. Doch verlege man sich in neuerer Zeit mehr auf den Getreidebau und kultiviere nur so viel Hopfenbau, um bei einer allfallsigen Mißernte wirtschaftlich nicht ruiniert zu werden. Er beendete seine Erzählung resigniert mit den Worten:

»Jetzt wär' i freili g'scheita, wie halt jeder, der aus Schaden klug wird. Aber was hilft mir's trauri sein? D' Hauptsach is, daß mir's Bier schmeckt und dennast no' 143 a bißl a Schmusg'schäft geht.« Er trank mit Wohlbehagen seinen Krug leer.

»Laßt Euch auf meine Rechnung einschenken,« erlaubte Muckl großmütig.

»Hochachtung!« erwiderte der Schmuser und fing beim Anblick des neugefüllten Kruges zu singen an:

»Heiliger Sankt Castulus, um was i' dich no bitt':
Um hunderttausend Gulden, und bring' mir's Geld glei' mit,
Um hunderttausend Gulden, und noch einmal so viel,
Alle Jahr ein anders Weib und in Himmel 'nein – wann i will.«

Die Bauern stimmten in den Gesang sofort ein und auch Muckl fühlte sich von der guten Stimmung der Gesellschaft angeheitert und sang kräftig mit.

Nun begann aber der Schmuser auch noch echte Holledauer Schnadahüpfeln zum Besten zu geben:

I bin von Niederboarn,Die Holledau gehört zum Teil zu Oberbayern, zum Teil zu Niederbayern.
Leb' in der Holledau,
Da is's so wunderschö'
Wie ninderst, schau.

Bei uns geht's lusti zua,
Wenn viel der Hopfa kost',
Na' werd koa' Wasser trunk'n
Und 'gessen aa koa' Obst.

Wenn aber der amal
So viel kost' als wie nix,
Werd Wasser plempert viel
Und g'spart aa d' Stiefelwix.

Wo o'geht d' Hollerdau,
Dös woaß koa' Mensch nöt g'wiß,
Wo's ebba aufhör'n thuat,
Erst recht unsicher is. 144

Dös oane woaß ma sched
Und is gar wohl bekannt:
Is hoch der Hopfapreis,
Werd's groß wie's halbet Land.

Hat aber der a Jahr
O Jeß! an' Preis recht schlecht,
Na' luigat si' alles weg,
Dazua g'hör'n neamt mehr möcht.

Nochmals wurden die Krüge gefüllt und ausgetrunken, dann aber dachte Muckl daran, seinen Marsch fortzusetzen und zahlte seine Zehrung.

»Wo geht der Marsch hin?« fragten ihn die Leute.

»In d' Holledau,« entgegnete Muckl. Die Leute lachten.

»Da seid's ja schon,« erwiderte man ihm.

»Wieso?«

»Wir g'hören ja schon in d' Holledau, 's ganze Abensthal.«

Muckl erinnerte sich an das im Gesang soeben Gehörte und meinte:

»Aha, heuer ist der Hopfen teuer. Sagt's mir doch, wo san denn eigentli die Grenzen von der Holledau?«

So harmlos er die Frage auch stellte, so glaubten die Anwesenden doch, darin eine Schelmerei erkennen zu müssen, sie meinten, er spiele auf die vier Galgen an, welche spottweise die Grenzsteine der Holledau genannt werden, und Muckl war nicht wenig verwundert, als er ohne weiteres von den Männern angepackt und auf die Straße gedrängt wurde. Dies war in Anbetracht von Muckls noch nicht brauchbarem linken Arm um so leichter gewesen, als er sich nichts Schlimmes versah.

Dieser, seiner Ohnmacht sich bewußt, hielt er es für 145 das beste, natürlich in seiner Weise gegen dieses Verfahren protestierend, den Marsch fortzusetzen. Je näher er Mainburg, dem prächtig an der Abens gelegenen Markt zukam, vermehrten sich die großartigen Hopfenanlagen, die mit goldigen Getreidefeldern abwechselten. Allenthalben sah er in den Hopfengärten Leute mit Brocken beschäftigt. Er fragte dort und da, ob keine Wäldler da wären, erhielt aber teils deutsch, teils tschechisch eine verneinende Antwort, man bedeutete ihm aber, daß die Wäldler in Au oder Wolnzach sein könnten.

In Mainburg beschloß er, Mittag zu machen. Der geschäftsreiche Markt gefiel ihm außerordentlich, namentlich die vielen Brauereien. Eine derselben, hart am Fuße des mit einer Wallfahrtskirche gekrönten Salvatorberges gelegen, schien ihm besonders einladend. Man konnte im Freien unter riesigen Laubbäumen sitzen, zunächst einer wundervollen Kegelbahn, auf welcher das Spiel soeben lustig betrieben wurde. Muckl, ein Liebhaber des Kegelns, schaute während seiner Mahlzeit aufmerksam den Spielern zu, und er konnte nicht umhin, als wiederum ein neues »Lavenedel« begann, die Männer zu fragen, ob er sich beteiligen dürfe, um ihnen zu zeigen, wie man eigentlich »werfen« solle. Den »Brosler« wollten die Mainburger sich »zu leihen nehmen«, und da doch einige vorzügliche Kegler unter ihnen waren, so begannen sie alsbald zu wetten. Muckl, anfangs seiner Sache sicher, bekam immer mehr Mut; als er aber ins Verlieren kam, verlor er auch seine Ruhe und wollte mit Gewalt siegen. Das ließ sich aber nicht erzwingen und es währte nicht lange, so hatte Muckl sein bis jetzt wohlgefülltes Portemonnaie so weit entleert, daß er nur mit genauer Not seine Zeche begleichen 146 und mit weniger als einer Mark die Reise nach Au fortsetzen konnte.

Er hatte sich gedacht, die Holledauer seien in Wirklichkeit, wie ein boshaftes Sprichwort ihnen andichtet, dumm, dalkert und »dappi«, und er würde nur leichtes Spiel mit ihnen haben, aber »Prost Mahlzeit!« es war ihm schon nach etlichen Stunden eine ganz andere Meinung beigebracht worden. Jetzt war guter Rat teuer. So ganz ohne Mittel in einer fremden Gegend, das war bitter. Unter dem schadenfrohen Gelächter der Kegelschieber entfernte er sich und stieg die Treppe zum Salvatorberg hinan. Dort oben wollte er eine Aussicht genießen und eine Einsicht erhalten.

Die erstere war in der That großartig. Er sah das Abensthal hinauf bis über Siegenburg hinaus, sah deutlich die Ortschaft, wo er der Grenzfrage wegen hinausspediert worden war, und hörte von unten herauf das Kegeln und den Juhschrei auf »alle Neun.« Er trat in die schöne Kirche ein und setzte sich in einen Stuhl, um sich zu sammeln. Nebenan beteten soeben die dortigen Mönche ihre Hora.

Muckl kam der Gedanke, ob sie es nicht schöner hätten, als er; sie brauchten sich um nichts zu kümmern, sie waren Bettelmönche. Aber dann dachte er an den grünen Forst, an die Jagd und wie neu belebt erhob er sich mit dem Gedanken: D' Freiheit is halt doch 's Schönste auf der Welt und 's Allerschönste der Wald und d' Jagd.

Es blieb ihm nun nichts anderes übrig, als abermals zu Fuß den noch drei Stunden langen Weg nach Au zurückzulegen, da ihm das Geld für die Fahrtaxe der von hier ausgehenden Lokalbahn fehlte. Was lag daran! Sein 147 Kollege in Au würde ihm das nötige Geld schon vorstrecken, um seine Nachforschungen nach Edeltraud fortsetzen zu können. Es war ein langer und infolge anhaltender Trockenheit sehr staubiger Weg.

Die Eisenbahnstation Au ist von dem gleichnamigen Ort etwa drei Viertelstunden entfernt. Ein schönes Gasthaus zunächst der Haltstelle, hart an der Landstraße, lud den nun wirklich ermüdeten und über und über bestaubten Wanderer zur Ruhe ein. Die Pfennige, welche er in seiner Tasche zusammensuchte, reichten gerade zu einer Maß Bier. Der freundliche Gastgeber setzte sich alsbald zu ihm an den Tisch. Er hatte recht gut bemerkt, wie Muckl seine letzten »Rappen« aus allen Taschen zusammensuchte und fragte nun ganz ungeniert, ob er Verdienst als Hopfenbrocker suche.

Muckl mußte lachen. Vormittags galt er für einen Hopfenhändler, jetzt für einen Hopfenzupfer. Er bemerkte dem Frager auch, ob er denn einen so gewöhnlichen Eindruck mache? Doch dieser meinte, ein so leicht verdientes Geld könne man ja mitnehmen. Es wäre Mangel an Zupfern und man befürchte einen baldigen Umschwung der Witterung. Es wäre für den Hopfen sehr nachteilig, wenn er bis dahin nicht vollständig abgezupft wäre. Uebrigens brauche sich niemand dieser Arbeit zu schämen, es seien sehr »noblichte« Leute dabei, so ein Fräulein aus der Residenzstadt, das mit Hut und Schleier gekommen. Jetzt freilich liegen Hut und Schleier auf ihrer Stube, während sie im Hopfengarten ist. Wenn ihm also das »Gerstl« ausgegangen sei, könne er bei ihm jede Stunde in Arbeit treten.

Muckl dankte lachend für den guten Willen des Wirtes 148 und schlug dann den Weg nach Au ein, nachdem er vorher noch seine Kleider ausgebürstet und sich am Brunnen den Schweiß vom Gesicht gewaschen, um vor seinem Kollegen anständig zu erscheinen.

Er atmete erleichtert auf, als nach kurzer Wendung des Weges die Ortschaft Au und das großartige, reichbetürmte Schloß, dessen zahlreiche Fenster von der untergehenden Sonne magisch beleuchtet waren, sich seinem Blick zeigten. Er war müde, durstig und hungrig und dazu arm wie eine Kirchenmaus. Doch der Kollege hier würde schon für sein leibliches Wohl sorgen – das gab ihm Mut und so schritt er stolz durch die Straße des Marktes. Vor den Häusern standen überall die Hopfendarren und in den offenen Schupfen erblickte man überall ganze Familien, zupfend, lachend und singend, mitunter auch neugierig nach dem hübschen Wanderer Ausschau haltend.

Muckl marschierte geraden Weges dem prächtigen, freiherrlich Beckschen Schloß zu, wo er seine müden Glieder zur Ruhe zu legen hoffte. Der ihm höchst angenehme Malzgeruch, welcher vom freiherrlichen Bräuhaus her kam, wo soeben Bier gesotten wurde, ließ ihn eine schöne Perspektive eröffnen auf die »frischen Steine«, die er mit seinem Freund im Bräustübchen leeren wollte, dabei vergaß er jedoch nicht, einige von den Hopfengärten kommende Zupfer nach den Wäldlern zu fragen, worauf er die bestimmte Antwort erhielt, es wären hier nur Oberpfälzer und Münchener; die Wäldler wären auch nicht in Nandelstadt, vielleicht aber in Wolnzach.

Jetzt kam er zum Schloßpark, der sich zwischen dem Schloß und der Ortsstraße ausdehnt und durch seine wundervollen Blumenanlagen das Auge entzückt. Auf 149 einem Postament ruht ein in Kupfer getriebener Hirsch in Lebensgröße, das Hauswappen derer von Beck. Dem Muckl lachte das Herz im Leib, als er das sah. Er blieb vor dem Monument stehen und zählte die Enden des Geweihes, als er sich von einem Kammerdiener des Barons angesprochen hörte:

»Was wünschen Sie?«

»Grüß Gott,« erwiderte Muckl. »Der Hirsch da g'fallt mir; Donnerkeil, saget mei Vater, das is ein Prachtexemplar! Aber ja so! Was i wünsch? Mein' Freund und Kollegen möcht i b'suachen, 'n Leibjäger vom Herrn Baron, 'n Rudolf Münsterer. Der wird überrascht sein, wenn er mi auf amal sieht. Er wird wohl z' Haus sein? Wie?«

»Der Leibjäger Münsterer? Nein, mein lieber Freund, der ist jetzt nicht hier, der ist mit unserem gnädigen Herrn verreist.«

150 Dem Muckl brachen förmlich die Knie.

»Das kann ja gar nöt sein!« rief er in einer Art Verzweiflung.

»Erst gestern ist er abgereist.«

»Und wann kommt er wieder?«

»In ungefähr vierzehn Tagen.«

»Ja, was is denn da z'machen?« fragte Muckl, bald blaß, bald rot werdend. Seine leere Tasche, sein Hunger und Durst wirbelten vor und in ihm.

»Bedaure!« meinte der Kammerdiener achselzuckend.

»Jetzt bin i eigens so weit herg'reist,« sagte Muckl fast jammernd.

»Wer sind Sie denn?«

Muckl stellte sich jetzt vor und ließ durchblicken, daß er gehofft, einige Tage bei seinem Kollegen bleiben zu können, und daß er jetzt – es begann bereits zu dämmern – gar nicht wisse, wo aus und wo an.

»O,« meinte der Kammerdiener, »gleich gegenüber dem Schloßpark ist die Post, da bekommen Sie sehr gutes Quartier, ich kann es Ihnen empfehlen; man speist auch sehr gut dort.«

»So, so,« machte Muckl. »Aber wird halt teuer sein?« preßte er dann heraus, und etwas mutiger setzte er dann hinzu: »Wenn der Münsterer da wär', hätt' ich schon bei ihm Quartier bekommen.«

»Das glaub' ich sicher,« erwiderte der andere, »aber er ist halt nicht da. Kann ich ihm etwas ausrichten, wenn er wieder hierher kommt?«

»Halt an' schön' Gruß von sein' Kollegen Muckl Schirmer; merken's Ihna nur: Muckl.«

»Schön, schön! Aber Sie verzeihen, ich muß jetzt 151 das Parkthor sperren; es lauft jetzt so viel Gesindel herum; den Hopfenbrockern darf man nicht trauen. Sie verstehen mich schon?«

»Ja, ja, vollkommen!« erwiderte Muckl. »Vollkommen!«

»Vielleicht sehen wir uns noch abends auf der Post. Soll mich freuen.«

»Mich auch!« entgegnete Muckl und schritt wie geistesabwesend zum Thor hinaus, durch welches er vor einigen Minuten mit so großen Hoffnungen hereingekommen war.

»Was nun thun?« war jetzt die Frage. Uebernachten mußte er irgendwo, essen und trinken ebenfalls. Aber wo? Er nannte wohl eine Uhr sein eigen, an welcher auch ein schönes Uhrgehänge befestigt war, aber wie würde es sein Freund übel nehmen, wenn er erfahren würde, daß Muckl auf Pump in der Post Quartier genommen. Und was wollte er dann morgen und die nächsten Tage anfangen? Diese Vergnügungsreise fing an, ihm fürchterlich zu werden.

Während er so dastand, wie Herkules am Scheideweg, rannten mehrere Hopfenleute vergnügt an ihm vorüber.

Was hatte der Wirt zu ihm gesagt? Noble Leute und Fräulein brocken und verdienen auf solche Weise Geld –

»Muckl, dir kann geholfen werden!« sprach er entschlossen zu sich. »Brock Hopfen und erzupf dir so viel, daß d' wieder weiterschwimmen kannst. Gott verläßt keinen Deutschen nicht!«

Er lief jetzt förmlich die Dreiviertelstunden Weges wieder zur Haltestelle zurück. Es war Nacht geworden, als er am Ziel ankam. Der Wirt begrüßte ihn wie einen alten Bekannten. Muckl nahm ihn zur Seite, gab ihm seine Uhr und sagte:

152 »Ich hab mich entschlossen, Eurer Zupfernot abzuhelfen. Heben's mir vorderhand die Uhr gut auf, und jetzt möcht ich essen – trinken.«

»B'halten's nur die Uhr,« sagte der Wirt lächelnd. »Setzen's Ihna, und lassen's Ihnen bedienen.«

»Wer sind denn die Damen und der alte Herr dort?« fragte Muckl die ihn bedienende Kellnerin.

»Sind lauter Hopfenzupfer,« antwortete sie. »Es sind brave lustige Leut. Was s' 'n Tag über verdienen, veressen's und vertrinken's am Abend wieder.«

Alsbald stand vor ihm ein frugales Abendessen und ein Krug voll schäumenden Bieres. Mit Lust machte er sich darüber her; hernach zündete er sich eine Zigarre an und machte Reflexionen.

»Edeltraud, kommst du mir nicht zu teuer zu stehen?« fragte er sich.

Er erwog und wog, aber auch sein Haupt wogte bald hin und her, bis er plötzlich aufschreckte.

Der Wirt stand vor ihm und sagte: »Gehen S' doch lieber zur Ruh, sonst fallen S' über 'n Stuhl 'nunter. Morgen früh heißt's zeitig 'raus!«

Die »Damen« am Nebentisch lachten laut.

»Ja so!« machte Muckl. »Wahrhafti, i bin müad. Wo is denn mei' Nachtlager?«

»Im Stadel draus auf an' ganz frischen Heu.«

Auf dem Weg zu seiner Schlafstätte dachte Muckl über die Veränderlichkeit alles Irdischen nach. Anstatt als fürstlicher Jägersmann im freiherrlichen Schloß zu Au, übernachtete er im Heustadel als angehender Hopfenbrocker!

Der gesunde Schlaf ließ ihn bald alles vergessen. 153


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