Maximilian Schmidt
Die Hopfenbrockerin
Maximilian Schmidt

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XII.

»Hoam in unsern Wald!« war kurz darauf die Parole sämtlicher in Wolnzach beschäftigten Wäldler. Auch der alte Lechner und Traudl, welche von der ihrem Sohn und Bruder zu teil gewordenen Volksjustiz auffallenderweise gar nichts erfuhren, hatten bis zum Schluß treu bei ihren Landsleuten ausgehalten, und alle traten die Rückreise in glücklichster Stimmung an. Infolge der ihnen gewährten freien Heimfahrt auf der Bahn konnten die Leute ihren vollen ersparten Lohn beisammen behalten und fühlten sich verhältnismäßig reich. Bestand dieser Reichtum auch nur in etwa fünfzig Mark für die Familie und vielleicht fünfunddreißig für eine einzelne Person, so leuchtete doch aus den Blicken der Heimkehrenden die helle Freude über das Erworbene und die Befriedigung, einen Notpfennig für den Winter zu haben.

Als sie die Bahn in die Waldberge zurückgebracht, grüßte jeder mit Freude und Rührung die altbekannten Gebirgszüge und Hochwarten. In der Ferne wurden sich ja die Leute erst recht wieder der Schönheit und der Liebe zu ihrer Heimat bewußt.

»Siehgst 'n Hohenbogen und 'n Keitersberg! Und dort d' Ossaspitzen und ganz hinten 'n Arber!« so riefen die Kinder, in die Hände klatschend, und die Alten stimmten wie auf ein gegebenes Zeichen das Lied vom Bayerwald an, 166 das der Mändl-Fritz, ihr Landsmann, gemacht, das sie so oft in den Hopfengärten gesungen und das jetzt im Angesicht der heimatlichen Berge und in der herrlichen Waldluft noch um vieles schöner und freudiger erklang.

Traudl jedoch hatte nicht mit eingestimmt in den Gesang, der ihr doch sonst so viel Vergnügen bereitet und wobei sie stets mit Wärme des Komponisten, ihres Lehrers und Nachbarn, gedachte. Seit ihr der Vater den Brief der Mutter erklärt, laut welchem der von ihr so hochverehrte Mann eine Herzensneigung zu ihr hatte und die Eltern sogar schon an eine feste Verbindung der beiden dachten, schien der Weg, welcher bislang ihre Gedanken froh und gern zu dem Freund hingleiten ließ, plötzlich mit einem Hindernis versperrt zu sein. Wie konnte sie denken, daß der Mann, vor dem sie stets nur höchste Verehrung empfand, dem sie so vieles zu danken hatte, der sich so viel Mühe gegeben, sie mehr zu lehren als alle übrigen Schülerinnen, der stets so unbefangen mit ihr geplaudert, als wäre er ihr Bruder, nun den Gedanken hätte, ihre Hand zu begehren! Und sie mußte das fast in derselben Minute erfahren, du auch Otto Bergwald ihr für seine Person die gleiche Eröffnung gemacht.

Die Gedanken an letzteren kamen Traudl zwar immer nur wie ein schönes Traumbild vor, während die Erinnerung an den Mändl-Fritz greifbare Wirklichkeit war. Hatte sie der Zauber der Persönlichkeit des Malers, seine glühenden Blicke willenlos gefangen genommen und sah sie mit Bewunderung und Demut zu ihm empor, der, ihrer Niedrigkeit vergessend, sie zu sich emporheben wollte, was trotz aller Bescheidenheit doch auch ihrer Mädcheneitelkeit schmeicheln mußte, so sah sie doch vor sich eine unbekannte Welt, 167 vor der ihr bangte, und die sie nicht zu begreifen fürchtete; bei dem Landsmann aber, dem Mändl-Fritz, lag die Welt, die Zukunft offen vor ihr; es war die Welt, in der sie aufgewachsen, in der sie sich allein glücklich fühlen konnte. Und doch! So viel war sicher, daß in ihrem bis jetzt harmlosen, von wärmeren Herzensregungen freien Leben die Begegnung mit Bergwald eine Aenderung hervorgerufen hatte. Mit dem Augenblick aber, wo sie sich dieser Aenderung bewußt geworden, wo ihr Herz lebendig ward, war sie auch vor die schwierige Wahl der Entscheidung gestellt. Gehörte dieses Herz nicht etwa unbewußt schon längst dem treuen Landsmann? Und dazu hatte ihr der Bichlbräu beim Abschied noch mitteilen zu müssen geglaubt, daß sie es dem Lehrer Mändl zu verdanken hätte, daß man ihr und dem Vater von allem Anfang an eine besondere Aufmerksamkeit erwies.

Das war eine recht brüderliche That, welche sie wirklich rührte. Der Vater nützte diese Stimmung ordentlich aus und erging sich in steten Lobeserhebungen über den jungen Mann, bis es Traudl doch zu arg wurde und sie den Vater bat:

»I woaß's ja, Vater, wo's d' nauswillst, aber i bitt' di, laß mi die Sach' alloa' ausmachen mit meinem Herzen.«

Das Ende der Bahnfahrt war erreicht und es galt nur noch, den drei kleine Stunden betragenden Weg zu dem Fabrikdörfchen zurückzulegen. Schon kamen die dort zurückgebliebenen Angehörigen den Heimkehrenden entgegen. Es gab ein fröhliches Begrüßen, ein Fragen und Antworten, als hätte es sich um eine jahrelange Trennung, um eine Reise über den Ozean gehandelt.

168 Einer der Nachbarn nahm auch Traudl den Pack ab und überbrachte ihr im voraus die Willkommgrüße der Mutter, die sich auf das Wiedersehen von Mann und Tochter kindisch freue. Das Gleiche war ja auch bei letzteren der Fall, und der alte Veteran schritt so rüstig und eilig dahin, als wäre er niemals eine Stunde krank gewesen.

Das Fabrikdörfchen ist auf einem vom Regenbach umspülten, ziemlich erhöhten Plateau gelegen. Die nur aus Holz hergestellten Häuser mit hohen Holzschindeldächern sind ebenerdig und immer zwei miteinander verbunden. Die samtbraune Farbe der Häuser und die oft bedenkliche Verschrobenheit der Balken lassen das hohe Alter dieser Arbeiterhäuser erkennen. Sie gewähren indessen einen freundlichen Anblick, da sie ungemein sauber gehalten sind. An den kleinen blanken Fenstern sind weiße Vorhänge angebracht, und vor wie hinter denselben sieht man die farbenprächtigsten Blumen in Töpfen aufgestellt, bei welchen ein unverkennbarer Wetteifer in der Pflege ersichtlich ist. Meist sind es feurigrote Geranien, welche mit dem Samtbraun der Häuser eine ganz reizende Wirkung hervorbringen.

Ein Kranz von riesigen Bergen umgiebt in nächster Nähe dieses Dörfchen, dessen Hauptvorzug aber darin besteht, daß nachbarliche Zwistigkeiten fast niemals vorkommen und sämtliche Fabriksleute in schönster Harmonie, gleichsam als gehörten sie alle zu einer friedlichen Familie, neben einander leben. Vom Thal herauf, wo die Glashütten und Schleifwerke stehen, hört man das Rauschen des rasch dahinfließenden »weißen Regens.« Frohe Laute mischten sich in dasselbe, die näher und näher kamen, und 169 bald hielten die Heimkehrenden zur allgemeinen Freude ihren Einzug in ihr bescheidenes, aber liebtrautes Heim.

Der Hüttenherr und seine Frau begrüßten die Ankommenden und ersterer verkündigte ihnen die freudige Botschaft, daß schon in der nächsten Woche die Arbeit wieder beginne und voraussichtlich längere Zeit andauere, was von den Leuten mit Jubel aufgenommen wurde.

Der Schleifertoni und Traudl fanden die Eingangsthür zu ihrer »Hirwa« mit Blumenguirlanden und einem »Willkommen« geschmückt. Die kränkliche Mutter weinte vor Rührung, als sie den Ihrigen die Hand zum Gruß reichte. Neben ihr standen Frau Mändl und deren Sohn Fritz, der Lehrer, deren kleines Bauernanwesen unfern des Arbeiterdörfchens auf erhöhtem Standpunkt gelegen.

Zum erstenmal geschah es, daß Traudl errötete, als ihr der junge Mann die Hand zum Gruß bot. Der Brief der Mutter, die Worte des Vaters standen ihr im Gedächtnis. Sie war nicht imstande, dem langjährigen Freund unbefangen in die Augen zu schauen und im nächsten Augenblick huschte sie in das Haus.

»Was hat denn 's Deandl?« fragte verwundert die Mutter.

»Was wird's haben,« versetzte der Vater lächelnd. »In den drei Wochen is's Deandl guatding um drei Jahr älter worn, als Kind hab i's mitgnomma, anders bring i's hoam, aber brav und fromm, wie sunst, dös därft's mir glauben.«

Er gab dem Lehrer wiederholt die Hand und zeigte damit an, daß er dessen Gefühle kenne und ehre.

Der Lehrer war ein hübscher, junger Mann mit offenem, aufrichtigem Gesicht, in welchem eine große 170 Bescheidenheit erkennbar war. Doch blitzten seine Augen hin und wieder wie in Begeisterung auf, dann auch wieder starrten sie wie traumverloren ins Weite. Waren es neue Melodien, welche sein Kompositionstalent erweckte, waren es Herzensgefühle, denen er nachsann? Niemand fragte danach.

Fritz war zuerst zum geistlichen Stand bestimmt gewesen und trat vom Gymnasium aus in das Schullehrerseminar ein, welches er mit der ersten Note absolvierte. Da er die folgenden Konkurse mit Auszeichnung bestand und sich das Vertrauen seiner Vorgesetzten in vollem Maße errang, kam er rasch vorwärts, so daß er nach verhältnismäßig kurzer Dienstzeit einen sehr guten Posten als selbständiger Lehrer in Eschlkam, einem seiner Heimat benachbarten Marktflecken, erhielt, einen Posten, der ihm gestattete, einen eigenen Herd zu gründen, und wie Frau Lechner schon in ihrem Brief mitgeteilt, war Traudl, seine vormalige Schülerin, das Ziel desfallsiger Wünsche.

Frau Mändl, ein seelengutes Weib, war von Jugend auf mit der alten Lechnerin befreundet. In der harten Zeit der Krankheit und nach dem Tode des Bauers war ihr diese eine große Stütze gewesen, und es war später eine Lieblingsidee der befreundeten Mütter, ihre Kinder einmal verbunden zu sehen, doch wollten sie der Sache ihren freien Lauf lassen.

Der junge Lehrer schien jenen Plänen am ehesten aus eigenem Antrieb nachzukommen. Traudl war als Feiertagsschülerin und in der Fortbildungsschule seine beste und liebste Schülerin. Durch ihre geistigen Fortschritte, ihr Auffassungsvermögen übertraf sie riesengroß die übrigen Schülerinnen, aber der Lehrer gab sich auch mit keiner 171 solche Mühe. Er wollte, daß das Mädchen mit der Zeit nicht in der Fabrik, sondern im Kontor Verwendung finde, und er gab ihr deshalb die nötige Anleitung in der Buchhaltung. Der Fabrikherr hatte ihm auch zugesagt, daß bei einer demnächstigen Aenderung im Personal auf des Lehrers Empfehlung hin Traudl berücksichtigt und im Kontor verwendet werde.

Fritzens Neigung zu Traudl war bald allen unverkennbar, nur das Mädchen allein sah in ihm fortgesetzt den Jugendfreund und zugleich den Lehrer, den sie hochverehrte, dessen Nähe ihr stets willkommen war, an dessen Liedern sie sich erfreute, und dem sie es verdankte, ein wenig die Guitarre spielen zu können, was ihr so viel Vergnügen machte. Niemals dachte sie an etwas anderes, und der stets bescheidene junge Mann gab ihr auch niemals die geringste Veranlassung dazu. Und nun war die Sache plötzlich verändert worden!

Fritz Mändl war im gleichen Alter mit Traudels Bruder. Sie waren Schulkameraden und Jugendfreunde, und durch Mändl war es auch ermöglicht, daß Franz sich in Regensburg weiter ausbilden konnte, indem er mit Fritz das Quartier teilte, was für die Lechnersche Familie eine große Erleichterung war. Die beiden jungen Männer hielten auch stets treu zusammen. Seit fünf Jahren jedoch, seit Franz geheiratet, vergaß er auch des Jugendfreundes, wie er alle vergessen hatte in dem »armseligen Heim.«

Daß Edeltraud mit ihrem Vater zum Hopfenbrocken ging, war dem Lehrer freilich nicht angenehm, aber da er es nicht ändern konnte, wollte er ihr die möglichste Erleichterung verschaffen, indem er an den Hopfengutsbesitzer in Wolnzach, dem er alljährlich eine Anzahl 172 Arbeiter zuschickte, die bekannte Weisung ergehen ließ. So wußte er wenigstens das Mädchen, zumal es in Gesellschaft des Vaters war, gut aufgehoben. Daß sich übrigens schon auf der Hinreise so wichtige Dinge ereigneten, ahnte er freilich nicht.

Frau Lechner lud die Nachbarn ein, mit in die Stube zu treten, aber diese wollten für jetzt nicht stören. Dagegen mußte Frau Lechner versprechen, mit den Ihrigen abends in den Nachbarhof hinauszukommen, wo der Abschied des Sohnes gefeiert wurde, da Fritz schon am nächsten Tag in aller Frühe nach seinem neuen Bestimmungsort, dem etwa vier Stunden entfernten Markt, abreisen mußte. Selbstverständlich ward die Einladung angenommen, und daß auch Traudl sicher mitkomme, dazu verpflichtete sich die Mutter.

In der geräumigen Stube der Lechnerschen Wohnung stand auf dem Tisch eine Platte mit goldgelben Kücheln, welche Frau Mändl gebracht, und die Mutter trug einen Topf Kaffee herbei, womit die Angekommenen sich vorerst stärken sollten.

»Dahoam is halt dahoam!« sagte der alte Schleifer, indem er sich mit Wohlbehagen in dem alten Lehnstuhl niederließ und sofort dem Dargereichten wacker zusprach.

Traudl hatte der Mutter von der Reise einige Leckereien mitgebracht, die sie in Regensburg gekauft, woselbst sie einige Stunden Aufenthalt gehabt, und diese nahm das »Mitbringets« freudig in Empfang. Am freudigsten aber empfand sie es, als ihr das Ergebnis des Hopfenzupfens, die Summe von rund vierzig Mark, auf den Tisch gezählt wurde. Und dann ging es an ein Erzählen, obwohl es keine Neuigkeiten für die Mutter mehr waren.

173 Das Erstaunen Traudls und des Vaters war nicht gering, als ihnen jene sagte, sie wisse bereits alles und noch viel mehr dazu.

Sie sah Traudl dabei aufmerksam an, und es leuchtete eine gewisse Befriedigung, ein Mutterstolz aus ihren Blicken, als sie scherzend sagte:

»Liabs Deandl, du därfst nimmer außi aus unsern Wald! Dös is ja aus der Weis, was du alles ang'richt hast.«

Dabei nahm sie zwei Briefe aus ihrem Strickkörbchen und sie ihrem Mann überreichend, sagte sie:

»Der is vom Franz aus Nürnberg und der ander von dein' Freund, 'n Schirmer in Falkenstoa'.«

»Dem müaß'n ma glei' schreiben, daß's uns nimmer mögli war, z'kömma,« meinte der Schleifer; »leicht, daß er scho' drüber raisonniert. Les' dös Briefl, Traudl!«

Diese blickte einige Augenblicke auf das Blatt, worauf, Spinnenfüßen gleichend, die Buchstaben herumgaukelten, als tanzten sie soeben Française. Sie erkannte aber schon nach den ersten Zeilen, daß der Inhalt des Briefes sich nur auf sie beziehe, und sie sagte deshalb:

»I richt mi jetzt in meiner Kammer wieder ein; lest's nur alloa, mi verinteressiert die Sach nöt, und was der Franz g'schrieben hat, werd i ja nacha hör'n. Nur soviel möcht i wissen, is er aus der G'fahr heraus, in der er gwen is?«

»Von ara G'fahr schreibt er nix,« versetzte die Mutter, »wohl aber, daß si die Sach, von der du woaßt, wird richten lassen. Les halt den Brief!«

»Les'n nur 'n Vater vor; i les'n lieber für mich.«

So sprechend, begab sie sich in ihre Kammer, welche 174 oben auf dem Hausboden war und in einem kleinen Zimmer bestand.

»So les' halt!« sagte der Schleifer zu seiner Frau. »Aber z'erst vom Schirmer, der schreibt nur lusti und is halt alleweil der Alt.«

Frau Lechner setzte die Zwickbrille auf und las nicht ohne viel Mühe:

»Lieber Spezl, Kriegs- und Friedenskamerad!

Nachdem ich in der Zeitung ersehe, daß die Hopfenzupfer freie Fahrt nach Hause haben, wird mein alter Spezl mit Jungfer Edeltraud unser Falkenstein abseits liegen lassen, und wir dürfen uns nicht mehr auf euren Besuch freuen. Deshalb, Bruderherz, muß ich dir schriftlich kund und zu wissen thun, daß mein Herr Sohn, der Muckl, in dein Mädel auf eine Art verschameriert ist, die selbst mir ungewöhnlich vorkommt. Reist er ihr denn nicht auch in die Holledau, sucht's wie das verlorene Paradies (wie unser sehr gebildeter Feldwebel immer sagte), verbraucht über 100 Mark Geld, denn das Suchen, sagt er, kost enorm Geld, und find's nicht. Er find's nicht sieben Tage lang, am achten endlich erfährt er von deinem Sohn, wo sie ist, aber der Urlaub und noch etwas anderes waren tralarum, er mußte heim. Aber es ist der alte Muckl nicht mehr. Seine Wunde an der Achsel ist zwar geheilt, aber eine andere Wunde hat ihm dein Mädel, die Edeltraud, geschlagen, nämlich in sein Herz, wie er sich poetisch ausdrückt. Kurz und gut, er ist eben verschameriert. Der Lali trifft nix mehr, d' Rebhühner fliegen ihm an der Nasen vorbei, er laßt sie fliegen, er sagt, er kann nicht mehr töten, weil er immer an sein »verlorenes Paradies« denken muß. Auf Ehr und Seligkeit, seit acht Tagen 175 hat er uns zu keinem Ragout mehr verholfen, noch weniger zu ein paar Feldhühnern, was ich sehr bedauern muß und eine Aenderung dieses paradoxen Zustandes herbeiwünsche. Und so halte ich es für das kürzeste, man gebe den beiden jungen Leuten Gelegenheit, sich auszusprechen. Da mein Muckl seiner Intelligenz wegen wohl bald befördert werden muß, so könnte er eine Frau Forstwartin wohl ernähren, zumal er auch seinerzeit mein bißl Sach ererbt und es so deiner Edeltraud nicht schlecht erginge. Also schreib mir, ob der Muckl kommen darf. Er erzählte mir zwar schon, daß auch jener bewußte Maler aus Nürnberg, der ein reicher Mann sein soll, auf Edeltraud ein Auge hat, aber Bruderherz, ein Waldblümlein gedeiht nicht im Flachland, und wer weiß, das sind ja doch nur so Flatusen, wie wir sie ja auch von unserer Militärzeit her kennen. Und also meine allerschönsten Grüße an die holde Jungfer Edeltraud und an deine liebe Frau und besonders an dich alten Kameraden von deinem treuen M. Schirmer.«

Der Schleifer mußte einigemal laut auflachen, dann aber sagte er:

»I werd mein' Kameraden glei antworten, natürli ganz höflich, der Herr Muckl soll nur dahoam bleiben, für den is dös Waldbleamel nöt b'stimmt.«

»Dös is aa mei' Glauben,« versetzte die Mutter. Und sie nahm den zweiten Brief hervor, der von Franz geschrieben war. Dieser war im Gegensatz zu dem ersten sehr verkünstelt geschrieben, enthielt zu Anfang einige vage Entschuldigungen, daß er so lange nichts von sich hören ließ, und kam dann gleich auf die Begegnung mit den Seinen in Wolnzach zu sprechen, indem er versicherte, daß er sich gefreut habe, dieselben zu treffen.

176 »Dös is a Lug!« fiel der Alte ein. »G'schaamt hat er si.«

Die Frau aber las weiter, was Franz von seinem Schwager schrieb, dies lautete wörtlich: »Ein solches Glück kann Traudl nicht von der Hand weisen, sie wird eine reiche, angesehene Frau, die in der Equipage herumfahren kann, und ich werde ihr zeitlebens dankbar sein, denn dann läßt sich die Sache wieder ganz richten, von der sie weiß. Also begründet sie auch mein Glück aufs neue und das meiner Frau und meines Knaben. Liebe Mutter, an dir liegt es jetzt, auf Traudl in meinem Sinn zu wirken, und sehe ich baldigst einer Antwort entgegen, wie sie sich entschlossen hat, wenn es da überhaupt noch ein Bedenken geben kann, wo es sich um Glück und Reichtum handelt.«

»Hör auf! Hör auf!« rief der Alte. »Wie glückli der Reichtum macht, hat er ja selm erfahren. Jetzt, wo eam 's Wasser an'n Hals geht, woaß er's wieder, daß er Eltern hat und a Schwester, die eam außerhelfen sollen aus der Patsch!«

»Lieber Gott!« meinte die Mutter, »'s is ja dennast unser Sohn; wer woaß denn, wie's kömma is – d' Hauptsach is, daß er wieder hoamzua denkt.«

»Ja, weil er von uns was z'kriegen hofft, und dös is nöt wen'ger, als unser Tochter, unser oanzigs Glück!«

»Ge zua, Alter,« erwiderte die Frau einschmeichelnd, »du muaßt eam's Wiederkömma zu uns nöt erschwer'n. Mi freuet's scho' recht, wenn i sei' Büaberl sehgn könnt. Und i moan halt b'stimmt, daß sei' Herz nöt ganz tot is für uns.«

»Aber die ewi Hetz und 's Spekulier'n, dös kimmt mir vor, wie's Waldungeziefer, dös die schönsten Baam 177 zum Absterben bringt,« versetzte der Alte. »Der, dem sei' Herz nur am Geld hängt, hat koa' Zeit, an die z' denken, von denen er nix z' hoffen hat. Sobald er si aber dabei an' Vorteil siehgt, glei is er wieder da, dös siehgt ma jetzt. Na', na', Bua! Mei' Glauben in di is no' nöt herg'stellt. Weder an uns, weder an der Traudl ihrem Glück liegt eam ebbas, eam is's nur um 'n Herrn Bergwald z'thuan, weil er an' Nutzen davon hat.«

»Aber warum denn grad 's Schlechteste denken von sein' oanzigen Sohn!« warf die Mutter ein. »Wie stellt si denn 's Deandl überhaupt zu dem Bergwald? Wie kimmt der dazua?«

Der Alte erzählte nun, was er wußte. Er sprach nicht ohne Achtung von dem Künstler, aber er verwarf aufs bestimmteste den Gedanken an eine Verbindung mit ihm, weil er Traudl nur mit dem Mändl-Fritz verheiratet sich als glücklich denken konnte, worin ihm seine Frau vollkommen beistimmte.

»'s Büachl vom Lorle muaß's lesen,« sagte der Schleifer. »Die Tochter von unserem Wirt in Wolnzach hat mir's verschafft. Dös muaß's lesen; d'rüber kann's dann nachstudiern, was ihr besser thuat.«

Die Mutter versuchte dann noch dem Sohn gut zu reden und den Vater zu seinen Gunsten umzustimmen, aber der Veteran ehrte wohl die Bemühung des Mutterherzens, doch machte ihn nichts in seiner Ansicht wankend.

Als es Zeit war, nach dem Mändlhof zu gehen, um der Einladung Folge zu leisten, machten sich die Eltern mit Traudl auf den Weg dorthin. Letztere hatte auf Befehl der Mutter ihr bestes Gewand angezogen und versprach ihr, heiter, wie sonst zu sein, und das stille Hinbrüten, 178 welches sie seit ihrer Ankunft zur Schau trug, beiseite zu lassen.

Auch Frau Lechner hatte ihr Feiertagskleid angezogen und das schwarzseidene Kopftuch, das sie nur an Festtagen trug, umgebunden.

Die Sonne war eben im Verscheiden, als sie den Hang zum Hof hinaufschritten. Die Ferne tauchte sich in Purpur und Violett von den zartesten bis zu den tiefsten Nuancen; die ganze Natur, die Berge und der Himmel schwammen in einem Aether von überirdischer Glorie.

»'s is dennast nirgend's schöner, als in unserm Wald herin!« meinte der alte Schleifer. »Mi bringt koa' Teufi mehr außi!«

»Mi g'wiß aa nöt!« stimmte die Frau lachend bei.

Traudl aber schwieg. Sie umspannte mit ihrem Blick die sich ihr darbietende Herrlichkeit, sie dachte an nichts Bestimmtes, nur so viel war ihr klar, daß sie sonst diese Herrlichkeit nicht so zu erfassen vermochte, wie eben jetzt.

Fritz Mändl kam den Gästen entgegen und führte sie nach dem Hof. Die Stube, deren Wände bis zur Hälfte der Höhe getäfelt waren, zeichnete sich durch große Sauberkeit aus. Tische, Bänke und Kasten waren blau mit roten Blumen bemalt. Der grüne Kachelofen trat weit in die Stube vor. Der Tisch in der Ecke, in welcher das Hausaltärchen angebracht, war mit schönem weißem Linnen gedeckt, blanke Zinnteller standen bereit; die Gäste wurden sofort eingeladen, Platz zu nehmen.

Frau Mändl war schon viele Jahre Witwe. Trotz des schon silberschimmernden Haares leuchtete ihr eine jugendlich warme Seele aus den Augen. Von mehreren Kindern waren ihr nur zwei geblieben, Fritz, der Lehrer, 179 und ein jüngerer Sohn Namens Michel, welcher die Wirtschaft betrieb und seinerzeit das Gütchen übernehmen sollte. Diese beiden Söhne waren bemüht, das Alter der Mutter nach Thunlichkeit zu verschönern, und bestand der Hauptreichtum auf dem Mändlhof in der Zufriedenheit.

Die Abendmahlzeit, welche den Gästen vorgesetzt wurde, hatte nichts gemein mit den vier Elementen der Waldlerkost: Kraut, Selbers (d. i. saure Milchsuppe), Erdäpfel und Brein, sondern sie bestand aus gebratenen Hühnern und gebackenen Forellen, welch letztere Michel aus dem zum Hause gehörigen Fischwasser gefangen, und noch mancher süßen und sauren Zuspeise.

Nachdem abgespeist war, zeigte Frau Mändl dem Schleifer-Ehepaar die bisherigen Ergebnisse der heurigen Obsternte und forderte sie auf, ihr zu diesem Zweck in die Obstkammer zu folgen. Da auch Michl schon vorher die Stube verlassen, war Fritz mit Traudl allein zurückgeblieben.

Diese merkte sofort, wo das hinaus wollte, und ihr angeborener Humor und ihre Schalkhaftigkeit, welche seit einigen Wochen ganz zurückgedrängt wurden, gewannen auf einmal wieder die Oberhand. Es erheiterte sie schon das sichtliche Bestreben des Lehrers, den günstigen Augenblick zu einer Erklärung nicht nutzlos vorübergehen zu lassen. Aber in der Verlegenheit, welche ihn befiel, als er sich zu der entscheidenden That aufraffen sollte, brachte er nichts heraus als: »Ja, ja, morgen muß ich halt fort!«

Und bis ihm diese merkwürdige Neuigkeit einfiel, brauchte er wohl fünf Minuten.

180 Traudl richtete an der neubesaiteten Guitarre herum und fragte:

»Nehmen S' dös Instrument aa mit?«

»Natürlich,« erwiderte der Lehrer. »Aber Traudl, ich möcht doch, daß du zu mir auch »du« sagtest.«

»Das schickt sich nöt, ich »du« sagen zu mein' ehemaligen gestrengen Lehrer!«

»War ich denn streng?«

»No', mitunter!«

»Gegen dich hab ich nie Ursache gehabt, streng zu sein. Aber was ich fragen wollt –«

»Ja, i wollt auch fragen,« unterbrach sie ihn. »Seid's z'frieden mit'n Obst heuer?«

»Mit'n Obst? Ja freilich.«

»Habt's viel Birn kriegt von dem obern Baam, im Feld, unter dem a Bankl anbracht is, wo i so gern sitz im Feierabend?«

»Ja, recht viel. Jetzt aber, Traudl, möcht ich –«

»Daß ich Ihnen was vorsing? Sehn's, i hab' Ihnen grad recht schön bitten woll'n, daß Sie was singen. I hör' Ihna so gern zu, aber was Lustig's!«

Der Lehrer hätte aber lieber sprechen mögen, er wollte sich erklären. Singen konnte er das, was er im Sinn hatte, nicht, wenigstens nicht in lustiger Weise, es war ja so ernst, es handelte sich um sein Lebensglück, das konnte er nicht so scherzend behandeln. Er stimmte die Guitarre, oder besser, er verstimmte sie vor lauter Stimmen. Dann begann er das alte Volkslied, das ihm am besten für den Augenblick zu passen schien:

»Ach wie wär's möglich dann,
Daß ich dich lassen kann, 181
Hab dich von Herzen lieb,
Das glaube mir!
Du hast die Seele mein
So ganz genommen ein,
Daß ich kein' andre lieb,
Als dich allein.«

Und jetzt hatte er sich Mut angesungen. Er legte die Guitarre zur Seite und sagte:

»Jetzt, Edeltraud, muß's einmal heraus; du sollst wissen –«

In diesem Augenblick kamen die anderen zur Thür herein. Die Obstvisitation war vorüber, ebenso die Gelegenheit für Fritz, mit der Geliebten allein zu sein, und mit einem Seufzer mußte er der Mutter, die ihn heimlich fragte, ob's in Richtigkeit sei, antworten:

»Wäret's länger ausblieben!«

Frau Mändl merkte sich diesen Verweis und wollte, nachdem die Gäste etwas Bier getrunken, wiederholt mit diesen die Stube verlassen, um das »Kaibl« zu besichtigen, das vor einigen Tagen zur Welt gekommen. Da aber Traudl sofort erklärte, das interessiere sie ebenfalls und auch sogleich aufstand, so schlug diese Finte der guten Frau zum Aerger des Lehrers abermals fehl.

Bald darauf, nachdem Traudl noch einige Lieder des Lehrers zum besten gegeben, wodurch dieser wieder in glücklichere Stimmung versetzt wurde, galt es, den Heimweg anzutreten.

Es war eine herrliche Nacht. Am lasurblauen Himmel hatte der liebe Gott seine Leuchtfeuer angezündet, von denen jedes eine Welt ist. Gegen den Arber strahlte der Mars wie ein tröstendes, funkelndes Auge Gottes.

182 »Zu dem werd ich oft herschauen,« sagte Fritz; »von meinem neuen Bestimmungsort werde ich aufschauen zu ihm, wenn ich mich einsam und verlassen fühle.«

»Warum g'rad zu dem?« fragte Traudl.

Jetzt raffte sich Fritz auf, die Dunkelheit gab ihm Mut, so daß er antwortete:

»Traudl, das weißt du so gut wie ich. Sollst du's nicht wissen wollen, dann werd' ich's ja bald erfahren. Und jetzt b'hüt di Gott! Morgen in aller Früh geht's fort. Bald seh'n wir uns wieder.«

Er drückte des Mädchens Hand, wie er es nie zuvor gethan. Traudl fühlte wohl, daß das mehr als Freundschaft sei, wie seine Hand zitterte, und sie konnte nicht anders, als in innigem Ton erwidern:

»Leben's wohl, Herr Fritz. Auf glücklich's Wiederseh'n!«

Nachdem sich Fritz auch von Traudls Eltern verabschiedet, trat er den Heimweg an.

Die letzten Worte Traudls hatten sein Herz mit neuer Hoffnung erfüllt. Eine Sternschnuppe fiel vom Himmel und Fritz beeilte sich, den Wunsch auszudenken: Traudl! Mein Weib! 183


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