Maximilian Schmidt
Die Hopfenbrockerin
Maximilian Schmidt

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XI.

Ein wunderbarer Herbstmorgen folgte der im gesunden Schlaf der Jugend wie im Flug dahin entschwundenen Nacht. Muckl hatte nicht viel Zeit mit Ankleiden zu verlieren, und zur Toilette diente ihm der Brunnen im Hof. Er war soeben mit der Ordnung der Haare fertig, als eine der »Damen«, die er gestern abend so lustig in der Wirtsstube beisammen sah, sich ihm nahte und freundlich einen »guten Morgen« wünschte, was Muckl selbstverständlich gebührend erwiderte.

»Sie müssen entschuldigen,« sagte das Fräulein, »ich wollte nur wissen, ob ich mich nicht täusche. Sie haben so große Aehnlichkeit mit einem jungen Mann, der mir schon viele Thränen verursacht hat.«

»Ich? Thränen?« fragte Muckl, das Mädchen genauer betrachtend. Da war es ihm ebenfalls, als hätte er dieses Gesicht schon einmal gesehen. Dasselbe zeigte nicht mehr die erste Jugend, aber es lag etwas darin, so etwas gewisses Fesches, was den Jäger sofort für sie einnahm. Fesch war sie auch, wie sie vor ihm stand, den rechten Fuß vor, mit einer Georgine, die sie in der Hand hielt, wie mit einer Reitgerte spielend. Ihr schönes, üppiges Haar hatte sie mit einem lila Schleier bedeckt. Ihre Gestalt war schlank und zeugte von schönstem Ebenmaß. Gesehen mußte er dieses Mädchen schon einmal haben, aber Muckl konnte sich dessen nicht näher erinnern.

154 Dieses aber lächelte und sagte:

»Vielleicht irre ich mich doch. Es sind erst wenige Wochen her, da habe ich den, welchen ich meine, tot vor mir gesehen.«

»Mich?« fragte Muckl, sich bemühend, möglichst hochdeutsch zu sprechen. »Ich kann Ihnen mein Wort darauf geben, ich war noch niemals tot.«

»Nun, sagen wir bewußtlos,« meinte das Fräulein. »Der betreffende war ein blühender hübscher Forstmann; er erhielt einen Revolverschuß infolge eines Streites. Ich kam dazu, als man ihn vom Platz trug. Man hielt ihn für verloren. Solch ein schöner Mann verloren! Wer sollte da nicht gerührt werden? Ich mußte weinen, und nicht um die Welt hätte ich an jenem Tag mehr gearbeitet.«

»Wo ist denn das alles g'schehn?« fragte Muckl, dem doch allmählich der Zusammenhang klar zu werden schien.

»In St. Quirin bei Falkenstein war's. Aber nein, Sie können das nicht sein. Er war ja ein fürstlich Taxisscher Jäger, während Sie, gleich mir und meinen Kollegen, durch die Umstände veranlaßt sind, eine Zeitlang in den Hopfengärten Landaufenthalt zu nehmen.«

»Jetzt kenn ich Sie!« rief Muckl. »Sie sind die fesche Kunstreiterin, Fräulein –?«

»Lucie!« ergänzte sie. »Ja, die bin ich. Außer Dienst aber heiße ich Else. Und Sie?«

»Ich bin schon der, für den Sie mich halten.«

»Also doch? Aber wie kommt es, daß Sie auch –«

»Sie meinen, daß ich Hopfen zupfe?« sagte er errötend. »Das war ja nur Spaß. Ich bin auf einer Urlaubsreise begriffen und wollte mir einen Jux machen.«

»Ah so!« versetzte Else. »Dasselbe ist bei uns der 155 Fall. Wir haben unsere paar Rößlein im nächsten Bauerndorf untergebracht, bis das Volksfest in Pfaffenhofen beginnt; einstweilen machen wir uns das Vergnügen, Hopfen zu zupfen. Es ist das eine so nette Arbeit, und man muß verdienen, um anständig leben zu können. Vielleicht leisten Sie uns Gesellschaft, Sie so viel Beweinter?« setzte sie mit einem vielsagenden koketten Lächeln hinzu.

Muckl war es ganz eigentümlich zu Mute. In Gesellschaft dieses hübschen Mädchens sein zu dürfen, war nicht so von der Hand zu weisen. Aber er war erkannt. Es konnte kein Geheimnis bleiben, daß er durch Hopfenbrocken sich Geld verdiente. Was würde sein Kollege Münsterer sagen, wenn er das erführe und – »Heiliger Gott!« wenn es seinen Vorgesetzten oder gar dem Fürsten zu Ohren käme – das kostete ihn seine Stelle; mit Schanden entlassen, das mußte die Folge sein! Jetzt kam ihm plötzlich ein erlösender Gedanke.

»Wie können Sie denken, daß es mir einen Augenblick ernst war, selbst zu zupfen. Nur sehen wollte ich die Arbeit in den Hopfengärten, nicht selbst arbeiten. Ich warte hier nur eine telegraphische Geldanweisung ab, um dann meine Fußreise fortzusetzen.«

»Ah so, dacht' ich mir's doch!« sagte Else. Dann aber setzte sie neckisch hinzu: »Dann wünsche ich nur, daß diese Anweisung recht lange ausbleibt, damit wir uns Ihrer Gesellschaft erfreuen können. Mittags sind wir freilich nur kurze Zeit, abends aber desto länger hier. Der Hopfengarten indessen ist nicht weit von da, sehen Sie, dort an jenem Hügel. Und nun, mein Herr Forstmann, auf Wiedersehen!« Sie reichte ihm freundlich lächelnd die Hand, die Schirmer eifrig erfaßte, indem er freudig erregt sagte:

156 »Ich bleib' da – darauf können Sie sich verlassen, Fräulein Else!«

Mit gehobener Stimmung blickte er der Davoneilenden nach. Den Wirt, der zu ihm herantrat, fragte er, ob man von der Bahnstation aus telegraphieren könne, und bat ihn, ihm auf seine Uhr so viel zu leihen, als die Depesche koste, durch welche er Geld nachgesendet verlange. Er wäre fürstlich Taxisscher Jäger und brauche sich nicht durch Hopfenzupfen Geld zu verdienen. Das sei nur ein schlechter Witz gewesen. Er schickte sodann folgende Depesche ab:

»Herrn Schirmer, Falkenstein im Walde. Bitte sofort 25 Mark als telegraphische Anweisung Bahnstation Au in der Holledau senden. Näheres mündlich. Muckl.«

Dann schlug er den Weg nach dem Hopfengarten ein, in welchem die Kunstreiterinnen beschäftigt waren. Der alte Klein, der frühere Zirkusdirektor und Vater Elses, saß ebenfalls dabei und zupfte die Trollen in den vor ihm stehenden Korb. Froher Gesang hallte durch den Hopfenwald. Es schienen glückliche Menschen zu sein, nur für den Augenblick lebend, für das Heute; für morgen würde der liebe Gott schon sorgen.

Dem Muckl gefiel das ungemein. Noch mehr gefielen ihm die feurigen Augen Elses, die mehr auf ihn, als auf die Hopfentrollen gerichtet waren.

Mittags traf die telegraphische Anweisung dann ein, gerade als Muckl am Tisch der Künstler sein Mittagsmahl einnahm.

»Sie reisen doch noch nicht?« fragte Else, anscheinend betrübt.

»Nein. Wenn Sie es wünschen, so bleibe ich wenigstens heute noch,« entgegnete Muckl galant.

157 Aber abends, als er im Kreise der Kunstreiter vergnügte Stunden verlebt, konnte er die Versicherung geben, daß er auch morgen noch bleibe. Auf das »morgen« folgte ein »übermorgen«, und an dem »übermorgen« war die Ursache zu Muckls Lustreise, nämlich Edeltraud, vergessen. Was war sie, die nicht einmal einen »Hut« trug, die nicht zum Vergnügen, sondern aus Not Hopfen zupfte, mit ihrer mangelnden Bildung gegen die gewandte Else, welche gewiß als »Frau Forstwart« besser repräsentieren könnte! Fräulein Else däuchte ihm die richtige Frau für ihn zu sein und so sah er sich veranlaßt, nach einigen Tagen wiederholt um Geld nach Hause zu telegraphieren.

»Die Richtige gefunden,« telegraphierte er. »Schickt mir nochmals 25 Mark.«

Das Geld kam wohl, aber auch der väterliche Befehl, sofort nach Hause zu kommen. Muckl aber blieb, solange das Geld reichte. Das schmolz zusammen, wie Schnee in der Sonne, besonders nach dem Besuch einer Hausiererin, welche mit Goldwaren handelte, von denen einige Exemplare Fräulein Else so ausnehmend gefielen, daß Muckl nicht umhin konnte, sie ihr zum Geschenk zu machen. Bald war in seiner Kasse abermals eine solche Ebbe eingetreten, daß sie kaum mehr zur Bezahlung der Bahnfahrt ausreichte und ihm auf der Heimreise strengste Diät auferlegte. So rüstete er sich denn endlich, nachdem er mit Else alles besprochen und abgemacht, zur Abreise über Ingolstadt und Regensburg. Selbstverständlich gab es einen zärtlichen Abschied, bei welchem ihm eine Kollegin Elses einen Zettel in die Hand drückte mit dem Bemerken, ihn erst auf der Fahrt zu lesen.

Es war Frauentag, Maria Geburt, als Muckl in den 158 nach Wolnzach abdampfenden Zug einstieg und von dannen fuhr. Mit Kußhänden und Tücherschwenken wurde er verabschiedet. Trotz der leeren Taschen war der Verliebte in sehr feiertäglicher Stimmung.

»Wer hätte das gedacht, daß mir die Holledau, die ich am ersten Tag so verwünschte, so viel Glückseligkeit brächte!« sagte er zu sich selbst. »Ja, die Else ist ein Prachtmädel!«

»Donnerkeil!« würde sein Vater sagen, wenn er sie ihm als Schwiegertochter vorstellen würde. Wie ihr der Hut heute gestanden! Fesch! Fesch! Da müßte auch seine Mutter zufrieden sein, mit so einem Hut –

So weit war er in seinen Träumereien gekommen, als ihm der übergegebene Zettel einfiel. Neugierig zog er ihn hervor und las:

»Sie gutmütiger Mensch thun mir wirklich leid, ich muß Ihnen die Augen öffnen. Else ist schon zweimal verheiratet gewesen und zweimal geschieden. Wollen Sie der dritte Bethörte sein?«

Die Augen, das Gesicht Muckls, wie er nach diesen Zeilen starrte und sie immer und immer wieder las, das alles muß sehr dumm und komisch gewesen sein, denn die nebenan sitzenden Reisenden hatten Mühe, ihm nicht direkt ins Gesicht zu lachen. Er konnte sich lange nicht fassen, endlich aber gab er seinen Gefühlen in den Worten Ausdruck, die er zwischen den Zähnen hervorpreßte:

»Wenn nur der Kuckuck die Holledau holet! Fort! Naus! Hoam möcht' i!«

Wie Hohn mutete es ihn an, als der Zug anhielt und der Schaffner »Wolnzach« rief. Und dieser Ort lag so hübsch, so einladend da. Hier hätte er sicher diejenige 159 gefunden, um deretwillen er die Reise gemacht. Wäre er doch gleich hieher; er wäre jetzt um 100 Mark reicher und um soundsoviel Schande und Dummheiten ärmer – und – und –.

Seine Gewissenserforschung ward plötzlich durch ein Ereignis unterbrochen, das sich auf dem Platz vor der Station abspielte und sein vollstes Interesse in Anspruch nahm.

Während der ganzen Zeit, in welcher Hopfen geerntet wird, ist der Festtag Maria Geburt der einzige Rasttag der Hopfenbrocker. Da kleiden sich die Leute in ihr Sonntagsgewand, besuchen die Kirche, lungern in den Straßen herum oder machen Ausflüge in die Umgebung. Daß es bei solcher Gelegenheit nicht immer friedlich hergeht, besonders wenn die Leute dem braunen Saft, mit dessen Hauptbestandteil sie die ganze Zeit über in innigster Berührung gewesen, mehr zugesprochen, als ihnen zuträglich, begreift sich. Da wird in den Wirtshäusern der großen Bauerndörfer gezecht, gesungen und, es währt nicht lange, auch getanzt. Jede Landsmannschaft hat ihre eigenen Tänze, ihre eigenen Gesänge, aber auch ihre eigenen Mädchen, die zu Eifersuchtsszenen Veranlassung geben, zu Streit und förmlichen Raufereien, wobei das Messer eine Rolle spielt und nicht selten gefährliche Verletzungen, ja selbst Totschläge vorkommen.

Aber zu dem Auflauf, welcher schon gleich nach dem Morgengottesdienst in Wolnzach vor dem Gasthaus des Bichlbräu stattfand, hatte übermäßiger Biergenuß oder Eifersüchtelei keine Veranlassung gegeben. Es waren die Wäldler, welche von der gestrigen Begegnung des unter ihnen allbeliebten Schleifer-Toni mit seinem Sohn, 160 niemand wußte wie, Kenntnis erhalten hatten. In der Heimat wurde ja längst mit offenem Tadel von dem Sohn gesprochen, der »steinreich« war und sich seiner armen, braven Eltern zu schämen schien, sie weder mehr besuchte, noch in irgend einer Weise in ihrer Drangsal unterstützte. Als die Hopfenbrocker nun hörten, daß dieser Sohn jetzt in Wolnzach als Hopfenhändler sei und seinem Vater vorgeworfen habe, daß er ihm durch seine Arbeit hier Schande angethan, so daß der Vater vor Aufregung vom Schlag getroffen worden, wuchs ihr beleidigtes Rechtsgefühl, ihre Erbitterung dermaßen, daß sie ihrer Empörung laut Luft machen mußten.

Franz hatte sich von Vater und Schwester verabschiedet mit dem Versprechen, sie in allernächster Zeit in der Heimat zu besuchen, wohin er sie so rasch als möglich zurückzukehren bat. Der Alte, welcher sich heute besser fühlte, meinte aber, es sei ratsamer, noch acht Tage hier zu bleiben, in welcher Zeit die Arbeit ohnedem beendet und sie dann mit den Landsleuten zusammen heimkehren könnten. Eine dargebotene Unterstützung des Sohnes wies er entschieden zurück, indem er meinte, es sei besser, Franz sei jetzt für sich und seine Familie, für seine Ehre besorgt.

»Darf ich dem Schwager Hoffnung geben?« fragte Franz noch einmal die Schwester, ehe er ging.

»I kann eam erst d' Antwort geben dahoam, im Wald.«

Franz verließ den Gasthof. Er war nicht wenig erstaunt, vor dem Haus eine Ansammlung von Hopfenbrockern zu sehen, und, wie er erkannte, Leute aus seiner Heimat. Dieselben brachen bei seinem Erscheinen in Hohnrufe und Schimpfreden aus. Obwohl es ihm gelang, sich 161 rasch den Weg zu bahnen, konnte er es nicht verhindern, daß ihm die Leute folgten. Hunderte gesellten sich dazu, die nicht wußten, um was es sich handle, aber gegen den jungen Mann sofort Partei nahmen, als sie hörten, daß er seinen Vater »mißhandelt« habe, weil er ein Hopfenbrocker sei. Die Kinder schrieen ihm zu:

»Neidkragen, Neidkragen!
Hast dein' Vater im Bett daschlagen.«

Dies wurde wie aus einem Mund immer und immer wiederholt und dem jungen Mann in die Ohren geschrieen, einige Pfiffe mischten sich darein, und als Franz mit seinem Stock nach den ihn bedrängenden Jungen hieb, entriß ihm ein Mann denselben und zerbrach ihn. Erst an der Bahnstation angelangt, war es der herbeigeeilten Sicherheitswachmannschaft möglich, dem Bedrängten den nötigen Schutz angedeihen zu lassen. Die Hopfenbrocker aber ließen nicht nach, im Chor immer zu wiederholen:

»Neidkragen, Neidkragen!
Hast dein' Vater im Bett daschlagen.«

So war die Lage, als der Bahnzug in der Station einfuhr und Muckl aus seinen Gedanken gerissen wurde. Er sah den von der Wachmannschaft Beschützten und die tobende Menge. Muckl sah sich den Mann näher an und erkannte in ihm seinen ehemaligen Mitschüler, Edeltrauds Bruder.

Kaum hielt der Zug an, als Franz auf den nächsten Wagen zueilte, auf jenen, in welchem Muckl sich befand. Schweißtriefend setzte er sich in eine Ecke, tief aufatmend, einem gehetzten Flüchtling gleich, während die Menge draußen johlte, bis der Zug sich in Bewegung setzte.

Jetzt hörte sich Franz angesprochen, und als er 162 aufblickte, sah er sich Muckl gegenüber, den er ebenfalls sofort erkannte.

»Du bist doch der Franz Lechner?« fragte dieser. »Was zum Kuckuck is's denn mit dir?«

»Die elende Bande!« knirschte Franz. »Hätt' ich nur einen Revolver da!«

»Was wollen denn die Leute von dir? Was soll denn das Geschrei?«

»Ich weiß nicht!«

»Hast denn dein' Vater erschlagen? 'n alten, braven Veteranen? Der Edeltraud ihren Vater?« fragte Muckl erschrocken.

»Unsinn!« stieß Franz hervor.

»No', hör', so a Ehrengeleit muaß sein' Grund haben.«

Auch die Mitreisenden betrachteten den so seltsam Gefeierten voll Neugierde.

»Sag' mir vor allem,« begann jetzt Muckl wieder, »is dei' Schwester in Wolnzach?«

»Ja, mit 'n Vater. I war überrascht, sie da zu treffen. I hab' allerdings gestern mit dem Vater einen kleinen Disput gehabt. Der war aber nicht schuld an dem Anfall, den er bald darauf bekommen, von dem er sich, Gott sei Dank, bald wieder erholt hat. Ich wenigstens kann nicht glauben, daß das schuld gewesen ist.«

»Was hast denn für an' Disput mit eam g'habt?«

»Weil ich mich geschämt hab', meine Leute unter den Hopfenbrockern zu sehen und verlangte, daß sie gleich heim sollten in den Wald,« sagte Franz, aber so leise, daß es keiner der Mitreisenden hören konnte.

»So, so!« machte Muckl. »G'schämt hast di doch? Weißt, i bin nur a gering besoldeter Förster, aber i gebet 163 meinen Eltern den letzten Pfennig, wenn i s' in Not wüßt, und lasset s' nöt ins Hopfenbrocken geh'n, obwohl dös ja koa' Schand is, und i selber –«. Verlegen hielt er inne. Dann fuhr er fort: »Du hast schon g'seh'n, wie sich's Volk gegen dich g'stellt hat. Und i, du sollst es lieber glei erfahren, bin in d' Holledau, um dei' Schwester z'suchen. I hab s' aber nirgends g'funden. Weißt, i hätt' mir s' direkt aus 'n Hopfengarten g'holt. Jetzt muß i freili hoam; aber i werd' mir s' schon no' holn, g'setzt, sie nimmt mei' Werbung an.«

Franz blickte überrascht auf den Jäger.

»Ja, woher kennst denn du meine Schwester?« fragte er.

»Von Falkenstoa' her halt. Sie war ja mit dein' Vater bei uns im Quartier; unsere Väter san ja Kriegskameraden und die besten Freund. Ihrethalben hab i 'n Schuß in Arm kriegt von dem Malerfexen, der si ans Deandl g'macht hat, was i nöt leiden hab woll'n.«

»Ein Maler?« fragte Franz. »Wie heißt er denn?«

»Bergwald.«

»Er?« rief Franz und setzte dann lächelnd hinzu: »Lieber Freund, ich glaub', du kommst zu spät. Er hat gestern um Traudl g'freit –«.

»Was? Hat's »ja« g'sagt?«

»Sie hat sich Bedenkzeit ausgebeten.«

»Und gestern war's?« rief Muckl sich vergessend. »Und ich Simpel hock in die Hopfengärten 'rum und laß mi an der Nasen rumführ'n, dieweil – Kreuzschockschwerenot! I möcht mir selm an' Rippenstoß geben!«

»Wolnzach, Bahnhof! Alles aussteigen!« rief der Schaffner.

164 Beide stiegen eilig aus.

»Wo fahrst denn hin?« fragte Franz.

»Mit 'n Personenzug über Ingolstadt nach Regensburg,« antwortete Muckl und fragte dann den Schaffner: »Is er dös?«

Ein Zug brauste heran.

»Nein, das ist der Schnellzug nach Nürnberg,« gab dieser zur Antwort.

Der Zug hielt an, die Coupeethüren flogen auf.

»Einsteigen nach Nürnberg!« hieß es.

»Das geht mich an,« sagte Franz. »Adieu, Schirmer.«

»Also meinst, mit der Traudl is's nix mehr?« fragte Muckl dem Wegeilenden nach.

Dieser zuckte die Achseln.

»Kannst's ja probieren!« rief er zurück und eilte davon.

Muckl sah ihm verblüfft nach.

»Probiers!« sagte er zu sich. »Wenn nur den Bergwald der Teu–«

Er vollendete nicht, sondern brütete still vor sich hin. Dabei kam er an der Bahnhofrestauration an, wo schäumendes Bier und appetitliche Bratwürste seinen Blick fesselten.

»Wie soll man einen vernünftigen Gedanken fassen können mit leerem Magen und leerer Tasche!« seufzte er. »I merk's schon, für mi is d' Holledau a Schmerzenslandl. Drum fort von da, dorthin, wohin i g'hör und wo i hoffentli wieder vernünfti werd', in den Wald – in den grünen Wald.« 165


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