Heinrich Schliemann
Ithaka der Peloponnes und Troja
Heinrich Schliemann

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Zwanzigstes Kapitel

Grab des Aesyetes. – Grabhügel der Batieia oder Grab der Amazone Myrine. – Udjek-Tepe kann nicht das Grab des Aesyetes sein. – Türkische Kirchhöfe voll alter Bildwerke. – In-Tepe oder Grab des Ajax. – Ruinen von Rhöteum. – Der Boden der Ebene von Troja kann nicht angeschwemmtes Land sein. – Grosse Seen am Meeresufer. – Reissende Strömung des Hellespont. – Grabhügel des Patroklus, Archilochus und Achilles. – Ruinen der Stadt Achilleion. – Die Stadt Sigeum. – Besuch und Opfer Alexanders des Grossen und Caracalla's am Grabe des Achilles.

Strabo (XIII, 1 S. 109 Tauchnitzer Ausgabe) führt noch als Beweis gegen die Identität von Neu-Ilium und dem Ilium des Priamus die Verse (Il. II, 791–794) an:

Εἴσατο δὲ φθογγὴν υἷϊ Πριάμοιο Πολίτῃ,
Ὃς Τρώων σϰοπὸς ἷζε, ποδωϰείῃσι πεποιθώς,
Τύμβῳ ἐπ᾽ ἀϰροτάτῳ Αἰσυήταο γέροντος,
Δέγμενος, ὁππότε ναῦφιν ἀφορμηθεῖεν Ἀχαιοί.

»Iris glich an Stimme Polites, dem Sohne des Priamus, der, im Vertrauen auf die Schnelligkeit seiner Füsse, als Wache oben auf dem Grabeshügel des alten Aesyetes sass, um zu erspähen, wann die Achäer aus den Schiffen hervorstürmen würden.«

Strabo fügt hinzu: wenn Troja an der Stelle von Neu-Ilium gestanden hätte, so würde Polites die Bewegungen der Griechen bei den Schiffen besser von der Höhe von Pergamus aus haben beobachten können, als vom Grabhügel des Aesyetes, welcher auf dem Wege nach Alexandria-Troas, 5 Stadien (925 Meter) von Neu-Ilium liegt.

Wenn Strabo's Voraussetzung sich bestätigte, so hätte er vollkommen Recht; aber er ist offenbar durch Demetrius von Skepsis rücksichtlich der Identität dieses Grabhügels mit dem Grabe des Aesyetes irregeführt worden. Strabo sagt, dasselbe habe 5 Stadien (925 Meter) von Neu-Ilium, auf der Strasse nach Alexandria-Troas gelegen, also im Südwesten von Ilium, im Thale, auf der Hälfte Weges zwischen der Stadt und dem Skamander, und an dieser Stelle entspricht es vollkommen der Lage des Grabhügels Batieia, dem Grabe der Myrine, über welches sich bei Homer folgende schöne Verse finden (Il. II, 811–815):

Ἔστι δέ τις προπάροιθε πόλιος αἰπεῖα ϰολώνη
Ἐν πεδίῳ ἀπάνευθε, περίδρομος ἔνθα ϰαὶ ἔνθα.
Τὴν ἤτοι ἄνδρες Βατίειαν ϰιϰλήσϰουσιν,
Ἀθάνατοι δέ τε σῆμα πολυσϰάρθμοιο Μυρίνης ·
Ἔνθα τότε Τρῶές τε διέϰριθον ἠδ᾽ ἐπίϰουροι.

»Vor der Stadt, seitwärts in der Ebene, erhebt sich ein steiler, freistehender Hügel, den die Menschen Batieia, die Unsterblichen das Grab der gewandten Myrine nennen; dort stellten sich gesondert die Trojaner und ihre Verbündeten auf.«

Nach Strabo war diese Myrine eine der Amazonen (Strabo XIII, 4 S. 147), welche Troja belagerten (Ilias III, 189–190; Herodot IX, 27).

Nach der Angabe »ἀπάνευθε«, seitwärts, in der Ebene, welche durch die Verbindung des Skamander und Simoïs eingeschlossen wird, lag der Grabhügel der Myrina ausserhalb der Marschlinie der griechischen und trojanischen Truppen, und so hat Homer nur einmal Gelegenheit gehabt, von ihm zu sprechen, während er oft vom Feigenbaum und der Buche spricht, weil sie auf dem Wege standen, den die Heere durchzogen.

Die periodischen Ueberschwemmungen des Skamander mögen allmälig den Grabhügel Batieia unterminirt und weggespült haben, denn es ist keine Spur mehr von ihm vorhanden.

Der Grabhügel Udjek-Tepe, in dem man ganz irriger Weise das Denkmal des Aesyetes erkennen will, befindet sich auch in der Richtung von Hissarlik nach Alexandria-Troas, nicht 925, sondern 7000 Meter von Hissarlik, und 12 000 Meter vom griechischen Lager. Mit blossem Auge kann man selbst auf die Hälfte dieser Entfernung niemand erkennen, und sogar die Schiffe erscheinen nur als kleine Puncte.

Strabo's Irrthum ist verzeihlich, weil er nur die eigennützigen Lügen des Demetrius von Skepsis wiederholt; unverzeihlich aber ist der Irrthum derjenigen, welche fest an die Identität von Bunarbaschi und der Stelle von Troja glauben, und selbst nachdem sie die Ebene von Troja und Udjek-Tepe besucht haben, noch immer behaupten, dieses Denkmal sei das Grab des Aesyetes, von wo aus Polites die Bewegungen der Griechen bei den Schiffen erspähete. Ich fordere alle diese Schriftsteller und Vertheidiger einer vernunftwidrigen Annahme auf zu beweisen, dass jemals ein Mensch auf eine Entfernung von 6 Kilometer (die Hälfte des Weges von Udjek-Tepe nach dem griechischen Lager bei Sigeum) einen andern erkennen könne. Ausserdem beträgt die Entfernung von Bunarbaschi bis Udjek-Tepe 6 Kilometer, dagegen die von Bunarbaschi bis zum griechischen Lager 14 Kilometer. Es giebt wahrlich nichts Absurderes, als sich einzubilden, Polites habe 12 Kilometer (hin und zurück) gehen können, um 12 Kilometer statt 14 vom griechischen Lager zu sein.

Vielmehr müssen wir dem Grabe des Aesyetes seine Stelle zwischen der Furth des Skamander und dem griechischen Lager anweisen; aber etwa 1 Kilometer nordöstlich oder südwestlich ausserhalb der geraden Linie zwischen diesen beiden Puncten; denn hätte sich dasselbe auf dem Schauplatze der Schlachten und der Heeresmärsche befunden, so würde es Homer öfter als einmal erwähnt haben.

Bei dieser Gelegenheit will ich noch die Bemerkung machen, dass der Grabhügel Udjek-Tepe, das falsche Grab des Aesyetes, welches ich besucht habe, wie alle Grabhügel der trojanischen Ebene, von kegelförmiger Gestalt ist; er hat 25 Meter Höhe und 130 im Durchmesser an seiner Grundfläche. Man kann sich eine Vorstellung von der Grösse dieses Grabmals machen, wenn man nach der Bemerkung von Lenz bedenkt, dass die höchsten Häuser von Paris nicht über 22 Meter hoch und wenige über 22 Meter lang und breit sind.

Erst um drei Uhr Nachmittags brach ich mit meinem Führer und den Arbeitern auf. Wir passirten die Dörfer Kalifatli und Kum-Kevi, deren Kirchhöfe, nach Art von Grabdenkmälern, eine Menge Säulen und Bildwerke jeder Art enthalten, die man von der Stelle Neu-Iliums genommen hat.

Hierauf folgten wir dem Laufe des In-Tepe-Asmak, welcher, wie ich schon gesagt habe, der Hauptarm des Dumbrek-Su (Simoïs) ist, und bei seiner Wendung gegen Norden den Namen In-Tepe-Asmak von dem Grabe des Ajax erhält, welches In-Tepe genannt wird, in dessen Nähe er sich ins Meer ergiesst.

Dieser 600 Meter vom Ufer liegende Grabhügel ist aus Erde aufgeworfen. Man hat ihn geöffnet und in seinem untern Theile einen langen, 1 Meter 17 Centimeter hohen und ebenso breiten gewölbten Gang aus Ziegelsteinen entdeckt; im obern Theile sieht man zwei Mauern, Reste eines kleinen, runden Tempels von 3 Meter 34 Centimeter im Durchmesser.

Nach Strabo (XIII, 1 S. 103 Tauchnitzer Ausg.) enthielt dieser Tempel eine Statue des Ajax, welche Marcus Antonius wegnahm und der Kleopatra schenkte; Octavius Augustus gab sie den Rhöteern zurück.

Das Mauerwerk ist augenscheinlich römisch. Wir lesen auch wirklich bei Philostratus (Heroika I), dass dieser kleine Tempel vom Kaiser Hadrian wiederhergestellt worden ist. Plinius (V, 33) erwähnt, dass in der Nähe dieses Grabes die Stadt Aeantium gestanden hatte, welche zu seiner Zeit schon nicht mehr vorhanden war. Der Ufersand hat wahrscheinlich die Ruinen dieser Stadt verschüttet, denn man sieht von ihr keine Spur mehr.

Auf dem höchsten Hügel des Vorgebirges Rhöteum, welches sich ungefähr 50 Meter über den Meeresspiegel erhebt, scheint die Stadt Rhöteum »Ῥοίτειον πόλις« gelegen zu haben, denn der Gipfel ist mit zahlreichen Bruchstücken von Ziegeln und Töpferwaaren bedeckt.

Von hier aus folgte ich der Küste in westlicher Richtung nach dem Vorgebirge Sigeum zu, indem ich immer aufmerksam die Beschaffenheit des Bodens untersuchte, um zu sehen, ob er, wie Strabo behauptet, erst nach dem trojanischen Kriege aus angeschwemmtem Lande entstanden sein könne. Die stufenweise Erhebung des ganzen Abhanges der In-Tepe-Kette liess mich sofort die Annahme zurückweisen, dass dort jemals habe ein Meerbusen sein können, und ich wurde vollkommen von der Richtigkeit meiner Ansicht überzeugt, als ich die hohen und steilen Ufer des kleinen Flusses In-Tepe-Asmak und des Baches Kalifatli-Asmak, nahe ihrer Mündung, auf einem sumpfigen Terrain sah.

Wäre dieses Terrain aus den Anschwemmungen der Flüsse entstanden, so könnten die Ufer dieser Flüsse nicht eine senkrechte Höhe von 2 bis 4 Metern an Stellen haben, wo der Boden sumpfig und weich ist. Ausserdem sind auch die grossen, ungeheuer tiefen Salzseen am Ende der Ebene entschieden gegen die Annahme, dass die Ebene von Troja, ganz oder theilweise, durch Anschwemmung entstanden sein könne; denn wenn die Flüsse durch Anschwemmungen zur Bildung der Ebene beigetragen hätten, so würden diese Seen zuerst ausgefüllt worden sein. Die grosse Stomalimne, von welcher Strabo spricht (XIII, 1 S. 103 Tauchnitzer Ausgabe), ist noch vorhanden, und heute ohne allen Zweifel weder grösser noch kleiner, als zu Strabo's Zeit, denn das Wasser, welches durch Verdunstung aus der Lagune verloren geht, wird sofort durch das Eindringen des Meerwassers ersetzt; ausserdem führt die Strömung des Hellespont mit der Geschwindigkeit von drei Knoten in der Stunde alles fort, was die Flüsse anschwemmen, und setzt es bei den Untiefen links am Ausgange des Hellespont ab, einige Kilometer von der Ebene von Troja, und diese Strömung hat jederzeit ein Zunehmen der Küste verhindern müssen.

So ist die Behauptung Strabo's, dass der ganze zwischen der Küste und Hissarlik befindliche, folglich 4 Kilometer lange und ebenso breite Bodenraum, nach Homers Zeiten durch Anschwemmung entstanden sei, eine abgeschmackte Hypothese; es ist nichts weiter als eine von Demetrius von Skepsis erfundene Erdichtung, um zu beweisen, dass Neu-Ilium nicht das alte Troja sei.

Ich ging auf einer hölzernen Brücke über den Skamander, welcher nach seiner Mündung zu ein sehr breites und tiefes Bett hat und selbst im August ziemlich wasserreich ist. Auf seinem rechten Ufer ist ein künstlicher, kegelförmiger Hügel von 11 Meter Höhe und 40 Meter im Durchmesser an seiner Grundfläche, den man aufgegraben hat, ohne etwas gefunden zu haben.

Man zeigte mir einige Meter von diesem Denkmale eine kaum bemerkbare Bodenerhöhung, mit der Bemerkung, dass an dieser Stelle ein ähnlicher kegelförmiger Hügel gewesen wäre, den man, um Platz zu gewinnen, weggeräumt habe. Diese beiden Grabhügel deckten wahrscheinlich die Asche des Patroklus und Antilochus.

Zwei Kilometer weiter, am Ende der Ebene, auf einem kleinen, auf der einen Seite 8, auf der andern 17 Meter hohen Hügel, befindet sich ein anderer grösserer Grabhügel, welcher 53 Meter im Durchmesser an seiner Grundfläche hat, während seine Höhe in Folge der dort unternommenen Ausgrabungen um 8 Meter 34 Centimeter abgenommen hat. Dieses Grab wird mit Recht dem Achilles zugewiesen, denn seine Lage entspricht vollkommen den Worten, welche der Schatten des Agamemnon an den des Achilles in der Unterwelt richtet (Od. XXIV, 80–84):

Ἀμφ᾽ αὐτοῖσι δ᾽ ἔπειτα μέγαν ϰαὶ ἀμύμονα τύμβον
Χεύαμεν Ἀργείων ἱερὸς στρατὸς αἰχμητάων
Ἀϰτῇ ἐπὶ προὐχούσῃ, ἐπὶ πλατεῖ Ἑλλησπόντῳ
Ὥς ϰεν τηλεφανὴς ἐϰ ποντόφιν ἀνδράσιν εἴη
Τοῖς, οἳ νῦν γεγάασι, ϰαὶ οἳ μετόπισθεν ἔσονται.

»Ueber der Urne errichteten wir, das heilige Heer der tapfern Griechen, ein untadliges Grabmal an dem Ufer, welches in den breiten Hellespontos vorspringt, damit es weithin sichtbar sei im Meere denen, die jetzt geboren sind, wie denen, die später werden geboren werden.«

Unmittelbar im Süden von diesem Grabhügel ist der Boden mit Trümmern von Ziegeln und Töpferwaaren der alten Stadt Achilleion bedeckt, welche von den Mitylenäern erbaut wurde (Strabo XIII, 1 S. 110 Tauchnitzer Ausgabe). Die Einwohner dieser Stadt führten viele Jahre hindurch mit den Athenern Krieg, welche die Stadt Sigeum inne hatten, die in einer Entfernung von 1 Kilometer auf dem Gipfel des gleichnamigen Vorgebirges lag. Nach Strabo wurden beide Städte von den Einwohnern von Neu-Ilium zerstört. Zu seiner Zeit waren noch Ruinen von Sigeum vorhanden; da aber die neue Stadt Yenitscheri auf seiner Stelle erbaut worden ist, so ist jede Spur von Sigeum verschwunden. Auch Plinius (V, 33) bestätigt das Verschwinden von Sigeum und Achilleion.

Die Einwohner von Neu-Ilium brachten Todtenopfer nicht nur an den Gräbern des Achilles, des Patroklus und Antilochus, sondern auch am Grabe des Ajax dar (Strabo XIII, 1 S. 104). Alexander der Grosse opferte hier im Tempel des Achilles, welcher auf derselben Küste siegreich gewesen war, wo er, Alexander, gelandet war, um sich Kriegsruhm zu erwerben (Plutarch, Leben Alexander's; Cicero pro Archia, 10; Aelian V. H. 12, 7). Caracalla brachte mit seinem Heere dem Achilles Todtenopfer dar und veranstaltete Wettläufe um sein Grab (Dio Cassius LXXVII, 16).

Aus einer Stelle des Herodian (IV, S. 142) scheint sich zu ergeben, dass der Kaiser Caracalla, als er dieses Grab besuchte, auch seinen Patroklus haben wollte, um ein ähnliches Leichenbegängniss, wie Achilles für seinen Freund veranstaltete, feiern zu können. Festus, der vertraute Freund des Caracalla, stirbt plötzlich, und Herodian scheint anzudeuten, dass er an Gift stirbt, denn er sagt: »Ὡς μέν τινεσ ἔλεγον φαρμάϰῳ ἀναιρεθείς.« Sofort wird ein glänzendes Leichenbegängniss für ihn veranstaltet mit genauester Beobachtung aller der Feierlichkeiten, welche schön und ausführlich im 23. Gesange der Iliade von Achilles für Patroklus beschrieben sind. Sodann lässt Caracalla über der Asche des Festus einen kegelförmigen, dem des Patroklus ähnlichen Grabhügel errichten. Ich finde ihn in dem Agios Demetrios Tepe genannten Grabhügel wieder, auf dem hohen Gestade des ägeischen Meeres, 4 Kilometer im Süden von Sigeum, und kann mich nur wundern, dass Mauduit den In-Tepe-Hügel für dieses Grabmal hält, welches die Tradition als das Grab des Ajax bezeichnet. Er hat sich durch das darin befindliche römische Mauerwerk irreleiten lassen, welches ohne allen Zweifel von der schon erwähnten Wiederherstellung durch Hadrian herrührt.

Um noch einmal auf das grosse, am Ende des Vorgebirges Sigeum liegende Grab zurückzukommen, so hatte man im ganzen Alterthume die Ueberzeugung, dass es das Grab des Achilles wäre, und diese Ueberzeugung gründete sich ebensosehr auf die vollkommene Uebereinstimmung der Lage dieses Grabhügels mit der Stelle vom Lager des Achilles am rechten Ende der Ebene, wie auf die sich beständig gleichbleibende Tradition unter den Bewohnern des Landes.


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