Heinrich Schliemann
Ithaka der Peloponnes und Troja
Heinrich Schliemann

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Dreizehntes Kapitel

Akro-Nauplia. – Der Lernäische Sumpf. – Die Lernäische Hydra. – Schildkröten und Schlangen. – Abreise von Nauplia. – Hydra. – Die reizenden Hydriotinnen. – Sphäria und seine albanesische Bevölkerung. – Liebenswürdige griechische Gesellschaft. – Aegina. – Sein alter Ruhm. – Seine Ruinen. – Schwierigkeit, die alten Münzen zu erklären. – Das Klima Aegina's – Ankunft im Piräeus in Athen.

In der Stadt selbst ist eine zweite Festung, Akro-Nauplia. Sie hat keine Bedeutung.

Nauplia ist eine der ältesten Städte Griechenlands. Zur Zeit des Pausanias war sie unbewohnt und lag wahrscheinlich bereits in Trümmern.

Ich fuhr in einer Barke quer über den Golf von Nauplia und stieg auf der andern Seite bei dem Orte Οἱ μύλοι (die Mühlen) aus, um den berühmten Lernäischen Sumpf zu besichtigen. Der Sage nach war er einst von der Hydra, der Tochter des Typhon und der Echidna, bewohnt; diese hatte (nach Diodor) hundert Köpfe, nach andern alten Schriftstellern nur sieben; der mittelste Kopf war unsterblich. Als Herkules vom Eurystheus den Befehl erhalten hatte, sie zu tödten, vertrieb er sie mit Pfeilschüssen von ihrem Lager, packte sie mit den Händen und fing an, ihr die Köpfe abzuhauen. Aber an Stelle jedes abgeschlagenen Kopfes entstanden sogleich zwei neue. Ausserdem schickte Juno der Hydra einen Krebs zu Hülfe, welcher den Herkules in die Füsse stach. Dieser tödtete den Krebs und befahl dem Iolas, einen benachbarten Wald anzuzünden. So oft sie nun einen Kopf abgeschlagen hatten, brannten sie mit einem Feuerbrande die Wunde aus, sodass kein neuer Kopf entstehen konnte. Auf diese Weise gelang es dem Herkules endlich, alle Köpfe abzuhauen, mit Ausnahme des unsterblichen, den er in die Erde grub und mit Felsblöcken zudeckte. In das giftige Blut des Ungeheuers tauchte er seine Pfeile, die in Folge dessen unheilbare und tödtliche Wunden beibrachten.

Der Lernäische Sumpf, griechisch »ἡ λίμνη τῆς Λέρνης« genannt, ist ein ganz kleiner See, 400 Meter vom Ufer inmitten eines grösseren Sumpfes von ungefähr drei Kilometern im Umfange. Der kleine See ist von runder Form und hat nur zehn Meter im Durchmesser. Da noch kein Senkblei seinen Grund erreicht hat, so gilt er in der ganzen Umgegend für grundlos. Aus diesem See kommt ein Flüsschen, das sich, in mehrere Arme getheilt, ins Meer ergiesst. Sein Wasser hat nur 16 Grad Wärme und ist daher im Vergleich mit der Luftwärme sehr kalt. Es ist sehr durchsichtig und wimmelt von Schildkröten. Fische giebt es keine darin, vielleicht weil die Schildkröten sich vom Rogen derselben nähren. Der ganze Sumpf ist mit einer üppigen Vegetation von Bäumen, Gesträuchen und Kräutern bedeckt und wimmelt von giftigen Schlangen, sodass man sich nicht ohne Gefahr in ihn hineinwagen kann. Ich liess mich in einem kleinen Kahne durch alle Arme des Flüsschens fahren.

Ganz nahe bei diesem Sumpfe entspringt der Fluss Erasinos auf dem Berge Chaon. Er treibt zahlreiche Mühlen und ergiesst sich in den Golf. Die Höhle, aus welcher er kommt, hat an ihrem Eingange die Form eines gothischen Bogens und geht wohl bis 65 Meter in den Berg hinein. Man hält den Erasinos für den Stymphalos, der unter dem Berge Apelauron in Arkadien verschwindet.

Am 28. Juli Morgens 1 Uhr reiste ich mit dem Dampfboote Ionia von Nauplia ab. Um 7 Uhr erreichten wir Hydra, wo wir anhielten, um Passagiere auszuschiffen und andere aufzunehmen. Hydra ist eine Stadt auf der gleichnamigen kleinen Insel, welche nichts ist als ein unfruchtbarer Felsen, auf dem kein Grashalm wächst. Der kleine Hafen, über welchem sich die Häuser der Stadt auf dem steilen Felsen erheben, wird nur durch die Gebirge der acht Kilometer entfernten peloponnesischen Küste geschützt. Der Hebungen und Senkungen wegen sind die Strassen uneben, aber ausserordentlich reinlich. Am Kai sind zahlreiche Magazine, welche den ausgebreiteten Handel der Stadt bezeugen. Alle Häuser haben flache Dächer und so dicke Mauern, dass sie gegen die Erdbeben gesichert zu sein scheinen. Sie machen von aussen und von innen einen wohlthuenden Eindruck, und die Haushaltungen sind in Folge der Gewohnheiten der schönen, anmuthigen, reizenden und arbeitsamen hydriotischen Damen ein wahres Muster von Sauberkeit.

Die Möbel, halb im orientalischen, halb im europäischen Stil, verbinden den Luxus des einen mit der Bequemlichkeit des andern, während ihre Dauerhaftigkeit und Schmucklosigkeit beweist, dass sie für den Comfort, und nicht für den Prunk gemacht sind.

Die Hydrioten stehen im Rufe grosser Ehrlichkeit und Uneigennützigkeit und haben ihre kleine Insel durch den glorreichen Antheil, den sie an der Wiedergeburt Griechenlands genommen haben, berühmt gemacht. Gewiss wird bis zur spätesten Nachwelt mit dem Begriff der Freiheitsliebe der Name der tapfern Hydrioten eng verknüpft sein. Die Helden Conduriotti, Miaulis, Buduri und Tombazi, welche sich in der griechischen Revolution auszeichneten, waren sämmtlich aus Hydra gebürtig.

Im Alterthume war die Insel nicht bewohnt. Erst im vorigen Jahrhundert bauten Fischer und Bauern, welche in Folge der türkischen Unterdrückung das benachbarte Festland verliessen, hier eine kleine Stadt, welche sich durch albanesische, attische und argolische Flüchtlinge bald vergrösserte. Die Bevölkerung, welche im Anfange der griechischen Revolution aus 40,000 Seelen bestand, hat sich jetzt auf nur ungefähr 20,000 reducirt. Auch die Zahl der hydriotischen Schiffe, welche sich damals auf 150 belief, hat sehr abgenommen.

Ich glaube keinen bessern Beweis der Rechtschaffenheit der Hydrioten und ihres gegenseitigen Vertrauens geben zu können, als wenn ich folgenden Charakterzug mittheile. Wenn ein Schiffscapitän der Insel sich zu einer langen Reise rüstet, so geht er in Hydra von Haus zu Haus und lässt sich von den Bewohnern Geldsummen übergeben, um damit für ihre Rechnung zu speculiren. Obwohl er keine Quittung darüber ausstellt, so ist es doch nie vorgekommen, dass er bei seiner Rückkehr die erhaltenen Posten nebst Antheil an dem gemachten Gewinne an die Berechtigten nicht zurückerstattet hätte.

Um 9 Uhr Morgens fuhren wir von Hydra ab und kamen nach zwei Stunden bei der kleinen Insel Poros an, welche im Alterthume Sphäria hiess. Sie ist ein vulkanischer Felsen, der im Süden nur durch einen engen Kanal vom Peloponnes geschieden ist. Auf der Nordseite wird Poros von der Insel Kalauria durch eine Meerenge getrennt, die man auf Maulthieren durchreitet, um die Ruinen des Neptuntempels zu besuchen, in welchem Demosthenes gestorben ist.

Poros ist durch die Conferenzen berühmt geworden, welche die Gesandten von Russland, Frankreich und England im Jahre 1828 daselbst hielten, und nach deren Ergebnissen von den verbündeten Regierungen die Grundlagen des neuen griechischen Königreichs festgestellt wurden.

Die Stadt Poros hat ein eigenthümliches Ansehen. Ihre kleinen weissen Häuser gleichen Seevögeln auf steilen dunkeln Felsen. Die Bevölkerung besteht aus 7000 Albanesen. Sie sehen dumm aus und sind sehr verschlossen; sie haben blonde oder braune Haare und man unterscheidet sie auf den ersten Blick von den lebhaften, intelligenten, schwarzhaarigen Griechen.

Die griechischen Dampfboote sind sehr schlecht und äusserst unbequem; dieser Mangel wurde indess reichlich durch die ausserordentliche Liebenswürdigkeit meiner griechischen Reisegefährten ersetzt, die den höheren Ständen angehörten. Sie waren ausserordentlich gesellig, theilnehmend und zuvorkommend, unterrichtet und intelligent, und – was auf mich den tiefsten und bleibendsten Eindruck machte – sie bezeugten alle den lebhaftesten Enthusiasmus für ihre glorreichen Vorfahren und hohe Bewunderung für ihre göttlichen alten Dichter – Gefühle, die ich vollkommen mit ihnen theile.

Daher kam es, dass trotz aller Mängel der griechischen Dampfboote und trotz ihrer ausserordentlichen Langsamkeit die Reisetouren weit schneller ihr Ende erreichten, als ich selbst es wünschte. Leider habe ich mir die vielen trefflichen und intelligenten Passagiere an Bord des Dampfbootes Ionia nicht alle gemerkt. Ich erinnere mich jetzt nur noch des berühmten Lexicographen und Directors der griechischen Schulen, Sparlatos D. Byzantios aus Athen, des Directors des Gymnasiums in Sparta, Theodoros Bukides, und des Directors des Gymnasiums zu Tripolis im Peloponnes, Angelos Kappotas, an deren Unterhaltung ich ein ganz besonderes Interesse fand.

Um Mittag reisten wir von Poros ab und kamen halb drei Uhr Nachmittags in Aegina an, wo ich ausstieg, um die Gegend näher kennen zu lernen. Aegina ist ohne Widerrede eine der berühmtesten Städte Griechenlands. Schon Homer erwähnt sie Il. II, 562; Strabo schreibt folgendes über Aegina: »Wozu soll ich erst sagen, dass die Insel Aegina eine der berühmtesten ist? Man sagt, dass Aeakus und seine Nachkommen dorther stammen. Auch herrschte sie einst auf dem Meere und machte in der Schlacht bei Salamis gegen die Perser den Athenern den ersten Rang streitig.« (Strabo VIII, S. 207 ed. Tauchnitz.)

Die Insel wurde durch die Dorier von Epidaurus bevölkert und hatte eine sehr mächtige Flotte. Sie machte sich besonders in der Seeschlacht bei Salamis berühmt, in welcher sich die Aegineten durch ihre Tapferkeit vor allen andern griechischen Volksstämmen auszeichneten. Nachdem sie lange die Nebenbuhlerin Athens gewesen, unterlag sie demselben im Jahre 456 v. Chr. und wurde eine atheniensische Provinz. Aber Perikles, der aus guten Gründen die Rache der Bewohner der Insel fürchtete, welche er die Eiterbeule am Auge des Piräeus nannte, vertrieb im Jahre 431 v. Chr. die ganze Bevölkerung von der Insel und ersetzte sie durch atheniensische Colonisten. Die Spartaner wiesen den Aegineten Wohnsitze in Thyräa an und setzten sie am Ende des peloponnesischen Krieges wieder in den Besitz ihrer Insel; jedoch haben sie niemals ihren frühern Einfluss und Wohlstand wieder erlangen können.

Die Stadt Aegina liegt am Nord-Westende der Insel auf der Baustelle der alten Stadt, welche durch eine freistehende dorische Säule bezeichnet ist. Im Süden dieser Säule sieht man die Spuren eines alten Hafens von ovaler Form, welcher durch zwei alte Dämme geschützt wird, zwischen denen nur ein enger Durchgang ist. Wenig südlicher bemerkt man die Spuren eines andern eirunden Hafens, wohl zweimal so gross als jener. Von hier aus sah ich die Ruinen der alten Stadtmauer auf der dem Meere entgegengesetzten Seite.

Aegina war einst berühmt durch die Pracht und die Menge seiner Denkmäler, aber nichts ist davon übrig geblieben, als die Säule am Ufer, einige fast zerstörte Gräber und Spuren ehemaliger Brunnen.

Die Insel war gewiss schon im fernen Alterthume eine gewerbfleissige, sehr reiche und bedeutende Handelsstadt; denn aller Orten in Griechenland und auf den ionischen Inseln findet man äginetische Silbermünzen in grosser Anzahl. Sie sind aus dem siebenten und achten Jahrhundert v. Chr., also mehrere Jahrhunderte älter, als die ältesten erhaltenen Münzen aus andern Staaten Griechenlands. Sie haben beinahe die Gestalt einer Halbkugel; auf der einen Seite sieht man eine Schildkröte, auf der andern sind drei oder vier Einschnitte, welche die Gestalt von Pfeilspitzen haben. Die mit vier Einschnitten sind die ältesten.

Hier scheint mir der passende Ort zu der Bemerkung zu sein, dass wir nicht den Massstab unserer Lebensverhältnisse anlegen dürfen, wenn wir die alte Welt beurtheilen und uns einen richtigen Begriff von der Lebensweise der alten Griechen und Römer bilden wollen. Aegina stand schon im siebenten und achten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung in hoher Blüthe; aber mit Rücksicht auf den Raum, den die Baustelle seiner alten Stadt einnimmt, welche durch die Ruinen der alten Mauern deutlich bezeichnet wird, kann sie nie mehr als 20,000 Einwohner oder den zweitausendsten Theil der Bevölkerung Frankreichs gehabt haben. Aegina's Handel war bedeutend, und doch kann er nicht den hundertsten Theil der Bedeutung des französischen Handels erreicht haben. Ausserdem war Geld im siebenten und achten Jahrhundert v. Chr. sehr selten, denn man fing damals erst an, Münzen zu prägen. Sicherlich hat man diese Silbermünzen zu allen Zeiten überall, wo man sie fand, sorgfältig aufgehoben und dennoch findet man noch heute, nach 2600 Jahren, deren in grosser Menge.

Nehmen wir an, Frankreich würde jetzt von seinen Bewohnern verlassen. Ich bin fest überzeugt, man würde im ganzen Lande, 26 Jahrhunderte nach diesem Ereignisse auch nicht einen Kupfersou, geschweige denn eine Silber- oder Goldmünze finden, trotz der Milliarden Franken, welche hier seit Jahrhunderten circulirt haben.

Die Masse der Kupfermünzen nicht nur, sondern selbst der Silber- und Goldmünzen, welche täglich von den Bauern in der römischen Campagna gefunden werden, grenzt wirklich ans Fabelhafte. In Asien kann man die Märsche und Lagerplätze der Armeen Alexanders des Grossen und der Römer an den zahlreichen Münzen nachweisen, welche sie auf ihrem Zuge hinterlassen haben. Und doch wissen wir aus den Schriftstellern des Alterthums, dass der Gott Mammon schon damals ebenso eifrige Anbeter gehabt hat wie heutigen Tages. Man denke nur an die Worte Virgils (Aeneide III, 56):

... Quid non mortalia pectora cogis
Auri sacra fames?

»Wozu treibst du nicht die menschlichen Herzen, verwünschter Hunger nach Gold?«

In Rom habe ich die Behauptung gehört, die Verschleuderung der Münzen rühre von der Spielwuth der Alten her. Aber diese Erklärung ist durchaus ungenügend; denn Jeder spielte, um zu gewinnen, und wer gewann, steckte natürlich das Geld ein und hat es sicherlich nicht auf der Erde liegen lassen.

Ich gestehe gern, dass ich mir diese Thatsache nicht erklären kann.

Im Innern der Insel Aegina, 14 Kilometer von der Stadt, sieht man noch die Ruinen vom Tempel des Jupiter Panhellenios, von welchem 22 Säulen und der grösste Theil des Architravs erhalten sind. Dieses Gebäude ist aus porösen, mit Gyps überzogenen Steinen erbaut. Auf dem Karniess und dem Architrav sieht man noch Spuren von Malerei. Auch Reste von röthlichem Gyps, mit welchem das Pflaster überzogen war, haben sich erhalten.

Nach Strabo's Beschreibung war die Insel steinig und wenig fruchtbar; aber seit seiner Zeit hat die Industrie der Einwohner und die Anhäufung des atmosphärischen Staubes den Boden sehr productiv gemacht.

Die Insel hat ein herrliches Klima; die Winter sind sehr milde, und in Folge des beständigen, erfrischenden Seewindes hat man im Sommer nie über zu grosse Hitze zu klagen.

Am Morgen des folgenden Tages miethete ich für 11 Franken eine Barke und liess mich nach dem Piräeus fahren, woselbst ich um 10 Uhr Morgens ankam. Eine Stunde später war ich in Athen.

Ich unterlasse es, hier näher auf die Alterthümer der Hauptstadt Griechenlands einzugehen, die schon öfter von bedeutenden Gelehrten, welche die Erforschung derselben zum Gegenstand ihrer Studien gemacht hatten, mit kundiger Feder beschrieben worden sind. Nur das Eine will ich noch erwähnen, dass ich das Glück hatte, in Athen den ausgezeichneten Gelehrten Herrn Theokletos Vimpos, meinen Freund und ehemaligen Lehrer, jetzt Professor an der Universität zu Athen und Erzbischof von Mantinea und Kynuria, anzutreffen und in seinem belehrenden Umgange acht angenehme Tage zu verleben.


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