Heinrich Schliemann
Ithaka der Peloponnes und Troja
Heinrich Schliemann

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Sechstes Kapitel

Das mit Ruinen bedeckte Polis-Thal. – Alte Höhle. – Sarkophag mit Inschrift, Lanze, ägyptischen Skarabäen, Flöte, Götzenbildern u. s. w. – Akropolis. – Die Insel Daskalion. – Die beiden Quellen mit schwarzem Wasser. – Die Schule Homers. – Dorf Stavros. – Anoge, der Homerische Neritos. – Arethusa-Quelle – Fels Korax. – Ruinen des Gehöftes des göttlichen Sauhirten Eumaios. – Verschwinden der Eichen. – Krankheit des Oelbaums.

Wir setzten unsern Weg auf dem Abhange des Gebirges fort und sahen endlich, 50 Meter unter uns, das fruchtbare Polis-Thal an einem prachtvollen Golf an der Westküste der Insel.

Um einen weiten Umweg zu vermeiden, stiegen wir mit vieler Mühe den jähen Abhang hinab und kamen um 3½ Uhr Nachmittags unten im Thale an. Als ich mich während des Hinabsteigens an die Steine und das Gesträuch anklammerte, um nicht zu fallen, musste ich lachen, indem ich daran dachte, dass fast alle Archäologen, welche Ithaka besucht haben, die Homerische Hauptstadt in das Polis-Thal verlegen, während sie sich nach Homers Angaben auf einer Anhöhe befand, denn Odysseus und Telemachos stiegen von der Stadt hinab, als sie zum Garten des Laërtes gingen (Od. XXIV, 205–206); wären sie aber von Polis dorthin gegangen, so hätten sie nothwendiger Weise hinaufsteigen müssen.

Die zahlreichen Ruinen, mit welchen das Polis-Thal wie besäet ist, und selbst der Name Polis (Stadt) lassen keinen Zweifel, dass hier im Alterthume eine Stadt von einiger Bedeutung gestanden hat. Indess werde ich später auf die Homerische Hauptstadt zurückkommen und den Beweis zu liefern suchen, dass sie im Polis-Thale nicht wohl hat liegen können.

Jetzt ist das Thal mit Weinbergen bepflanzt, und nur ein einziges Häuschen vorhanden. Ich frug den Besitzer, ob er nicht Antiquitäten zu verkaufen hätte. Er verneinte meine Frage, wies mich aber an einen gewissen Dmitrios Loïsos, aus dem Dorfe Kaluvia, der soeben beim Graben einer Kalkgrube am Meeresufer, grade im Hafen von Polis, ein Grab mit vielen merkwürdigen Dingen entdeckt hätte. Er führte mich nach dem Orte hin und der genannte Loïsos beeilte sich, mir die im Grabe gefundenen Gegenstände, sowie den Stein zu zeigen, mit dem es verschlossen gewesen war.

Bei näherer Betrachtung der Oertlichkeit erkannte ich ohne Mühe, dass sich an dieser Stelle eine ungeheure Höhle, mit der Oeffnung gegen das Meer, befunden hatte, deren Decke wahrscheinlich in Folge eines Erdbebens eingestürzt war. Ohne Zweifel hatte die Decke beim Fallen den Grabstein zertrümmert, von dem nur ein 70 Centimeter langes und 50 Centimeter breites Stück mit folgender Inschrift übriggeblieben war:

Wie man sieht, fehlen viele Buchstaben an dieser Inschrift.

Der übrige Theil des Sarkophags, welcher 3 Meter lang war, bestand ebenfalls aus Stein, war aber ohne Inschrift und sehr verstümmelt.

Der Arbeiter zeigte mir die menschlichen Gebeine, welche er darin gefunden hatte und die, besonders der Kopf, gut erhalten waren. Ausserdem hatte er noch folgende Gegenstände mit ausgegraben: Eine bronzene Lanze, zwei ägyptische Scarabäen, auf deren einem die Hieroglyphen sehr deutlich zu lesen sind; einen steinernen Ring; acht kupferne Münzen, von denen die eine auf der einen Seite einen Adler, auf der anderen einen mit einem Lorbeerkranze geschmückten Bacchuskopf, nebst der Inschrift , hat, während die sieben anderen von Rost zerfressen waren; ferner ein thönernes Bild der Minerva; ein Stück von einer steinernen Flöte mit der Inschrift: ; ein Stück polirten Stein, welcher grosse Aehnlichkeit mit einem Widderhorne hat; kleine Würfel von grünem Stein und endlich die Trümmer eines bronzenen Degens.

Der biedere Arbeiter schien eine grössere Vorliebe für Geld, als für den Homer zu haben; er verlangte anfänglich nicht weniger als 200 Franken für seinen Fund; endlich nach vielem Handeln begnügte er sich mit 25 Franken.

Der Umstand, dass sich eine Lanze und ein Degen, namentlich von solcher Grösse, im Sarkophage fand, weist wohl unzweifelhaft darauf hin, dass der Verstorbene ein vornehmer Krieger gewesen sein mag.

Dmitrios Loïsos war eben beschäftigt, den Boden neben jenem Grabe zu durchsuchen. Es dauerte nicht lange, so fand er zwei dicke eiserne Nägel, welche dermassen von Rost angefressen waren, dass sie beim Berühren mit der Hand in kleine Stücke zerfielen. »Aus dem Vorhandensein dieser Nägel glaube ich schliessen zu dürfen, dass sich an dieser Stelle ein hölzerner Sarg befunden hat.« Kaum hatte ich diese Worte an den Arbeiter gerichtet, als er ein plumpes phönicisches Götzenbild von gebrannter Erde, eine zierliche kleine Statue der Minerva aus demselben Stoffe, und mehre kupferne, von Rost angefressene Münzen zu Tage förderte. Ich kaufte ihm alle diese Sachen für 1 Fr. 40 Cent. ab.

Unmittelbar über dieser Stelle, auf einem 100 Meter hohen Hügel, sieht man die Ruinen der alten Akropolis von Polis. Ich stieg hinauf, um sie näher zu besichtigen; aber es ist nichts mehr vorhanden als die Einschliessungsmauern aus grob behauenen, 1 bis 2 Meter langen und 1 Meter bis 1 Meter 30 Centimeter breiten Steinen. Man hatte hier soeben im Felsen ein Grab entdeckt, doch fand man darin nur Knochenreste und einen silbernen Ring; eine Inschrift war nicht vorhanden. Die Burg ist im Vergleich mit dem Palaste des Odysseus auf dem Aëtos sehr unbedeutend. Von hier aus sieht man ganz deutlich die kleine Insel Daskalion, welche 10 Kilometer im Nordwesten von Polis und 3 Kilometer von Kephalonia liegt.

Der Name Daskalion ist ohne Zweifel nur eine Abkürzung von Διδασϰαλεῖον (Schule); im 17. Jahrhundert hatte nämlich ein Mönch dort eine Schule errichtet. Gegenwärtig ist die Insel unbewohnt; doch ist ein Haus und eine kleine Kirche vorhanden, in welcher ein Priester aus Kephalonia zweimal im Monat Messe liest. Da dies die einzige Insel in der Meerenge ist, welche Ithaka von Kephalonia trennt, so hält man sie für die Insel Asteris bei Homer (Od. IV, 842–847), aber mit Unrecht. Ich werde hierauf später zurückkommen und die Unmöglichkeit dieser Behauptung mit zahlreichen Beweisen erhärten.

Hierauf besuchten wir die beiden Quellen, welche gewöhnlich »αἱ δύο πηγαὶ μελανύδατος« (die beiden Schwarzwasserquellen) genannt werden, deren obgleich vollkommen klares Wasser die sonderbare Eigenthümlichkeit hat, schwarz zu färben.

In der Nähe dieser beiden Quellen, mitten in einem sehr fruchtbaren Thale, befindet sich ein Gebäude ohne Dach von 8 Meter 33 Centimeter Länge bei 5 Meter 32 Centimeter Breite und 3 Meter Höhe, welches die Tradition als die Schule Homers bezeichnet. Die Mauern sind von 1 Meter 67 Centimeter langen und ebenso breiten Quadersteinen erbaut, die ohne Cement und Verband übereinander liegen. Die untere Steinreihe scheint viel älter zu sein als die übrigen. In einer der Mauern ist eine Nische, in der wahrscheinlich eine Statue gestanden hat.

In der Nähe dieses Gebäudes führt eine in den Felsen gehauene, aber durch die Zeit fast zerstörte Treppe, deren Stufen man kaum noch erkennen kann, in einen prachtvollen Weinberg.

Nachdem wir in dem benachbarten Dorfe Stavros, wo man mir gleichfalls den herzlichsten Empfang zu Theil werden liess, etwas ausgeruht hatten, bestiegen wir den Berg Anoge, Homers Neritos, welcher sich ungefähr 1000 Meter über den Meeresspiegel erhebt.

Anstatt der Wälder, mit welchen dieser Berg zur Zeit Homers bedeckt war, sieht man jetzt nur noch wenige Oelbäume. Ein ungefähr 2 Meter 66 Centimeter breiter und ziemlich guter Weg führt spiralförmig vom Dorfe Stavros zum Kloster der heiligen Jungfrau auf dem Gipfel des Berges, und von da im Zickzack auf der Südseite ins Thal hinunter. Das Hinaufsteigen ist etwas beschwerlich; aber ist man einmal auf dem Gipfel angekommen, so wird man für seine Mühe durch das wirklich prachtvolle Panorama reichlich belohnt; man sieht von da die ganze Insel Ithaka mit ihren zahlreichen Meerbusen, alle ionischen Inseln (Korfu ausgenommen), Akarnanien und den Peloponnes.

Erst mit einbrechender Nacht kehrten wir nach Vathy zurück.

Am folgenden Tage, den 13. Juli, nahm ich vier Uhr Morgens, wie gewöhnlich, mein Bad auf einer kleinen mitten im Hafen liegenden Insel. Auf dieser Insel hatten die Engländer ein Gefängniss, solange die ionischen Inseln sich noch unter ihrem Schutze befanden. Jetzt sind die Gefängnisszellen leer und werden als Seearsenal benutzt. Rings um dieses Gefängniss geht ein grosses Trottoir. Hier entkleidet man sich und mit einem Sprunge ist man in dem acht bis zehn Klafter tiefen Wasser, dessen Temperatur des Morgens 28, des Abends 30 Grad ist.

Nach dem Bade machte ich mich mit meinem Führer auf den Weg, um den südlichen Theil der Insel zu besuchen.

Anfangs war der Weg gut, bald aber ging er in einen elenden Fusssteig über, so steil und voll glatter Steine, dass ich vom Pferde steigen und zu Fusse gehen musste. Nach zwei Stunden erreichten wir die berühmte Arethusa-Quelle am Fusse eines senkrechten, 34 Meter hohen Felsen, welcher Korax (der Rabe) genannt wird.

Diese Quelle muss in früheren Zeiten einen ausserordentlich reichen und kräftigen Wasserstrahl gegeben haben; denn vor ihr befindet sich das trockne Bett eines 34 Meter tiefen und 70 Meter breiten Stromes, das sich einen Kilometer weit bis zum Meere ausdehnt. Sicherlich hat das mit Ungestüm fliessende Wasser der Arethusa sich selbst dieses Bett in den Felsen gegraben. Jetzt aber fliesst die Quelle so langsam, dass man nicht 200 Liter Wasser täglich schöpfen könnte.

Homer spricht von der Arethusa und dem Rabenfelsen in den schönen Versen (Od. XIII, 407–410):

Δήεις τόνγε σύεσσι παρήμενον · αἱ δὲ νέμονται
Πὰρ Κόραϰος πέτρῃ, ἐπί τε ϰρήνῃ Ἀρεθούσῃ,
Ἔσθουσαι βάλανον μενοειϰέα, ϰαὶ μέλαν ὕδωρ
Πίνουσαι, τάθ᾽ ὕεσσι τρέφει τεθαλυῖαν ἀλοιφήν.

»Du findest ihn bei der Heerde, die am Rabenfelsen süsse Eicheln weidet, in der Nähe der Quelle Arethusa, und schwarzes Wasser trinkt, das den Schweinen ein blühendes Fett giebt.«

Die Lage dieser Quelle, welche im Norden durch den senkrechten Rabenfelsen und im Süden durch einen Abhang begrenzt wird, der unter einem Winkel von 55 bis 60 Grad sich nach dem benachbarten Meere hinabzieht, widerstreitet aber der Annahme, dass die Schweineheerden sich der Arethusa selbst hätten nähern oder ihr gegenüber an der Meeresseite hätten gehütet werden können. Unmittelbar jenseit des Rabenfelsen aber, 80 Meter über dem Meeresspiegel, liegt ein ebenes und sehr fruchtbares Plateau, das im Norden durch einen Felsenhügel von einigen Meter Höhe begrenzt wird. Am Fusse dieses Hügels auf der Südseite befinden sich Ruinen, in welchen ich zehn Gebäude entdeckt habe, von denen jedes nur ein Gemach von 3 Meter 33 Centimeter Länge bei gleicher Breite enthält. Diese Gebäude sind nebeneinander aus grobbehauenen Steinen von 1 bis 2 Meter Länge und 66 Centimeter bis 1 Meter Breite und Höhe erbaut. Drei von diesen Gebäuden hat man zum Theil im Felsen selbst angebracht. Zehn Meter südlich von diesen Ruinen sieht man die Trümmer eines Gebäudes von ungefähr 15 Meter Länge bei gleicher Breite.

In diesem Plateau erkennt man leicht das Feld, wo der göttliche Sauhirt Eumaios Hof, Haus und zwölf Ställe für die Schweine errichtet hatte; denn abgesehen davon, dass es kein anderes ebenes Feld in der ganzen Umgegend giebt, entspricht dieses vollkommen den Worten Homers (Od. XIV, 6): » Περισϰέπτῳ ἐνὶ χώρῳ«, welche in wörtlicher Uebersetzung bedeuten: in einem ringsum sichtbaren Felde, d. h. auf einer Hochebene. Ausserdem liegt dieses Plateau unmittelbar über dem Rabenfelsen, auf den Homer anspielt, wenn Odysseus seinen Wirth auffordert, ihn von dem hohen Felsen hinabzustürzen, sofern er nicht die Wahrheit sage (Od. XIV, 398–400):

Εἰ δέ ϰε μὴ ἔλθῃσιν ἄναξ τεός, ὡς ἀγορεύω,
Δμῶας ἐπισσεύας, βαλέειν μεγάλης ϰατὰ πέτρης,
Ὄφρα ϰαὶ ἄλλος πτωχὸς ἀλεύεται ἠπεροπεύειν.

»Wenn der König nicht kommt, wie ich sage, so befiehl deinen Dienern, mich von diesem hohen Felsen hinabzustürzen, damit ein anderer Landstreicher sich hüte zu lügen.«

Ebenso erkennt man in den Ruinen der cyklopischen Bauwerke zehn von den zwölf Schweineställen, welche Homer (Od. XIV, 13–16) erwähnt:

Ἔντοσθεν δ᾽ αὐλῆς συφεοὺς δυοϰαίδεϰα ποίει
Πλησίον ἀλλήλων, εὐνὰς συσίν ἐν δὲ ἑϰάστῳ
Πεντήϰοντα σύες χαμαιευνάδες ἐρχατόωντο,
Θήλειαι τοϰάδες τοὶ δ᾽ ἄρσενες ἐϰτὸς ἴαυον.

»Im Innern des Hofes hatte er nebeneinander zwölf Ställe für die Schweine erbaut. In jedem waren funfzig Sauen, auf der Erde ausgestreckt; die Eber schliefen ausserhalb der Ställe.«

Von diesem Plateau zieht sich bis zur Mündung des tiefen Strombettes ins Meer ein Abhang hin, über den jedenfalls Morgens und Abends die Schweineheerden zur Tränke in der Arethusaquelle getrieben wurden, denn es gibt keine andere Quelle in der ganzen Umgegend. Zwar wird dieser Abhang, welcher anfänglich sich nur allmälig senkt, auf den 33 letzten Metern seiner Länge immer steiler und fällt unter einem Winkel von 36 Grad, sodass es fast unmöglich scheint, wie fette Schweine, besonders trächtige Sauen, ihn zweimal des Tages haben hinauf und hinabsteigen können. Jedenfalls war aber im Alterthume an dieser Stelle ein breiter und bequemer Weg, der im Zickzack hinabging. Ich habe mir alle Mühe gegeben, die Spuren dieses Weges aufzufinden; da ich aber keine Werkzeuge zum Graben bei mir hatte, waren meine Nachforschungen vergeblich.

Die Heerden des Eumaios wurden mit Eicheln gemästet (Od. XIII, 409). Ithaka muss also damals reich an Eichen gewesen sein; jetzt sind sie gänzlich von der Insel verschwunden.

Der einzige Baum, welcher auf Ithaka angepflanzt wird, ist der Oelbaum; vor zwei Jahren hat sich indess an ihm eine Krankheit gezeigt, und bis jetzt sind alle Bemühungen, derselben abzuhelfen, ohne Erfolg geblieben. Rinde und Blätter des kranken Oelbaums werden schwärzlich und verbreiten einen widrigen Geruch; der Baum blüht noch, aber die wenigen Früchte, welche er trägt, bleiben dürftig und fallen vor der Reife ab. Bis jetzt ist das Uebel auf eine gewisse Anzahl von Bäumen beschränkt geblieben, und man hält es nicht für ansteckend; indess mehrt sich die Zahl der kranken Bäume.

Die Traubenkrankheit ist gleichfalls bei Weitem noch nicht beseitigt. Man wendet das Schwefeln dagegen an; aber das Uebel erscheint sofort wieder, wenn man es vernachlässigt. Wenn man z. B. einen Weinstock schwefelt und nur eine einzige Traube dabei übersieht, so zeigt sich die Krankheit unvermeidlich an dieser.


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