Heinrich Schliemann
Ithaka der Peloponnes und Troja
Heinrich Schliemann

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Vorwort zur Neuausgabe

Um das Verständnis von Schliemanns Reisebericht »Ithaka, der Peloponnes und Troja« (1869) dem heutigen Leser zu erleichtern, sollen im folgenden einige Ergänzungen auf Grund seiner Bücher, der bisher vorgelegten BriefbändeErnst Meyer, Briefe von Heinrich Schliemann, W. de Gruyter, Berlin–Leipzig 1936; Schliemann-Briefwechsel I (1842–1875) Berlin 1953, II (1876–1890) Berlin 1958 Gebr. Mann. und seiner noch unveröffentlichten Reisetagebücher gebracht werden.

Als Schliemann (1822–1890) am l. Juli 1868 auf Korfu griechischen Boden betrat, stand er im 47. Lebensjahr. Sein Interesse galt vor allem der Insel Ithaka, der Heimat des Odysseus, sodann den Königsfestungen im nördlichen Peloponnes – Mykene, Tiryns, Argos und Palamidi oberhalb Nauplia –, nicht zuletzt aber Troja. Dieser Reise, die am 21. August zu Ende ging, war ein zweimonatiger Studienaufenthalt in Rom und Neapel mit erneutem Ritt zum Vesuv und Besuch von Pompeji vorausgegangen. Und auf Sizilien hatte er den Ätna bestiegen und seinen besonderen Blick auf die sagenhafte Grotte des Polyphem bei Catania gerichtet. Zweimal war ihm der Eintritt in die homerische Sagenwelt mißlungen: 1859, als er auf der Rückkehr aus Ägypten krank in Athen lag und auf die geplante Fahrt nach Ithaka aus geschäftlichen Rücksichten verzichten mußte, und 1864, wo Familienverhältnisse und gesteigerte Reiselust ihn nach Indien und Indonesien und anschließend durch China, Japan und Nordamerika um die ganze Erde getrieben hatten (1864/66). Auf dieser Weltreise hatte er bei der Beobachtung von Land und Leuten und ihrer wirtschaftlichen, politischen und ethnologischen Verhältnisse Scharfblick und Urteilsfähigkeit gezeigt.

Hinter Schliemann lagen zur Zeit dieser Reise nach Griechenland und Troja achtzehn Jahre eines steilen Aufstiegs als Importkaufmann in Rußland (1846/64) und nach der Weltreise zwei Jahre konzentrierten Studiums der griechischen und der ägyptischen Geschichte und Kultur in Paris (1866/68). Seitdem ihm im Jahre 1837 ein ehemaliger Gymnasiast und späterer Müllergeselle die ersten hundert Verse von Homers Ilias in dem kleinen Krämerladen von Hückstädt in Fürstenberg aus dem Gedächtnis aufgesagt hatte, war er von dem Wohlklang der griechischen Sprache und dem springenden Rhythmus der homerischen Hexameter begeistert. Aber erst am Ende des Krimkrieges (1856), als er schon über fünfzehn Fremdsprachen beherrschte, fand er die Muße, auch die altgriechische Sprache gründlich zu lernen, anfangs mit Unterstützung zweier griechisch-orthodoxer Jungpriester, so daß er nicht nur die antiken Klassiker, Homer, die Tragiker und die großen Geschichtsschreiber, lesen konnte, sondern auch, besonders in seinen letzten Lebensjahren, zahlreiche Briefe auf Altgriechisch und nicht zuletzt das Tagebuch seiner dritten Ägyptenreise (1886/87), über zweihundertfünfzig Quartseiten, in diesem Idiom ohne Lexikon niederschreiben konnte. Diese gründliche Kenntnis des Altgriechischen war für sein schon lang ersehntes Vorhaben, den »Schauplatz der Begebenheiten« und das »Vaterland der Helden« des Trojanischen Kriegs zu besuchen, die notwendige Voraussetzung.

Für Schliemann bedeutete diese Reise die Verwirklichung seines Lebenstraumes, wie sie vorher Männern wie Winckelmann und Goethe noch versagt geblieben war. Das Negative seiner Jugendjahre, Armut und geistige Entbehrung in Fürstenberg (1835/41) und die durch seine abgebrochene Schulbildung gesteigerte Lernfreude, war für ihn zum starken Antrieb während seiner kaufmännischen Lehrjahre in Amsterdam (1842/46) geworden. Aber noch weiter zurück, bis zu dem eingangs seiner Vorrede zitierten lateinischen Weihnachtsbrief an seinen Vater (1832), können wir seinen Grundgedanken der »homerischen Sagen« verfolgen. Ja, die frühesten Anregungen gehen, wie er in seinem »Ilios« (1881) erzählt, bis zu dem seltsamen Weihnachtsgespräch zwischen Vater und Sohn von 1829 zurück, das mit des Vaters Hinweis endete: »Erst reich werden, dann Troja ausgraben!« Zwölf Jahre danach führte dieser Hinweis zur Entfaltung der unheimlichen Dynamik seines Sprachenlernens und seines kaufmännischen Wagemuts in Rußland, vor allem aber zu dem rastlosen Schaffen in seinen letzten zwanzig Lebensjahren, voll von Planen, Reisen, Ausgraben, Bücherschreiben und zahlreichen wissenschaftlichen Fehden, in die der Kampf für seine neuen Erkenntnisse und Meinungen ihn verstrickte.

Das bereits nach vier Monaten, Ende 1868, abgeschlossene Manuskript ist alles andere als ein Erinnerungsbuch einer an Eindrücken reichen Fahrt. In dem Text spiegeln sich vielmehr hanseatischer Weitblick und Weltbefahrenheit, die ihm von seinen niederdeutschen Vorfahren her im Blute lagen. Hinzu tritt die erstaunliche Unerschrockenheit, mit der er an den damaligen Forschungsstand der Altertumswissenschaft, das Problem der Homerkritik und der Stätte Trojas, herantrat und als Nichtzünftiger scheinbar festgegründete Lehrmeinungen wie die Bunarbaschi-Theorie über den Haufen warf und eine neue Auffassung über das Verhältnis von Mythos, Sage und Geschichte aufstellte. Diese neuen Erkenntnisse der Öffentlichkeit vorzutragen, entsprang seinem Drang nach Wahrheit, für die er sich einsetzte in der festen Zuversicht, daß sie, wenn nicht zu seinen Lebzeiten, so doch nach seinem Tod Anerkennung finden würden. So hat es beispielsweise über dreißig Jahre gedauert, bis die Vorgeschichte treibende Archäologie einschließlich der deutschen Olympiaforschung seine Forderung nach Tiefgrabungen auf allen Ausgrabungsfeldern anerkannte und übernahm.

Dem Bericht einer bloßen Studienreise eine »Vorrede« mitzugeben, erscheint auf den ersten Blick merkwürdig, wenn nicht gar anmaßend. Schliemann aber tat es, weil bei ihm – wie kaum bei einem anderen – sein Leben und Tun von Kindheit an auf Homer und die griechische Sagenwelt eingestellt waren. Für Schliemann blieb sie Lebensinhalt und Antrieb für die letzten zwanzig Jahre seines tätigen Lebens. Und das große Wunder, von dem er 1869 an seinen Sohn schrieb, daß ein Kaufmann ohne bessere Schulbildung auf dem Höhepunkt seines Geschäfts zur Wissenschaft überwechselte, das verdiente nach seiner Ansicht in seinen ersten Anfängen dargelegt zu werden, wenn sein Verhalten nicht als eine bloße Marotte angesehen werden sollte. Diese erste Selbstbiographie erweist sich als zuverlässig, obwohl sie sich liest wie ein Roman.

Schliemanns Reisebericht ist vom Anfang bis zum Ende von einer unerschütterlichen Homergläubigkeit getragen, die sich ihm durch die ganz frühen Erzählungen des Vaters und seiner späteren Lesungen aus Voß' Homerübersetzungen eingeprägt hatte. Schliemann war von der geschichtlichen Zuverlässigkeit der homerischen Epen überzeugt. Er lehnte die sezierende Homerkritik der Aufklärungszeit, die auf F. A. Wolf (1759–1824) zurückgeht, entschieden ab. Diese Auffassung sah nicht nur die Ereignisse des Trojanischen Kriegs, sondern auch die Schilderung der Stätte von Troja als Erzeugnis dichterischer Phantasie an. Sie beherrschte die Altertumswissenschaft über K. Lachmann bis zu K. Müllenhoff und M. Müller-Oxford (1823–1900), bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. Als Mann der späten Romantik suchte Schliemann auf Korfu und Ithaka die wortwörtliche Identifizierung der auf Odysseus bezüglichen Stellen der Odyssee mit dem Zustand zu seiner Zeit. Mit seinen Lesungen aus den letzten Gesängen der Odyssee wurde er zum Rhapsoden, der, wie seine Vorgänger im Altertum, seine Hörer begeisterte und zu Tränen rührte.

Im Gebiet des nördlichen Peloponnes traten ihm die ausgedehnten Ruinen von Mykene und Tiryns entgegen, Bauten, die zum Teil über die Mitte des zweiten vorchristlichen Jahrtausends zurückreichen. In Mykene erkannte er an der Westseite des Mauerrings die kyklopische Steinsetzung und stellte mit Staunen die Unzahl keramischer Scherben fest, die durch die Winterregen vom Burgberg zum Abhang herabgeschwemmt worden waren. Am sogenannten »Grab des Atreus« (etwa Mitte 14. Jh. v. Chr.) in seiner mächtigen Kegelform mit über 13 m innerer Höhe sah er zum erstenmal die saubere Handwerkskunst im Mauergefüge. In Tiryns erkannte er auf der Ostseite roh gearbeitete Steinblöcke von mehreren Meter Länge und davor, sauber behauen, ein Tor aus mächtigen Monolithen. Weiter links fand er geräumige Kasematten in falschem Gewölbe. Hier wie im Heraion und in der Burg von Argos standen noch ansehnliche Trümmer und bildeten für ihn eine Bestätigung seiner Meinung im Weihnachtsgespräch, daß dann auch die Stätte Trojas mit ihren gewaltigen Mauern unter dem Schutt der Jahrtausende noch zu finden sein müsse.

In der Troas führte sein erster Weg in das Dorf Bunarbaschi, über einer Schleife des Skamander auf einem Steilhang gelegen, 13 km südlich des Dardanelleneingangs. Hier vermuteten Historiker und Archäologen wie Ernst Curtius (1814–1896) und Alexander Conze (1831–1914), unterstützt von dem Urteil des späteren Feldmarschalls v. Moltke, die Burg von Troja, wenn überhaupt es ein Troja gegeben habe. Diese Theorie prüfte er in stundenlangem Bemühen bergauf und bergab mit zähem Einsatz seiner Person; sie erwies sich als völlig unannehmbar, schon durch ihre weite Entfernung vom Meer. Auch das mehrmalige Anstürmen und Zurückweichen der Griechen am selben Tag, wie es der Dichter schildert, ganz abgesehen von dem jedesmaligen Überschreiten des Asmak-Su, erwies sich als unmöglich und führte ihn auf eine andere Stelle, den Hügel Hissarlik, der, in Eiform langgestreckt, nur 5 km südlich des Hellesponts lag und beherrschend über 40 m aus der Ebene emporragte. Auf der Höhe von Yenitscheri, an der Westküste, erlebte er beim Blick nach Osten fast traumhaft noch einmal die beiderseitigen Truppen in der Ebene zwischen dem Schiffslager und der Königsburg. Und im gleichen Atem zog er die Schlußfolgerung aus seiner zehntägigen Untersuchung: »... ohne auch nur Ausgrabungen zu versuchen, hatte ich die volle Überzeugung gewonnen, daß hier [auf Hissarlik] das alte Troja gestanden« (S. 201 f.). Dieser Hügel stellte zugleich einen Teil der südlich anschließenden hellenistisch-römischen Siedlung Novum Ilium dar.

Schliemanns Reise umfaßt sein ganzes Lebenswerk, das im Geiste Homers geleistet wurde, mit Troja als Ausgangspunkt und Ende; dazwischen, ebenfalls Homer folgend, auf dem griechischen Festland die Ausgrabungen von Mykene (1876) und Tiryns (1884/85). Wie stets in seinem Leben wollte er auch hier alles mit eigenen Augen sehen und beurteilen. Neben seine romantische Begeisterung auf Ithaka und beim ersten Blick auf die sagenberühmte trojanische Ebene trat seine kritische Einstellung zu den Angaben der antiken Schriftsteller und der Wissenschaftler seiner Zeit. Über allem aber stand bei ihm der Wortlaut der Schilderungen Homers. Das Kriterium der Scherben, die ihm später als das »Füllhorn der Archäologie« erschienen, klang schon auf Bunarbaschi entscheidend auf. Sein Blick aber galt der ganzen Troas mit ihren vorgeschichtlichen Heldengräbern und ihren Flußläufen in seiner geologisch orientierten Beschreibung sowie den zahlreichen Quellen auf dem Balidagh und in der Ebene; zahlreich sind seine Beispiele für den Hausbau in der Troas.

Wie stets auf seinen Reisen ist er ganz auf Sehen und Lernen eingestellt. In seiner Anspruchslosigkeit lebt er tagelang von trocknem Brot und Wasser aus dem Skamander; die Nächte verbringt er aus Sorge vor dem landesüblichen Ungeziefer meist unter freiem Himmel, ohne Rücksicht auf nächtliche Abkühlung oder plötzlichen Platzregen. Wie auf seiner Weltreise durch Indien und China ist er auch hier immer schon früh auf den Beinen und bis in die Nacht unterwegs. Er verfolgt, oft bis zur Erschöpfung, das jeweilige Ziel des Tages, wenn er die weite, sommerlich ausgedörrte Ebene auf einem mageren Gaul, ohne Sattel und Steigbügel, in allen Richtungen durchkreuzt. Auf den türkischen Friedhöfen stellt er zahlreiche Marmorplatten als Grabdenkmäler fest, die aus antiken Bauten in Alexandreia-Troas oder Neu-Ilion stammten. Wo er sie erreichen kann, schreibt er die Texte griechischer und römischer Inschriften ab. – Diese zehn Tage in der Troas bedeuteten für ihn ein völliges Eintauchen in die Topographie der homerischen Welt. Aber auch dem primitiven Dasein der türkischen und griechischen Bevölkerung galt seine Aufmerksamkeit.

Schliemann ahnte das Aufsehen, das seine andersartigen Ansichten bei der Fachwelt hervorrufen würden. Dem entsprechend setzte er auf das erste Blatt den anspruchsvollen Untertitel »Archäologische Forschungen«. Schliemanns Kampf um die Stätte Trojas ist durch eine internationale Konferenz im Frühjahr 1890 zu seinen Gunsten entschieden und durch die Ausgrabungen von Wilhelm Dörpfeld (1893/94) und der Amerikaner unter C. W. Blegen (1932/38) bestätigt worden. Die rückhaltlose Anerkennung als Forscher ist die Welt ihm noch schuldig. Den beiden Philologieprofessoren seiner Heimatuniversität Rostock, die vor über neunzig Jahren als Referenten das Neue des Inhalts und das Kämpferische des Verfassers achteten und der Fakultät seine »rite«-Promotion zum Doktor der Philosophie empfahlen, gebührt nachträglich unsere Anerkennung. Wir Heutigen sollten uns in seine Bücher wieder hineinlesen; die vorliegende Neuausgabe seiner archäologischen Erstschrift ist ein Anfang dazu.

Berlin, im September 1962
Ernst Meyer


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