Heinrich Schliemann
Ithaka der Peloponnes und Troja
Heinrich Schliemann

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Vierzehntes Kapitel

Abreise von Athen. – Der Bankier Andreas Pedreño aus Karthagena. – Ankunft in Constantinopel und Rückkehr nach den Dardanellen. – Abreise nach Bunarbaschi – Unzählige Storchnester. – Abscheuliche Unreinlichheit bei meinem Wirthe, einem Albanesen. – Abermals Rosinante ohne Sattel und Zaum. – Die Ebene von Troja. – Dreissig oder vierzig Quellen anstatt zweier. – Bunarbaschi-Su. – Alter Kanal. – Sümpfe. – Der Skamander.

Am 6. August 1 Uhr Morgens fuhr ich mit dem Nil, einem Dampfboote der Messageries impériales, vom Piräeus nach den Dardanellen ab. Unglücklicher Weise kamen wir dort am folgenden Tage 10 Uhr Abends an, und da man nach türkischem Gesetz nach Sonnenuntergang nicht ans Land steigen darf, so musste ich meine Reise auf demselben Dampfboote bis Constantinopel fortsetzen. Die Langweiligkeit dieser Reise, welche viel länger dauerte, als ich erwartet hatte, wurde durch das Vergnügen aufgewogen, den berühmten Bankier Andreas Pedreño aus Karthagena in Spanien zum Reisegefährten zu haben. Ich werde mich immer mit wahrer Freude der Stunden erinnern, welche ich in seiner angenehmen und belehrenden Gesellschaft verlebt habe.

Am 8. August 10 Uhr Morgens kamen wir in Constantinopel an. Ich liess mein Gepäck im Hôtel d'Angleterre, und reiste noch denselben Tag mit dem Dampfboote Simoïs nach den Dardanellen zurück, wo ich am folgenden Tage 7 Uhr Morgens ankam. Sofort wandte ich mich an den russischen Consul, Hrn. Fonton, dem ich meinen Wunsch kundgab, die Ebene von Troja besuchen zu wollen. Er unterstützte mich durch seine vortrefflichen Rathschläge und miethete für mich einen Führer und zwei Pferde für 90 Piaster (20 Fr.). Ohne längeren Aufenthalt machten wir uns nach Bunarbaschi auf den Weg, wo wir 6 Uhr Abends ankamen.

Mit wenigen Ausnahmen ist das ganze Land, welches wir durchreisten, unbebaut und mit Fichten und Eichen bedeckt. Die letzteren gehören zu der Gattung Quercus Aegilops und liefern die Knoppern, welche in den europäischen Gärbereien verwendet werden und sozusagen der einzige Ausfuhrartikel dieses Landes sind.

Der Weg ist ziemlich gut. Von Zeit zu Zeit finden sich Quellen mit gutem Trinkwasser.

Bunarbaschi, von dem man annimmt, dass es auf der Stätte des alten Troja liegt, ist ein schmutziges und elendes Dorf mit 23 Häusern, von denen 15 von Türken und 8 von Albanesen bewohnt sind. Auf jedem der fast flachen Dächer der Häuser befinden sich Storchnester in grosser Menge; ich habe auf einigen bis an zwölf gezählt. Diese Vögel sind hier von grossem Nutzen, weil sie die Schlangen und Frösche vertilgen, von denen die benachbarten Sümpfe wimmeln.

Nachdem mich mein Führer in das Haus eines Albanesen, der etwas Griechisch sprach, gebracht hatte, bezahlte und entliess ich ihn. Aber sofort beim Eintritt in das Haus sah ich ein, dass ich hier unmöglich wohnen konnte, denn die Wände, die hölzerne Bank, auf der ich schlafen sollte, Alles wimmelte von Wanzen und überall sah ich die abscheulichste Unsauberkeit. Als ich eingetreten war, bat ich um Milch. Man brachte sie mir in einer Schale, die, wie es schien, in zehn Jahren nicht ausgespült worden war. Lieber wäre ich vor Durst umgekommen, als dass ich sie angerührt hätte.

Ich sah mich also gezwungen, die Nächte auf freiem Felde zuzubringen und traf mit dem Albanesen das Uebereinkommen, dass er für 5 Franken täglich mir meinen Reisesack aufbewahren und jeden Morgen ein Gerstenbrod liefern sollte. Auf diese Weise brauchte ich doch nicht zu sehen, welche Hände und wie sie es bereiteten.

Meine nächste Sorge war nun, mir für den folgenden Tag ein Pferd und einen Führer zu suchen, der etwas Griechisch spräche. Mit grosser Mühe fand ich einen, welcher täglich 45 Piaster oder 10 Franken verlangte. Vergeblich aber suchte ich nach einem Zaum und Sattel; man schien dergleichen nicht einmal dem Namen nach zu kennen, und ich musste mich daher abermals mit einem um den Hals des Pferdes gebundenen Strick und einem erbärmlichen, schmutzigen Σαγμάριον begnügen.

Ich gestehe, dass ich meine Rührung kaum bewältigen konnte, als ich die ungeheure Ebene von Troja vor mir sah, deren Bild mir schon in den Träumen meiner ersten Kindheit vorgeschwebt hatte. Nur schien sie mir beim ersten Blicke zu lang zu sein und Troja viel zu entfernt vom Meere zu liegen, wenn Bunarbaschi wirklich innerhalb des Bezirks der alten Stadt erbaut ist, wie fast alle Archäologen, welche den Ort besucht haben, behaupten. Als ich aber den Boden näher betrachtete und nirgends die geringsten Trümmer von Ziegeln oder Töpferwaaren entdeckte, so gelangte ich zu der Ansicht, dass man sich über die Lage Troja's getäuscht habe, und meine Zweifel mehrten sich, als ich in Gesellschaft meines Wirths, des Albanesen, die Quellen am Fusse des Hügels, auf welchem Bunarbaschi liegt, besuchte. Man hat diese Quellen immer für die beiden Quellen gehalten, von denen Homer (Il. XXII, 147–156) spricht:

Κρουνὼ δ᾽ ἵϰανον ϰαλλιῤῥόω, ἔνθα δὲ πηγαὶ
Δοιαὶ ἀναΐσσουσι Σϰαμάνδρου δινήεντος.
Ἡ μὲν γάρ θ᾽ ὕδατι λιαρῷ ῥέει, ἀμφὶ δὲ ϰαπνὸς
Γίγνεται ἐξ αὐτῆς, ὡσεὶ πυρὸς αἰθομένοιο ·
Ἡ δ᾽ ἑτέρη θέρει προρέει εἰϰυῖα χαλάζῃ,
Ἢ χιόνι ψυχρῇ, ἢ ἐξ ὕδατος ϰρυστάλλῳ.
Ἔνθα δ᾽ ἐπ᾽ αὐτάων πλυνοὶ εὐρέες ἐγγὺς ἔασιν
Καλοὶ, λαΐνεοι, ὅθι εἵματα σιγαλόεντα
Πλύνεσϰον Τρώων ἄλοχοι, ϰαλαί τε θύγτρες,
Τὸ πρὶν ἐπ᾽ εἰρήνης, πρὶν ἐλθεῖν υἷας Ἀχαιῶν.

»Sie kamen an die beiden Brunnen, aus denen die beiden Quellen des wirbelreichen Skamandros hervorsprudeln. Aus der einen fliesst lauwarmes Wasser, und Rauch steigt empor wie von brennendem Feuer; die andere fliesst im Sommer ähnlich dem Hagel, oder dem kalten Schnee, oder dem gefrornen Wasser. Dort in der Nähe sind breite und schöne Becken von Stein, wo die Frauen der Trojaner und ihre schönen Töchter die prächtigen Kleider wuschen, einstmals zur Zeit des Friedens, ehe die Söhne der Achäer kamen.«

Aber Homers Beschreibung passt nicht auf die von mir besuchten Quellen; denn wenn man den Hügel von Bunarbaschi hinabsteigt, trifft man zuerst, auf dem Raume eines Quadratmeters, drei Quellen; die eine quillt aus der Erde heraus, die beiden andern entspringen am Fusse eines Felsens. Einige Meter weiter fand ich zwei andere Quellen, und auf einem Raume von 500 Metern zählte ich im Ganzen 34. Mein Begleiter, der Albanese, behauptete, es wären 40 Quellen, und ich hätte mich um sechs verrechnet. Zur Unterstützung seiner Behauptung führte er an, dass dieser Ort Kirk Giös genannt werde, d. h. die vierzig Augen. Ich untersuchte jede der vierunddreissig Quellen mit meinem Taschenthermometer und fand überall eine Temperatur von 17½ Grad.

Während der Sommerhitze kommt einem das Wasser bei 17½ Grad sehr kühl vor, während es zur Zeit des Winters bei derselben Temperatur fast lauwarm erscheint.

Da alle diese Quellen, ausser einer, nebeneinander am Fusse zweier Felsen entspringen, so kann zwischen ihrer Temperatur niemals ein merklicher Unterschied gewesen sein. Auch würde Homer, wenn er diese Quellen hätte bezeichnen wollen, nicht bloss von zweien gesprochen haben, wenn es auf einem ganz kleinen Raume 34 oder 40 gab.

Alle diese Quellen bilden den Bach Bunarbaschi-Su, der mehrere Mühlen treibt, zu welchem Zwecke man Schleusen angebracht hat. Seine Ufer sind anfangs so niedrig, dass er selbst im Sommer die benachbarte Ebene überschwemmt und sie im Osten und Norden der Quellen in einen tiefen Sumpf verwandelt.

Dieser Bach ist 1 bis 3 Meter tief und 3 bis 4 Meter breit. Er fliesst nach Norden, parallel dem westlich von ihm befindlichen Mendere (Skamander) und der Hügelkette im Osten, in einer Ausdehnung von 7 Kilometern, und wird alsdann durch einen künstlichen Kanal fortgeführt, der im Nordosten der Anhöhe da beginnt, wo der Grabhügel Udjek-Tepe liegt, und in der Nähe des Hügels Beschika-Tepe ins ägeische Meer mündet.

Der Bau dieses Kanals, welcher auf eine grosse Strecke weit in den Felsen gehauen ist, reicht offenbar in ein fernes Alterthum zurück und erinnert in seiner kühnen und gigantischen Ausführung an die Mauern von Mykenä und Tiryns. Sein Hauptnutzen besteht darin, dass er einen grossen Theil der östlichen Ebene vor beständigen Ueberschwemmungen schützt.

Es unterliegt keinem Zweifel, dass vor dem Bau dieses Kanals der Bunarbaschi-Su sich in den Skamander, nahe der Mündung dieses Flusses, ergoss, weil sein altes Bett noch deutlich zu sehen ist, und noch jetzt lässt er jeden Winter einen grossen Theil seiner Gewässer durch dieses alte Bett abfliessen. Da aber die Ufer dieses Bettes sehr niedrig sind, so treten die Gewässer über und füllen einen ungeheuren Sumpf bei Yeni-Kevi und im Norden des künstlichen Kanals an. Ich fand diesen Sumpf fast ausgetrocknet.

An dieser Stelle will ich noch zwei andere grosse, nie trockene Sümpfe anführen, welche von dem Bunarbaschi-Su gebildet werden. Der eine befindet sich unmittelbar vor dem Ausfluss des letzteren in den künstlichen Kanal, während der andere, welcher zugleich von diesem Kanal gespeist wird, dicht bei seiner Mündung auf der Westseite liegt.

Die Archäologen, welche nur von zwei Quellen sprechen und über die 32 oder 38 andern schweigen, sehen in dem Quellenbach den Skamander, und in dem grossen Flusse Mendere, welcher die trojanische Ebene durchströmt, den Simoïs. Dies ist jedoch ein grosser Irrthum; denn der kleine Bach entspricht in keiner Weise der speciellen Beschreibung, welche uns Homer über den Skamander als Hauptfluss der Gegend giebt.

Er wird in der Iliade hoch gefeiert: der Dichter nennt ihn » ἐΰῤῥοος« schön fliessend, »δινήεις« wirbelnd (Il. XXI, 1–2); er hatte seinen eigenen Priester, der vom Volke wie ein Gott verehrt wurde (V, 77); er wird »μέγας ποταμὸς βαθυδίνης« der grosse wirbelnde Fluss genannt (XX, 73). Ferner heisst es (XXI, 25–26):

Ὣς Τρῶες ποταμοῖο ϰατὰ δεινοῖο ῥέεθρα
Πτῶσσον ὑπὸ ϰρημνούς.

»So verbergen sich die Troer in den Fluthen unter den steilen Ufern des gewaltigen Stromes.«

Andere Epitheta sind »βαθύῤῥοος, ἀργυροδίνης« tiefströmend, silberfluthig (XXI, 8). Die Götter nennen ihn Xanthos. Er nimmt Theil an der Götterversammlung im Olymp (XX, 40), und begiebt sich in Gesellschaft der andern Götter auf das Schlachtfeld bei Troja (XX, 73); er ist der Sohn des Zeus (XXI, 2); seine Ufer sind steil und hoch (XXI, 171, 175, 200); er heisst sogar »ἠϊόεις« von bergigen Ufern umgeben, ein Wort, das sonst nur vom Meere gebraucht wird (V, 36); man opferte ihm lebende Ziegen und Stiere (XXI, 131); er verursachte grosse Ueberschwemmungen (XXI, 234–242); seine Ufer waren mit Ulmen, Pappeln und Tamarisken bedeckt (XXI, 350–351). Die grosse Bedeutung dieses Flusses und die hohe Verehrung, welche die Trojaner ihm bezeigten, kennt man namentlich auch daraus, dass Hector, die kräftigste Stütze Ilion's, sich mit dem Skamander vergleicht und seinem Sohne Ἀστυάναξ den Namen »Σϰαμάνδριος«, Skamander-Sohn giebt (VI, 402–403).

Den Simoïs erwähnt Homer dagegen nur sieben Mal, und zwar ohne ihm ein besonderes Beiwort beizulegen, Wandich IV, 475; V, 774, 777; VI, 4; XII, 22; XX, 53; XXI, 307.

Aus alle dem ergiebt sich, dass Homers Skamander der grosse Fluss ist, welcher die Ebene von Troja durchströmt.


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