Carl Ludwig Schleich
Besonnte Vergangenheit
Carl Ludwig Schleich

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Schlußbemerkungen

Seite aus dem Manuskript »Besonnte Vergangenheit«

Ich bin am Ende der Aufrollung meiner besonnten Vergangenheit. Die hier noch folgenden, mir wahrlich noch reich zu Gebote stehenden Erinnerungen stehen mir noch zu nahe, als daß ich sie jetzt schon, in noch wenig ausgereckter Distanz, der Öffentlichkeit darzubieten wage. Ich habe auch aus früheren Zeiten manches beiseite gelassen für spätere Gelegenheiten, was vielleicht allgemeines Interesse beanspruchen dürfte, so meine Beziehungen zu Schweninger als Chefarzt der Chirurgischen Abteilung im Lichterfelder Krankenhause, so meine schwere Arbeitszeit während des Krieges im Lazarett am Reichskanzlerplatz, über welch letztere ich ja ein Erinnerungsbüchlein veröffentlicht habe. Freilich stehen darin nicht die wundervollen Zeiten voll Harmonie und Schaffensfreude unter Generalarzt Lohrisch, wo ich mit dem ausgezeichneten, prachtvollen Kollegen Oelsner, der mein Herzensfreund für alle Zeit geworden ist, alles einsetzte, dem Vaterland an berufener Stelle zu dienen. Schön wäre es, zu berichten von den Kursen, die ich hier im Garten den Schwestern und deren Angehörigen, unter den Bäumen zeichnend, gab von der bloßen Anatomie bis zur Physiologie, Operationslehre und höchsten Psychologie, und von wo ab ich mit Damen und Familien, wie von Ilberg, von Reichenbach, Gräfinnen Redern, Fürstin Lynar, auch wohl für immer enge Freundschaftsbeziehungen gewonnen habe – aber ich übergehe diese Zeiten. Neben vielem »Besonnten« enthielten sie zuviel Schatten; der Kampf mit Schweninger im Lichterfelder Krankenhause, die vielfachen Konflikte im Lazarett am Reichskanzlerplatz, nach jener goldigen Zeit mit dem Generalarzt Lohrisch, ständige Reibungen mit dem nachfolgenden militärischen Diktator desselben und solchen Generalärzten, die immer mehr mit falschem Stolz Generäle als Ärzte waren, scheinen zu unerfreulich, um hier beschrieben und noch einmal durchkostet zu werden.

Wenn ich bis hier mein Leben überblicke und mich ihm nach Menschenmöglichkeit völlig objektiv gegenüberstelle, so war es, ich kann es nicht anders sagen, faustisch. Immer in großem und mächtigem Ansturm gegen irgendein fernes, außergewöhnliches Ziel, das, vielleicht unerreichbar, doch mit dämonischer Kraft lockte. Mit Einsetzung zähester Energie verfolgte ich dann periodenweise eine einzige, für mich vorhandene Bahn, um sie oft plötzlich zu verlassen, aber nie eher, als bis ich einen gewissen Einblick in ihre Beziehungen zur Gesamtheit der Erforschbarkeiten gewonnen hatte. Es war in mir ein geheimer Wunsch, eigentlich einmal alles auf Erden eine Zeitlang gewesen zu sein; die Technik des Handwerks interessierte mich zeitweise ebenso lebhaft wie die Mechanismen der Sterne oder der Gehirnganglien. Wohl war mir das Glück günstig, aber immer nur bis zu einem gewissen Grade des Erfolges. Nirgends war mein Sieg ein vollständiger. Er führte mich oft auf Höhen, um mich tief abstürzen zu lassen. In vielen meiner redlichsten Bestrebungen bin ich völlig mißverstanden worden, schwere Kränkungen sind mir nicht erspart geblieben. Ich lege eine stattliche Reihe von Werken auf den Richtertisch der Zukunft, gern hörte ich den Spruch, wenngleich ich ihn ahne.

Hier handelte es sich um die Schilderung eines alles in allem begnadet, glücklich verlaufenen, reichen und erfüllten Menschenlebens, vor dessen stillem inneren Glanz der Dankbarkeit alle Schatten verblassen sollen.

So bin ich denn auf meiner Reise in die Klüfte, Schlupfwinkel und Gebirge der Erinnerung bei einer Station angelangt, an die wir ständig wie im Fluge heransausen, als wäre sie das wichtigste Endziel unseres Hierseins (was sie eines Tages auch sein wird), die wir aber ebenso eilig zu verlassen genötigt sind aus diesem herumgekurbelten Ball, den wir Erde nennen: die Gegenwart! Sie ist zu flüchtig, verrinnt wie Wasser zwischen den Fingern, wie Nebel vor der Scheibe Glas, durch die wir von Augenblick zu Augenblick in die Welt da draußen sehen. Wer wollte sie biographisch halten und sagen: Dies ist noch mein, dies besitze ich für immer, dies kann nicht verlorengehen! Ach, jeder Augenblick ist ja das große, neue Situationen schaffende Wunder, das eben erst Gegenwart war, Zukunft schien und nun schon Vergangenheit ist.

Doch spiegelt auch hier die große Vergolderin des Daseins: die Illusion, gnädig so etwas wie bleibenden und sicheren Bestand des Glückes vor. Mögen mir denn alle die Lieben, die meiner gern gedenken, und denen ich vielleicht etwas »bin«, von Augenblick zu Augenblick so treu wie jetzt zur Seite bleiben und weiter mein gegenwärtiges Erdenglück, von dem man nicht laut sprechen möchte, ausmachen!

Bleibt so lieb um mich wie immer und wartet und beobachtet noch eine Weile, was die Zukunft einem Mann bringen mag, der ein bißchen wie Walter Stolzing allein gegen eine Schar von Meistersingern zwar nicht ein Preislied, wohl aber manch preisend Liedchen zum Lobe der Gotteswelt gesungen hat, im Vollgefühl, von sich mit Recht sagen zu können, was Schiller einst von der deutschen Muse stolz behauptete:

Keines Mediceers Güte lächelte der deutschen Kunst,
Sie ward nicht gepflegt vom Ruhme,
Sie entfaltete die Blume
Nicht am Strahl der Fürstengunst.
Von des großen Herren Throne
Ging sie schutzlos, ungeehrt.
Rühmend darf's der Deutsche sagen,
Höher darf das Herz ihm schlagen:
Selbst erschuf er sich den Wert.

Darum steigt in höher'm Bogen,
Darum strömt in voller'n Wogen
Deutscher Barden Hochgesang.
Und in eigner Fülle schwellend,
Und aus Herzens Tiefen quellend.
Spottet er der Regeln Zwang!


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