Carl Ludwig Schleich
Besonnte Vergangenheit
Carl Ludwig Schleich

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Strindberg-Erinnerungen

Meeresstille (Carl Ludwig Schleich)

Lange habe ich den Ermunterungen, von Strindberg zu erzählen, widerstanden. Freunde wiederholten sie vielfach, die um meine Beziehungen zu August Strindberg, dem eigenartigsten Genie des europäischen Nordens, wußten und alle unsere gemeinsamen Schnurren und Gedankengänge kannten. Ich schwieg: einmal, weil sein nun endlich im Vordergrunde der Zeitgenossenschaft hell aufloderndes Dichterwerk viel kompetentere Würdigungen erfahren muß als durch unsereinen, und zweitens, weil die meisten meiner Erlebnisse mit Strindberg so intimer Natur sind, daß es fraglich erscheinen mußte, ob es meiner Feder gelingen könne, hier irgend etwas Typisches und Charakteristisches wertvoll festzuhalten. Dennoch will ich hier von ihm plaudern, weil bisher wenig Brauchbares über ihn geschrieben wurde – noch jüngst ist eine recht arge Verzeichnung mit unzulänglichen Mitteln an diesem für den Zeichner zu großen Gegenstande versucht worden –, und ferner, weil Strindbergs Stern gerade in unserer Zeit über den Bergen des Gewesenen aufzusteigen beginnt mit einer Flugbahn, deren Schnelligkeit für die nicht mit seinem Genius Vertrauten etwas Verblüffendes hat, so daß man an meteorisches Aufglühen und langsames Wiederverlöschen gemahnt werden könnte. Gerade in dieser Epoche von Strindbergs allmählichem Einlaß in die Walhalla des Gedächtnisses mag es von Wert sein, einiges über ihn zu erfahren, weniger von dem Dichterischen als dem Menschlichen, mehr von dem ursprünglichen, universellen, grübelnden und denkenden Geist als von dem formenden Künstler. Ich möchte ihn in einem schnell umrissenen Totalbilde zu zeigen versuchen, so daß ich meine innerste Überzeugung auch öffentlich zu begründen imstande wäre, daß er nämlich die bedeutendste Persönlichkeit und der größte Kämpfer um den Sinn dieses Lebens war, dem ich begegnet bin. Aber ich nehme den Befähigungsnachweis dafür nicht nur aus meiner innigen und tiefen Freundschaft für ihn allein, sondern auch alle seine mir gewidmeten Erinnerungszeichen, Bilder, Schriften, Bücher, Briefe tragen das stets von seiner Hand sorgfältig gezirkelte Siegel: »Dem gode Freund.« Auch bin ich von dem Mißtrauen gegen die Nächsten, das Strindberg überfiel oder vielmehr immer in ihm glomm wie eine ununterdrückbare Naturgewalt, glücklicherweise bewahrt geblieben. Er hat mir rückhaltlos sein Herz geöffnet. Ich denke, er könnte auch diese Zeilen ruhig lesen, wie er ja solche Möglichkeit bestimmt kraft seines Glaubens an ein Jenseits unter Diesseitsbetätigung erwartete. Also, sieh mir bei dieser Niederschrift über die Schulter, mein großer, guter Freund!

Es war anfangs der neunziger Jahre, als eines Tages ein Kollege mit einem mir Unbekannten in mein Arbeitszimmer trat. »Hier bringe ich Ihnen Strindberg.« Mich durchfuhr es doch eigentümlich, dem längst verehrten Manne so plötzlich ins Auge sehen und ihm die Hand herzlich schütteln zu können. Unwillkürlich dachte ich: »Beethoven.« Das Prometheische stand auf der hohen Stirn, sprühte merkwürdig scharf und leidend zugleich aus den durchdringenden blaugrauen Augen, riß die wirren Locken flammend zur Höhe und verspritzte noch in den Strähnen des kurzen, energischen Katerbartes, der über einem ungemein lieblichen, beim Begrüßen fast frauenhaft-kleinen, faltig und rundlich gespitzten Munde nach rechts und links trotzig-ironisch verblitzte. Ein sehr anziehendes Grübchen verstärkte noch die Liebenswürdigkeit der Begrüßungsgeste. Bald aber zog ein finsterer, grübelnder Schatten über das verwetterte Antlitz, das eine Mischung von Steuermann und Husarenoberst gab.

Strindberg war mittelgroß, von sehr gedrungenem Körperbau, die Glieder beinahe barock-muskulös. Die Brust sehr breit und meist stolz in tiefem Atemzug gehoben, der gewaltige Kopf, sehr selbstbewußt emporgehalten, schien jeglicher Beugung oder graziöser Senkung abhold. Die Bewegungen waren von einer fast pedantischen Ruhe und Bedächtigkeit, sie hatten eine steife Würde, und die Analytiker, die aus Gang und Gehabe Seelenzeichen lesen wollten, konnten an Strindbergs schwerwellendem körperlichem Rhythmus leicht erkennen, daß ihm allzeit etwas an flüssiger, natürlicher Grazie mangelte, an deren Stelle eben oft eine überstrenge Unerbittlichkeit anklagender Mienen trat. Ja, das war der Mann der letzten Konsequenz jedes seiner Gedanken, der nirgend haltmachte, wo andere mit versöhnlicherem Abdämpfen das Licht der Wahrheit dem armen Menschenauge wohltätiger und hinreißender gestaltet hätten. Das gilt nicht nur von seinen Romangebilden und Bühnencharakteren, von den Konflikten und ihrer Austragung bis zur seelischen Zerfleischung und Niederstreckung beider Gegner, das gilt, was die Menge jetzt kaum noch ahnt, in noch viel höherem Maße von seinen tiefgründigen und sonderbaren Meinungen über Natur, Welt, Gott und Teufel. Er hatte wirklich so ein Aussehen, als würde der Hammer Thors gut in seine Hand gepaßt haben, und nur jener milde, auffällig graziöse Zug um den Mund und um den für das Riesenskelett des Kopfes eigentlich zu kleinen Unterkiefer gab Kunde von der ungeheuren Weichheit und mimosenhaften Empfindlichkeit dieser wunderlichen Seele.

Es war die leidige Not einer damals fast ahasverischen Unrast, die meinen Kollegen, der meine tiefe Neigung zu dem Dichter Strindberg kannte, veranlaßte, mich mit ihm bekannt zu machen. Was zu tun war, ward getan, und ich will hier nur bezeugen, daß die bescheidenen Erleichterungen, welche wir dem »müden Pilger nach Erkenntnis und ein bißchen Glück«, wie er sich nannte, angedeihen lassen konnten, fast stets heimlich auf die Post nach Schweden abgesetzt wurden – für zwei Frauen und seine Kinder. Und so war Strindberg immer arm, was auch geschah, und immer in einer Art Katzbalgerei um das Alltäglichste. Seine Sorge um seine von ihm geschiedenen Frauen hatte stets jenen selbstverständlichen Zug von Ritterlichkeit und natürlicher Noblesse, von dem er gelegentlich behauptete, »daß er der Kern der Männlichkeit sei«. »Die Höflichkeit einer Frau«, sagte er einmal, »wird mit dem Glacéhandschuh ausgezogen, die unsere liegt auch noch auf der nackten Schwielenhand!« In solchen Antithesen war er unerschöpflich, verstieg er sich doch einmal zu dem lapidaren Satze: »Die richtige Mutterliebe kann nur der Mann empfinden!« Er dachte immer an die Seinen, und es verflocht ihn mit allen, die um ihn und um die er gelitten, wirklich so etwas wie eine unsichtbare goldene, feine Nabelschnur von einer in der Tat beinahe weiblichen Empfindsamkeit. Das ist ja das Rätselhafte einer solchen Kämpfernatur wie der seinen, daß hier das Zarte, Weibliche in engster Umklammerung mit dem brutalen Hohn bis zur Grausamkeit gepaart lag. Doch ich will einer Auseinandersetzung mit dem bekannten Kernproblem Strindbergs hier nicht vorgreifen.

Von dem Augenblick unserer Bekanntschaft an sind wir ein volles Jahr wohl täglich zusammen gewesen. Das vertrauliche Du ward bald Bedürfnis, und oft, lange bevor abends jenes berühmte Lokal des »Schwarzen Ferkels« bei Jul. Türke einem skandinavischen Kreis und seinen Berliner Anhängern die gastlichen Pforten öffnete, war ich mit Strindberg in meinem Laboratorium zusammen, um Farben zu mischen, chemisch zu experimentieren, zu mikroskopieren, zu photographieren, zu musizieren, zu malen, Kontrapunkt zu studieren usw. usw.

Zu all diesen Dingen hatten wir gemeinsame Beziehungen, und auf jedem Gebiete hatte er eigene, oft verstiegene, aber immer überaus interessante Gedanken. Damals war Strindberg ein überzeugter Monist, ein Mechanist des Lebens von reinstem Wasser. Alles, was ich meinerseits zur Mechanik in der Biologie beibringen konnte, so z. B. die Vermutung eines aktiven Hemmungsapparates im Gehirn, interessierte ihn auf das lebhafteste. Überhaupt sei die ganze Physik und Chemie zurückzuführen auf Kraft und Hemmung, welche das ganze Getriebe der Welt unterhielten. Dann meinte er mit unnachahmlicher, triumphierender Freude: »Hast du ihn endlich erwischt, den Gott und den Teufel!« Freilich hat Strindberg sich später unendlich gewandelt, aus dem Mechanisten wurde schließlich ein Mystiker, und an die Wirksamkeit des Teufels glaubte er buchstäblich so, wie er ihn in seiner »Kronenbraut« herumschwänzelnd, spukend und versuchend auf die Bühne gebracht hat. Konstruierte er damals die Welt aus einer einzigen natürlichen Urkraft, so war sie ihm später bevölkert von Dämonen, Kobolden, guten und bösen Geistern. Es waren aber damals schon manche mystischen Neigungen in ihm, so kokettierte er mit Swedenborg, Jakob Boehme und Paracelsus. »Hast du nicht schon bemerkt – wenn es einen Namen gibt, dessen Besitzer du gekränkt hast, daß du die ganze Straße entlang vier-, fünf-, sechsmal an Schildern und Haustüren ihn liest, wo er früher gar nicht stand?! Er taucht auf, dich zu peinigen. Es wird gemacht dir zur Qual!« Das konnte er ruhig und allen Ernstes schon damals sagen, und als ich ihn viele Jahre später in Stockholm besuchte, ihm vom Tode meines Vaters erzählte, der mich immer als »reinen« Mediziner sehen wollte, und dem zuliebe ich meine literarischen Triebe arg beschnitten hätte, während ich mich jetzt gewaltsam zum Schriftstellern gedrängt fühlte, da sagte er mit schön-verschmitztem Lächeln, wie etwas Selbstverständliches: »Er hat es eingesehen, er läßt dir frei!« Dabei will ich bemerken, daß Strindberg fehlerhaft Deutsch sprach, sich aber klar und bestimmt über die schwierigsten Dinge, wenn auch gebrochen, äußern konnte, wobei die drolligsten Wendungen mit scharfgeschnarrtem »r« und langgeschleiftem »s« zutage kamen. So dekretierte er einmal dokumentarisch, als wir von unseren jungdeutschen Realisten und Veristen sprachen: »Aberr sie sind ja Photograffen! Laß ihnen laufen, diese Rrr-eisebeschreiberrn!« In allem Wissenschaftlichen war er von einem unglaublichen, manchmal ganz naiven Skeptizismus und von einer herzerquickenden Berserkerwut gegen alles Autoritative. Ging er doch so weit, daß er meinte, alles sogenannte Gelehrte, Objektive sei immer im Anfang der Subjektivismus eines Genies gewesen, das nur so lange als objektiv gelte, bis ein größeres Genie alles wieder umkrempele. Eine Mordswut hatte er auf die seiner Meinung nach kindischen Beweise für die Kugelgestalt der Erde. Selbst gegen den Foucaultschen Pendelversuch hatte er den Einwand: »Man tut so, als sei die Kirchturmspitze ein archimedischer Punkt. Aber laß das beiseite, wie ist es mit dem Rundgang um die Erde von einem Punkt aus, zu dem man wiederkehrt? Abgesehen davon, daß noch niemand diese Reise zu Fuß gemacht hat, ist es bei einem Teller nicht ebenso? Wenn die Masten eines Schiffes auf hoher See zuerst zu sehen sein sollen wegen der Rundung der Erde, so sage ich dir: Du siehst schon auf ein paar hundert Meter wegen der Strahlenirradiation von einem Pflock auch nur den Kopf! Und solches Zeug lehrt man auf Schulen!« Erich Hartleben war dabei, und es wurde spät in einer hellen Sommernacht beschlossen, dies letzte Argument experimentell zu erproben. Mit einiger Mühe wurde ein arg zerfaserter Besen käuflich erworben, und wir drei wanderten zum Panoptikum, Eingang Friedrichstraße. Es wurde beschlossen, daß Hartleben sich zur Leipziger Straße zu begeben hätte und hier in der Mitte des asphaltierten Fahrdammes, mit dem Besen aufgepflanzt, Büschel nach oben, sich postieren solle. Strindberg und ich waren bereit, die Vorderfläche unserer Kleider der Wissenschaft zum Opfer zu bringen, und legten uns lang zum Auslug auf den Asphalt. Aber der Schwede hatte nicht mit der preußischen Polizei gerechnet. Kaum lagen wir blickbereit, da herrschte uns ein Schutzmann an unter stark beleidigenden und unsere wissenschaftliche Qualifikation stark in Zweifel ziehenden Verdächtigungen, daß wir uns von der Stelle zu scheren hätten. Hier sei kein Nachtasyl. Mit dem ganzen Aufwand unserer Gelehrtenüberzeugung gelang es uns endlich, den Schutzmann über die Wichtigkeit unseres Experimentes aufzuklären, und es ist gewiß ein rührendes Beispiel für den wissenschaftlichen Geist unserer Polizei, daß dieser Wachmann sich beinahe zu uns gelegt hätte, um die Rundheit der Erde definitiv abzutun. Aber die Sache hatte ebensoviel Zeit gekostet, als sie Otto Erich Hartleben zu lang geworden war, und so erschien er denn, den Besen in der Hand, fauchend und pustend: »Ihm sei die Sache zu langweilig geworden!« So fiel unser schönes Experiment ins Wasser, und wir zweifelten weiter an der Kugelgestalt der Erde. Ebenso naiv trottete Strindberg eine Zeitlang jeden Vollmondtag auf die Sternwarte, um stundenlang den Mond durch ein Teleskop zu betrachten und sorgfältig die Mondreliefs zu zeichnen. »Was suchst du eigentlich dort am Monde?« fragten wir ihn einst dringend. »Das Spiegelbild von Europa!« lautete die Antwort. »Hast du den Stiefel von Italien schon gefunden?« fragte nach einiger Verblüffung Richard Dehmel. Da fuhr Strindberg ganz ernst auf: »Woher weißt du, daß es ein Stiefel ist? Wer hat ihn ja gesehen? Soll ich den Lithographen mehr glauben als dem klaren Spiegeleis vom Monde?« Man denke nicht gering von Strindbergs wissenschaftlicher Ausbildung. Wenn auch vieles bei ihm verschrullt und unklar war, so hat er doch große Intuitionen gehabt: ich erinnere nur an seinen »Silva Silvarum«, in dem eine erstaunliche Fülle botanischer Ahnungen enthalten ist, die schon heute durchaus diskutabel geworden sind, so seine Gedanken über Pflanzenreizbarkeit, ihre nervöse Tätigkeit, ihren Schlaf und ihr Wachen, ja über ihre Seele. Das sind alles Dinge, von denen heute durchaus ernst gesprochen werden kann, und ich werde oft an Strindberg erinnert bei der Lektüre neuester Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie. Es war ein geradezu Goethescher Naturtrieb in Strindberg, der die Dinge der Welt sehr ernst nahm und ein erstaunliches Wissen in Chemie, Botanik und Sternkunde besaß, eine Universalität der Neigungen jedenfalls, die für mich beispiellos gewesen ist. Ich werde gleich davon erzählen, wie er als Sieger aus einem Disput mit einem ersten Chemiker, Professor Landolt, hervorgegangen ist. Ich will hier nur bemerken, daß ein Unterschied zwischen Goethescher und Strindbergscher Forschung besteht. Goethe suchte überall die Urphänomene und hatte ein ganzes Heer von Mitarbeitern, die ihm, dem Minister, Spezialfragen lösten. Strindberg suchte wie ein Ingenieur nach Betriebsgeheimnissen, Mechanismen, Verschiebungen und Umschaltungen gegebener, dauernd fließender Bewegungen und – war ganz einsam. Nur in der Ablehnung, die beide bei den Fachgelehrten fanden, waren sie gleich. Und wenn Dubois-Reymond fünfzig Jahre nach Goethes Tod ihm jede Qualifikation zur Naturforschung absprach, so möchte ich nicht hören, was nach gleicher Spanne Zeit ein »exakter« Naturforscher über Strindbergs Arkana sagen wird, falls bis dahin überhaupt jemand sich bemüßigt gefunden haben wird, in die vielen naturwissenschaftlichen Arbeiten und Bände dieses geistigen Riesen hineinzublicken. Auch er möchte leicht den Dichter an seine Leisten weisen, und doch glaube ich, daß es leicht sein kann, daß einst der Denker Strindberg ebenbürtig neben den Dichter erhoben werden wird. Vorläufig schreckt die vielen noch das ungeheure in Angriff genommene Feld seiner Untersuchungen, die er nicht mit der Ruhe Goethes vornahm, sondern in einem leidenschaftlichen Ansturm der Gedanken mit einer Heftigkeit, wie sie Goethe nur in der wundervollen Attacke gegen den toten Newton in seiner Farbenlehre fertiggebracht hat. Strindberg kämpfte so heiß, nicht weil er wußte, sondern weil er glaubte und ahnte. Seine Beweisführung strotzt von Hohn und Aufreizung. Es ist, als wenn er, statt sachlich zu überzeugen, immer auf jemand einredet. Seine Argumente haben immer etwas von dem knappen, unerbittlichen dramatischen Ton seiner Dichtungen. Sie sind Selbstgespräche, die eine Welt hören sollte. Es war etwas Mittelalterliches, aber Kerndeutsch-Protestantisches in ihm. Dieser Hang ins Uralte führte ihn, den Modernsten der Modernen, doch schließlich zur Alchimie und hart zur Sphäre des Steins der Weisen. So ward ein Strindberg ein Goldsucher.

Man muß sich Strindberg nicht als den finsteren, geheimniskrämelnden Alchimisten, als einen, gleich manchen Okkultisten, stets halbbetrogenen Betrüger vorstellen, sondern seine auf der Überführbarkeit der Metalle und der Spaltbarkeit der Elemente aufgebaute Theorie betätigte sich beinahe in einer spielerisch-humoristischen Weise. Tragisch hat er das Motiv des Goldfinders erst später in einem seiner phantastischsten Bühnenwerke benutzt. Nie werde ich sein verschmitztes Kinderlächeln vergessen, als er mir eines Tages seine Metallblättchen, ähnlich unserem zwischen Seidenpapier aufbewahrten Rauschgoldschaum, vorzeigte und schmunzelnd sagte: »Untersuch es! Es ist Gold, das ich gemacht habe!« Ich schlug vor, es berühmten Chemikern, wie Liebreich oder Landolt, vorzulegen. Er war Feuer und Flamme für diese Idee, und so pilgerten wir denn eines Tages erst zu Liebreich und dann zu Landolt, die ihn beide wohl wie einen Narren behandelt hatten, wenn ich nicht, als ein Mann von einiger wissenschaftlicher Reputation, über ihn eine Art Regenschirm hätte halten können. Liebreich versprach eine ausführliche Untersuchung, zu der er aber fünfzehn Jahre nach diesem Besuch noch keine Zeit gefunden hatte. Landolt aber ging sofort ans Werk und bestellte uns nach einigen Tagen wieder zu sich. Da entspann sich jenes denkwürdige Gespräch, das die Zeit, diese alleinige beweglich gestellte Waage der Wahrheit, meiner Meinung nach eben zugunsten Strindbergs entschieden hat. Landolt fragte ihn: »Woraus haben Sie das gemacht?« – »Aus Kupfer.« – »Was soll das sein?« – »Gold.« – »Nein! Es ist kein Kupfer, es ist auch kein Gold. Ich weiß nicht, was das ist – ich habe solch Zeugs noch nie in der Hand gehabt!«

»So ist es vielleicht ein Übergang, eine Zwischenstufe!« Ich bemerke hier, wie wenig eigensinnig Strindberg bei seinem Schein bestand, Gold gemacht zu haben, wie es ihm nur auf die Idee der Überführung und Wandelbarkeit der Metalle ankam. Er suchte nicht Gold, er suchte nur ein neues Naturgesetz. Darauf sprach Landolt die denkwürdigen Worte: »Mein Lieber! Wenn Sie mir je den Beweis erbringen können, daß ein Metall sich in ein anderes wandeln läßt, so werde ich vor Ihnen meinen Hut bis zum Boden ziehen, und dies Blättchen Metall wird Sie zu einem großen Chemiker machen!« Strindberg verbeugte sich mit ironischem Stolze, als nähme er einen Vorschuß auf diese Unsterblichkeit, und sagte: »Wer weiß es! Vielleicht erleben wir es beide noch!« – »Niemals!« rief Landolt und verabschiedete uns gewiß in der Überzeugung, ein paar Narren mehr auf der Welt begegnet zu sein. Und siehe! Ein Jahrzehnt mehr, und wir sehen, ausgerechnet ein Weib mußte einem Strindberg und der Welt die Freude machen (Madame Curie), das Radium zu entdecken – wie Strindberg später meinte, ein Hochzeitsgeschenk ihres verliebten Gatten –, das Radium, welches sich selbsttätig über das Helium in Blei verwandelt! Nicht ohne Rührung kann ich die in meinem Besitz befindlichen Goldflitterchen Strindbergs betrachten, ging es ihm doch wie seinen Alchimistenahnen, sie fanden das Gold nicht, aber nach ihnen machte die Chemie indirekt industrielles Gold in Hülle und Fülle, und kaum hat dieser Genius die Augen für immer geschlossen, da strömt das Gold seiner Dichtungen in Menschenherzen und in Menschenkassen, freilich nicht mehr in die seinen. Aber er hat es gewußt, daß es so kommen würde, denn zwei Jahre vor seinem Tode schrieb er mir: »Wie ist es wunderlich! Wie langsam geht alles voran! Und doch wirst du Jüngerer es noch erleben, daß man sich um meine Stücke reißt!« In unseren Tagen werden Strindbergs Stücke an mehreren Theatern Berlins gleichzeitig aufgeführt und zugleich an Hunderten von Bühnen Deutschlands. Geheimnisvolles Gesetz des großen, bleibenden Erfolges, daß er erst einsetzt, nachdem ein erhabener Stern aus Sehnsucht nach ihm sich verzehrt hat! Einmal im Leben hat Strindberg so etwas wie ein Vermögen von sechzigtausend Kronen besessen: es schmolz als Einlage auf dem heißen Boden des Strindberg-Theaters in Stockholm, und die ansehnliche Nationalspende des schwedischen Volkes gab er den Armen Stockholms zurück!

Doch mehr von Erlebnissen! Wie schön waren diese Abende in dem kleinen Stübchen der Weinstube in der Neuen Wilhelmstraße, »Das schwarze Ferkel«, die ihren Namen nach einem gefüllten bessarabischen Weinschlauch trug, der unter sehr oberflächlicher Ähnlichkeit mit einem dunklen Borstentier unter dem Pfosten der Eingangstür pendelte. Hier fanden sich Munch, Ola Hanson, Laura Marholm, Hamsun, Dehmel, Prszybyszewski, Scheerbart, Hartleben, Evers und viele, viele andere ein, auch sein früherer Biograph Adolf Paul. Dort haben wir ein Dichterheim gehabt von großer Eigenart mit klassischem Anstrich. Hier tönten Lieder, hier stammten Gespräche und Autodafés der Literatur, hier langte unser aller Zentralstern, Strindberg, ab und zu zur Gitarre und sang seine einzige Ballade: »Denn der Russe ist tot. Schlagt ihn tot! Ist er nun Korporal oder General, sterben muß er zumal!« Hier aber auch saßen wir einst zu dritt: Strindberg, ein japanischer Hauptmann und ich, und haben eine ganze Nacht damit verbracht, uns unsere schönsten Volkslieder im Wettstreit vorzutragen und um die Palme nationaler Dichterkraft zu ringen. Einst saßen wir hier im »Schwarzen Ferkel« zusammen mit einem gemeinsamen Freund S., einem Stettiner Schulkameraden von der Untertertia her, der Strindberg auch pekuniär unterstützt hatte. Im Laufe des Gesprächs erzählte S. eine hübsche Handlung von mir als Schüler, die mir ganz entfallen war, nun aber lebhaft vor Augen stand, so daß ich sie von meinem Standpunkt aus aufrollte. In einem Klassenbuch fand sich auf der Seite des betreffenden Unterrichtstages eine gekritzelte Bemerkung: »Schuster Herbst (der Spitzname unseres Ordinarius) ist ein Esel!« Tableau. Sofortige strenge Untersuchung. Kein Resultat. Trotz mehrfacher Ermahnung meldete sich der Übeltäter nicht. Also umständliche Handschriftenvergleichung. Ebenso resultatlos. »Nun«, sagte Professor Herbst, »ich verlasse euch jetzt auf eine halbe Stunde. Macht's unter euch ab. Wenn sich nach Verlauf dieser Frist der Schuldige, der ein dummer Junge ist, nicht meldet, spaziert ihr alle insgesamt für zwei Stunden ins Karzer!« Nun ging ein Raunen, ein Geschimpfe, ein Ehrenappell nach dem andern los. Auf S. war der Handschriftenvergleichung nach ein schwerer Verdacht gefallen. Wir redeten ihm alle zu, doch zu gestehen. Noch sehe ich die Würstelfingerchen des kleinen Kerls die Augen reiben und Tränenbäche schwärzliche Wangenränder bilden, als er gottsjämmerlich schluchzte: »Ich war's nicht. Nein. Gewiß nicht. Mein Stiefvater schlägt mich tot. Ich bin verloren. O weh!« Mich rührte die Szene bis ins Herz. »Na, ich will dir was sagen«, sprach ich stolz und gutmütig. »Mein Vater schlägt mich wegen so was nicht tot. Ich werde sagen, daß ich es gewesen bin, obwohl ich es natürlich nicht war!« Der Kleine küßte mir die Hände. Schuster Herbst erschien. Ich trat vor. »Ich, Herr Professor, bin's gewesen!« Zunächst erhielt ich, im Gefühl meines Edelmutes ganz unvermutet, eine schallende Ohrfeige. »Du spazierst augenblicklich zwei Stunden ins Karzer!« Als ich nach Hause trollte, empfing mich mein Vater, der schon von meiner Einbehaltung benachrichtigt war, sehr ernst. Als ich vergnügt wie eine Bachstelze meine Geschichte erzählte, gab er mir einen Katzenkopf und einen Kuß. »Du dummer Bengel«, sagte er, »so mach's nur weiter im Leben, dann wirst du ja weit kommen!« Strindberg aber sagte ganz weich: »Sieh mal an, du gode, kleine, blonde Knabe!« S. aber begann zu kichern und stieß hervor: »Und das beste ist, daß ich es doch gewesen war«, und rieb sich die Hände. Ich muß sagen, ich war ganz perplex über dieses Bekenntnis. Strindberg aber stand auf, er sah furchtbar aus, das ganze Gesicht verzerrte sich vor Wut. »Pfui Deubel!« schrie er, »Judas!« und verließ das Lokal. Er hat S. nie wieder eines Blickes gewürdigt. Wahrlich, sein Gerechtigkeitsgefühl war ungemein stark. Unter meinen Erinnerungen an Richard Dehmel findet sich eine Parallelgeschichte.

Hier, im »Schwarzen Ferkel«, erschien eines anderen Abends der greise Holger Drachmann, eine der schönsten Frauen, die ich je gesehen, am Arm. Kaum hatte sie das überfüllte Stübchen betreten – wir feierten gerade an festlicher Tafel irgendeinen Gedenktag –, als sie, umherblickend im Kreise, einen Champagnerkelch ergriff und ausrief: »Wo ist August Strindberg?« Alles zeigte auf ihn, der im äußersten Winkel hockte. »Strindberg! Komm her, gib mir einen Kuß!« Und breitete die Arme. Jetzt geschah etwas Verblüffendes: Der berühmte Frauenhasser stand auf, zog merkwürdigerweise seinen Frack mit gravitätischer Entschlossenheit aus, stampfte quer über den weinbestandenen Tisch und küßte diese Frau so dauernd und nachdrücklich, daß Drachmann die Uhr zog und resigniert-lakonisch meinte: »Zwei Minuten sind es lange!« Endliche Entschlingung, und Strindberg ging gleichen Weges an seinen Platz und zog den Frack wieder an. Kein Mensch konnte je erfahren, warum er sich dessen zu diesem eigentlich unschweren und angenehmen Werke entledigt hatte.

Diese Nacht endigte mit dem unaufhörlichen Absingen zu dritt: Drachmann, Strindberg und mir, von Fescas Reiterlied:

Die bange Nacht ist nun herum.
Wir reiten still, wir reiten stumm,
Wir reiten ins Verderben!
Wie weht so kühl der Morgenwind –
»Frau Wirtin! Noch ein Glas geschwind,
Vorm Sterben, vorm Sterben!«

Drachmann erklärte das Lied für das schönste Deutschlands und machte die interessante Bemerkung, daß man im Auslande Deutsch nur durch Lektüre von Heine-Liedern lernen könne. Worauf Strindberg bissig antwortete: »Natürlich! Die Menschen lernen Meisterwerke am besten durch gute Kopien kennen. Lies Goethe, mein Lieber, darin ist noch mehr Deutsch. Oder Luther und die Bibel: ›Ja, ich vergebe meinen Feinden, aber erst, wenn ich ihnen die Knochen im Leibe zerschlagen habe.‹; Das ist Luther-›Deutsch‹;!«

Aber, wie schon erwähnt, man würde Strindberg arges Unrecht tun, wenn man ihn aus dem Milieu dieser Boheme allein zureichend zu beschreiben suchte. Es war eine Boheme, aber doch eine sehr gehaltvolle und geistig gehobene, und wild war daran eigentlich nur der Hummelschwarm der ihn umsummenden Neugierigen zweiter Klasse. Die Namen der obengenannten Stammtischgenossen bezeugen zur Genüge, welch eminent geistigen Gehalt diese Tafelrunde aufweisen konnte, deren eigentlich stiller und ruhiger Pol der große Schwede war. Strindberg trank bedächtig und viel, konnte aber ungeheure Mengen ungestraft zu sich nehmen, und nicht ein einziges Mal habe ich ihn der ruhigen Würde seiner gewaltigen und faszinierenden Persönlichkeit entgleiten sehen. Die staunenswerte Kraft seiner Produktion, vierzig Bände und ein noch völlig unübersehbarer Nachlaß, beweisen wohl ausreichend, daß ihn niemals sein eisener Fleiß verließ. – Einst hatten wir eine Studienfahrt mit einem berühmten Kriminalkommissarius gemacht und höchst sonderbare Begegnungen gehabt bis tief hinein in die Nacht. Als ich ihn am nächsten Morgen in seiner kümmerlichen Hotelstube aufsuchte, saß er noch wach an seinem Pulte und zeigte mir einen Stoß von engbeschriebenen Seiten – die Resultate seiner nächtlichen Beobachtungen. Und in welch einer Schrift waren diese Dokumente verfaßt! Ich habe nie sauberere Manuskripte gesehen, wie gehauen und gestochen stand alles in blitzblanken, nirgend korrigierten Zeilen, wie er mir denn auch gestand, daß er nie etwas niederschrieb, ehe er es im Kopfe nicht völlig druckfertig habe. Hier bestätigt sich wieder einmal glänzend, daß Fleiß die Zwangslage des Genies ist. Alle seine Pläne, Entwürfe, Fragmente, Skizzen tat er in einen großen, zuschnürbaren grünen Flanellsack, den er hütete wie einen Schatz. Wie manches von ihm im Gespräch geprägte Bonmot flog wie ein Saatkorn in diesen »grünen Sack« zur einstigen Aussaat und Ernte. –

Man muß, wie ich, mit Strindberg experimentiert haben, Farben angerichtet, gemalt oder komponiert haben, um zu wissen, welch echte Forscherstrenge sein eigen war. Strindberg hat viel mit meinen Farben, die ich erfunden habe, gemalt. Sein Stil war expressionistisch, er malte gleichsam Gedanken, trug dick auf und bediente sich selten des Pinsels, der breite Auftrag des Spachtels genügte ihm. Ich besitze u. a. ein sehr schönes Seestück von ihm. Über dem Meere verschwimmen Wolken und Wogen, am Strande sieht man eine geknickte Königskrone, zu ihr führen Fußtapfen dessen, der sie zertreten. Eine eigene Melancholie liegt über dem Ganzen. Namhafte Maler erklärten das Bild für objektiv wertvoll, doppelt natürlich, weil von Strindbergs Hand. – Unvergeßlich ist mir unsere gemeinsame Durcharbeitung von Goethes Farbenlehre. Er fand einen sehr hübschen Einwand gegen Newton: wenn Newton meinte, daß durch das Prisma das weiße Sonnenlicht zerlegt werde in seine farbigen Bestandteile, und daß das bunte Prismaband durch Zusammenlegung wieder Weiß ergebe, so müßten doch im glühenden Sonnenkörper die Farben nachweisbar sein, die erst das Helle des Sonnenlichtes ergäben. Dafür fehle der grundlegende Beweis. Ferner mache Newton einen falschen Schluß. Wenn er sage: die wiedervereinten Farben geben wieder Weiß und das Prisma zeige die ursprüngliche farbige Zusammensetzung des Lichtes, so sei das ebenso, als wenn jemand sage, der Wogenschaum, durch Brandung entstanden, gebe, gesammelt, wieder Wasser, folglich sei Schaum gleich Wasser. Das sei aber falsch: Schaum sei Wasser plus verschluckter Luft, und gesammelter Schaum gebe Wasser und Luft. So erfahre auch das Licht bei seiner Anbrandung im Glase etwas Newton Entgangenes, wodurch es uns farbig erschiene. Farben seien Licht plus etwas Unbekanntem. Goethe habe recht, dieses Unbekannte seien die sich deckenden Sonnenbildchen, Farben seien gedämpfte Schatten, Schatten auf dem Wege zu Licht oder getrübter Helle. Erst heute können wir übersehen, wie recht Strindberg mit diesem Einwand hatte, seit wir wissen, daß der Sonderfall des Prismas auch ultraviolette und ultrarote Strahlen, Wärme- und elektrische Strahlen zerstreut und durcheinandermengt, so daß also aus der verschobenen Richtung dieser drei Wellenarten der physiologische Eindruck der Farbe im menschlichen Auge gegeben ist. Es erleidet das einheitliche Licht im Prisma in der Tat etwas Neues, gleichsam eine Durchpeitschung mit Wärme- und elektrischem Dunst, und die neue Linsensammlung der Farben gibt wieder die ursprüngliche Harmonie aller drei Lichtquellen, die wir »weiß« nennen. Das ist allerdings meine in »Es läuten die Glocken« (Concordia, Berlin) versuchte Verteidigung Goethes; aber ich bin durch Strindberg doch erst darauf gekommen, dieses x, was das Licht im Prisma erleidet, zu suchen. Mit wahrem Feuereifer las Strindberg hier in Berlin mit mir Goethes Farbenlehre, und er geriet in förmliche Ekstasen, wenn er einen Goethe die heftigsten Sottisen gegen Newton schleudern hörte, die je in einer Streitschrift gewagt wurden. Wie keiner verstand er Goethes Schmerz, sich da verkannt zu sehen, wo er seiner Meinung nach der Natur am tiefsten ins Auge geschaut hatte, und es erfreute ihn ungemein, als ich ihm mitteilte, daß Helmholtz in den achthundert Experimenten Goethes auch nicht einen Fehler habe nachweisen können.

Es würde zu weit führen, wollte ich meine Erlebnisse und Gespräche mit Strindberg, so wie sie sich bei unseren Experimenten frei ergaben, auch nur andeuten; aber ich weiß mich alles dessen noch sehr gut zu erinnern. Hingegeben in Liebe und Bewunderung zu einem Menschen höherer Art werden wir wieder so eindrucksfähig wie in der Kinderzeit, aus der wir auch die deutlichsten und tiefsten Erinnerungen in das Alter hinüberretten. Ich höre noch deutlich Strindbergs Freudenruf, als ich ihm für seine botanischen Schnitte ein selbstgefundenes Mittel zur Durchsichtigmachung pflanzlicher und tierischer Gewebe zeigte: ihre totale Durchzuckerung, Einbettung in aufhellende Sirupe. Hier zeigte er mir unter dem Mikroskope an sehr schönen Präparaten, wie er sich eine Muskelerregungswelle durch die Zellkästchen der Pflanzen fortgeleitet dächte. Es fiel ganz klar der Ausdruck: »Elektrische Molekularerzitterung des Protoplasmas«, auf die er auch das Zugreifen der Krallen aller fleischfressenden Pflanzen bezog. Erst in unsern Tagen ist tatsächlich diese Strindbergsche Vermutung bestätigt worden, die Pflanze hat zwar keine eigenen Nerven, wie Strindberg wollte, sondern ihr Zelleib ist selbst eine Art nervöser Leitungsmasse. Aber wer weiß, vielleicht bekommen wir doch noch einmal die von Strindberg sorgfältigst gezeichneten Ganglienzellen der Pflanze zu Gesichte! Wer dies bezweifelt, lese einmal in dem herrlichen Werke Fr. Reinkes, »Grundzüge der allgemeinen Anatomie«, S. 54-55, nach, und er wird 1901 das bestätigt finden, was Strindberg schon zehn Jahre vorher verkündete und laut verfocht. Der berühmte Botaniker Lindequist hat mir damals oft bekräftigt, wie hoch er Strindbergs Intuitionen schätze. Als ich ihm einst meine Theorie von der Entstehung des Krebses durch pathologische Zeugung, durch einen anarchischen Inzest verschwisterter Zellen mit dem Versuch der Bildung eines fragmentarischen Embryos, ausführlich durch mikroskopische Bilder belegte, da sagte er: »Aber dann sind wir selbst ja Produkte einer Infektion. Dann ist ja Zeugung eine Ansteckung und ein Inbrandsetzen des Muttereis.« Ich führe das nur an als ein Beispiel seiner schnellen und tiefen Denkkonsequenz, die gleich bis aufs äußerste ging.

Ich denke, diese Andeutungen werden genügen, um zu zeigen, daß Strindberg kein spielerischer Dilettant war, sondern daß er überall Kenntnisse und Übersichten genug hatte, um selbst sogenannte Meister und Spezialisten ihres Faches nicht nur zu verblüffen, sondern zu lebhaften Untersuchungen anzuregen. Wenn Strindberg ein Dilettant war, dann war es auch Goethe. Beiden gab aber diese ungeheure Übersicht über die allerentlegensten Gebiete solche tief bebende Resonanz ihres Stiles. Sie wurzelten beide tief in der wohlgegründeten Erde und hatten eine Scheu vor dem Abstrakten, »Nichts als Gedachten«. Daher ist in beider Kunst und Dichtung auch nicht die Spur von Lehrhaftigkeit zu spüren, wozu sie leicht ihr großes Wissen hätte verleiten können. Schiller hat viel mehr Philosophie und Psychiatrie, Dinge, die er wissenschaftlich gut beherrschte, dem Strom seiner Phantasie beigemengt, als seinen Stoffen zuträglich war, und Ibsen gar gab seinen Gestalten ein abstraktes, gespensterhaftes Nebelgewand des zerebralen Gedankens mit leichter Neigung zur Detektivromantik; Goethe und Strindberg hörten in allen Höhen und Tiefen, überall Ideen der Natur suchend, das Echo zahlloser Erlebnisse bei allen poetischen Gestaltungen miterklingen. Das gibt ihren Werken den Zauber der Wirklichkeit, Echtheit und die Sonnenklarheit des stets neu erwachenden Tags. Die jungen Dichter könnten aus dem Studium Strindbergscher naturwissenschaftlicher Bände viel Methodisches lernen, vor allem, daß eben der eigentliche Boden, aus dem ein Antäus der Phantasie immer wieder Kraft und Nahrung zieht, eine möglichst tiefe Einsicht in das Naturgeschehen ist, und daß das Maß von Menschengröße durch das Maß unseres Naturgefühls bestimmt wird. »Man soll viel wissen, ehe man dichtet; aber wenn man dichtet, soll man so tun, als habe man alles vergessen. Beileibe nicht gelehrt scheinen. Es klingt schon alles von selbst mit.« Das war eine goldene Regel Strindbergs, der er noch hinzufügte: »An dem Schluß von jedem Absatz, jedem Kapitel, jedem Band und jedem Akt muß ein heimliches Versprechen stehen!«

Strindbergs gleichmäßiger Hang zum Mystischen und zum Mechanisch-Analytischen würde noch nicht genügen, um sein Wesen völlig zu umschreiben, sofern wir dem Grundproblem seines Lebens, seiner Stellung zur Frau, psychologisch nahetreten wollen, deren dämonischen Trieben er einen so breiten Raum seiner Produktion gewidmet hat, wenngleich es ganz verkehrt ist, Strindberg etwa mit der oberflächlichen Formel eines Frauenhassers abzutun. Er war denn doch noch viel mehr, sowohl als Dichter wie als Forscher. Die dritte Komponente seines Wesens war ein tiefes, eingewurzeltes Mißtrauen gegen beinahe alles und jeden, das wie ein Paracelsischer »Archäus« von Natur und Jugend an in ihm am Werke war, und das wohl nicht anders erklärt werden kann als durch die Tragödie einer Jugend, die, ob eingebildet oder wirklich, die tiefsten Schatten auf das Gemüt eines gewiß genialen Kindes geworfen hat. Es kann niemand so leiden, ein so herzzerreißendes, steinerbarmendes Weh durchmachen wie ein Kind, das sich grausam zurückgesetzt fühlt, was mit Strindberg der Fall war. Hier entwickelt sich jener protestierende tiefe Groll und das Mißtrauen gegen die sogenannten Wohltaten auch der Nächstangehörigen, die geradezu brennende Leidenschaft der Verfolgung des Unrechtes, die zum flammenden Protestantismus führt, wie das Strindberg in seinem Lutherdrama (Vorspiel) so packend geschildert und damit tiefe Einblicke in seine eigene Entwicklung eröffnet hat. »Der Sohn einer Magd« und »Beichte eines Toren« sagten eben alles und das Bitterste, Anklagen, die gar nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren. Nach Strindbergs eigener Darstellung waren diese Manuskripte nur für seine engste Familie nach seinem Tode bestimmt. Ein Gläubiger aber benutzte Strindbergs Abwesenheit aus Schweden und suchte sich mit der Herausgabe des Manuskripts schadlos zu halten. Keine Frage, daß gerade diese extremsten Bekenntnisse Strindbergs Einzug in Deutschland stark gehemmt haben. Nirgendwo bewahrheitet sich das Wort, daß der Mann das Weib im Spiegel seiner Mutter abzutaxieren pflegt, wie an Strindberg. Der Mann sieht seine Frau so an und traut ihr das zu, was er seiner Mutter zutraut. Natürlich nicht persönlich, sondern generell. Ja, Strindberg selbst hat mir einmal gesagt: »Zwei Drittel unserer Frau ist unsere Mutter!« Auch ist unstreitig die Sohnesliebe zur Mutter meist stärker als zum Vater, mit dem es ja beinahe physiologisch zu starken Konflikten kommt. Glücklich veranlagt, scheint es, kann nur ein Mann sein, der einmal jener Innigkeit des Mutterglückes teilhaftig geworden ist, die wie ein heiliges Heimweh bleibt. Hier liegt der Schlüssel zu Strindbergs wildzerfetzter Gemütsanlage.

Sein Hang zur Mystik ließ ihn in der Frau die Personifikation der dämonischen, erdgeruchbehafteten, unheimlich lockenden Erdentochter sehen, die mit Buhlen und Kosen ganz andere, den Mann vernichtende, hinterhältige Pläne hat. »Um so schlimmer für uns, wenn sie es selbst nicht ahnt, sondern sich als Lockspeise der Natur gebrauchen läßt!« »Die Liebe ist eben die Maskerade eines Urhasses, einer gegenseitigen Vernichtung.« »Es ist ein Kampf auf Leben und Tod. Die Natur benutzt uns beide zu ihren unbekannten Zwecken, und wir laufen ihr immer aufs neue ins Garn!« Das waren Lieblingsthesen von ihm. Er war aber ein Ritter Olaf, der wußte, was ihm droht, und doch den dämonischen Reigen bis zum Kehraus mitmachen wollte. Als mechanischer Seelenanatom bezog er alles auf die Erotik der Frau. »Ihre Phantasie ist ganz anders gerichtet als die des nach Staat, Kunst und Ethik ringenden Mannes, sie ist eine einzige Variation oder Arabeske um ihre Begehrbarkeit!« Er erblickt in dem Getriebe des Frauenorganismus nur den einen Motor: das Geschlecht. »Aber«, wagte ich einmal einzuwenden, »doch die Mutterliebe mit eingeschlossen!« »Aber«, fuhr er heftig auf, »der Kindesmord ist ja der häufigste aller Morde!« »Doch nur wegen Not und Schande!« »So ist Not und Schande ein stärkeres Motiv als der berühmte Mutterinstinkt, der doch wohl zunächst auf Erhaltung abzielen müßte!« So von Mystik und krassem Sexualmechanismus gepeitscht, war das tiefe Mißtrauen gegen das Weib und seine Gunst nur eine Folge, und das ungeheure Ethos, das in Strindberg steckte, seine Wut, alles, was ihm unrecht, schlecht, gemein, niedrig erschien, mit triefender Geißel zu verfolgen und mit dem Schwerte seines Zorns zu strafen, trieb ihn und zeigte ihm den Weg, ein Reformator des Weibes zu werden. Und so sollte er betrachtet, so auch von den bei seinen Hieben empört auffahrenden Frauen gesehen und gelesen werden. Strindberg ist der flammende Mannheitsprotest gegen die drohende Entartung des Männlichen durch falsche Evolutionsgelüste der Frau. Er wollte die Frau rein haben von ihrer, vielleicht durch die Sexuallüge des Mannes gezüchteten Eitelkeit, wie er mir oft bekannt, er glaubte an ihre natürliche Keuschheit und Würde und glaubte an eine Einsicht der Frau und ihre demütige Unterordnung unter anerkannt höhere männliche Prinzipien. Seine Frauenbeispiele auf der Bühne müssen als ernste Warnungen, Menetekel über Menetekel, betrachtet werden, und darum war eben in seinem Weiberhaß etwas von dem Zorn eines Gottes über eine verlorene, aber geliebte Seele. So ist es, er verachtete die Frau nicht, er grollte ihr auf das tiefste, weil er die Möglichkeit einer Reformation weiblichen Innenlebens klar vor sich sah. Gäbe ein Gott uns einen Frauengenius, der mit gleicher Kraft uns Männern unseren Dünkel zerfleischen und vor Augen halten könnte!

Daß trotz alledem Strindberg dreimal geheiratet hat und dreimal kreuzunglücklich wurde, erklärt sich nunmehr psychologisch leicht. Ich will ihn gewiß nicht frei von vitalster Sinnlichkeit sprechen, aber im wesentlichen gebrauchte er die Frau um der Sensation willen, die er nur aus intimsten Beobachtungen gewinnen konnte, etwa wie ein fanatischer Protestant jesuitische Schriften um sich haben muß. Er lebte nicht mit ihnen, er beobachtete sie ständig, sie lagen nicht unter seinen Liebkosungen, sondern unter seinem Seziermesser. Welche Frau hätte unter solcher Tortur glücklich werden oder Glück spenden können? Er brachte damit alle drei zur Raserei, und es sind niemals Kostbarkeiten, die man aus solchem Schiffbruch und Bankerott der Ehe retten kann. Denn auch die Atmosphäre des Genies kann keine Frau in solcher Ehe vor dem Ersticken retten.

Daß Strindberg mit seinen Frauen psychologisch experimentierte, dafür bin ich einmal selbst ein unfreiwilliger Zeuge geworden. Es war einige Monate nach seiner zweiten Ehe. Ich erwartete ihn frühmorgens im Hotel. Seine junge Frau kam zuerst, munter, hübsch, wie eine Pfirsichblüte: »August kommt gleich!« Wir begannen zu frühstücken. Da kam er schon, sofort mit einem seiner bohrenden Seitenblicke auf die Frau, den er so oft bereit hatte: »Sage, meine Liebe!« begann er plötzlich, »von wem hast du eigentlich diese Nacht geträumt?« »Ich? Ich habe gar nicht geträumt. Nicht daß ich wüßte!« sagte sie unbefangen. »So, also nicht! Aber ich sage dir: Ja, du hast doch geträumt!« Lebhafteres, verneinendes Kopfschütteln. »Doch, sag es nur. Du hast Bewegungen gemacht wie unser Hündchen im Traum, mit den Gliedern gedreht und gehoben, die Arme gebreitet und den Kopf geworfen, wild, zuckend, ekstatisch, aber nicht wie bei mir. Also gestehe es nur: von wem hast du geträumt?« »Aber August«, fiel ich ein, »und wenn schon, du kannst doch niemand für Träume verantwortlich machen.« »Aber, mein gode Fründ. Handelt es sich denn um Verantwortlichung? Ich frage doch nur, ob ich richtig gesehen habe!« Die Frau blieb beim Verneinen; ein Wort gab das andere, und schließlich stand Strindberg wütend auf, stieß den Stuhl auf und rief: »Du lügst!«, warf die Tür zu und ging. Kaum war er hinaus, da fing die Frau an, bitterlich zu weinen. Ich versuchte sie zu trösten. Unter Tränen aber plärrte sie hervor: »Und das schlimmste ist, daß es alles wahr ist!« Da habe ich allerdings ausgerufen: »Sie großes Schaf! Wenn Sie das ihm gesagt hätten, wäre ja alles gut gewesen!« So blieb es eins seiner mir unwiderlegbaren stärksten Argumente für die ganz zwecklose Lügenhaftigkeit der Frau. »Sie spielen mit der Wahrheit wie mit ihren Puppen!«

Das Jahr mit Strindberg war für mich und gewiß für viele, die ihm hier in Berlin nahestanden, das gedanklich ertragreichste meines Lebens. Wenn wir auch in vielen Dingen nicht einer Meinung waren, so bekam doch alles Wissenswerte für mich, den zehn Jahre Jüngeren, durch ihn eine besondere und an Originalität nicht wieder angetroffene Beleuchtung. Dabei war Strindberg eigentlich nicht sprühend geistreich, sondern schlicht, aber tief. Er hatte etwas von einem Schmied, jedes Argument dröhnte von Kraft. Er ziselierte nicht seine Gedanken, sondern er hämmerte sie. Dem erstmaligen Genießer Strindbergscher Dialoge geht diese beinahe trockene Schwere langsam ein. Er duckt sich wie ein Tiger vorm Ansprung seiner Probleme. Es sind in seinen Sachen keine schön geschliffenen Zitate. Es geht alles wie eine Wolke langsam, sicher, aber über einen beispiellos weiten Horizont. So war er auch im Gespräch. Man fühlte oft, daß er nur andeutete, kurze Einblicke gab in das schwere Brodeln unaussprechlicher, vulkanischer Verschiebungen. Man hatte oft das Gefühl, daß er inmitten anregendster Gespräche eigentlich allein war. Sein Hang zur Einsamkeit war groß, und so floh er denn auch einmal ganz aus Berlin nach Friedrichshagen zu Laura Marholm, der mutvollen Bekennerin zu ihm und seiner Frauenkritik, die ihn auf das mütterlichste und herzlichste beherbergte. Bald aber war auch hier in ihres Gatten Ola Hansons Hause ein großer Kreis um ihn: Wille, Halbe, Harts, Bölsche und viele andere waren ihm vertraut. Dann kam die Zeit einer neuen Liebe und dritten Verlobung. Strindberg wurde eine kurze Zeit auch im Äußern geradezu lyrisch. Diese Metamorphose hatte etwas Drolliges. Einen Strindberg in Weiß mit Strohhut und zierlichem Spazierstöckchen, eine Blume im Knopfloch, uns Unter den Linden entgegentänzeln zu sehen, war überwältigend. Aber wie mißtrauisch war er auch jetzt in der Ekstase einer tiefen Neigung! Lange Zeit hindurch diese Unsicherheit, ob er sich binden solle oder nicht. Die mir zugemutete Rolle einer Schicksalsentscheidung, um die mich beide Parteien vertrauensvoll angingen, lehnte ich ab, habe aber der Braut auf eine direkte Frage, ob sie mit Strindberg glücklich werden würde, doch gesagt: »Wenn Sie Ihr Glück noch unter seinen Fußsohlen finden können, so heiraten Sie ihn.« Trotz dieser gewiß deutlichen Warnung ist sie seine Frau geworden, mit dem zu erwartenden Ausgang einer endlosen Qual beiderseits.

Dann ging Strindberg nach Paris und kam nach etwa zwei Jahren über Wien nach Berlin zurück. Ich allein habe ihn empfangen dürfen und geleitete ihn in ein bescheidenes Hotel am Stettiner Bahnhof. Nicht ohne Rührung gedenke ich an das kahle Zimmerchen, an das ärmliche Gepäck, dem der grüne Sack nicht fehlte: er hat Kostbarkeiten umschlossen, die erst der Tod aufleuchten lassen sollte. Strindberg sprach entzückt von Paris, wo alles so frei und individuell sei, wo ihn die Wissenschaftler ohne jedes Vorurteil empfangen hätten und er in Chemie ungeheure Fortschritte gemacht habe. Er machte auch Bekenntnisse über seinen »Inferno«, worin sich viel Absinth mischte, dessen Genuß ihn zeitweise arg heruntergebracht habe. Er steckte voller Pläne und Entwürfe und zeigte stolz auf den stark angeschwollenen »grünen Sack«. Schon am nächsten Tage reiste er nach Stockholm. Erst neun Jahre später habe ich ihn wiedergesehen. Inzwischen sandte er mir durch seinen Übersetzer Emil Schering jeden seiner neuerschienenen Bände. Ich kann bezeugen, daß er Schering, der eine ganze Lebensarbeit seiner Wegbahnung gewidmet hat, sowohl als Übersetzer wie als Menschen überaus hoch schätzte, und daß es ganz gewiß nicht im Geiste Strindbergs ist, daß seine Erben diesem um Strindberg so hochverdienten Mann einen Prozeß angehängt haben, ihm, der doch das meiste getan hat, um Strindbergs Nachlaß zu einem königlichen Wertobjekt zu gestalten. Strindberg selbst hat stets sein Heil von Deutschland erhofft und sah sehr wohl die unermüdliche Liebe dieses seines deutschen Interpreten. Ich war in Kopenhagen, als ich – wie gesagt, neun Jahre nach der letzten Begegnung mit Strindberg – plötzlich beschloß, ihn in Stockholm unangemeldet aufzusuchen. Ich fuhr auf gut Glück zu ihm, stieg die bergige Straße und die noch bergigeren vier Treppen zu ihm empor und klingelte. Ich hörte seinen schweren Schritt im Flur, die tiefliegende Briefkastenklappe wurde gehoben, ich sah seine scharf spähenden Augen, dann tönte ein schnelles und tiefes »Herre Gott! Schleich!«, und wir lagen uns in den Armen. Sogleich ging es eine Etage höher in den Turm, der allen Stockholmern als Strindbergs hohe Warte bekannt ist. Wir traten in ein sehr reinliches, eichenholzbeschlagenes Zimmer, in dem Strindberg arbeitete. Kalt und leer sah es hier aus, wie die persönliche Wohnung der Einsamkeit. Ein riesengroßer Eichenschrank an der Wand. Er trat hinzu und öffnete die beiden Türen. »Was ist das?« – »Ja, ja, der grüne Sack!« Unzählige Fächer waren mit unzähligen, peinlich sauberen Manuskripten, wie ein von Frauenhand gehegtes Wäschespind, gefüllt. »Nicht wahr? – er ist gut gewachsen, unser grüner Sack!« Dann ging es hinunter in seine Wohnräume. Ein altes Mütterchen führte ihm die Wirtschaft. Sie rüstete uns für den Abend ein endloses, echt schwedisches Souper. Als sie einen neuen Gang (zehn waren es mindestens) holte, flüsterte Strindberg: »Sag ihr ein paar freundliche Anerkennungen, sie freut es!« Ich tat es nach Gebühr, und sie gab dafür Strindberg die Hand, um zu bekunden, daß sie das alles gern für ihren gütigen Herrn täte. Was haben wir an diesem Abend alles miteinander besprochen! Strindberg las mir seine damals noch nicht erschienenen »Kammerspiele in Callots Manier« vor und bat mich, Max Reinhardt doch inständigst zu ersuchen, sie im Deutschen Theater zu bringen. Reinhardt selbst hat Strindberg ein Jahr später dieserhalb aufgesucht. Strindberg hat ihn aber nicht empfangen. Er empfing niemand, wie er mir sagte, er mochte sich eigentlich vor niemand sehen lassen! Er hat es sogar abgelehnt, gelegentlich eines großen Arbeiterumzuges ihm zu Ehren, trotz dreimaligen Erscheinens einer Deputation, sich auf dem Balkon zu zeigen. Er suchte und fand eben

... die Krone der Einsamkeit,
In deren Dornen zwei Steine wohnen:
Hochmut und Bescheidenheit.

In diesen Tagen war er aber doch wie aufgerüttelt. Zum großen Erstaunen seiner wenigen Vertrauten ging er mit mir sogar durch Stockholms Straßen und zeigte mir die Stätten seiner einstigen Wirksamkeit. Es war erstaunlich, wie allseitig Strindberg gekannt und ehrerbietigst mit tiefem Gruß fast von allen, die ihm begegneten, respektiert wurde. Wie ein Bürgerkönig ging er daher. Die Leute traten mehrfach vom Trottoir, blieben hutziehend und sich verbeugend stehen, und viele flüsterten sich hinter ihm zu: »Das ist Strindberg!« Selbst auf mich fiel ein bißchen Glanz. Drei große Zeitungen ließen mich interviewen, und die Artikel erschienen unter der Marke: »Ein deutscher Gelehrter – ein intimer Freund unseres Dichters Strindberg.« Anfangs aber weigerte er sich heftig, mit mir zur Erwiderung seiner Gastlichkeit ins Grand Hotel zu kommen. »Ich mag es dir nicht sagen, warum ich nicht kommen will. Es ist wie ein Verhängnis!« Schließlich kam er doch eines Abends. Als ich ihn an einen reservierten Tisch führte, sagte er: »Siehst du! Es ist der Tisch, an dem ich mit meiner Frau zum letzten Male gesessen habe. Ich wußte, daß du ihn wählen mußtest. Darum habe ich mich gesträubt!« Das war echt strindbergisch. Sein Mystizismus war in vollster Blüte. Strindberg war tief christlich-religiös geworden. »Es ist mir ergangen wie einem Seefahrer, der ausfuhr, geistig Neuland zu entdecken, und jedesmal, wenn ich glaubte, ein unbekanntes Eiland zu finden, war's bei nahem Zusehen unsere alte Bibel und das Testament! Über die alten Weisheiten gibt es nichts!« Ganz ähnlich so habe ich es später einmal bei dem Engländer Chesterton (Orthodoxie) gelesen. »Wird je ein Dichter ein Drama wie die sieben Worte des Erlösers finden? Niemals?« »Wer kann das Letzte schöner sagen als die Evangelien?« Er glaubte fest an die Unsterblichkeit und an eine höhere Entwicklung des Ichs nach dem Tode durch das Leben.

Durch einen glücklichen Zufall konnte ich Strindberg in diesen Tagen einen großen Dienst erweisen. Strindberg hatte mir gerade von seiner augenblicklich wieder einmal drückenden pekuniären Bedrängnis geklagt, als ein junger deutscher Bankbeamter, den ich vor Jahren operiert hatte, mich mitten in Stockholm begrüßte. Seiner Dankbarkeit gewiß, fragte ich ihn, ob und unter welchen Bedingungen es möglich sei, Strindberg von seiner Bank ein Darlehen zu verschaffen. »Wir brauchen zwei Unterschriften. Wenn Sie die eine geben, ich leiste die andere!«

Die Sache nahm kaum eine halbe Stunde in Anspruch. Vier Wochen nach meiner Rückkehr erhielt ich von der Bank die Mitteilung, daß Strindberg die erhebliche Summe beglichen habe. Auch dies erschien Strindberg wie eine Fügung. Er ging so weit, mir zu erzählen, er habe durch heiße nächtliche Gebete vor dem Kruzifix einen schlechten Menschen zu Tode gebetet. Man glaube darum gar nicht, daß Strindberg jemals geistesgestört gewesen ist. Er war stets klar, logisch, denksicher und respektierte alle Einwände mit größter Seelenruhe. Vielleicht neigte er etwas zu Verfolgungsideen, aber diese hatten nie etwas Zwanghaftes, sondern waren stets der Ausfluß eines, wo ich ihn kontrollieren konnte, nur allzu berechtigten Mißtrauens. Man denke sich in das Bewußtsein solch eines allumfassenden Geistes hinein und frage sich, was er leiden mußte durch eine fast allseitig geschlossene Ablehnung, deren Widerstände und Hemmungen sich in einer Legion von Nadelstichen verwirklichten. Es gehört schon ein handfester Ganglienapparat dazu, um all diese Rückstöße ohne Kurzschlüsse ertragen zu können! Was könnte ich nicht noch alles erzählen von diesen acht schönen Tagen des Wiedersehens mit Strindberg. Von seinem Briefwechsel mit Maupassant, mit Nietzsche, die ich zum großen Teil einsehen durfte und die ja wohl bald der Welt dargeboten werden. Was von seinen Briefen an Weininger, an den er nach der Lektüre von »Geschlecht und Charakter« geschrieben hat: »Ich habe das Alphabet gestammelt, Du aber hast das Lied gesungen!« Was alles von unseren Gesprächen, Reminiszenzen und Plänen, aus denen letzteren den vielgeprüften Mann der Tod an einem Magenkrebs zwei Jahre später herausriß. Noch acht Tage vor seinem Tode erhielt ich eine Depesche:

»Ist Wassermanns Mittel gegen den Krebs für mich anwendbar?
August Strindberg.«

Das natürlich wie eine Hoffnung empfohlene Mittel hat ihn wohl nicht mehr lebend erreicht. Er ist gestorben mit dem Neuen Testament zwischen den gefalteten Händen.

Aus Märchenwiesen trug dein Fuß
Kühn bis zum heiligen Portikus
Dich, den Gewaltigen, Prometheus-Christ,
Hinauf, wo Weisheit voll Mysterium ist!

Ja! Deine Worte waren Geißelhiebe,
Doch troff von deinem Schwert die Liebe,
Dein Haß war Mahnung –
Dein Beweis ist Ahnung.


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