Carl Ludwig Schleich
Besonnte Vergangenheit
Carl Ludwig Schleich

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Unersetzliche Verluste

Reinhold Begas und Berta von Arnswaldt

Ich kann diese Aufzeichnungen nicht beschließen, ohne zweier Menschen Bild noch einmal, wenn auch in liebevollen Umrissen nur vor mir, zu entwerfen, die mir Vater und Mutter nach deren Heimgang zu ersehen sich alle Herzensmühe gegeben haben: Reinhold Begas, der große Künstler, und Berta von Arnswaldt, die große Lebenskünstlerin.

Mein Vater, der noch meine Wiedererholung von dem schweren Schlag auf dem Chirurgenkongreß lange überlebt hat und mit wachsender Freude seinen Glauben an mich von Jahr zu Jahr mehr bestätigt sah, trauerte wohl innerlich ein wenig, daß ich so vieles andere neben der Chirurgie trieb, und umspähte immer mit einem gewissen Bangen meine Hinneigung zu Dichtung und Philosophie, hat sich aber schließlich dreingefunden, daß ich mit Ungestüm auch nach anderen Lorbeeren, als denen der Medizin, die Hand ausstreckte. Er sagte mir einmal kurz vor seinem Tode: »Lieber Carl, du hast mir alles erfüllt, was ich vor dir erhofft. Alles, was ich einst angestrebt, das hast du in Taten umgesetzt. Nicht du mußt mir, wie soeben, so herzlich danken für das, was ich für dich getan; du hast mir oft schwere Sorgen bereitet, aber schließlich wohler getan, als ich dir jemals tun konnte. Jetzt sehe ich es wohl ein, du bist eigentlich weit über die Medizin hinausgewachsen. Ich fühle es, sie ist dir zu eng. Aber vergiß nie, wie sehr ich an ihr zeit meines Lebens gehangen habe. Entsage ihr nie ganz, man kann so vielen Gutes tun als Arzt. Das Herz dazu habe ich dir mitgegeben, leih ihm auch deine Hand!« Das war sein Vermächtnis. Wie oft hatte der alte, müde Greis dann gesessen an seinem Eckfenster in Stettin und stundenlang vorher, laut Zeugnis meiner Schwester Anna, ehe der Zug kam, gewartet auf seinen Sohn. Immer fielen mir die schönen Worte Richard Dehmels ein, die er einmal an seinen Vater, den alten Förster in der Mark, gerichtet hatte:

Da sitzt er wie ein alter König auf sei'm Thron
Und wartet auf seinen Sohn –,

wenn ich, mit der Droschke heranrollend, ihn aus dem Fenster schon begrüßte. Er verschied 1907 in einer bitterkalten Winternacht. Er rief nach meiner Schwester, sagte: »Es ist sehr kalt. Nur schön, daß Carl einen so kostbaren Pelz geschenkt bekommen hat!« – lehnte sich zurück und starb.

Auf das Bild meines Vaters

An meiner Schreibtischwand zur halben Höhe hängt ein Löwenkopf,
Zu dem ich mancher Zeit voll Wehmut aufwärts sehe.
Als grollte hier und da der Löwenkopf.
Wie ist sein Auge groß und milde, von der Stirn die Strähne
Wie Flamme lodert wild empor.
Weiß ist sie fast, die's Haupt umrahmt, die Mähne,
Ein hoher Priester einst gewiß im Löwenchor,
Und manchmal unter Brauen blitzt es auf wie Menschenträne.

Was mir geschah, ich hab' es ihm gestanden,
Und oftmals war's, als zitterte das Haupt
Vom Donnerbrüllen, das des Todes Fesseln banden,
Wenn Menschen alles mir geraubt
Und wir die Löwenmajestät allein in unsern Herzen fanden.

Als wir des Löwen Enkelkind einst zum geschnitzten Tische führten,
Woran es einen Löwenkopf geschnitten sah,
Erkannte es den Ahn und sprach gerührten Herzens: »Großpapa!« –
Und gab ihm Koseworte, süße, die dem Greis gebührten. –
Ein Löwe steht im Park, die Löwin speerdurchstoßen,
Und wie ein Rächer steht der Löwe fest.
Die Flanke zittert vom Gebrüll, dem urwaldgroßen,
Mit welchem er die Luft erdröhnen läßt! –

Meine Mutter lebte von 1902 ab in Berlin mit meiner Schwester Klara. Die beiden waren nach meinem Vater wohl meine glühendsten Verehrerinnen. Wie viele Abende voll Heiterkeit und Poesie haben wir bei ihnen verlebt, dann wurde Klara schwer krank, und sie, die einst so liebliche Schöne, siechte unheilbar langsam dahin; sie starb früher – wie gut war das angesichts ihrer grenzenlosen Mutterliebe – als ihr Sohn Kurt, der als Führer einer Fliegerstaffel in Mazedonien den Heldentod in der Luft fand. Ein ähnliches Schicksal ereilte meine beiden anderen Schwestern Käthe und Gertrud; der ersteren Sohn, Paul Fillié, ein schöner, braver Junge, holte sich im Felde die Schwindsucht, die ihn ganz schnell dahinraffte; der Sohn meiner jüngsten Schwester Gertrud, ein mit dem Leben heiß ringender und strebsamer Mediziner, Karl Fritz Ifland, hatte im Felde neben Verletzungen eine schwere Gasvergiftung durchgemacht, die seine Lunge so versehrt hatte, daß er daheim in wenigen Tagen einer schweren Influenza erlag. Meine älteste Schwester Anna hatte nur die an Kollegen Wilkening verheiratete Tochter; sie starb 1918 an einem Brustleiden, sie, die immer Heitere, Hocherregbare, ungeheuer geistig Bewegliche, schlief still ein. Ihre Tochter hat einen Sohn. So sieht es trübe aus mit der Nachsaat unseres Geschlechtes; denn mein Bruder Ernst hat zwei sproßbegabte Töchter Lilly und Dora, aber nur einen Sohn, Carl Ludwig Schleich, der in England lange gefangen war. Auf ihm allein stehen die Schleichschen Erbhoffnungen. Mit der Küsterschen Nachsaat ist es nicht viel besser bestellt. Man denke, die Großeltern mütterlicher- und väterlicherseits hatten je 13 Kinder, und nun in vierter Generation nur diese wenigen Erbreste. Auch ich konnte den Namen nur auf Monumenten von Papier fortpflanzen. Mag wohl ein Lied von mir einst auf der Insel Wollin, wo sie alle wurzeln, aus Kindermund erklingen? Mein höchster Traum wäre es, ein Volkslied meiner Heimat geschenkt zu haben, mag dann der Name dessen, der es sang, längst verweht sein, wenn sich ein Verslein nur erhielte!

Meine Mutter hat so viele dahingeben müssen, die sie so sehr geliebt, erst 1919 legte sie sich zum ewigen Schlaf, rüstig, klar, voller Hoffnung, daß alles wieder gut werden würde, bis durch einen Schlaganfall dies goldene Herz, dem auch alle meine Sehnsüchte entströmten, stillestand.

In Reinhold Begas' Haus führte mich seine schöne Gemahlin Grete, allgemein Gré genannt, mit der ihr allein eigenen stürmischen Impulsivität, wie eine neue Entdeckung, die sie gemacht habe, ein. Sie war zu mir gekommen, von ihrem Freunde Schweninger gewiesen, weil ihre rührend anhängliche Haushälterin Tuttchen, eine Seele von sorgender Verweserin eines Hauses, die wirtschaftliche Säule der kleinen schönen Villa in der Stülerstraße – das war keine Kleinigkeit, die Wirtin dieses Nestes aus der Renaissancezeit zu sein – an einem bösen Finger litt, den ich ihr schmerzlos operierte. Grete Begas folgte der Operation Phase auf Phase mit einem Ausruf der Bewunderung über die Schmerzlosigkeit nach dem andern, und, wie es so ihre Art war, nach einem halben Stündchen saß sie schon schmuckbehängt und pelzüberflossen an meinem Flügel und sang mit überaus feiner Stimme prima vista meine Lieder. Sie packte mich förmlich in ihren berühmten Schweninger-Ponywagen, und hin ging's zu Reinhold, der in der ganzen Hoheit seines würdevollen und anfangs reservierten Behagens ihre Lobpreisungen mit einem langgezogenen »Sooo?« beantwortete. »Na, dann bleiben Sie nur hier und essen Sie mit mir!« Sehr bald wurde er warm, und nach dem sehr luxuriösen Mahl saßen wir beim Schach, das ich von da ab wohl Sonntag für Sonntag mit ihm ein paar Stunden spielte. Welch ein prachtvoller Mann war dieser große Künstler! Ein Kopf, ebenso schön wie hoheitsvoll geschnitten, wahre große Königsaugen leuchteten unter der breiten Stirn, ein Backenbart, sehr schön gepflegt, wallte auf die Brust. Die hohe Gestalt war schlank und elastisch, den großen, wohlgeformten Händen sah man das sichere Nachtasten der schönen Linien an. Wie innig wurden wir befreundet; meine anfänglich mich stark hemmende Ehrfurcht vor dem großen Manne durchzog sich langsam mit einer herzergebenen Liebe, und ich habe bis zuletzt immer eine Art Glücksgefühl gehabt, in seiner Nähe sein zu dürfen. Das war ein wundervolles Haus voll rauschender, kribbelnder Gastlichkeit. Wen alles habe ich hier kennengelernt! Albert Niemann, Ludwig Wüllner, Meyerheim, Pietsch, alle die Schüler Reinholds: Kraus, Walter Schott, Felderhof, Gaul; ferner Paul Lindau, Joachim, Ritsch, de Ahna und fast alle namhaften Künstler. Mit seinen Söhnen Werner und Fredy verbindet mich noch heute die herzlichste Freundschaft. Es war ein Geschwirre um ihn und nicht minder um die schöne Grete, der ich gleichfalls tief ins Herz sehen konnte, deren Roman – sicher eines der denkwürdigsten Sammelwerke sonderbarster Begebenheiten – ich nach vielen Beichten schreiben könnte, denn sie hatte, wie sie sagte, zwei Vertraute, einen schwarzen: Schweninger, und einen blonden: Schleich. Außerdem war sie von Natur von einer unbändigen Offenheit. Eine der geistreichsten, amüsantesten und originellsten Frauengestalten, welche Berlin erlebt hat, voll von Reminiszenzen, einer staunenswerten Schärfe der Beobachtung und der liebenswürdigsten, humorvollsten Ironisierung. Eigentlich ein Naturkind, dem gerade deshalb keines Menschen Schwäche verborgen blieb, auf die sublimste Geistigkeit prallte zum Totlachen die handfesteste Bauernschlauheit. Vorzumachen war der nichts, eine Künstler-Diva-Natur ersten Ranges, dabei trotz allem von einer tiefen, respektvollen Bewunderung für ihren großen Reinhold. Zu meinen schönsten Erinnerungen an ihren Gatten gehören die Stunden, die ich neben ihm, bei seiner Arbeit hockend, in seinem Atelier verbringen durfte, wenn er nach Modellen arbeitete und dabei die tiefgreifendsten Bemerkungen über Kunst und Künstler, Leben und Persönlichkeiten hervorsprühte; denn Reinhold Begas war ein eminent genialer Kopf. Er kannte seinen Goethe, Shakespeare, Ariost und Dante wie kein zweiter. Geistreich, wie ich kaum einen Künstler kennengelernt, war sein Fleiß ganz außerordentlich; er arbeitete eben in der Zwangslage eines beinahe dämonischen Schaffenstriebes und unter ewigem Ansporn seines Genies. Entwürfe reihten sich an Entwürfe, immer schwebten Wolkenzüge von Plänen durch seinen sinnenden Kopf. Und dabei diese enorme Vitalität, dieser Lebenshunger, dieser unerschütterliche Mut, zu genießen, wahrlich ein Mensch der Renaissance, in gewissem Sinne skrupellos, voller Wagnisse für seine fürstlichen Gelüste, und dabei doch ein Kinderherz, trotz allem. So zornig und rücksichtslos er sein konnte, wer ihm ohne Hehl nahte, konnte alles von ihm erreichen.

Wie schön waren ferner die Stunden, wo ich ihm, wenn er langgestreckt auf seinem Sofa ausruhte, nebenan auf dem Harmonium etwas vorphantasieren mußte. Noch die Tage vor seinem Tode, als er nicht mehr sprach, hob er den Finger und wies nach nebenan, ich sollte spielen.

Einst nahm er mich mit auf Reisen nach Paris und Monte Carlo. Die Schilderung dieser wunderbaren Fahrt voll der tollsten Intermezzi und Aventiuren erforderte die Feder eines Claude Tillier. Wir haben wie die Fürsten gelebt und ein Vermögen à la Graf von Luxemburg verschwendet. Schön war es wahrhaftig, mit einem Reinhold Begas das Louvre zu durchwandern und ein freiwilliges Privatissimum aus diesem berufenen Munde vor der Venus von Milo oder der Mona Lisa zu genießen. Sprach doch hier ein Ebenbürtiger von Ebenbürtigen. Wer das in unserer Zeit der schweren hysterischen Endemie der Kunst bezweifeln sollte, den bitte ich nur, hintereinander sich einmal das Schillerdenkmal, den Schloßbrunnen, den Kopf Menzels und den Moltkes ganz objektiv zu betrachten, und er wird Begas recht geben, als er mir mal wütend sagte: »Du kannst ganz ruhig sein, Carl, nach mir kommt 'ne janze Weile nischt!« In Paris bat er mich einmal zu sagen, wie ich seine Stellung zur Kunst präzisieren würde. Ich meinte: »Du hast den Versuch gemacht, der Antike ein Herz voll deutscher Romantik einzuhauchen, so wie 'ne Kreuzung von Iphigenie und Dorothea, von Sophokles und Eichendorff!« Er meinte: »Det stimmt!«

Am Tage vor seinem Tode habe ich noch die letzte Partie Schach mit ihm gespielt, die letzte von Tausenden, er hatte die schwarzen Steine. Spielte ausgezeichnet, verlor aber, denn still war Emanuel Lasker, der große Schachmeister, eingetreten, trat lautlos hinter meinen Stuhl und setzte ihn matt. Begas war eingeschlafen. Bald schlief er für immer, Um dieselbe Zeit erhielt ich eine Depesche vom Kaiser, ob Begas die Ernennung zur Exzellenz noch Freude machen würde. Sie erfolgte, und ich habe ihm selbst das Dokument, das an mich gesandt war, vorgelesen. Er lächelte, hat sich aber doch gefreut.

Hier die Rede, die ich auf Wunsch der Seinen an seinem offenen Sarge bei der Totenfestfeier hielt:

»Die heil'gen Klänge sind verhallt, die frommen Worte sind verstummt!

Nun laß noch einmal, unsterblich Entschlafener, zum ewigen Abschied deine Freunde, deine Lieben durch meinen Mund laut zu dir sprechen!

Wie vieles wir dir auch sagen möchten an dieser Schwelle des Nimmerwiedersehens, vor diesem Grenzstein des Lebens, nicht der Liebe – es würde doch nur austönen in Dank! Dank für alles, was du warst und was du uns gegeben kraft deines Wesens hinreißender Gewalt!

Denn wohl denen, die tief und oft in dein Sonnenauge blicken und vordringen durften bis zum innersten Kern deiner sieghaften Persönlichkeit, um dort staunend zu schauen, daß deiner stolzen und hohen Mannheit tiefste Wurzel Ehrfurcht war und Kindesheiterkeit! Ehrfurcht vor dem hehren Kunstwerk der Natur und ihrer Schaffensfreudigkeit, von der die deine dir nur ein frohes Echo schien! Und stille Dankbarkeit gegen ein allzeit schirmendes Geschick, dem du opfertest in nimmermüdem Fleiß!

Ein Wunder Suchendes und Anerkennendes war in dir!

Ein Freies, Leichtes, Sonnenentgegenschwebendes war dem eigen!

Ein Dürstendes nach Schönheit, Wahrheit, Himmelshelligkeit!

Immer Herr deines Schicksals, fühltest du dein Leben doch als umschlungen von einer Blumenkette voller Gnaden, die dir Natur, Menschenherzen, Fürstenhand und Kaiserhuld gewunden haben!

So traf dich, Ruhmumwobenen! Jüngling-Greis! langsam herankriechend das Leid.

In jahrelangem Kampfe erst ward es deiner Mannesschönheit Herr.

Lautlos, geistig-seelisch ungebrochen, warf dich der Sieger Tod!

Nun fordert der Himmel den dir nur geliehenen Anteil deiner Seele zurück.

Schlummere sanft! Und schwebe auf zu den Höhen, die deine hellen Augen allzeit vor dir sahen als Ziel und Ende!

Freund, großer Meister, Vater!

Wir grüßen dich ein letztes Mal. Unsere Sehnsucht wird dich wiederfinden.«

Bei dieser Überführung zum Bahnhof nach Hamburg, wo er eingeäschert wurde, trug ich, gleichfalls auf Wunsch der Seinen, sein Ordenskissen; denn sie wußten, er hatte mich sehr lieb.

Berta Baronin von Arnswaldt, die Witwe des bekannten welfischen Abgeordneten der Bismarckzeit, war eine von Gott und Natur mit aller Heiterkeit und jedem Scharme des Herzens ausgestattete Frau, von echt »Frankforterischem Gepräge«, über deren Wesen in der Tat etwas Goethesches in jedem Sinne ausgebreitet war, eine Frau, die es allein durch den immer noch stärksten Magneten der Welt, ein grundgütiges, fröhliches und Gott dankbares Herz, zuwege gebracht hat, in ihrem Hause eine Elite der allerbedeutendsten und anziehendsten Männer zu vereinigen zu einem Bunde, wie ihn solcher Art Berlin wohl nie besessen hat und auch nie wieder sehen wird. Es war ein bunt von Geistigkeit und Kunst schillernder Salon in bestem Sinne, vielleicht der letzte Salon Deutschlands, denn diese Art der freiesten, genußfrohesten Geselligkeit ist ja wohl für immer dahin. Ein Haus, das, wenn man in ihm willkommen war, einem zu jeder Tages – man möchte auch Nachtzeit sagen – in allen Türen geöffnet war. Wenn ihre Lieblinge, zu denen auch ich mich zählen durfte, erschienen, gab es im Umsehen ein Fest; sie klingelte telephonisch diesen und jenen herbei und rüstete aus Keller und Küche mit einer beispiellosen Geschicklichkeit ein Mahl, das fast immer den Zauber eines Symposions erhielt, von ihrer höchst anregenden und ansteckenden Munterkeit überstrahlt, von einem Schönheitshauch, daß jeder bald in eine Stimmung, freilich mit Hilfe verschwenderischer Spenden edelstes Bacchusgaben, geriet, als trüge er Rosen im Haar und Lorbeer um die Stirn. Diese Frau besaß ein Genie, die Leute zusammenzuladen, welche zueinander wohlige Harmonien jubelnder Lebenslust bildeten, sie konnte Menschen mit einer Virtuosität mischen, daß eine unendlich genußreiche Bowle strömenden Wohlbehagens entstand, und die Naturelle der einzelnen zusammenstellen, daß eine oft berauschende Farbensymphonie resultierte. Da saßen wir denn um einen großen runden Tisch, überdeckt von einem immensen Kronleuchter, wie auf Menzels Tafelbild Friedrichs des Großen, der eine die Gemütlichkeit geradezu herbeirollende raffinierte Einrichtung besaß. Er hatte nämlich in seiner Mitte ein drehbares Rondell, auf dem eine Unmasse brauchbarster, die Tafel verschönernder, zweckmäßigster Silbernäpfe, Kannen, Schalen mit aller Gewürz- und Zutatenleckerei und Saucenmaterial angehäuft war, ringsum die jeweilig bestimmten Weinflaschen. Da konnte sich nun jeder beliebig durch dies drehbare Karussel die kleinen Freudenspender aller Art selbst herankurbeln und sich aus diesem blumenumflorten Korb hervorlangen, was sein Herz begehrte. Das war unendlich gemütlich, praktisch und ein Gefühl einer gewissen Genußsicherheit garantierend. Wie viele hundert Male haben wir um diesen runden Tisch, der Wohl 15–20 Personen Platz gewährte, gesessen, präsidiert von der liebenswürdigsten Gabenspenderin und Entflammerin von Gesprächen, die man sich denken kann. Wen alles habe ich dort kennengelernt und bei dem Ton rückhaltlosester Hingabe seiner ganzen Persönlichkeit – hier mußte wahrhaftig jeder unter einer gewissen Verzauberung, aller Mißstimmung frei, zeigen, was er im Herzen trug – tief in das Innere geschaut. Nur ihre ausgesprochenen Lieblinge kann ich benennen, ich müßte sonst bei der unerhörten Gastlichkeit dieser Frau einen Katalog anfertigen. Da waren ihre alten Ritter aus der Glanzzeit des Arnswaldtschen Hauses, treu wie dem Welfenhause, dem sie zugeschworen, die alte Exzellenz Hoffmann aus dem Justizministerium, das Original des Struwwelpeters, denn sein Vater hatte ihn als Knaben zum Modell seiner unsterblichen Dichtung erwählt; da war der noch immer bildschöne Reitergeneral Exzellenz Dincklage, ein Mensch mit einem Goldherzen, für jeden gütig und von einer in der Welt scheinbar ausgestorbenen Ritterlichkeit und Liebenswürdigkeit, da ein Mann von mir anbetungswürdig erscheinender Herzensreinheit und Tiefe, der alte Geheimrat Reinhardt vom Kultusministerium, ein Pädagog von einer Innigkeit der Liebe zur bildungsfähigen Jugend, daß es mich stets förmlich wie Gram und Sehnsucht packte, nicht bei diesem Geist- und Herzensbildner auf der Schulbank gesessen zu haben. Da war der geistsprühende Oskar A. H. Schmitz, der phantastisch hochbegabte Wolfgang Goetz, der Maler Heuser, Konrad Ansorge, Edmund v. Strauß, der so früh scheiden mußte, Gustaf Bergman, der Sänger, wohl der hinreißendste Gesellschafter und genialste Improvisator herrlicher Belustigungen, ebenso bezaubernd am Flügel wie überwältigend in der Konversation, da vor allem General Posselt, ihr Liebling. Alle diese sind mir auf das innigste befreundet, zum großen Teil Duzbrüder geworden. Zu niemand aber hat es mich so elementar hingezogen und fürs Leben gefesselt, wie an den über allen thronenden Liebling der Baronin, ihren Schwiegersohn, den Gatten ihrer leider so früh verschiedenen bildschönen Tochter: Hugo v. Lustig, von dessen höchst eigentümlicher Geistbegabung und tiefster Herzensgüte jemand, der ihn nicht ganz intim kennt, sich keinen Begriff machen kann, ein Mann von eminenter Arbeits- und Tatkraft, der, wo er etwas anpackt, es mit dem Griffe des Genies tut und dabei kein reineres Glück kennt, als anderen, wo er nur kann, Freude zu bereiten. Ein prachtvoller Mensch, den Bruder zu nennen zu den stolzesten Berechtigungen meines Lebens gehört. Dann ihr Sohn aus früherer Ehe, Fritz Andreae, der bekannte Finanzmann, dem ich gleichfalls fast brüderlich nahestehe.

Noch viele andere, Eugen Zabel, Sudermann, Finkelstein, Aufrecht, den meiner Meinung nach hochbedeutenden Dramatiker Franz Dülberg, den Philosophen Michel, die Pianistin Bergwein und die Sängerin Ohlhof, meinen späteren Verleger Ernst Rowohlt, könnte ich nennen, die viel dazu beitrugen, gelegentlich eine Elitesitzung schönster Kontroversen oft bis spät hinein in die Nacht zu inszenieren. Keinem solcher geistigen Feste fehlte Maria Hilgers, die höchst anmutige Tochter Berta v. Arnswaldts, und, falls sie in Berlin war, die ebenso anziehende Käthe Jacobi, ihre dritte Tochter. Da saßen wir denn im Bibliothek- und Kneipzimmer oft dicht gedrängt beieinander, und die Reden, Anekdoten, Dispute und Kontroversen schwirrten nur so um die Wette mit anklingenden Gläsern, und Gedanken wälzten sich wie die Wolken des dichten Zigarettendampfes.

Dann saß sie selig, die Herrin und Lenkerin aller dieser sie tief bewegenden Geistigkeiten, auf ihrem hohen Ritterstuhl in ihrer ganzen hinreißenden Anmut: die großen, schönen Augen rollten und blitzten von einem zum andern, der sorgfältig lockenumdeckte Kopf nickte, grüßte, neckte in einem fort, der Mund, fein und frisch, mit Lippen, die noch in hohem Alter wie kußbereite Blumenschwingen beben konnten, spitzengeschmückt, mit schönen alten Ringen an den Händen, bereit, die eigens dazu vor ihr hingestellte schöne alte Bronzeklingel präsidenhaft zu schwingen, falls das Feuer der mit ihrem eigenen, oft auf Hochglut geheizten Temperamente Debatter einmal nach Worten und Vorstellungen züngelte, die besser außerhalb des Salons Platz gehabt hätten. Sie war aber eine sehr tolerante Richterin und überhörte lieber ein unbedachtes Wort, als es durch Klingelzeichen extra zu bewerten. Wie oft wurde hier herrlich musiziert, und ich selbst habe hier noch mit ihr und dem lieben Geiger Lachmann Trio gespielt! Ich wußte all ihre Güte nicht besser zu erwidern, als ihr durch Jahre hindurch systematischen Harmonieunterricht zu geben, was die alte Dame mit einem wahren Feuereifer betrieb. Sie war wohl der einzige Mensch, der stets felsenfest von meiner Bestimmung überzeugt war, und es gehörte ihre ganze Liebenswürdigkeit dazu, mich so enorm zu überschätzen, wie sie es getan hat. Sie hat in großen Prachtbänden alles gesammelt, was mich an Briefen, Kritiken, Besprechungen betraf, jedes meiner Bücher hatte einen besonderen Registerband, und alle die vielen Handschriften, Kopien, Entwürfe, die ich ihr gab, hat sie mit rührender Sorgfalt, seidenbandumwickelt, aufbewahrt. Hier bei ihr las auch mein lieber Wolfgang Goetz in seiner Weimarweise Gedichte von mir, und Conrad Veidt hat hier bei ihr einmal in festlicher Sitzung einen ganzen Abend aus meinen Poesien mit schönem Erfolg rezitiert. Hier wurden auch häufig mit Hilfe der beiden anmutigen Fräulein Lisa und Maritta v. Reichenbach, meinen Operationsschwestern aus dem Lazarett, meine eigenen Gesangsquartette, die sie sehr liebte, vorgetragen. Während meiner schweren Dienstzeit im Kriege am Lazarett des 3. Garderegiments am Reichskanzlerplatz hat sie mich fast jeden Morgen per Wagen an meine Arbeitsstätte gebracht. Ich durfte bei ihr erscheinen, wann ich wollte, und wahrlich, sie war mir Freundin und Mutter zugleich. Mein Herz lag vor ihren stets sorgenden Blicken rückhaltlos offen. Sie war unermüdlich am Werke, für ihre Freunde Gutes zu bereiten und zu erwirken, und ihre krampfhaften Bemühungen, mich zu protegieren, hörten erst auf, als ich ihr, leider allzu barsch, klarmachte, daß ich meine Karriere nur mir und meiner Arbeit, niemals aber einer Frau verdanken möchte. Von da an gab sie mich als zu befördernden Günstling auf.

Ich habe in Berta v. Arnswaldt meine größte Verehrerin verloren. Es kann keinen Menschen geben, der heißer um mein Glück gebetet hat. Sie sagte immer in ihrer drolligen Art: »Ich habe mit zwei Dichtern in meinem Leben intim zu tun gehabt: Eduard Mörike hat mich als kleines Mädchen auf den Knien geschaukelt, Schleich hat mich als alte Frau auf den Händen getragen!«


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