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13.

Und Hoff erwachte zu einem klaren, blauen Tag! Ein leises Zagen war wohl noch in ihm und ein klagendes Mitleid mit den Seinen. Aber Klarheit war jetzt endlich nach allem dunklen Schwanken der letzten Wochen.

Während Susanne sich ankleidete, ging er auf den sauberen Wegen des Gartens einher und fühlte sich frisch und aufrecht. »Jacta est alea«, dachte er. »Jetzt gilt es handeln und das Leben bauen.«

Die Frage, ob alles so hatte kommen müssen, drängte er tief in das Chaos im Grunde seines Bewußtseins zurück. Was galten jetzt alle Schicksalsfragen! Er stand vor Tatsachen. Sie war zu ihm gekommen, sie hatte ihm alle Herrlichkeit ihres jungen Körpers gegeben. So stand es. Das waren die Faktoren, mit denen sein Leben nun zu rechnen hatte.

Zwar graule ihm, wenn, er an Esther Honigmann dachte und an alles das, was mit ihr zusammenhing. Er hätte sie doch nicht heiraten können. Achtung hatte er vor ihr, ja, und sie war ihm sympathisch. Aber genügt das zur Ehe? Konnte er sich denken, daß jemals solch weiche, streichelnde Sehnsucht nach ihr ihm die Brust weiten würde, wie sie ihn jetzt erfüllte nach dem jungen Weibe, das oben in seinem Schlafzimmer auf ihn wartete? Niemals, niemals. Und wie es gekommen war, mußte es kommen, wenn er auf geraden Wegen wandeln wollte. Er konnte aus der Ehe kein Handelsgeschäft machen.

Und als er an die Frauen dachte, packte ihn eine grimme Wut. Zum Henker, es war eben ein Unglück für sie. Was konnte er dafür!? Und wenn er plötzlich gestorben wäre, hätten sie sich auch durchhelfen müssen. Freilich, dann hätten sie die Lebensversicherung gehabt, die er auf Drängen der Mutter mit unsäglichen Opfern unterhielt.

Ja – aber wenn ihm nun von einem Automobil ein Bein zerschmettert worden wäre. Hm, was dann? Hätte ihn dann Esther Honigmann geheiratet? Nein. Aber – was dann? Sie mußten sich eben dreinfinden. Er würde jeden entbehrlichen Pfennig ihnen zuwenden. Mehr vermochte er nicht zu tun. So lange er mit Suse »so« lebte, konnten sie ganz gut in zwei Zimmern hausen. Und sein neues Buch mußte nun auch allmählich fertigwerden. Und – Donnerwetter, er war doch jung! Vier Frauen würde er doch schließlich durchbringen können.

Tief in seiner Seele pochte wohl die Mahnung, daß die Schwestern von ihm ihr Lebensglück erwarteten. Doch das rang er nieder. Sie mußten eben vorläufig verzichten! Sie mußten es tragen als Schicksalsfügung.

Da wurde ihm ganz weich ums Herz. Seine süße liebliche Suse als Schicksalsfügung! Sein weiches sanftes Mädchen in ihrer holden Weiblichkeit als Unglück! Die Tränen traten ihm in die Augen, während er hinaufsprang.

Sie stand frisch und tauig inmitten des Zimmers, vom Licht des jungen Tages umflossen. In ihren feuchten Augen leuchteten noch zwei Sterne aus der versunkenen Nacht; Um ihre Lippen zuckte ein keusches Lächeln jungen Glückes.

Er nahm sie in die Arme. Sie legte den Kopf an seine Brust und atmete tief und schwer. Da stammelte er in abgerissenen Worten: »Du Lieblichste. Meine Liebe zu dir strömt wie eine heiße Flut durch meine Brust. Ich fühle es – ganz körperlich fühlte ich es.«

»Meine, meine Suse! Bis ins tiefste Dunkel meines Bewußtseins leuchtet mir mein Glück.«

»Unter tausend Männern trifft das nicht einen, daß ein Weib wie du, solch ein Vollmensch, zu ihm kommt. Mutter und Heim und alles, was ihm Leben bisher war, aufgibt und zu ihm kommt. So tief ist mir bewußt, was du für mich getan hast. So tief und warm ist mir das bewußt.«

Sie küßte seinen Rock und tastete nach seinen Händen.

»Du Lieber«, kam es wie ein Hauch, »du mein Liebster! Du bist doch die Welt für mich. Das Leben bist du mir. Und glaube nicht, daß ich nicht weiß, welche Last ich dir bin. Ich weiß, wie schwer du an mir tragen mußt, du Lieber.«

Da faßte er sie an den Schultern, hielt sie von sich ab, daß er ihr voll ins Antlitz sehen konnte, in seinen Augen flammte unter den Tränen eine stolze Siegerfreude, und er rief: »Mädel – Suse – hoch wollen wir den Kopf tragen. Herrgott – jung und stark wie wir beide sind, wollen wir das bißchen Leben schon unter die Füße zwingen, was? Wir zwei zusammen!«

Sie nickte kindlich zustimmend. Und dann standen sie Schläfe an Schläfe gelehnt und blickten hinaus in den Morgen, der goldene Kappen wob um die Bäume am See.

Plötzlich lachte er auf und rief: »Angenehmer Wirt bin ich. Stehe hier und lasse dich verhungern.« Sie lächelte.

»Während du unten warst, hätte ich gern für das Frühstück gesorgt. Das ist nun doch mein Amt. Ich wußte nur nicht –«

»Oh«, meinte er, »das macht Frau Ebeling,« Er läutete.

»Kommt jemand hier herein?« fragte sie voll Angst.

Er streichelte sie. »Vor Mutter Ebeling brauchst du keine – – Furcht zu haben, Liebling«, beruhigte er, »sie ist eine alte Frau, die vieles erlebt hat und alles versteht.«

Susanne blickte schreckhaft zur Tür. »Laß sie nicht hereinkommen!« bat sie.

Er eilte zur Tür, als es klopfte. Draußen flüsterte er einige Zeit und kam mit dem Tablett herein.

»Dort, Suse, in der Schublade liegt das Tischtuch«, zeigte er.

Bald darauf klopfte es wieder. Suse fuhr zusammen. Er blickte sie im Vorübergehen tröstend an und lief zur Tür. Mit einer zweiten Tasse und einigen Brötchen kam er zurück.

Und Susanne deckte den Tisch und stellte alles fein säuberlich auf, und dann saßen sie einander gegenüber.

»Nun sitzen wir da wie Mann und Frau«, frohlockte er. Sie lächelte ihm zu. Aber gleich darauf sagte sie ernst:

»Wenn Mutter das Telegramm gestern abends nur erhalten hat!«

»Sicher, Kind. Es war ja erst halb zehn, als ich es aufgab.«

Sie sann vor sich hin. »Ich darf nicht daran denken, was Mutter diese Nacht durchgemacht hat«, sprach sie bleich.

Er schwieg und zerbröckelte sein Brot.

»Ja, Kind«, sagte er dann, »diese erste Zeit wird schwer sein. Bis wir alles ins Gleis gebracht haben. Aber dann –«

Er nahm ihre Hand und küßte sie.

Nach einer Weile überlegte sie: »Ich werde jetzt lieber gleich zu Mama gehen und ihr alles vorstellen. Sie muß es ja begreifen.«

»Sie wird es auch«, tröstete er. »Sie liebt dich doch so, – Soll ich mitkommen?«

Sie schüttelte stumm den Kopf. »Lieber nicht –«, sagte sie nach einer Weile, »das müssen wir zwei Frauen allein abmachen.«

Als sie dann zum Gehen bereit waren, sagte er:

»Jetzt muß ich erst noch wegen des Zimmers sprechen und dich auch mit Frau Ebeling bekannt machen.«

Er ging zur Tür und rief sie.

Susanne schlug mit hastigem Griff die Decke über das Bett.

Frau Ebelings helle graue Augen kündeten noch fröhliche Geschichten von ihrer einstigen lustigen Schönheit. Sonst war sie gebeugt und ein wenig verschrumpft. Sauber und appetitlich trat sie ins Zimmer.

»Also, Frau Ebeling«, sagte Hoff in dem etwas gönnerhaften Tone, in dem junge Herren mit ihren Wirtinnen sprechen, »da haben Sie meine – – meinen Gast.«

Susanne flammte auf und stotterte etwas, das »Guten Morgen« bedeuten konnte.

Frau Ebeling sah sie scharf an und sagte: »Guten Morgen, Fräulein. Und das muß man sagen. Geschmack hat der Herr Assessor.«

Susanne wurde noch verlegener, und Hoff bog in ein anderes Thema ein.

»Also – Fräulein – Susanne – möchte auch hier draußen hei Ihnen wohnen, Mutter Ebeling. Es gefällt ihr bei Ihnen.«

Die jungen Augen der Alten lachten. »Das glaube ich wohl«, sagte sie schmunzelnd.

»Da nebenan ist doch ein Zimmer«, meinte Hoff und deutete auf die Tür.

»Es ist 'n bißchen klein«, bedachte Frau Ebeling und öffnete die Tür. »Wenn Sie mal sehen wollen, Fräulein?«

Susanne trat auf die Schwelle. »Oh, das ist doch sehr nett. Und ein Balkon ist ja auch dabei.«

»Ja, Balkon ist vorhanden«, bestätigte die Alte.

»Das ist ja reizend«, rief Hoff. »Also, Mutter Ebeling, dann nehmen wir von heute an diese beiden Zimmer, wenn's Ihnen recht ist Und die Arbeit wird Ihnen hoffentlich nicht zu viel sein, weil Sie doch alles allein machen.«

»I«, wehrte sie, »diese alten Knochen halten schon noch.«

»Ich will Ihnen gern helfen«, erbot sich Susanne schüchtern.

»Na ja, wenn's mal nötig ist, Fräulein. Und mit'n Essen. Das Fräulein ißt wohl auch hier?«

»Ja«, sagte Hoff, »natürlich«.

»Dann können Sie mir mal Ihre Lieblingsgerichte auskramen, Fräulein. Damit Sie auch recht tüchtig essen und es Ihnen bei mir schmeckt.«

»Ich esse alles«, sagte Susanne scheu.

»Dann ist alles abgemacht, Frau Ebeling, nicht wahr?«

»Ja, Herr Assessor. Anmelden brauch ich das Fräulein ja nicht, da es nur zu Besuch ist.«

Als sie zum Bahnhof gingen, sagte Hoff:

»Die Alte wird dir ganz gut gefallen, Suse, wenn du dich erst an ihre Art gewöhnt hast. Sie ist 'ne Seele von einem Menschen. Es ist geradezu rührend, wie sie für mich sorgt. Man merkt immer, sie freut sich, jemanden bemuttern zu können. Soviel ich aus ihren Bemerkungen herausgehört habe, war sie als junges Ding das Verhältnis von dem Besitzer der Villa. Und hat auch von ihm einen Sohn gehabt. Als der Alte starb, hat er ihr und dem Kinde die Villa hinterlassen. Und nun ist der Sohn vor einigen Wochen gestorben.«

Sie sagte hiezu nichts und ging geradeaus, ihr eigentümliches Sinnen um die Augen. Da hatte er plötzlich die Empfindung, sie denke daran, daß sie nun auch ihm so etwas sei wie einst Fräulein Ebeling in ihren Maientagen dem Besitzer der Villa. Sacht tastete er nach ihrer herabhängenden Hand und preßte sie innig.

»Suse«, tröstete er, »es ist ja nur ein Durchgangsstadium. Sowie ich angestellt bin, wirst du meine Frau, und alles wird gut.«

Da wandte sie ihm das Gesicht zu und sagte: »Ewald, – glaube nie, daß ich daran denke. Ich will nur bei dir bleiben und dir keine zu schwere Last sein.«

Eine erstickende Zärtlichkeit quoll in ihm auf, »Du wundervolles Mädel!« stammelte er und preßte ihre Hand an seine feuchten Augen.

Er begleitete sie bis zum Hause.

»Soll ich nicht doch lieber mit hinaufkommen?« fragte er wieder. »Es scheint mir so feig, dich diesen Weg allein gehen zu lassen.«

»Aber Liebling«, wehrte sie, »es ist doch meine Mutter, die mich kennt.«

Er sah ihr nach, wie sie die Treppen hinaufstieg. Dann ging er zur Hochbahn und fuhr ins Ministerium.

Je höher sie stieg, desto stärker pochte Susanne das Herz. Der schrille Ton der Klingel riß ihr schmerzhaft durch das Hirn. Die Zugehfrau öffnete. Sie blickte Susanne aufdringlich an. Sie kam noch nicht lange ins Haus.

»Ist gestern abend ein Telegramm gekommen?« fragte Susanne hastig.

»Ja, Fräulein.«

Susanne ging in ihr Zimmer. Sie wollte erst ablegen. Ihre Finger zitterten so stark, daß sie mit Mühe den Hut aus dem weichen Haar lösen konnten.

Dann stand sie einige Sekunden an der Tür, die Hand auf der Klinke, bis sie die Kraft fand, sie herabzudrücken.

Im Wohnzimmer saß die Mutter am Schreibtisch. Sie blickte nicht auf, als Susanne eintrat.

Das Mädchen wollte auf sie zueilen, an ihr niederfallen, ihren Kopf an ihre Knie schmiegen, wie sie es als Kind oft getan hatte, und ihr beichten, wie alles gekommen war. Wie sie nicht anders hatte handeln können, weil eine Macht sie leitete, eine gute starke Macht, über die sie keine Herrschaft besaß, das beste in ihr – – Und die Mutter würde alles verstehen und alles verzeihen.

Aber als sie jetzt in dem großen Zimmer an der, Tür stand, und die Mutter mit abgewandtem Gesicht am Schreibtisch saß, war alles so anders.

Eine Kälte stand in dem weiten Baum und bannte sie fest auf die Schwelle der Tür.

Endlich rang sie hervor: »Mutter – Mama –!«

Die Frau rührte sich nicht.

Susanne starrte auf sie hin. Es schien ihr plötzlich, als sei ihr Haar grauer als gestern und die Züge auch. Und so fremd war sie und alles hier.

»Mutter«, wiederholte sie und trat einen Schritt näher, »hör mich doch an.«

Da wandte die Frau langsam den Kopf, sah sie mit tränenroten, kummervollen Augen an und raunte:

»Kind – Kind« – sie schüttelte den Kopf – »Susanne!«

Da war Susanne doch an ihrer Seite, lag auf den Knien und stammelte: »Mutter – du mußt es begreifen. Denk an deine Jugend. Wie du Papa geliebt hast –«

Die Frau beugte sich tief zu ihr herab und flüsterte: »Suse – wie konntest du das nur tun!«

Da preßte Susanne ihr Gesicht an die Knie der Mutter und schluchzte winselnd auf.

Lange weinten die Frauen zusammen.

Endlich begann Frau Neubert unter Tränen:

»Ich suche das Leben zu verstehen. Ich begreife, wie ein armes Mädchen, das keine Erziehung gehabt hat, das keinen Halt und keine Freude im Leben hat, sich einem Manne, den es liebt, hingibt. Aber du – die ein Heim hat, die mich hat – – Bin ich dir denn nichts –?«

Wieder durchflutete sie ein reißender Strom des Wehs.

»Mutter –« flehte Susanne – »denke doch an deine Jugend – wie du Papa kennen –«

Da sagte Frau Neubert bitter: »Sprich jetzt nicht von Papa. Heute bin ich glücklich, daß er – – beizeiten gestorben ist.«

Und nach einer Pause sprach sie vor sich hin;

»Wie ehrenhaft er war und wie er an dir hing, als du klein warst. Und deine Zukunft war seine letzte Sorge. Und nun liegst du so vor mir! Ich denke immerzu, ich habe dich nicht richtig erzogen. Ja – wie denn –? Wie soll man ein Mädchen erziehen? Ich habe geglaubt, Vertrauen ist das beste. Ja, Vertrauen! Und ich Närrin ließ dich gestern abend zu ihm gehen! –«

Sie schwiegen. Susanne erhob sich und stand vor ihr.

»Mama – du wirst es doch begreifen –« begann sie wieder.

»Nein«, sagte die Frau weh. »Von dir begreife ich das nicht. Ich zermürbe mir den Kopf, wo du es her haben kannst. Von Vater nicht. Und von mir – weißt du, was mein Vater mit solcher Tochter – getan hätte. Weißt du das, Susanne? Vom Hof hätte er sie fortgepeitscht!«

Da schrie Susanne leise auf und fiel gegen den Tisch. Es wurde leer und verzweifelt in ihr. Aber sie fühlte gequält, es war etwas noch nicht gesagt. Sie würde den Weg zum Verständnis der Mutter finden, wenn sie nur das rechte Wort sagte. Und wieder hob sie an: »Mama – du weißt doch, daß ich nicht schlecht bin. Er wird mich ja auch heiraten –«

»Gerade deswegen hättest du warten können, nicht wie eine Köchin mit ihrem Schatz –«

Da schwieg Susanne.

Die Mutter aber sagte sehr weich: »Susanne – du hast mir das Leben zerstört. Davon rede ich nicht. Du weißt, daß du mir das Glück und – das Leben warst. Ich suche immerzu, es in deinem Lichte zu sehen. Ich kann es nicht. Mir ist – als sähe ich – Schlamm an dir.«

Susanne schwieg.

»Du kommst nun und verlangst Verzeihung. Kind, Kind – ich habe dir nichts zu verzeihen. Du hast dir zu verzeihen. Du hast deine schöne Reinheit besudelt wie ein törichtes Kind.«

»Ich fühle mich rein«, sagte Susanne trotzig.

»Wir wollen nicht streiten«, erwiderte die Mutter immer milder. »Wir wollen es beide zusammen auf uns nehmen. Du magst das Haupt hoch tragen, wenn du es kannst. Meinen alten Kopf beugt tiefe Scham und tiefer, tiefer Kummer. Aber nun geh in dein Zimmer und pack deine Sachen. Deine Koffer sind schon drinnen. Wir wollen mittags fahren.«

Susanne begriff nicht.

»Wir fahren«, bedeutete die Mutter, »wie wir es geplant haben, nach – Luzern. Wir nehmen den Mittagszug.«

»Ja – Mama«, stotterte sie, »ich – ich bleibe doch bei ihm!«

»Bei wem!?«

»Bei Ewald – – doch – natürlich.«

Dann war eine lange Pause, in der eine rauhe, harte Wand sich zwischen Mutter und Kind aufbaute. Endlich sagte die Frau: »Wenn du das tust – Susanne – bist du für mich tot.«

Und als das Mädchen sich nicht rührte, fügte sie nach einer Weile hinzu: »Für eine unüberlegte, rasche Tat – hätte ich am Ende – Begreifen gefunden. – Für ein planvolles Dirnenleben – –«

Da bäumte Susannes Körper sich auf, wie der Ast einer sturmgepeitschten Weide. »Mutter!«

Der Schrei hallte eisig nach.

Endlich sagte die Mutter: »Ich verliere mein einziges Kind, Susanne, wenn du gehst.«

»Aber Mutter! Fühlst du nicht, daß ich jetzt nur bei ihm noch leben kann! Daß mich hier – die Scham zermürbt. Fühlt das dein Zartsinn nicht?!«

Da wandte die Mutter sich zum Fenster und sprach kein Wort mehr.

Susanne ging in ihr Zimmer. Sorgsam glättete sie ihre Blusen in einen Kasten. Vorsichtig faltete sie die Röcke im Koffer. Von Zeit zu Zeit richtete sie sich auf und sann ohne Gedanken vor sich hin. Als sie fertig war, stellte sie alles auf einen Fleck und blickte auf ihre Habseligkeiten nieder.

Da öffnete die Mutter die Tür: »Susanne – um Himmels willen komm doch zu dir! Du kannst doch nicht wie eine Straßendirne mit dem Manne leben.«

Susanne verzog nervös die Stirn: »Wir reden fremde Sprachen, Mama. Zwischen uns stehen Welten. Dirne! Dirne! Dieses eine Wort bezeugt, wie weit wir voneinander stehen. Da ist jeder Versuch, sich zu finden, ein Flüstern im Sturm. Du hast ja keine Ahnung, was mich zu ihm treibt. Und ich fühle, ich könnte reden und reden von meiner Liebe, die so keusch ist, Mutter, das kannst du mir glauben. Und gerade meine Ehrenhaftigkeit gebietet mir, ohne Schwanken und Zweifel zu ihm zurückzukehren. Aber du kannst es nicht begreifen – das allein weiß ich jetzt.«

Und jäh trat sie zur Mutter und flehte: »Mama, wenn du es auch nicht verstehen kannst, so glaube es mir, glaub' es mir, wie du an Gott glaubst, daß mich das Beste, das Reinste, ja Mama, das Reinste in mir treibt zu ihm!«

Die Mutter antwortete: »Das sind Phrasen, Susanne. Aber geh – geh. Ich kann dich nicht halten. Mit Autorität will ich dich nicht halten. Doch wenn du im Elend verkommst, dann denk an diese Stunde.«

»Ich werde nicht verkommen«, sagte Susanne und streckte die Hand aus. Die Mutter wandte sich ab. »Willst du mir nicht Lebewohl sagen?« bat Susanne schmerzlich.

»Nein – Susanne – zu dem Wege sage ich dir kein Lebewohl.«

Und sie ging schnell ins Nebenzimmer und schloß die Tür. Doch sie öffnete sie gleich darauf wieder und sagte: »Wenn du es je bereuen solltest, Suse, meine Tür wartet zu jeder Stunde auf dich.«

Susanne lief auf sie zu und wollte sie in überquellender Rührung umarmen. Doch Frau Neubert wehrte mit Anstrengung: »Nein – mein Kind. – so stehen wir nicht – mehr. Lebewohl.«

Dann ging sie ins Nebenzimmer.

Die Enttäuschung trieb Susanne das Wasser in die Augen. Sie hatte trotz allem, ja obwohl sie gebangt hatte, daß ihr Schritt die Mutter töten würde, ganz im Geheimen vertrauensfroh erwartet, die Mutter, ihre kluge, hellseherische Mutter, würde sie verstehend in die Arme nehmen.

Sie starrte auf die verschlossene Tür. »Wie Mutters Herz«, dachte sie und wandte sich ab.

Sie überlegte jetzt angestrengt, wie sie all ihre Sachen nach Schlachtensee schaffen sollte.

Das Denken schmerzte sie so – über den Augen bohrte es. Eine Droschke konnte sie sich nicht nehmen bis da hinaus. Und mit der Bahn – –

Schließlich dachte sie an die Paketfahrt. Ja, die konnte es tun. Und ganz erfüllt von ihrer Idee, verließ sie das Haus, ohne rechtes Bewußtsein, daß es ein Abschied war für immer.

Sie ging in das Bureau der Gesellschaft und füllte die Karte aus.

Als sie wieder auf der Straße stand, fühlte sie eine linde Erleichterung. Sie wanderte durch die Straßen bis zum Bahnhof Großgörschenstraße und fuhr nach Schlachtensee. Frau Ebeling begrüßte sie nur flüchtig und ging hinauf in das Zimmer. Hier setzte sie sich ans Fenster und blickte hinaus. Und dann kam eine solche hirnaushöhlende Ermattung über sie, daß sie sich legen mußte. Sie fiel auf die Chaiselongue nieder und schlief sofort ein. Und sie erwachte, als Hoff sich über sie beugte und sie leise küßte.

Da öffnete sie die Augen und fand sich erst nach einigen Sekunden zurecht.

»Ich habe wohl sehr lange geschlafen?« fragte sie besorgt. »Es ist sicher schon sehr spät.«

Er lächelte. »Nein, mein liebes Herz. Ich bin heute etwas früher aus dem Dienst gegangen. Bleib nur liegen, meine Suse. So. Ich setze mich hier neben dich. So, mein kleines, großes Mädel. Und nun erzähle mir alles, daß ich es mit dir trage.«

Da sagte sie: »Ewald – meine Mutter hat mir – –« Und jetzt erst begriff sie alles. Ihr Mund verzog sich, sie kämpfte und trotzte, aber dann schossen die Bäche ihr in die Augen. Und sie weinte, durchwühlt von all den dunklen Schmerzen und heiligen Freuden des letzten Tages.

Er streichelte sie und preßte ihren Kopf an seine Brust und ihre Tränen rannen in kleinen hellen Kugeln über seine Jacke. Und immer wollte sie sprechen und ihm erzählen und immer ertranken die Worte in einem neu hervorbrechenden Quell. Erst als Mutter Ebeling klopfte und berichtete, daß nun gleich das Essen fertig wäre, gewann sie die Herrschaft über sich wieder. Doch als sie mit der Alten den Tisch deckte, durchbebte sie noch dann und wann ein tränenfeuchtes Schluchzen. Frau Ebeling sagte nichts, dachte sich aber ihr Teil. Nur als auf der Treppe die Erschütterung einmal so heftig war, daß Susanne das Tablett fast fallen ließ, tätschelte die Alte sie mit ihrer knochigen Hand in die Seite und murrte: »Na – na – Fräulein! Es is nur so die erste Zeit. Da is's schwer. Aber nachher wird's schon besser.«

Bei Tisch erzählte sie ihm alles. Ein wilder Zorn loderte in ihm auf. Sie besänftigte ihn. »Sie kann es nicht fassen«, sagte sie. »In ihrem Elternhaus galt das für das schlimmste Verbrechen. Sie hat es mir schon früher erzählt. Man hätte ein Kind lieber tot gesehen, als das. Und so etwas bleibt wohl im Blute. Sie ist sonst so gut und verstehend. Und jetzt sehe ich auch schon klarer – wie gut sie heute war.«

»Solcher Wahnsinn«, schalt er, »solcher blödsinnige Wahnsinn! Nicht zu begreifen, daß du jetzt bei mir bleiben mußt. Von Fremden verlange ich das gar nicht. Aber deine Mutter, die dich so genau kennt, muß wissen, daß du dich nicht seit gestern so geändert haben kannst.«

»Ja – ja«, nickte sie, »grade das ist so unbegreiflich und so – schmerzlich. Daß sie es nicht begreift. Sie, die jeden Gedanken in mir kennt.« Er streichelte ihre Hand über den Tisch hinweg. »Meine arme, kleine Märtyrerin!«

Sie lächelte schmerzlich. »Daß ich nun hier als Vorkämpferin der freien Liebe sitze! Ich, Susanne Neubert, die so gar nicht aufsässig und revolutionär ist. Ich gehe so gern allem Lauten und Lärmenden aus dem Wege. Ich habe nie Schranken im Konventionellen gefunden. Und soll nun für freie Liebe kämpfen!«

»Mein armer Liebling«, flüsterte er.

Da stand sie auf und kam zu ihm herüber, setzte sich auf seine Knie, schlang die Arme um seinen Hals und sagte leise: »Liebling – das Bitterste ist – und das schmerzt mich so, daß ich dir so viel Schweres ins Leben bringe.«

Und es dauerte lange, ehe er ihre Sorgen fortgeküßt hatte.


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