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1.

Assessor Hoff kam die Wilhelmstraße herauf und bog in die »Linden« ein. Jung, stolz und hochgewachsen ging er dahin. In seinem Gesicht strahlte ein verwegenes Siegeslächeln. Wirklich, ja, er war stolz beglückt und zukunftssicher. Er hatte zwar immer dunkel geahnt, er würde seinen Weg machen. Aber daß der Erfolg so bald kam! Daß man ihn beim ersten zaudernden Schritt anerkannte! Das war fast wie ein Reifen aller bunten Blütenträume. Als der erste Band seiner »Geschichte des deutschen Strafrechts« vor einigen Wochen erschien, war er von der wissenschaftlichen Kritik und einigen Tagesblättern sehr lobend begrüßt worden. Das hatte seine Reize und Werte für einen jungen Autor. Aber was bedeutete das dem heutigen Erfolg gegenüber! Heute, ja – das war eine staatliche Prämiierung, obrigkeitliche Patentierung seines Könnens und seiner Auserwähltheit.

Hoff überschritt den Platz vor dem Brandenburger Tor und durchschwelgte immer wieder die Überraschung der letzten halben Stunde. Er konnte es sich jetzt leisten, ehrlich einzugestehen, daß ihm das Herz recht unsanft gepocht hatte während der Viertelwartestunde im Anmeldezimmer des Ministeriums. Er wußte, daß es sich um sein Buch handelte. Das war ihm sofort klar, als er gestern die Order bekam, sich bei dem Dezernenten vorzustellen. Aber wer konnte wissen, was zwischen diesen zwei knappen dienstlichen Zeilen lauerte! Er jedenfalls, trotz allen Grübelns, nicht. Im großen ganzen liebte man oben die schriftstellernden Leute nicht enthusiastisch. Papier ist geduldig, und die Menge leichtgläubig. Man konnte ihr mit einer überzeugenden Geste alles mögliche Staatsgefährliche vorfabeln. Freilich war sein Buch rein wissenschaftlich und historisch. Ja, war es das wirklich? War es im Grunde nicht höchst aktuell? Blitzten nicht, wie von einem fernen Leuchtturm, immer wieder Streiflichter herüber auf die Strafrechtspflege von heute? Und dann. Hoff wußte sehr wohl, daß er aus seinem Herzen keine Mördergrube gemacht hatte. Für scharfe Augen – und der Dezernent stand weiß Gott nicht im Rufe der Kurzsichtigkeit – war zwischen jeder Zeile zu lesen, daß der Herr Verfasser zunächst Mensch war, dann Gelehrter und erst in allerletzter Linie preußischer Beamter. Und ob man diese Reihenfolge oben gerade besonders sympathisch empfand?

Kurz und gut, das Herz hatte ihm gar bänglich gepocht, als er in das Arbeitszimmer des Ministerialdirektors eintrat. Es hatte diese unnötige Kraftvergeudung aber sofort eingestellt, als der sonst so streng blickende Herr mit freundlicher Miene auf den Angemeldeten zukam, ihm die Hand entgegenstreckte und erklärte, er freue sich, die persönliche Bekanntschaft des Herrn Assessors Hoff zu machen.

Als Hoff dann in der bescheidenen Schwebestellung des nichtigen Beamten vor der Allgewalt des Vorgesetzten auf dem angewiesenen Sessel pendelte und der Geheime Oberjustizrat versicherte, er habe das Buch mit großem Interesse gelesen, kehrte die übliche frische Farbe zusehends in Hoffs bleiches Gesicht zurück.

»Es ist ein sehr interessantes Werk«, wiederholte der Direktor und bearbeitete mit einem elfenbeinernen Buchaufschlitzer die Fläche seiner weißen Hand. »Wissenschaftlich – ja, im höchsten Grade wissenschaftlich und, und das ist das Wertvolle daran, mit den Augen eines Dichters geschaut.«

Hier wurde Hoff rot vor Freude, rot wie ein kleines Mädel.

»Sie sind der geborene Geschichtsschreiber«, fuhr der Direktor bedächtig fort. »Das ist mir von Kapitel zu Kapitel klarer geworden. Ihre Menschen leben. Sie geben keine toten Tatsachen. Denn sonst könnten Sie sich und uns die Arbeit auch schenken, Enzyklopädien des Strafrechts und des Strafprozesses haben wir zur Genüge. Aber ein groß angelegtes Geschichtswerk dieser Materie, das sich liest wie ein gutes Drama, ja Drama, Herr Assessor. Denn es lebt in dem Buche. Ich sehe einzelne Gerichtsszenen, zumal aus der überaus plastisch gelungenen karolingischen Zeit, noch jetzt lebhaft vor mir. – Solch Werk brauchen wir für die studierende Jugend und vielleicht auch ein wenig für uns Praktiker im Wirbel des Aktenstaubes.«

Da der Direktor hier eine längere Pause machte, ließ Hoff sich darüber vernehmen, wie sehr er sich freue, daß der Herr Geheimrat seinem ersten Versuch ein so lobendes Anerkennen zolle.

Hierauf erklärte der Geheime Oberjustizrat, er hoffe und glaube nach diesem Anfange auch erwarten zu können, daß die folgenden Bände sich dem ersten würdig anreihen würden. Hoff, dem immer behaglicher ums Herz wurde, schloß sieh diesen Hoffnungen und Erwartungen teilnehmend an. Als der Assessor jetzt in der Annahme, die Audienz sei beendet, Anstalten traf, die Ecke des Sessels, die er bisher okkupiert hatte, freizugeben, trat jäh das – große Ereignis ein.

»Herr Assessor«, räusperte sich der Direktor, »sagt Ihnen Ihre Beschäftigung bei der Staatsanwaltschaft zu oder würden Sie eine Betätigung im Ministerium vorziehen?«

Da öffneten sich plötzlich strahlende Fernen vor Hoffs geblendeten Blicken. Eine funkelnde Leiter sank von irgendwo herab und baute sich schwindelnd hinauf in den Himmel staatsbürgerlicher Herrlichkeit. Ehe er recht wußte, daß er etwas erwidert hatte, lächelte der Direktor sehr gütig, erhob sich, reichte ihm die Hand und sagte: »Dann hoffe ich, Sie demnächst hier als Mitarbeiter begrüßen zu können. Und wenn ich Ihr Buch recht gelesen habe, wird Ihnen die Tätigkeit bei uns zusagen. Sie wissen, wir arbeiten mit dem Reichsjustizamt an dem großen Werk der Reform des Deutschen Strafprozesses.«

Hoff wußte noch dunkel, daß er sich tief verbeugt und etwas davon gemurmelt hatte, er würde sich bemühen, das in ihn gesetzte Vertrauen einigermaßen zu erfüllen. Dann war er wieder im Anmeldezimmer.

Den alten Diener, der ihm den Mantel hielt riß er in seinem berauschten Ungestüm beinahe um. Aus dem in Demut ersterbenden Eifer, mit dem der alte Knabe ihm den Zylinder reichte und die Tür aufriß, ersah Hoff, daß er hier für einen kommenden Mann galt. Solch alter Ministerialdiener hat die untrüglichste Witterung.


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