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7.

Das Frühlingswetter hielt an. An jedem Tage trafen sie sich und flogen ins Freie. Eines Nachmittags fuhren sie nach Schlachtensee, ließen sich von der Fähre nach dem Forsthaus übersetzen und wanderten dann durch den Laubwald auf das »Große Fenster« zu.

Die Bäume prahlten zärtlich mit ihrem jungen Blätterbehang, der Waldboden atmete würzig.

»Acht Tage«, sagte Susanne, »sind es heut, daß wir uns auf der Chaussee begegneten. Eine Woche erst. Er scheint mir wie Monate – ja Jahre. So viel Schönes liegt in dieser Zeit. Wir waren auch gleich so gut Freund.«

Er nickte. »Vom ersten Begegnen an.«

»Ich habe oft darüber gesonnen«, hing sie ihren Gedanken nach, »wie es wohl kam. Ich bin sonst so scheu. Es ist mir, als wären wir uns nie recht fremd gewesen. Sie sprachen gleich so vertraut zu mir. Und ich fand es selbstverständlich und ging ohne Überlegung, ohne Staunen auf Ihren Ton ein. Wie mag das nur gekommen sein?«

»Ich glaube daher, daß alle – Zuneigung – alle Sympathie stofflich ist. Ich will mich gleich verständlicher ausdrücken. Ich glaube fest daran, daß Sympathie oder Liebe – was liegt am Namen? – eine Kraft ist wie Magnetismus, irgend solche noch unbekannte strahlende Kräfte. Vielleicht positive und negative wie Elektrizität. Und wo diese sich begegnen, ziehen sie sich an. Ich meine das nicht etwa symbolisch. Ich denke an eine ganz bestimmte Energie, die unsere Körper ausstrahlen. Daher ist ›Liebe auf den ersten Blick‹ gar nicht solcher Unsinn. Ich für meinen Teil weiß bestimmt, daß ich sofort empfinde, wer mir sympathisch ist, mit wem ich seelische Berührungspunkte finden werde und mit wem nicht.«

»Ich verstehe Sie genau«, erwiderte sie nach einigem Sinnen, »vielleicht haben Sie recht. Aber schön finde ich Ihre Hypothese nicht. Liebe – oder Sympathie oder Freundschaft ist doch etwas rein Geistiges, etwas Seelisches. Ich kann mir nicht denken, daß das nichts weiter sein soll als eine Art Magnetismus, unabhängig von unserem Willen.«

»Ich denke, es ist doch so. Es gibt – von meinem männlichen Standpunkt aus gesprochen – Frauen und Mädchen, gegen die theoretisch nichts einzuwenden ist. Sie sind schön, edel, geistig hochstehend – und doch lassen sie uns ganz kalt. Sie bleiben uns gleichgültig. Und wieder andere, die ihnen nicht das Wasser reichen – –«

»Das eben ist die Liebe«, fuhr sie heiter dazwischen, »die große, wundervolle, törichte Liebe, die kein Gesetz kennt und keine Vernunft und keine Gründe. Nein, an ihre dumme tote Kraft glaube ich nicht. Ich glaube an mein weißes Märchen von der Liebe.«

Der Wald lichtete sich, Sie traten heraus auf einen freien Platz und blickten durch dieses »Große Fenster« der Natur hinaus auf eine ihrer schönsten Offenbarungen. Tief unten lag der Wannsee, der sich fern am Horizont in goldenen Nebeln verlor.

»Hier wollen wir bleiben«, entschied sie. »Wenn es auch noch ein bißchen feucht ist. Wir setzen uns ruhig hin.«

Als sie auf dem Waldboden saßen, sagte sie: »So. Und nun erzählen Sie mir von den Hexen. Ich habe den ersten Band noch einmal gelesen. Ganz anders als damals, da ich Sie noch nicht kannte. Es hat jetzt jedes Wort beredt zu mir gesprochen. Zuweilen war es, als hörte ich Ihre Stimme. So stolz bin ich auf Sie. Aber nun will ich auch an Ihrer Arbeit teilnehmen. Darauf habe ich Anspruch als Ihr Kamerad. Wie weit ist der zweite Band?«

»Ich habe in den letzten Tagen nichts gearbeitet«, gestand er kleinlaut.

»Das tut mir sehr weh«, trauerte sie, »wenn ich daran schuld bin.«

Er schüttelte den Kopf. »Sie?! Ach, Sie Liebe! Nein – nicht Sie. Da ist – –«

Und plötzlich wußte er, er müßte ihr alles sagen, alles. Endlich sich ihr einmal aussprechen. Damit sie wüßte, worunter er leide, damit sie ihn endlich richtig beurteilen könne.

»Ich will Ihnen sagen, was es ist. Sie kennen mein Leben nicht. Ich – –« Er stockte und blickte auf den See. Ein Dampfer schleppte dort vier, große Frachtkähne, still und stetig.

Er fühlte, er konnte die Worte nicht finden. Es war so schwer und unmöglich, ihr zu sagen: »Wir sind arme Leute zu Hause, und alles harrt und bangt darauf, daß ich ein reiches Mädchen heirate.« Nein, das war so häßlich, daß er es nie über seine Lippen bringen würde. Statt dessen sagte er: »Wie klein der Schlepper dort unten aussieht, wie ein Spielzeug der großen Natur. Mir ist, als wären auch wir solche winzige Kleinigkeiten, die die Natur an ihr großes Herz zieht und besänftigt: ›Seid gut, seid still. Kämpft nicht so bang. Ihr Menschlein, kämpft nicht euern großen Kampf, der im Grunde so lächerlich klein ist. Kommt her zu mir, und tragt es und laßt es gehen. Es ist ja doch alles so klein und irdisch. Und die Ruhe kommt bald‹.«

»Ich verstehe Sie nicht recht«, sagte sie erstaunt. »Aber etwas höre ich aus allem heraus, wenn Sie von sich sprechen: Unsicherheit und – verzeihen Sie, aber es ist so: Schwäche.«

Er zuckte zusammen. Sie aber sprach mutig weiter: »Ich wollte darüber schon immer mit Ihnen reden, weil ich sehe, daß Sie leiden. Ich habe die Pflicht dazu, als Ihre Freundin. Wie Ihr Privatleben ist, weiß ich nicht. Aber sei es doch, wie es sei: ein junger starker Mensch wie Sie muß es doch ins Lot bringen können. Mit Ihren zwei kräftigen Armen sollten Sie das nicht einrenken können! Das wäre schön! Eines ist mir klar geworden in diesen Tagen: Ihnen fehlt Energie. Jawohl, wenn Sie auch düster dreinblicken. In Ihrem Buch – da ist alles stark, graniten, ehern. So sind Sie in Ihrer Kunst. In Ihrem Leben sind Sie ein lieber schwacher Mensch. Ja, jetzt bekommen Sie es zu hören. Sie stammeln und jammern, aber Sie packen Ihr Leben nicht mit beiden Fäusten und zwingen es nieder. Sie sagen, Sie sind dreihundert Jahre zu spät geboren, das ist nichts als Sehnsucht als Traum, weil Sie im Innersten fühlen, daß Sie im Leben alles sind, nur kein Tatenmensch. Und darum ist es meine heilige Pflicht, Sie aufzurütteln ohne Zimperlichkeit, Ihnen zuzurufen: ›Auf, auf, junger Mann, der Sie sind! Packen Sie Ihr Leben mit starker Faust und zwingen Sie es, bilden Sie es so groß und festgefügt, wie Sie Ihre mittelalterliche Welt geschaffen haben!‹«

Sie schwieg und strich die Haare aus der Stirn. Ihr Gesicht war erhitzt von dem Eifer. Er starrte vor sich hin.

Da legte sie die Hand auf seinen Arm. »Sie sind mir nicht böse, nicht wahr?« bat sie zart.

Er schüttelte den Kopf. »Nein, nein. Sie haben ja recht. So recht. Ich bin schwach. Ich fühle das Verwerfliche meiner Pläne und habe nicht die Kraft, den Weg zu gehen, der allein ehrenhaft und männlich ist. Aber – aber.« Und plötzlich schnellte er auf und reckte den rechten Arm zum Himmel: »Ich sehe den Weg«, rief er – »ich sehe ihn und –« Er blickte hinüber nach dem anderen Ufer. Dort stand die Sonne als Fensterscheibe und sank langsam in den Wald hinein. Auch Susanne erhob sich und sah stumm bewegt hinüber.

Da legte er seinen Arm zag um ihren Leib.

»Ja«, sagte er leise, »du hast recht. Die Natur ist so groß und rein. Wir gehören hinein und wollen uns nicht beschämen lassen. Ehrlich und stark wollen wir sein. Ich will nicht Versteck spielen und nicht heucheln in kleinlichen Bedenken. Ich will dir sagen, daß ich dich liebe, stark und innig liebe.«

Kein Nerv an ihr zuckte. Sie starrte hinüber, wo jetzt der letzte Schimmer erlosch. Ihr Gesicht war bleich und verklärt Dann tastete sie nach seiner Hand und koste sie.

»Ich kann jetzt nichts sagen«, raunte sie. »Ich weiß nicht, ob ich dich liebe. Ich fühle, wie gut du bist und wie ehrlich. Laß mich jetzt schweigen.«

Er stand vor ihr und blickte ihr ins Gesicht, das eine weiche Helle durchleuchtete.

Da rauschte die Nacht über ihnen. Ein Schwarm Raben kreisle krächzend zu ihren Häuptern und ließ sich zerflatternd auf dem Baum über ihnen nieder.

Fröstelnd fuhr sie auf. »Wir wollen gehen«, flüsterte sie und faßte seinen Arm. Er fühlte, wie sie bebte. Sie hasteten durch den Wald, dem Bahnhof in Nikolasee entgegen.

Endlich sagte sie mit einem bleichen Lächeln:

»Es ist zu töricht, sich von solch dummen Vögeln die Stimmung verderben zu lassen.«

Sie sprachen bis zur Trennung wenig. Als sie ihm die Hand zum Abschied gab, blickte sie ihm warm in die Augen: »Wir wollen uns einige Tage nicht sehen«, bat sie. »Ich will mich finden. Und dir dann schreiben. Gute Nacht, du Lieber. Ich werde die Stunde dort draußen nie vergessen.«

Dann ging sie ins Haus, gebeugten Hauptes, ohne sich umzublicken.


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