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9.

Drei Tage später kam Susanne Neuberts Brief.

»Mein Geliebter, Du!

Einmal, jetzt in dieser tiefen Mitternachtsstunde, will ich Dir einen der Kosenamen geben, die ich des Nachts jetzt so oft Dir in Gedanken gegeben habe, wenn ich Sehnsucht nach Dir hatte, und ich mein Kopfkissen an mich preßte und bei Dir zu sein glaubte und mir nicht genug tun konnte, Dir die zärtlichsten, weichsten Namen zu geben. Denn heute, in dieser Nacht, will ich so wahr zu Dir sein, wie nur ein Mensch zum anderen sein kann. Nackt und bloß stehe ich vor Dir, ohne Hülle, und mein Herz trage ich in meiner Hand zu Dir, Liebster. Ich möchte heute mit diesem Briefe uns das wiedergeben, was wir an jenem Mittwochabend am ›Großen Fenster‹ gefühlt haben, jenes Reine, Große, Weite, das uns beide – – ja auch mich, an jenem Abend erfüllt hat. Ich möchte, daß Du diesen meinen Brief ganz verstehst, ganz begreifst, warum ich ihn schreiben muß, warum es mich heute Nacht zwingt, zu Dir zu kommen, meinen Kopf an Deine Schulter zu legen und einmal Dir zu sagen: ›Ich habe Dich lieb!‹ Du wirst dann Deine Arme um mich legen, so zart, wie nur Du sein kannst, und dann will ich Dir beichten, daß Du mich ganz begreifen lernst, daß wir beide zusammenfließen in diesem großen seligen Verstehen.

Sieh, als wir uns kennenlernten, liebte ich Dich nicht. Ich hatte Interesse an Dir und Deinem Schaffen, ich freute mich so an unserer guten Kameradschaft, auf die ich so stolz war. Und doch, wenn ich jetzt zurückblicke, weiß ich nicht, ob es nur Interesse war. Weißt Du noch, wie ausgelassen heiter ich auf der Fahrt nach Erkner war? Das war vor Freude, daß Du darüber gegrübelt hattest, ob mein Haar blond oder braun ist. Aber ich glaube doch nicht, daß ich Dich damals liebte. Nein, das glaube ich nicht.

Dann sagtest Du mir an jenem Abend, als die Sonne unterging, daß Du mich liebst, und sagtest es so gut und innig, daß ich heute nicht daran denken kann, ohne zu weinen. Und Deine Innigkeit, die so scheu und die so groß und stark und rein war, die weckte in mir die Liebe. Unbewußt noch, mehr ahnend, fühlte ich diese große Zärtlichkeit für Dich, doch eigentlich ganz ohne zu wissen, was Du mir gabst und was sich für Dich in mir regte. Und ich bat Dich um Zeit, bat, daß Du mich nicht so bald wiedersehen solltest, weil ich fühlte, daß meine Liebe zu Dir in Einsamkeit aufblühen mußte. Ich habe so richtig empfunden. Seitdem ist das Gefühl in mir entstanden, das mich heute nachts zwingt, Dir zu schreiben, vor dessen Inbrunst Du vielleicht erschrecken würdest. Ich habe mich so sehr nach Dir gesehnt und wollte Dich doch wieder nicht sehen, weil meine Liebe noch so scheu war, daß ich sie Dir nicht hatte zeigen können. Nicht konnte, kannst Du das verstehen? Und darum habe ich gewartet – bis heute nacht. Und habe im Bette liegend an Dich gedacht. Und habe mir immer laut vorgesprochen, was ich Dir sagen muß. Und jetzt sitze ich hier und schreibe es hin bei einer Kerze.

Und nun, mein über alles Geliebter, muß ich Dir etwas sagen. Etwas sehr, sehr Wehes. Ich möchte Deinen geliebten Kopf halten und an meine Brust pressen, während ich Dir diesen Schmerz antun muß. Ich habe lange, lange gegrübelt. Es gibt für uns beide drei Wege.

Der erste ist der einer Heirat. Aber ich weiß, daß für uns dieser Weg nicht zum Glück führt. Ich will nicht sagen für uns. Ich würde vielleicht glücklich werden. Aber Du nicht und damit natürlich auch ich nicht.

Ich ahne, was auf Dir lastet, Du Lieber, wenn Du es mir auch nicht gesagt hast. Frauen sind oft so hellhörig. Und ich bin nur ein armes Kirchenmäuschen, das nichts hat als sein hübsches weißes Fell. Nein, Liebster, es würde nicht gehen. Und dann – Du kannst Dein Buch jetzt nicht schreiben, weil Du den Zwang, der durch mich unbewußt auf Dich ausgeübt wurde, nicht erträgst. Das Verantwortlichkeitsgefühl, das Du bei einer Ehe mit mir drückend empfinden würdest, würde Dich in Deiner Schaffenskraft lahmlegen, besonders wenn materielle Sorgen an Dich herantreten. Du selbst hast mir einmal – in Grünheide war es – gesagt, an Deiner Geschichtsschreibung hängt Dein ganzes Leben. Ich weiß auch, der Beruf geht Dir über alles, wenn Du jetzt auch vielleicht anders denken würdest. Und ich habe Dich viel zu lieb, um mir nicht über alles dies völlig klar zu sein.

Der zweite Weg wäre der, daß wir beide uns lieb haben, ohne an eine Zukunft zu denken. Das kann ich nicht. Ich weiß, daß mein Gefühl für Dich nicht mit der Zeit verblassen, sondern immer innerlicher und stärker werden würde. Und ich weiß, daß ich mich Dir hingeben würde, mit allem, was mein ist, weil ich einfach nicht anders könnte, weil ich Dir schenken müßte, was schenkenswert an mir ist. Doch dann würde ich unglücklich werden, denn ich hätte wohl die Größe zu der Tat, nicht aber den Mut dazu, die Folgen auf mich zu nehmen. Ich wüßte, daß ich meine Mutter damit töten würde. Das weiß ich genau. Und deshalb – aber ich schwöre Dir bei allem, was mir hoch und heilig ist, bei meiner Liebe zu Dir schwöre ich Dir; stände ich heute allein im Leben, so käme ich zu Dir und fragte nach nichts, nach nichts als danach, ob Du mich liebst. Und Du weißt, Du, der Du Menschen so lebendig geschaffen hast, daß ich nicht leichtsinnig bin, sondern schweres, bedächtiges Blut habe. Doch ich käme, – heut nachts käme ich. Aber meine Mutter kennt keine Sorge, keine Angst, keine Freude als mich. Und heimlich? – nein, Unwahrheit wirst Du nicht von mir verlangen. Dazu ist unsere Liebe zu hell und zu rein.

Und so glaube ich nur an den dritten schweren Weg. Wir wollen uns trennen. Ich kann nicht mehr darüber sagen. Du weißt, was es mich gekostet hat, diese vier kleinen Worte zu schreiben. Und nun weißt Du, weshalb ich heute Abschied nehmen will. Und warum ich das heute nacht tue, weißt Du auch. Auge in Auge würde mir die Kraft fehlen. Und deshalb schreibe ich Dir diesen Brief zum Abschied. Um eins bitte ich Dich: versteh mich ganz. Ich stehe vor Dir in meiner Liebe und meiner armen Ohnmacht. Sei Du stark und hilf mir es tragen. Mach Du mich nicht schwach. Ich flehe Dich an!

Und nun komm noch einmal zu mir, leg' Deine Arme ganz leise um mich und küsse mich. Ja – auf den Mund – und die müden, schweren Augen, Und laß mich Deinen geliebten Kopf in meine beiden Hände nehmen und Dich ganz leise auf Deine Stirn küssen als Beschwörung, daß Du später, in einsamen Dämmerstunden, auch einmal an mich denken mußt

Das Tiefste, was ich Dir sagen möchte, ist unsagbar.

Ich habe Dich lieb.

Und jetzt, mein alles, Du, wollen wir uns die Hände geben, hoch oben auf der Höhe über dem wallenden See unserer Liebe – hoch oben, wo die Allmacht atmet. – –«

*

Da saß Hoff lange Zeit, die losen Blätter in der Hand, und seine Augen schwammen in Tränen. Dann schrieb er:

»Geliebte!

meine Augen sind feucht. Ich kann nicht schreiben. So kann ich nicht von Dir gehen. Ich erwarte Dich vor der Tür.«

Hoff nahm Hut und Mantel und stand, ohne daß er wußte wie er hingekommen war, vor Susannes Haus.

Den Zettel schickte er hinauf. Wenige Minuten später kam der kleine Bote mit einem Brief zurück. Sie hatte hastig hingeworfen: »Ich bitte Dich, hilf mir doch, ich kann nicht anders. Du mußt verstehen. Sei lieb, sei lieb. Ich bin ja doch in Deiner Hand. Sei gut, Geliebter. Ich kann doch nicht anders. Geh fort, steh nicht dort unten. Ich kann Dich nicht auf der Straße stehen sehen. Geh, Liebling, und versuche nicht, mich zu treffen. Geh – geh! – Wie unsagbar lieb ich Dich habe, weißt Du. Ich kann nicht mehr.«

Er las es und ging immer geradeaus, immer geradeaus. Sein Gesicht war sehr bleich, doch ruhig. Er ging dahin und trällerte und pfiff. Man sah ihm gar nichts an. Nur in den Kniekehlen war er so matt. Und im Hirn war eine hohle Leere. So ging er wohl, eine Stunde, immer geradeaus. Da merkte er, daß er am Tor des Charlottenburger Schloßgartens war. Er ging hinein, tief in den leeren, feuchten Park. Und als er an dem Geländer des Teiches stand und in das trübe gelbe Wasser starrte, beugte er den Kopf tief nieder und versank in weltverlorenes Träumen.


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