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4.

Der Frühling wob seinen bunten Schleier über das märkische Land. Goldbraun glommen die Stämme der Kiefern und über dem Waldboden wiegten sich zarte rötliche Dunstfäden.

Assessor Hoff wanderte die Landstraße auf Wannsee zu. Seine Schritte waren lang und elastisch. Er fühlte in seinen Gliedern den Frühling und seine eigene auf perlende Jugend.

Diese einsamen Wanderungen durch die Mark, die er mit einer andächtigen Zärtlichkeit liebte, waren seine reichsten Stunden. Wenn er den Dienst erledigt und die Enge der Häuslichkeit abgeschüttelt hatte, zog er hinaus in die Schönheit seiner sanften großen Heimat. Dann fiel aller Druck und jede Bürde von seinen Schultern und die Schaffensfreudigkeit quoll reich und saftig auf.

Hier draußen in der Einsamkeit waren der Plan und die besten Stücke seines Geschichtswerkes entstanden. Die Mark vergalt ihrem Sohn die Liebe. Sie gab mit warmen, segnenden Händen. Wenn er am Ufer der Havelseen stand und hinausblickte auf die Weite des Wassers, war ihm zuerst der Sinn aufgegangen für das ewig wallende, gleichmäßig flutende Schicksal der Menschheit. Und sein starkes historisches Empfinden erwachte. Oben auf den Höhen des Wannsees war zuerst in ihm der Plan aufgetaucht, eine Geschichte ringenden Menschengeistes zu schreiben. Die Idee war dann gewachsen; und hatte feste Gestalt gewonnen. Das Großzügige der Seelandschaft hatte ihm die Kraft und das Selbstbewußtsein gegeben; das leis Melancholische der Forste und Sandebenen reifte in ihm das Verstehen für menschliches Streben, menschliches Irren und menschliche Ohnmacht.

Hoff stand jetzt in der Konzeption des zweiten Bandes. Das Herz pochte ihm schaffensfroh und sein Ahnen war lebendig. Er wußte, dieser zweite Band würde seinen jungen Ruf nicht schmälern. Der Stoff lag ihm wie kaum ein anderer. Die Geschichte des Hexenprozesses wollte er jetzt behandeln. Bei seinem stark ausgeprägten Verständnis für alte, ewig junge Narretei, für menschlichen Irrwahn und menschliche groteske Kleinheit mußte ihm dieser Teil prächtig gelingen. Während er dahinging, den Blick nach innen gekehrt, fühlte er den Odem der Zeit, die er schildern wollte, ihn umwehen. Wie eine schwere blutgetränkte Wolke lag religiöser Wahnwitz über dem gewitterschwülen Lande. Eine Luft schwelte über den deutschen Gauen, die den Atem benahm, die auf dem Hirn lastete und jedes natürliche freie Denken herauspreßte. Benommen taumelte die Menschheit einher. Oh, er hatte seine Modelle für seine Hexenrichter. Das Geschlecht war auch im zwanzigsten Jahrhundert nicht ausgestorben. Er sah sie vor sich, borniert, asketisch streng, fanatisch, aberwitzig, bald wieder brutal, grausam, mit einem wissenden lüsternen Zwinkern in den Augenwinkeln. Ja, die Rolle würde er zeichnen können, daß sie wandelte. Und die Opfer! Es war ein Unsinn, zu glauben, die Hexen, die man gepfählt, ertränkt und verbrannt hatte, seien immer schnurrbartbehaftete Knusperhutzelweibchen aus dem Märchenbilderbuch gewesen. Durch sein Buch sollte das holde Lächeln all dieser kindlichen Arglosigkeit und Reinheit läuten, die man durch den widerlichsten Morast in den Tod gehetzt hatte. Er würde in das Chaos der Berichte hineingreifen und die armen jungen Dinger zu Lichte heben, mit ihrem fliegenden Atem, zitternd, das Hirn zu keuchendem Wahnsinn gepeitscht, den jungen Leib wie Stahlgerten auf der Folter zerbogen.

Plötzlich wurde Hoff durch eine seltsame Erscheinung am Wegesrand aus dem Mittelalter jäh in die Gegenwart zurückgerufen.

An der Böschung der Landstraße stand eine weibliche Gestalt an einem Telegraphenpfahl, die Arme über den Kopf hinausgeredet, die Hände an die Stange geklammert, und preßte Wange und Ohr hart an das Holz des Pfahles. Der Gedanke, das Mädchen sei schwach geworden und suche eine Stütze, und hilfsbereit beispringen, war eins. Als Hoff aber jäh zu ihr trat, sah er zu seinem Staunen zwei große Augen verzückt in die Ferne träumen. Nein, der junge Mensch bedurfte keiner Hilfe.

Das alles währte nur Sekunden. Das Mädchen fuhr erschreckt empor, stieß einen wirren Laut aus, Hoff griff an seinen Hut, und stammelte: »Verzeihung, ich glaubte, Ihnen wäre nicht wohl.« Dann war alles vorbei und Holl schritt wieder seine Straße auf Wannsee zu, ohne sich umzublicken. Er empfand bitter, daß er tolpatschig in das scheue Geheimnis einer tiefen, jungen Seele hineingegriffen hatte. Und so ging er immer geradeaus, ohne sich umzublicken. Neugier wenigstens wollte er ihr und sich ersparen.

Eine kleine Verärgerung bohrte in ihm. Wie ein dummer Junge hatte er sie aus ihrer Verzückung gezerrt. Er zwang seine Gedanken auf die Wege in die Vergangenheit zurück. Aber alle seine jungen Hexen hatten der Unbekannten große Augen, die in weltenferne Märchendinge zu dringen schienen. Da lachte er leise vor sich hin. »Solche Augen müssen sie auch gehabt haben«, nickte er, solch unirdische Lichter. Ja, gerade solche Augen. Und wenn sie mit ihnen die irdischen Jammerkerle ansahen, dann mußten die fühlen: die Augen sehen Gott und all die Dinge, die über unserem feisten Alltag liegen. Was haben menschliche Augen solche Dinge zu schauen?! Reißt sie herab auf unsere Erde! Steinigt diese Sehenden! Auf die Folter mit ihnen. Sie sollen ihre Geschichte bekennen!«

Er lächelte in sich hinein und grübelte weiter. Die junge Dame hatte er vergessen.

Kurz vor Wannsee setzte er sich auf einen Chausseestein, zog sein Taschenbuch hervor und begann die Ergebnisse seiner Gedankenwanderung in großen Umrissen zu skizzieren.

Schritte störten ihn auf. Als er emporblickte, ging das Fräulein an ihm vorüber. Er erkannte es sofort, obwohl er vorhin nichts als die Augen gesellen hatte. Auch sie blickte beiseite.

Er sah ihr nach. »Was man sich alles so einredet«, dachte er. »Hexe! Lächerlich!«

Ihre prächtige Gestalt hob sich plastisch ab von dem Dämmerungsblau des Weges. Jung und kräftig war sie, das sah er jetzt. Und ihr einsames Wandern auf dieser Waldstraße bei einbrechender Dunkelheit hatte etwas Kühnes und Unternehmendes.

Hoff blieb noch einige Zeit auf seinem Platze. Es widerstrebte ihm, den Anschein zu erwecken, er liefe ihr nach und mache sich ihre Einsamkeit zunutze. Als er glaubte, sie nicht mehr einholen zu können, schritt er weiter. Doch an einer Biegung des Weges, an der sich ein Auslug auf den See bot, stand sie und blickte hinab auf das Wasser. Als sie ihn kommen, hörte, schritt sie weiter. So ging er eine Weile hinter ihr drein. Plötzlich wandte sie sich um, kam auf ihn zu und sagte: »Wenn es Ihnen gleich ist, gehen Sie, bitte, voraus. Es macht mich krank, jemanden hinter mir hergehen zu hören.«

Er stutzte zuerst, anwortete aber dann launig: »Ich bitte sehr um Entschuldigung, wenn ich in Ihre Fußstapfen getreten bin. Auch ich liebe keine Nachtreterei. Am Ende stören wir uns beide am wenigsten, wenn wir zusammen nach Wannsee wandern.«

Sie lächelte. »Bitte sehr. Dann braucht keiner den andern als den ›kommenden Mann‹ zu fürchten.«

Auf diese muntere Art ist Assessor Hoff Susanne Neubert begegnet.


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