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10.

Oh, wie er sie haßte! Erwürgen hätte er sie können, erwürgen mit seinen beiden Händen. Grausam, wie nur ein Weib martern kann, peinigte sie ihn. Konnte ein Weib einem Manne mehr Bitternis bringen, als vor ihn hintreten, ihm seine Liebe bekennen und ihm den Rücken kehren? Sie liebte ihn und lief fort, weil sie Angst hatte vor ihrer Liebe! Solch Irrsinn! Als wenn man sich das Leben nahm aus Furcht vor dem Tode. Genau so war's.

Oh, – wie er sie haßte!

Sein Äußeres veränderte sich auffallend in diesen Tagen. Er, sonst hochaufgerichtet, ein ragender Pfeiler, ging tief vornübergebeugt, die Schultern hochgezogen, schleppend der Schritt. Die Augen waren schlafwandlerisch zusammengekniffen in verlorenem Sinnen und Grübeln.

Besorgt bemerkten es die Frauen. Aber allen Fragen nach seiner Gesundheit begegnete er mit still beruhigendem Lächeln.

Schließlich frohlockte Herta eines Tages bei Tisch: »Jetzt ist mir alles klar. Er ist verliebt! Und zwar in Esther Honigmann.«

Da wurde zum allgemeinen Staunen Lisbeth zum ersten Male in ihrem Leben heftig und rief erregt: »Deine dummen Scherze, Herta, könntest du ihm wenigstens ersparen.«

Hoff selbst begütigte und meinte, es wäre doch nicht so schlimm. Die Mutter und Herta aber blickten verständnislos drein. Und später äußerte Frau Hoff Herta gegenüber, es wäre nun die höchste Zeit, daß alles anders werde. Lisbeths Nerven seien dem Zusammenbruch nahe.

Lisbeth aber ging am Nachmittag zu dem Bruder. Er hockte in seinem Zimmer und gab vor, zu arbeiten. In Wahrheit tat er nichts. Oder er schrieb und schrieb. Doch wenn er das Ergebnis durchlas, sah er, daß er nackte, tote Tatsachen aneinandergereiht hatte, wie es jeder konnte, der die Urkunden und Quellen beherrschte. Kunst aber war das nicht. Und dann zerriß er zornig die Bogen und saß da und starrte vor sich hin. Und hätschelte seinen Haß.

Lisbeth trat leise hinter ihn und legte beide Arme um seinen Hals.

»Störe ich dich?« flüsterte sie.

Er schüttelte sachte den Kopf.

»Ewald«, sagte sie mühsam und rang ihrer Scheu die Worte ab, »wenn du Esther nicht heiraten kannst – weil – weil – du könntest ja vielleicht – jemanden – anders – –« ihr Mund lag fast auf seiner Schulter – »dann – unser Leben ist nicht wert, daß du – – Opfer – –«

Er wandte den Kopf und fand ihren Mund.

»Nein – Liebe – ich liebe niemanden. Keine. Ich bin nie bereiter gewesen, Esther zu heiraten.«

Das war seine innerste Überzeugung. Ja, jetzt war er bereit. Jetzt war es kein Opfer mehr. Jetzt war es kein Martyrium. Jetzt war er bereit. Schon aus Trotz gegen Susanne wollte er es tun. Sein Haß weidete sich an dem Gedanken, daß sie es in der Zeitung lesen würde. Der Gedanke tat ihm gut. Das war Rache dafür, daß sie ihn mitten am Wege hatte stehen lassen.

Niemals war er Hertas Wünschen gefügiger als in dieser Zeit. Er sprach oft von Esther und der Zukunft. Und er selbst bahnte das nächste Zusammentreffen an.

Eines Morgens sagte er: »Herta, ich gehe heute mittags vom Ministerium ins Märkische Museum. Will mir da einige Foltergeräte ansehen, die ich für meine Arbeit brauche. Wenn du mitgehen willst, kannst du mich in der Wilhelmstraße abholen. Vielleicht klingelst du Fräulein Honigmann an. Sie wird sicher Interesse dafür haben.«

Und als sie dann zusammen durch die Schätze des Museums wandelten, fiel alle Sehnsucht von ihm ab und alle Qual. Die Freude des Forschers erwachte. Straff aufgerichtet, mit einer Art Hausherrenstolz, schritt er durch die gewölbten Hallen, und Belehrungseifer rötete seine Wangen. Aus hellen Augen strahlte ihm das Wissen. Launig erläuterte er den jungen Mädchen den Theaterzettel vom 24. Jänner 1772 und die Speisekarte von Jagor vom 8. Mai 1830. An der Hand der Bilder baute er vor ihnen die Stadt Berlin auf und wies ihnen die Entwicklung der preußischen Duodezresidenz zur europäischen Weltstadt.

Und um die alten Kirchengemälde und Altäre zog er die Mauern der Gotteshäuser, und die wuchtigen Glocken, die hier leblos auf steinernen Sockeln schliefen, hingen wieder hoch oben im luftigen Turm und läuteten Sturm und Frieden hinaus in das mittelalterliche Land der Mark.

In dem Gewölbe, in dem die Foltergeräte von ihrem segenspendenden Erdenwallen ruhten, lernten die jungen Damen das Gruseln. Da war das Rad, dessen letztes Opfer in Berlin am 2. März 1837 die Witwe Meyer geworden war. »Im Jahre 1837 auf dem Gartenplatz in Berlin! Fünf Jahre nach Goethes Tode, meine Damen!«

Hoff schilderte ihnen solch grausige Prozedur. Und malte ihnen die Freuden des »Zwangsstuhls« aus und des »Spanischen Mantels«. »Und hier der sargartige Kasten. Da hinein legte man solch junges blühendes Ding von sechzehn Jahren mit blauen, klaren Augen. Fest, daß es sich nicht rühren konnte. Vorher hatte man sie fürsorglich mit Zuckerwasser bestrichen. Und dann den Deckel darauf. An der Seite hier, sehen Sie, sind Löcher. Und nun hinein mit dem Kasten in einen Ameisenhaufen.«

Die Mädchen schauderten.

»Mit einiger Phantasie kann man die Qualen nachleben«, fuhr er fort, »In die Nase, in den Mund, in die Augen krochen die Tiere. Es dauerte gar nicht lange, da gestand das junge Ding. ›Willst du gestehen, daß du den Hagel neulich beschworen hast?‹ ›Ja – ja und das Gewitter auch.‹ ›Willst du gestehen, daß du Müllers Kuh behext hast?‹ ›Ja – ja und sein Kalb dazu.‹ ›Willst du gestehen, daß Satanas nächtens bei dir war.‹ ›Ja – ja und oft auch bei Tage.‹ Dann nahm man die reuige Hexe heraus, und wenn sie dann den Scheiterhaufen erst überstanden hatte, war sie erlöst. Wir hatten angenehme Vorfahren.«

Nach dieser Begegnung mit Esther schlief die Sehnsucht nach Susanne einige Tage. Der Schmerz in der Brust lag still im Hinterhalt Aber eines Tages, als er an der Neuen Winterfeldtstraße vorüberkam, fiel das Unheil wieder über ihn her. Jach sprang es zu und stach ihm eine blutende Wunde quer durch das Herz.

Da beschloß er, diese Gegend zu meiden. Er schrieb an seinen Verleger und bat um einen Vorschuß. Am nächsten Tage hatte er fünfhundert Mark. Zaghaft unterbreitete er der Familie den Plan. Er wolle nach Wannsee oder Schlachtensee hinausziehen. Er könne hier nicht arbeiten.

Zu seiner Verwunderung fand sein Wunsch Billigung. Herta griff die Idee enthusiastisch auf. »Erstens«, meinte sie, »ist es billiger, wenn Esther nicht so oft zu uns kommt. Kaffee und das alles kostet Geld. Und nach Wannsee können wir oft mit ihr ausfliegen und dich dann zufällig treffen. Zweitens merken die Leute im Hause es und Martha erzählt alles 'rum. Und drittens macht es einen guten Eindruck: ›Mein Bruder wohnt im Sommer immer in Wannsee.‹ Klingt großartig – einfach grandseigneurig.«

So fuhr Hoff hinaus und fand für einen Spottpreis ein hübsches Zimmer bei einer Frau, deren Sohn kürzlich gestorben war. Die gute Alte war heilfroh über ihren neuen Hausgenossen und Beschützer.

Aber die Sehnsucht schwieg nicht hier draußen am Schlachtensee. Aus jedem Baum höhnte die Erinnerung. Stundenlang saß er nachmittags am See und wiegte sein Weh auf den leise atmenden Wellen. Und oft ergriff ihn die Verzweiflung. In später Abendstunde rannte er zum Bahnhof und fuhr nach Berlin. Dann lief er zur Neuen Winterfeldtstraße, als hänge sein Leben an dem rechtzeitigen Eintreffen, und stand an der Ecke und starrte auf die grauen verhangenen Fenster. Erst wenn ein Schutzmann ihn argwöhnisch beobachtete, schlich er davon wie ein ertappter Dieb. Und fuhr kein Zug mehr nach Schlachtensee, so kehrte er zurück und starrte wieder hinauf, bis der Morgen grau und fröstelnd über die Dächer kroch.

Eines Mittags hatte er in der Frobenstraße gespeist und mit Herta verabredet, sie solle am nächsten Tage mit Esther nach Schlachtensee hinauskommen und ihn abholen. Dann wollte er einmal ausführlich mit Esther über Ihre Fürsorgezöglinge sprechen. Es interessierte ihn ernsthaft.

Er ging die einsame Maaßenstraße hinunter. Der Himmel war trüb grau. Regen war im Anzuge. Er wollte durch den Tiergarten zur Staatlichen Bibliothek wandern, sich einige Bücher zu holen. Er fühlte sich heute frei und stark und spann an seiner Arbeit.

Und da kam sie ihm entgegen. Vom Lützowplatz her kam sie die Maaßenstraße herauf.

Er erkannte sie sofort an ihrem energischen. Schritt und – – Ja – er erkannte sie sofort. Und das Herz sprang ihm in den Hals und sperrte ihm die Kehle. Sie hatte ihn noch nicht gesehen. Aber plötzlich hob sie den Kopf, starrte einen Atemzug lang geradeaus – stand eine Sekunde lang steil da – dann taumelte sie und fiel hart gegen das eiserne Gitter eines Gartens.

Im nächsten Augenblick hielt er sie in den Armen. Ihr Kopf glitt an seine Brust, die Augen waren geschlossen, die Augenlider verfärbten sich violett und zitterten wie schwingende Saiten. Er hielt sie fest umklammert und wiederholte fortwährend: »Mein Mädelchen – mein Mädelchen – komm, komm, sei gut, nun bist du ja bei mir. Komm, mein Mädelchen – hab keine Angst mehr – jetzt ist ja alles gut – jetzt bist du ja bei mir.« – –

Sie hatte die Augen noch immer geschlossen. Ein wirres, verträumtes Lächeln zuckte um den Mund. »Ach du«, flüsterte sie, »ach, du«, und streichelte mit tastenden Fingern über seinen Ärmel. »Ach du – nun bist du da – nun bist du endlich da.«

»Ja, Liebling, nun bin ich bei dir. Komm, mein Herz, mach die Augen auf! Komm! Nun ist ja alles gut.«

Da öffnete sie mit Anstrengung die Augen und sah ihn angstvoll an. »Bist du es auch?« bangte sie. »Ich habe solche Angst, daß es – – Traum ist.«

Jetzt faßte er sie fest und lachte: »Kind – wach auf! Ja doch, ich bin's!«

Nun stand sie wieder auf eigenen Füßen und blickte sich blinzelnd um. Mit der Hand wischte sie über die Augen und Stirn wie ein erwachendes Kind. Da sah sie drüben auf der andern Seite der Straße einige Neugierige herüberglotzen.

Wortlos eilten sie hinab zum Lützowplatz, durchquerten ihn und gingen am Ufer entlang in den Tiergarten. Und blickten sich nur immer von der Seite an und lächelten sich zu wie spielende Kinder. Aber als sie in den Tiergarten kamen, blieb er stehen, faßte sie an beiden Armen und rief: »Mädel – nun laß dich ansehen. Es will mir noch nicht recht ins Hirn, daß du da leibhaftig vor mir stehst. Laß dich ansehen. Ja – du bist's. Deine tiefen, blauen Augen. Und dein gebogenes, kokettes Näschen, Und die kleinen Zähne. Und die kluge Stirn. Und all deine Güte und deine Schönheit!« Und dann zog er sie an sich und küßte sie. Lange, lange. Und sie konnten die Lippen nicht voneinander trennen und küßten sich immer wieder und sogen sich fest am Munde des andern und schlürften berauscht des andern Odem. Und ob die Leute vorübergingen, das störte sie nicht. Sie sahen sie nicht, sie hörten sie nicht. Die Welt war in ihnen versunken. Nichts lebte ihnen als das Glück des Beisammenseins. Und dann fanden sie eine einsame Bank. Dort saßen sie trotz des leichten Sprühens, dicht aneinandergeschmiegt und fühlten die Nähe des Geliebten. Und streichelten einander die Hände und die Knie.

Lange, lange währte es, bis die Worte kamen. Und er gestand seine Leiden und seinen lohenden Haß. Und sie beichtete, wie sie ihn oft hatte an der Ecke stehen sehen und sie auf ihr Bett gestürzt sei und schluchzend in die Kissen gebissen hatte. Und jedesmal, wenn sie auf der Straße einen braunen Hut gesehen hatte, sei sie fast ohnmächtig geworden. Und einmal war sie in einem Geschäft in der Leipziger Straße. Da ging er vorbei. Und sie lief zum Entsetzen der Leute, ohne zu bezahlen, aus dem Laden und hinter ihm her, in Todesängsten, ihn in dem Straßengewühl zu verlieren. Er ging über den Potsdamer Platz, die Friedrich-Ebert-Straße hinunter in den Tiergarten, ganz langsam grübelnd, Sie habe gesehen, daß er über sein Buch sinne. Und es war so gut und traulich, immer hinter ihm herzugehen wie ein treuer schützender Geist. Und plötzlich blieb er stehen und sah sich um. Da sei sie wie toll davongelaufen.

»O du«, zürnte er lächelnd, »und angesprochen hast du mich nicht!«

»Nein, nein, ich konnte nicht. Und dann – ich wußte ja, du würdest kommen.«

»Ich würde kommen?«

»Ja, das wußte ich. Das habe ich zu jeder Stunde gefühlt.«

»Aber – Suse – ich konnte doch gar nicht kommen. Du hattest es mir doch verboten. Du hast es mir doch bei meiner Mannhaftigkeit verboten und mir damit jeden Schritt unmöglich gemacht.«

»Ja – ja. Und doch. Ich konnte mir nicht denken, daß alles damit aus sein sollte. Das war doch unmöglich. Das konnte ich mir nicht denken. Und habe es auch nie gedacht. Nein – nie! Ich bin herumgegangen, habe jeden Augenblick unserer Tage – unsere Tage, habe ich alles das genannt, was zwischen uns gewesen ist – jeden Augenblick habe ich immer, immer wieder durchlebt, mit all seinem Glück und seiner holden Schönheit. Grünheide – unser erstes Finden – den letzten Abend, alles, alles. – Und habe gewartet. Zuweilen ein bißchen ungeduldig und erstaunt – daß du noch nicht kamst – aber nur selten. Sonst wartete ich zuversichtlich, wie man auf das Sichere, Gute, Unausbleibliche wartet.«

»Ja – aber«, stotterte er, »bist du eine seltsame Träumerin!«

Sie lächelte traut. »Ich hatte doch recht. Nun bist du doch gekommen.«

Und sie legte ihr Gesicht an seine Brust und atmete tief und still.

Er blickte auf ihr sanft gerötetes Gesicht, und die alte Angst packte ihn wieder.

»Suse« sagte er, »ich begreife nicht recht. Es hat sich doch nichts von dem geändert, was dich damals bewog, mir den Brief zu schreiben.«

Sie drehte den Körper, daß ihr Hinterkopf gegen ihn lehnte, und flüsterte mit einem kindlichen Lächeln: »Nein – aber ich glaube immer, es könnte doch ein – Wunder geschehen.«

Da beugte er sich zu ihr nieder und küßte ihren kindlichen Mund. Doch die Angst in seiner Brust ward immer schwächer.

»Du – Kind – du«, preßte er hervor, »Wunder geschehen nicht mehr. Es liegt ganz einfach so: ich habe meine Mutter und zwei Schwestern zu erhalten. Erhalten ist nicht richtig. Vorläufig erhalten sie mich und haben mich die letzten sieben Jahre erhalten. Und nun – wollen die beiden Mädchen anfangen zu leben.«

Susanne richtete sich auf. Sie sah vor sich hin in die stäubende Nässe.

»Ich werde ja nun bald angestellt werden«, fuhr er gequält fort. »Wenn ich will, als Amtsrichter. Dann habe ich ungefähr 6500 Mark. Davon kann ich nicht zwei Familien unterhalten.«

Sie schüttelte den Kopf.

»Aber«, fuhr er auf, »um Erhalten und Ernähren handelt es sich auch nicht. Die Mädel zu Hause warten auf den Lohn ihrer Entbehrungen. Auf ihr Leben warten sie. Lisbeth liebt einen Bildhauer – lange schon – ach, so lange. Und sie würde heiraten, wenn sie – – – mit gesicherten viertausend Mark jährlich würden, sie glücklich sein – –

Er schwieg.

Sie fühlten beide, wie sie sich voneinander entfernten. Da nahm er ihre Hand und sagte: »Suse, muß denn immer alles aufs Praktische hinauslaufen?! Können wir uns nicht liebhaben, einfach liebhaben und damit gut.«

Sie blickte zur Seite und antwortete: »Ewald – ich glaube, dazu bin ich nicht reif. Ich habe dir die Gründe geschrieben. Und dann: du kannst nicht verlangen, daß ich mit sehenden Augen in mein Verderben renne. Was kommen würde, weißt du.«

»Nein«, trotzte er, »das weiß ich nicht. Ihr Mädchen denkt euch solche Liebe ganz falsch. Ganz phantastisch. Ihr denkt gleich immer an das Schlimmste – oder vielmehr Beste. Ich wäre dankbar, wenn ich dich nur täglich sehen könnte.«

Da blickte sie ihn lange forschend an. »Dann liebst du mich nicht«, klagte sie endlich leise.

»Doch, ich liebe dich so sehr, daß ich entsagen könnte«

»Ich könnte aber nicht entsagen«, rief sie so heftig, daß er erschrak. »Ich schachere nicht mit mir und teile nicht ab und spare nicht. Wenn ich liebe, dann muß ich geben, was ich zu geben habe. Ich habe keine Kompromißliebe!«

Er streichelte sie und suchte sie zu beruhigen. Stiller fuhr sie fort: »Ich habe solch heilige Achtung vor der Natur, daß mir feststeht: Mann und Weib müssen eins werden, wenn sie sich lieben. Und alles Feilschen und Markten und Rückhalten scheint mir wie ein Betrügen des großen heiligen Willens der Natur. Das kann ich einfach nicht. Es würde mich klein und erbärmlich machen. Und wenn ich zu dir komme – ich will einmal gar nicht an meine Mutter denken. Glaubst du, ich kann das mit der Angst vor Augen, daß du mich eines Tages – fortschickst und hingehst und eine andere heiratest? Nein, Ewald, das kann ich nicht. Das kann ich nicht. Lieber gehe ich an meiner Sehnsucht zugrunde!«

Er fand keine Erwiderung. Sie stand auf.

»Es ist das beste, wir trennen uns wieder«, sagte sie leise. Er erhob sich ebenfalls und antwortete nichts.

Dann gingen sie nebeneinander her durch den rieselnden Regen.

Plötzlich blieb sie stehen, sah ihn mit Augen an, die wie feuchte Türkise glommen, und sagte mit zuckenden Munde: »Ewald – wo treiben wir hin? Ich habe dich so unsagbar lieb. – Nein, sagen kann ich das nicht. So viel Liebes möchte ich dir tun – – Meine Hände möchte ich dir auf den Kopf legen und dich schützen vor allem Bösen. – – Verstehe mich doch! Sei doch lieb zu mir!«

Er blickte verzweifelt vor sich hin. »Ich verstehe dich, Kind. Ich fühle es so gut, wie lieb du mich hast. Lieb sein? Was soll ich tun? Was hilft all meine wahnwitzige Liebe?! Wir rennen gegen eiserne Mauern an, das ist es. Es gibt für uns keinen Weg. Ich bin in meinem Leben gefangen wie in einem Käfig.«

Da sah sie ihm ernst in die Augen und sagten »Dann wollen wir die Größe unserer Liebe haben und uns trennen.«

Es begann jetzt stark zu regnen. Sie winkte einer Autodroschke, nannte ihre Adresse und stieg ein. Er stand verdutzt. »Komm herein!« rief sie. »Jetzt nimm mich noch einmal in deine Arme«, bat sie innig und schmiegte sich an ihn, »und dann gehen wir voneinander, jeder seinen schweren Weg, und behalten uns lieb. Und haben eine lichte Erinnerung für unser ganzes Leben. Und den Stolz, einmal über alles menschliche Maß hinaus geliebt worden zu sein.«

Mit lechzender Verzweiflung preßte er sie an sich. Und dann hielt die Droschke vor ihrer Wohnung. Sie stieg aus und ging hinein. Auf den Stufen zur Haustür wankte sie ein wenig. Aber dann schritt sie hochaufgerichtet die Treppen hinauf. Er konnte von der Straße aus sehen, wie das Licht in ihrem Zimmer aufflammte. »Bahnhof Großgörschenstraße«, rief Hoff dem Chauffeur zu.

Und während er dahinfuhr und der Regen gegen die Scheiben prasselte, dachte er: »Es ist das Beste so – ja, es ist das Beste, wenn es auch das Schwerste ist.«


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