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3.

Freudebeschwingt sprang Hoff die Treppen hinauf. Ganz leise öffnete er die Wohnungstür und schlüpfte in sein Zimmer. Es galt unbemerkt den Frack mit dem Wochentagsanzug zu vertauschen, sonst merkten sie gleich etwas. Sie waren so hellsichtig, seine drei Frauen. Und bei Tisch wollte er dann ganz unauffällig damit anfangen, daß man immer von verkannten Genies rede, die trotz alles Könnens nicht durchdrängen. Und dann würde Herta eifrig in die Debatte springen und Lisbeth würde wohl auch einige durchdachte Worte einwerfen und die Mutter würde mit ihren ernsten, braunen, klugen Augen der Diskussion folgen. Und wenn dann als ganz unwiderlegbare Wahrheit festgestellt war, daß die Mitwelt immer töricht ist und alle großen Geister erst nach ihrem Tode oder frühestens zu ihrem siebzigsten Geburtstag »entdeckt« werden – Herta würde mit Beispielen sofort bei der Hand sein – dann wollte er mit seinem Erfolg herausrücken und sich weiden an dem stolzen Staunen und der beglückten Begeisterung.

Als Hoff ins Eßzimmer trat (es war zugleich Wohnzimmer, Arbeitsraum und Salon), trug Lisbeth gerade die Suppe auf. Die Mutter und Herta legten die Arbeit nieder und setzten sich zu Tisch.

Nur die Hälfte der schwarzen Eichentafel war gedeckt. Denn der Tisch war für die vier Personen viel zu groß. Überhaupt drückten die engen Wände ein wenig auf die wuchtigen stolzen Möbel, die einst ganz anderen Maßen bestimmt gewesen. Aber seligst in diesen kleinen Zimmern wahrten sie ihre schöne Würde. Man hatte nur verkauft, was auch die liebevollste Raumkunst nicht unterzubringen vermochte. Die prächtigsten Stücke aber zeigten wie einst in der Landgrafenstraße ihre edlen Formen und taten ihr Bestes, den Schein einer kleinen, gut bürgerlichen Behaglichkeit vorzutäuschen. Die dunklen, glänzenden Eichenflächen, die strahlenden venezianischen Spiegelaugen blickten pflichtbewußt wohlhabend drein. Es gehörte zum Lebensplan der Hoffs, ihren früheren Verkehr aufrechtzuerhalten. Denn Frau Hoff vergaß nicht einen Augenblick, daß ihre Ziele Verbindungen heischten. Und deshalb scheute sie kein Opfer, ihr Heim zu erhellen und zu erwärmen – für die Gäste. Jetzt freilich hätten die herumliegenden Leinenhaufen und Stickereifetzen allerhand zweifelnden Argwohn erweckt und genährt.

Nun schritt Hoff zur Enthüllung.

»Ich las da heute«, begann er arglistig, »daß sie jetzt Almquist für den größten schwedischen Dichter halten. Zu seinen Lebzeiten haben ihn sehr wenige anerkannt. In Not und Elend haben sie ihn leben und sterben lassen.«

Lisbeth hob die kluge bleiche Stirn: »Almquist?« sann sie. »Ich glaube, ich las einmal von ihm das ›Buch der Dornenrose‹. Ein ganz seltsames« – Hier unterbrach lebhaft Herta.

»Du, Ewald, daß du heute nachmittags nicht fortgehst. Elfriede Damerow kommt zum Kaffee. Ich meine nur, da du gerade von in Not und Elend leben und sterben sprichst.«

Es war, als zöge eine dunkle Wolke über den freundlichen Familienhimmel. Aus Hoffs Augen wich aller schelmische Glanz.

»Ich habe euch doch gesagt«, begann er und seine Stimme klang belegt, »daß Elfriede Damerow nicht in Betracht kommen kann. Ich denke nicht daran, mich an diesen Petrefakten fortzuwerfen.«

»Petrefakt?« rief Herta hastig. »Wieso Petrefakt? Was ist denn überhaupt: Petrefakt?! Sie ist ein sehr schönes Mädchen und gar nicht petrefakt.«

»Es gibt auch schöne Petrefakten«, sagte Hoff etwas ruhiger. »Ich mag aber keine versteinerte Frau. Was soll ich damit? Elfriede Damerow ist hart – steinhart. Sie hat nicht für fünf Pfennig Gemüt.«

»Du kennst sie ja kaum«, wehrte sich Herta. »Nicht drei Worte hast du mit ihr gesprochen.«

»Ich kenne sie gerade genug, um ihr jede Spur von Gefühl abzusprechen. Sie protzt geradezu mit ihrer Seelenroheit. Neulich, wie sie das von ihrer Mutter erzählte! Na –! Also kurz und gut – die Sache ist für mich erledigt.«

Darauf verstummte das erregte Gespräch. Lisbeth beugte ihr Kinn tief zur Brust nieder. Die Mutter spielte mit dem Löffel und sagte endlich: »Ja – aber lieber Ewald, es muß doch mal etwas geschehen.«

»Natürlich muß etwas geschehen«, riß Herta das Wort wieder an sich und streifte energisch die Ärmel ihrer Bluse bis über die Ellenbogen. »So geht's nun schon das ganze Jahr, seit du Assessor bist. Die ist ihm zu dumm, die zu klug, die zu dick, die zu dünn, die zu sentimental, die wieder zu petrefakt. Glaubst du, wir können dir die Mädel malen?!«

Hoff schwieg verbissen.

Lisbeth stand still auf, räumte die Teller ab und brachte eine Schüssel mit »armen Rittern« und Gemüse zurück.

»Ich glaube wirklich, Ewald, du täuschst dich in Fräulein Damerow«, knüpfte Frau Hoff wieder an.

»Ich kenne sie doch auch ganz gut. Aber daß sie hartherzig wäre. Und dann – ein Mann, wie du erzieht die Frau.«

»Gemütsroheit läßt sich nicht aberziehen.«

»O doch. Mit –«

»Ach, Mama, gib doch keine Ratschläge«, rief Herta. »Es sind ja nur faule Ausreden. Ist sie denn gemütsroh?! So ein Unsinn. Weil sie gesagt hat, sie wünschte, ihre Mutter wäre damals gestorben! Das hat sie so unüberlegt hingesprochen. Es ist unerhört, einen Menschen auf ein unbedachtes Wort festzunageln. Ich finde sie reizend.«

»Es kommt doch in diesem speziellen Falle mehr darauf an, wie ich sie finde.«

»Allerdings. Aber du solltest dich wirklich entschließen, einmal eine von unseren vielen Bekannten annehmbar zu finden. Früher, als du Referendar warst, da hattest du immer den großen Mund. Was du alles für uns tun würdest. Und jetzt – nichts ist dir gut genug. Aber –« und plötzlich schlug ihre Stimme über – »ich kann nicht mehr sitzen und sitzen und nähen – und nichts vom Leben haben.«

Und sie warf Messer und Gabel klirrend auf den Teller und schluchzte bitterlich.

»Aber, Kind, Herta!« tröstete die Mutter.

»Ja«, jammerte sie, »du sagst ihm nichts und Lisbeth schweigt sich mit aus. Immer muß ich drängen und stoßen. Und dabei denkt ihr ganz dasselbe. Als ob ich allein die Schlechte wäre. Will ich ihn denn unglücklich machen?! Aber wir können doch alle nicht weiter. Sieh dir Mamas Augen an, wie entzündet die sind von dem ewigen Sticken. Und Lisbeth sagt es nur nicht. Aber sie kann kaum noch sitzen vor Kreuzschmerzen.«

»Ach – nein«, lehnte Lisbeth ab.

»Doch – ich sehe es dir ja an, wie du immer den Mund schmerzhaft verziehst. Glaubst du, ich habe keine Augen – wenn ich auch Petrefakten und so 'n Zeugs nicht sehen kann? Und – und« – sie hatte sich wieder gefaßt, nur zwei dicke Tränen kugelten noch über ihre hübschen rosigen Wangen – »immer älter werden wir. Lisbeth ist bald sechsundzwanzig und ich bin nächstens dreiundzwanzig. Und wir sitzen hier und nähen und nähen und lassen uns zum Narren halten und haben noch nicht angefangen zu leben.«

»Es wird schon kommen«, besänftigte die Mutter, »Ewald wird sich entschließen.«

Hoff blickte düster vor sich hin.

»Die Ehe ist doch kein Blinde-Kuh-Spiel«, murmelte er. »Ich kann doch nicht die erste beste nehmen.«

»Es waren schon sehr nette Mädel, die du ausgeschlagen hast«, blieb Herta unerbittlich. »Wie ein regierender Fürst kannst du natürlich nicht wählen.«

»Gerade die können es am allerwenigsten«, meinte er mit einem vagen Versuch zu lächeln. Da spricht die Staatsraison.«

»Jetzt suchst du mit einem schlechten Witz alles beizulegen«, blieb Herta bei der Stange. »Das tust du immer. Und an jeder hast du etwas auszusetzen, wie nun wieder mit dem Petrefakt. Aber ich schwöre dir, ich rühre keine Nadel mehr an und laß alles gehen wie es will, wenn du nun wieder was hast. Und immer im letzten Augenblick kommst du, als ob das gar nichts kostet! Gerade als ob du keine Ahnung hättest, daß ich eine Nacht durchnähen muß, um bloß das Geld für die Schokolade und die Schlagsahne und den Kuchen zusammenzubringen.« Ihre Stimme drohte wieder feucht zu werden. Sie bezwang sich aber tapfer.

»Es ist doch jetzt wahrhaftig nicht mehr so schlimm«, begütigte Hoff, »seitdem ich die zweihundert Mark von meinem Kommissorium beisteuere. Und nächstens bekomme ich sicher was von meinem Verleger –«

»Du vergißt«, belehrte die Mutter, »daß wir keinen Pfennig mehr auf der Bank haben.«

Darauf schwiegen alle.

Lisbeth saß immer noch tief vornübergebeugt. Diese Gespräche lasteten schwer auf ihrem feinfühligen Sinn.

Herta hatte jetzt ihre Selbstbeherrschung wiedergefunden. Sie lächelte dem Bruder herzhaft zu. »Also gib dir 'nen Ruck, alter Junge! Ich bin fest überzeugt, du wirst glücklich mit ihr. Ich habe so 'n bißchen auf den Busch geklopft und herausgehört, daß Elfriede dich sehr lieb hat. Denke nur, Ewald, wie gut wir es dann alle hätten. Du selbst doch am besten. Und wir alle. Weißt du gar nicht mehr, wie du uns immer das Blaue vom Himmel versprochen hast? Und sie ist doch ein schönes Mädchen.«

»Ja – schön ist sie«, bestätigte Hoff zaghaft. »Ich will es ja noch einmal versuchen – wenn ihr alle meint.«

»Na – also«, jubelte Herta. »Ach, wenn es was würde! Dann –« Und instinktiv preßte sie die Hände an ihren warmen, festen Busen. Sie fühlte ihre Jugend in allen Gliedern. Und sie dachte an den jungen Schauspieler, mit dem sie sich heimlich traf. Wenn sie nur etwas Geld hätten! Dann hatte diese aufreibende Qual des Versagens ein Ende. Und sie heirateten, und dann – dann kam das Glück, das helle, duftende, berauschende Glück. –

Als Frau Hoff vom Tisch aufstand, fiel es Hoff ein, daß er noch nichts von seiner Berufung gesagt hatte. Ein schmerzliches Zucken glitt um seinen Mund.

»Ich bin ins Ministerium berufen worden«, sagte er rauh und unvermittelt.

Alle blickten ihn starr an.

»Ins Ministerium – berufen?« wiederholte Lisbeth.

»Berufen noch nicht. Aber es ist sicher. Ich war heute vormittags bei dem Dezernenten. Er sagte allerhand über mein Buch und daß ich als Hilfsarbeiter ins Ministerium soll.«

»Aber Ewald«, sprudelte die stille Mutter hervor, »das ist doch ein ganz unerhörtes Glück!«

»Ja, es ist schön«, nickte er.

Hertas schneller Geist begann sofort ein Hürdenrennen. »Dann wirst du sicher mal Minister«, entschied sie bündig. »Ganz sicher.«

Die anderen lachten hell auf. Sie hatte es aber gar nicht scherzhaft gemeint. Es war ihre feste Überzeugung. Und sofort überwand ihr fixer Verstand ein weiteres Hindernis.

»Mama«, rief sie, »dann ist es freilich nichts mit Elfriede Damerow. Obwohl ich dabeibleibe, daß sie nicht petrefakt ist. Aber für einen Minister! Gott, was machen wir nur mit der Schlagsahne und all dem Kuchen!«

Und hinaus schwirrte sie, kam jedoch gleich wieder zurück, den Hut auf dem Kopf. »Kinder«, rief sie, »jetzt hab ich's. Esther Honigmann. Die ist's. Schneid' keine Fratze, Ewald. Erstens sind sie getauft und dann sagst du ja immer, dir gilt nur der Mensch. Und die wird dir gefallen!«

»Wie kommst du auf Esther Honigmann?« fragte Lisbeth lächelnd. »Mit der bist du doch ganz auseinander.«

»Auseinander? Keine Spur. Gestern stieg sie vor Wertheim gerade in ihr Auto. Du Ewald, ein Auto! Zum Verlieben! Wir erkannten uns sofort. Sie lud mich ein, mitzufahren. Na – ich habe gleich so 'n bißchen geprüft. Für alle Fälle. Fragte, warum sie noch nicht verheiratet ist und so. Hörte heraus, sie stellt große Ansprüche. Kann sie auch. Sie soll unseren Minister haben.« Damit huschte sie hinaus. Die Mutter eilte ihr nach, um Näheres zu hören.

Hoff setzte sich in des Vaters Arbeitsstuhl und starrte vor sich hin. Ihm war sehr traurig zu Mute. Da fühlte er plötzlich Lisbeths weiche Wange an seinem Kopf.

»Ich freue mich so – sehr – über – das – das« – stotterte sie scheu.

Er wußte, wie lieb sie es meinte. Sie allein von den drei Frauen hatte Verständnis für seine Arbeit. Er nahm ihre beiden Hände und streichelte sie.

»Ach, Ewald«, flüsterte sie, »wie ist das alles schwer – und – häßlich.«

Da lächelte er leise und strich über ihr feines schwarzes Haar. »Es wird schon werden«, sagte er. »Für uns alle. Und vor allem für dich, du Liebe. Das Glück wird noch kommen.«

Eine tiefe Röte strömte in ihr blasses Gesicht. Sie dachte an den Bildhauer, den sie schon so lange liebte, ohne Hoffnung auf ein Heim. Von Jahr zu Jahr glaubte er, jetzt werde ihm der große Wurf gelingen. Aber er hatte keinen Stern.

Dann schwiegen sie und hielten sich stumm bei den Händen.


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