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8.

Am nächsten Morgen erwachte Hoff mit einem peinigenden Gefühl. Er fühlte es gleich, als er die Augen aufschlug. Weit stieß er die Fenster auf und blickte in den graublauen Frühhimmel. Dann wandte er sich ab und kleidete sich mißmutig an. Ja, wie war er bloß dazu gekommen! Sich hinstellen und seine Liebe zu proklamieren. Freilich, die Stimmung bei diesem Sonnenuntergang und vorher ihre Bußpredigt! Solch ein Unsinn! Sie hatte gut reden von Energielosigkeit und Schlappheit! Wie solch junges Ding sich das Leben denkt. Als ob da nichts wäre als Gradheit und Blick-immer-voraus! Keine Ahnung hatte sie von dem, was Mannespflicht sein konnte.

Er trampelte wütend auf, nachdem er sich die Stiefel angezogen hatte.

Und nun stand sie da und redete sich am Ende ein, er habe ihr einen Heiratsantrag gemacht. Und habe Rechte an ihn. Rechte! Woher Rechte? Welche Rechte? Sie hatte einfach die ganze Lage verschoben, das war's. Rechte? Lächerlich. Etwa weil sie ihm eines Tages auf der Landstraße begegnet war und ihn gebeten hatte, voranzugehen, weil es sie nervös mache, wenn er hinter ihr herging. Deshalb Rechte? Wahnsinn!

Er ärgerte sich mit dem Kragen herum. Der Knopf wollte und wollte trotz allen Zerrens nicht in die Öse.

Rechte hatten die drei Frauen, die nebenan schon wieder bei der Arbeit saßen. Die hatten Rechte an ihn, durch Entbehrung und Aufopferung erworbene Rechte. Aber sie? Etwa weil sie schon war? Gewiß, sie würde sich auf das Recht der Liebe berufen.

Verdammt, wo war wieder die Krawatte? Er warf alles wütend durcheinander, bis er endlich entdeckte, daß sie friedlich auf dem Nachttisch lag.

Liebe! Liebte sie ihn denn? Was hatte sie gesagt? Sie wisse es nicht, sie müsse sich Klarheit verschaffen.

Hoffs gekränkte Eitelkeit lachte bitter auf.

Gott, war er ein Narr! Lief dem Mädel nach, trat seine heiligsten Pflichten mit Füßen, bloß weil er sie liebte. Und sie sagte ihm kaltblütig ins Gesicht, sie wisse nicht, ob sie ihn liebe. Jetzt fuhr er in den Rock, und nun wußte er endgültig, daß die ganze Geschichte ein Narrenstück war. Er hatte alles opfern wollen und sich dabei höchst lächerlich gemacht. Es war noch ein Segen, daß sie ihm nicht gleich um den Hals gefallen war und etwas von ewiger Liebe gestammelt hatte. Dann säße er jetzt da. Nun hatte auch er Bedenkzeit. Ja, er auch, nicht bloß sie. Und nun wollte er sich hübsch »finden und Klarheit schaffen«. Und an Energie sollte es ihm wahrlich nicht mehr fehlen.

So dachte Hoff. Aber die quälende Stimmung verließ ihn auch während seiner Arbeit im Ministerium nicht.

Auf dem Heimwege trieb ihn die Furcht, jetzt würde ein Brief von ihr da sein, zu weiten Umwegen.

Sie würde ihm schreiben, sie habe sich nun gefunden und liebe ihn und die Ewigkeit liege hell und rosenrot vor ihnen. Na, und was solch ein junges Mädchen dem Geliebten sonst noch alles vorgirrt. Doch ein Brief war nicht da.

Als sie gerade zu Tisch gingen, klingelte es. Hoff eilte zur Tür. Aber auch jetzt war es nicht der Briefträger, sondern die kleine Emily »unten vom Bäcker«, an den die Hoffs ihren Bekannten telephonische Bestellungen geben ließen.

Emily war ein herziges braunes Mädelchen, mit ihren drei Jahren so gescheit, wie es nur Kinder armer Leute sind, die ihre kleinen Wege schon allein durchs Leben finden müssen. Sie blickte mit wundervoll schwarzen Augen zu Hoff hinauf und sagte mit klarer Stimme: »Ich soll Fräulein Herta Holl was bestellen.«

»So«, lachte Hoff, »was ist es denn?«

Die Kleine aber schüttelte den Lockenkopf, »Fräulein Herta Hoff«, sagte sie mit Betonung.

»Na, dann komm mal rein«, lachte Hoff und schob das Kind in das Wohnzimmer. »Die kleine Dame hat dir was zu bestellen, Herta.«

»Was ist es denn, Emilychen?« fragte Herta.

Da stellte das Kind sich stramm hin und schmetterte heraus: »Fräulein Honigmann läßt schön grüßen und sie kommt heute nachmittag Fräulein Herta Hoff besuchen.«

Das kam so urdrollig heraus, daß sie alle herzhaft lachten. Die Kleine blickte erstaunt auf Herta und verzog das Mündchen. Da lief Herta auf sie zu und lachte: »Fein hast du das bestellt, Emily. Wie ein ganz großes Mädchen. Und die lachen auch nur, weil du es so hübsch gemacht hast. Und hier hast du zehn Pfennig, dafür kaufst du dir Fruchtbonbons bei Kepernickens. Und nun dank ich dir auch schön.« Damit legte sie das Geld in die dargebotene braune Patsche.

Als das Kind die Treppe hinabtrippelte, zwei Tritt zu jeder Stufe, rief Herta ihm noch nach »Emily, hör mal, Martha möchte nachher mal raufkommen.«

Dann kam sie ins Zimmer zurück und setzte sich mit den anderen zu Tisch.

Zuerst waren sie alle ganz still. Keiner traute sich recht, etwas zu sagen. Endlich platzte Herta mit dem erlösenden Wort heraus. »Na – – also!« rief sie.

Da lächelte alles.

Und Hoff sagte: »Nun fährst du als Triumphator einher mit sechs weißen Rossen.«

»Stimmt. Und hinterher schleppte man immer in Banden und Fesseln allerhand Gefangene. War's nicht so? Ach, wie bald wirst du in Banden der Liebe und von Esther gefesselt meinem Triumphwagen folgen.«

»Das Bild ist ein bißchen schief«, wollte er necken. Die Mutter aber unterbrach besorgt: »Wie machen wir es nur?«

»Ich habe Emily schon gesagt, sie soll Martha raufschicken«, beruhigte Herta. Martha war die Tochter der Grünkramhändlerin unten im Keller, eine blitzsaubere, hübsche Person, die sich bei festlichen Gelegenheiten gern für einen Taler von den Hoffs als Vorspiegelung falscher Tatsachen dingen ließ. »Ja, ich meine mit Ewald«, erklärte die Mutter. »Ewald?« überlegte Herta. »Hm, sie hat keine Ahnung, daß hier so etwas wie ein Minister residiert. Aber sehen müssen sie sich natürlich. Das ist gerade der Zweck der Übung. Ich denke, Ewald kommt zum Kaffee herein und schützt nachher Arbeit vor oder 'ne Verabredung oder so was. Damit sie sieht, er ist nicht auf sie versessen. Denn nur ja nichts merken lassen. Sonst schwenkt sie sofort ab, so wie die ist.«

»An dir ist ein Zeremonienmeister verloren gegangen«, scherzte Ewald.

»Wieso verloren? Bei solchen wählerischen Prinzen, wie du bist, komme ich doch sehr zur Ausübung.« – – Und wie Herta gesagt hatte, so geschah es. So geschah es überhaupt immer.

Als Fräulein Honigmann gegen halb fünf Uhr klingelte, öffnete ihr ein sehr hübsches Stubenmädchen in schwarzem Kleid, weißer Schürze und weißem Spitzenhäubchen die Tür. Und dann wurde sie in ein kleines, sehr trauliches Wohnzimmer geführt, wo alles guten Geschmack und eine gewisse wohlhabende Behaglichkeit verriet. Und da war ihre Freundin Herta, strahlend vor Jugend und Übermut wie immer, und Frau Hoff war da in einem schwarzen Taffetkleide, und die feine stille Schwester Lisbeth, die sie auch noch nicht kannte. Und man plauderte über dies und jenes und fühlte sich sehr mollig.

Und der Kaffeetisch war bereits gedeckt mit feinem schneeigen Linnen und vornehmem Meißner Porzellan. Und als das Stubenmädchen den Kaffee und die Schokolade aufgetragen hatte, befahl Herta großmächtig: »Bitten Sie den Herrn Assessor zum Kaffee. Er ist in seinem Zimmer.«

Und Martha ging mit ernstem Gesicht und bat den Herrn Assessor zum Kaffee. Und es dauerte gar nicht lange, und Esther Honigmann hatte ihre stille Verwunderung über diesen jähen Assessor noch nicht recht überwunden, da öffnete sich die Tür und ein hochgewachsener, hübscher Herr trat herein und wurde als Bruder vorgestellt.

Jetzt hätte sich doch eine sekundenlange allgemeine Verlegenheit auf die Tafelrunde niedergesenkt, wenn Herta nicht den aufhorchenden Anverwandten mitgeteilt hätte, auf wie seltsame Art sie ihre ehemalige Schulfreundin Esther wiedergefunden hatte. Eines Tages war sie bei Wertheim vorbeigekommen, und da stand ein Auto. Und da sie eine Vorliebe für Autos hätte, habe sie näher hingesehen, und da – – Sie lauschten alle sehr interessiert.

Dann sprach man von Theater und Konzerten, und da kam es zu einem lebhaften Gespräch zwischen Fräulein Honigmann und Hoff. Bei dem zweiten Satz der fünften Beethovenschen Sinfonie begegneten sie sich, Und schwelgten eine Weile in abgerissenen Gesangsproben und gepfiffenen Takten und allgemeiner Begeisterung. Und wie bei solchen Gelegenheiten Gespräche abreißen und anknüpfen, war man plötzlich mitten drin in einem sensationellen Mordprozeß. Ein junges Mädchen hatte ihren Vater erschlagen, weil er die Mutter oft mißhandelte.

Lisbeth sagte schlicht, Mord sei immer etwas so Rohes, Unmenschliches, daß sie nicht begreife, wie ein Mädchen eine solche Tat mit Überlegung ausführen könne. Herta meinte, es komme darauf an. Esther Honigmann aber sprach sehr ernst und überlegt: »Ich glaube, jedes Verbrechen ist begreiflich. Kein Mensch frevelt zu seinem Vergnügen. Es muß psychologisch zu verstehen sein. Und diese junge Gertrud Heim. Ich finde, sie ist eine tragische Heldin. Aus Liebe zur Mutter den Vater ermorden! In ihr muß ein ganz großes Weib begraben liegen.«

Ihre schwarzen Augen strahlten silbern vor Begeisterung.

»Ich bin bei den Verhandlungen gewesen«, sagte Hoff. »Die Angeklagte macht in der Tat den Eindruck einer – Heldin, die sich – verirrt hat.«

»Meinen Sie, daß sie verurteilt werden wird?« fragte Esther eifrig.

»Ohne Zweifel.«

»Zum Tode?«

»Da Mord vorliegt – gibt es keine andere Strafe.«

»Das ist furchtbar«, rief Esther erregt »Nennen Sie das Gerechtigkeit?«

Hier spielte Herta einen kleinen Trumpf aus.

»Da bist du gerade an die richtige Adresse gekommen, Esther. Ewald wird in Zukunft für die in Deutschland waltende Gerechtigkeit ein wenig mitverantwortlich sein. Er ist nämlich im Ministerium und arbeitet mit an der Reform des Strafprozesses.«

»Ah!« rief Esther interessiert.

»Ja«, lächelte Frau Hoff, »mein Sohn ist ja auch in solchen Fragen eine gewisse Autorität.«

»Na, na, Mama«, beschwichtigte Hoff.

Fräulein Honigmann blickte fragend umher.

»Er schreibt ein Werk über die Geschichte der Strafrechts«, erklärte Lisbeth.

»Und darauf hin ist er auch ins Ministerium berufen worden. Der erste Band ist nämlich schon raus«, fügte Herta bei. »So – nun weißt du genau Bescheid über unsere Berühmtheit.«

Hoff lächelte verlegen. »Es ist nicht so schlimm. Mutter und Schwestern natürlich – –«

»Oh«, sagte Esther, »wenn Sie bei Ihrer Jugend ins Ministerium berufen sind und an dem neuen Gesetz mitarbeiten, das spricht doch deutlich. Dann sind Sie wirklich die richtige Adresse. Ich interessiere mich brennend für kriminelle Fragen. Sie hängen so eng zusammen mit meiner Tätigkeit im Verein zur Besserung gefallener Mädchen Daher ...«

»Ach – so«, begriff Hoff und sah ihr aufmerksam in das intelligente Gesicht. »Daß Sie dort arbeiten, ist sehr – – gut von Ihnen, gnädiges Fräulein.«

»Gut? Nein. Ich halte es für die Pflicht meiner sonst nutzlosen Kräfte, sich zum Wohle der Mitmenschen zu betätigen. Das ist alles.«

»Es ist jedenfalls sehr schön«, entschied Frau Hoff und hob die Tafel auf.

Programmgemäß entschuldigte Hoff sich jetzt. Er habe leider noch eine einige Arbeit für morgen. Aber als Fräulein Honigmann dann ging, wurde er trotz ihres Protestes noch einmal herbeigerufen.

»Ich komme wieder einmal«, sagte sie, »und dann müssen wir ausgiebig über Verbrecherseelen miteinander debattieren. Ich debattiere überhaupt so gern. Da rinnt das Blut so saftig heiß durch die Adern. Adieu, Herr Assessor!«

»Adieu, gnädiges Fräulein! Finden Sie sich übrigens hier in der Gegend zurecht?«

»Oh – ich nehme einen Taxi.«

Aber er brachte sie doch bis zum nächsten Droschkenhalteplatz.

Ais er zurückkam, forschten sechs Augen gespannt in seiner Miene. Er nickte. Da faßte ihn Herta an beiden Armen.

»Du, nicke nicht so paschahaft. Sag, daß sie reizend ist.«

»Klug ist sie«, sagte er, »und sehr angenehm.«

»Puh, – wie reserviert! Aber wir kennen dich, du Großmogul! Du warst ganz futsch. Und das Hinabbegleiten. Das redet Bände!«

Und als sie wenige Augenblicke später bei der Arbeit saßen und freudig erregt plauderten, lachte Herta plötzlich still auf.

»Was ist?« fragte Lisbeth.

Aber sie konnte es nicht sagen, denn es waren eigene warme Liebesgedanken.


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