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Eine Einladung an Li Po

[Im kalten Herbstmond – im achten oder neunten –
Ist silbrig klar der Tau und öd der Gartenbaum.]

Wie ich verdrossen dasaß, jeglichen herzlichen Aufschwungs bar,
Hört ich des Winds Gewisper im Wipfellaub
Und sehnte mich, einen Freund zu sehn, einen Mann von Wissen und Werten,
Vergangnes und Gegenwärtiges mit ihm zu bereden,
Als plötzlich – wer denn auch anders – du kamst, verehrungswürdiger Li.

Ich grüßte dich hocherfreut, nur bedauernd, daß du nicht eher da warst.
Ich klatschte in meine Hände zu deinen entzückenden Äußrungen.
Wir sprachen von geistigen Dingen, wir schüttelten uns vor Lachen.
Du erklärtest den Abwechsel vergangner Herrscherhäuser
Und stelltest der Könige Großtaten ins rechte Licht.

Ein Ranzel voll Bücher auf deinem Rücken,
Gehst du tausend Meilen und mehr, ein Pilgrim,
Unter deinem Ärmel, da ist ein Dolch,
In deiner Tasche eine Sammlung Gedichte.
Deine Augen scheinen wie strahlende Himmelskörper,
Wenn du deine unvergleichlichen Lieder und Sänge sprichst.
Du schlürfst den Wein und läßt die Saiten deiner Laute schwirren,
Wenn der Atem des Winters zu kristallenem Froste erstarrt.

[Heut leg ich alle Wünsche offen dir dar,
Die ich seit langem im Busen trage.
Nun, meine Familie besitzt eine Villa,
An der Nordseite des Berges Sung gelegen.
Man sieht den leuchtenden Mond über die Gipfel steigen
Und sein klarer Strahl erfüllt die hellen Gewässer mit Silberglanz,
Wolken zerstieben dort und das Haus liegt voll Ruhe,
Der vorbeistreifende Wind trägt Duft von Fichten und Zimtbaum herbei.
Wenn du geruhen würdest mit mir einen Besuch dort abzustatten,
So würd ich es dir nicht vergessen, für tausend Jahre nicht.]

TsuiTsung-chi (700-768)


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