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An seinen Freund Wei,
den guten Gouverneur von Chiang-Hsia

Geschrieben in Erinnerung an die alte Freundschaft während
der Tage der Verbannung nach den Wirren des Krieges

Einst sucht ich mit ihren fünf Palästen und zwölf erhabnen Türmen
Die Stadt von weißer Jade im Himmel.
Glücksgötter streiften mir da die Stirn,
Und ich band mein Haar und empfing das ewige Leben.
Weh mir, zu den Lüsten der Welt wandt' ich mich,
Sann über Krieg und Frieden
Und über die Herrschaft der 96 erlauchten Könige,
Deren leerer Ruhm im treibenden Dunste hängt.
Ich konnt' die getümmelerfüllten Schlachten nicht vergessen.
Versuchend, Himmel und Erde unter einen Hut zu bringen,
Pflegt' ich mit Liebe die Staatsbaukunst.
Mütze und Wagen des Mandarins sollte dies mir gewinnen,
Aber mit arger Enttäuschung verfuhr da die Zeit.
Ich gab meine Hoffnungen auf, ging und wanderte weit,
Ich erlernte die Schwertmannsschaft und lachte über mich selber.
Den Schreibpinsel führt' ich – was hab' ich mit all dem vollbracht?
Ein Schwert vermag es ja nicht, gegen tausend Feinde zu fechten,
Der Schreibpinsel stahl von den vier Meeren Ruhm.
Kindereien aber sind[s,] nicht wert [sie] zu erörtern ...
Ich seufzte fünfmal und ging aus der Westlichen Hauptstadt,
Mein Hutband war naß von Tränen zur Stund der Trennung.
Du warst es, mein Freund, vorzüglich und weise,
Du Blüte unsrer Rasse ohnegleichen,
Der, mich zu erbauen, Matten legte und Vorhänge zog
Zum Abschiedsfest, als ich zur Ferne fahren sollte.
Du kamst, mich zu geleiten, samt deinen Gefährten zu Pferd,
Ins Land hinaus mit mir bis zur Ritterschenke:
Da ging unter Singen und Schellenklingen,
Eh' unsre Herzen genug hatten,
Prunkend die Sonne unter in den [Kun-Ming]-See.
Im Herbstmond kam ich an im Pekingerland
Und sah die Legionen der sternstrahligen Speere.
Das Nordland an der See, von unserem lieben Kaiser verlassen,
Und einem Ungeheuer anvertraut, das wie ein Wal
Mit einem Zuge hundert Flüsse austrinkt,
Ward schnell brüchig bis zum äußersten Zerfall.
Ich erkannte dies wohl, doch konnt' ich's nicht aussprechen
Und wünscht' mir vergeblich, auf der Fabelinsel sorglos zu leben.
Ich war wie ein Schütz, der vom Wolf beblickt,
Den Pfeil ansetzt, doch sich nicht traut, den Bogenstrang zu löcken.
Bei der Goldpagode vergaß ich meine Tränen.
Ich schrie zum Himmel und klagte um König Chao.
Es gab keinen, der die Beine eines schnellen Rosses höher geschätzt.
Umsonst bäumte das flinke Schwarzohr sich lustig auf,
Und eitel war's, daß ein andrer Yo-I erscheine.
Ich stockerte weiter, hauslos, ein Uneinheimischer. Alles schlug fehl;
Ich sputete mein Pferd und fand mich in deiner Stadt.
Ich traf dich und lauschte deinem Sang und deinen schwirrenden Saiten,
Mit Gepränge sitzend in deinem blumengemalten Gemach.
Dein Amtsbereich einzig besaß den Frieden [der Vorzeit].
Und einen Hauch von Behagen, das einst den mystischen König Hsi in Schlummer gelullt.
Spielleute riefst du herein, und die Halle war fröhlich,
Die Gasttafel mit Krug und Becher beladen,
Daran Reihen gutaussehender Männer mit motteaugbrauigen Mädchen saßen.
Unser Fest ging dahin im Licht der lodernden Leuchtbecken.
Wir tanzten betrunken zwischen durcheinandergeratenem [Seiden]gestühl,
Und um das Sparrengetäfel schwärmte unser heller Gesang.
So währte unser Gelage sogar bis in den lichten Tag.
Du aber kehrtest zurück zur Hauptstadt, deine Amtszeit war um.
Was für eine Menschenmenge versammelte sich da zu den Lebewohlsage[feiern].
Und diese Zelte, nah und fern, zu Seiten der Straße errichtet!
Einmal geschieden, waren wir nun durch tausend Meilen getrennt
Mit unseren Schicksalen, wie Sommer und Winter.
Sommer und Winter gingen – wie viele Male?

Und plötzlich war der Bau des Reiches zusammengebrochen.
Das kaiserliche Heer traf den Barbaren-Feind,
Der Rauch des Schlachtgefildes verfinsterte Himmel und Meer,
Sonn und Mond waren länger nicht helle,
Als der Wind des Todes Gras und Bäume schütterte.
Und die weißen Gebeine zuhauf geschichtet wurden –
Oh, was haben sie getan – die Unschuldigen?

Ein einziger Paß beschirmte des Kaisers Prunksitz,
Und das Schicksal des Reichs hing an dem verräterischen Feldherrn [Khu-Shu].
Mit 30000 Langspeermannen ergab der sich
Und öffnete der wilden Horde das Tor.
Sie machte die Höflinge zahm wie Schaf und Hund
Und metzelte jeglichen Rechtgesinnten und Treuen,
Herrscher und Erbprinz flohen aus ihrem Palast,
Und die Zwillingshauptstadt ward gebranntschatzt und verheert.
Der kaiserlich Prinz, mit dem Oberbefehl betraut,
Zieht mit seinen Armeen ins Hankauer Bollwerk.
Aber da war keine Mannszucht, schlecht und recht,
Seine Anführer scharten Bären und Tiger in ihren Reihen,
Und die Mannschaft schwankte in Zweifel und Furcht,
Als der Aufruhr wie Sturmwind wütete.
Du verteidigtest damals die vorderste Flußstadt [Fang-ling], ich entsinn mich,
Mit Hochsinn, den kein andres Alter übertraf.

Ich lebte damals im Weihrauch-Brenner-Gebirg,
Aß Nebel und wusch mir den Mund im kristallenen Brunnen.
Die Haustür ging auf die gewundenen neun Flüsse hinaus,
Und unterm Haupt meines Kissens lagen die fünf Seen, miteinander verbunden.
Als die Flotte stromauf kam um Mitternacht
Und die Nachbarstadt mit Flaggen und Bannern erfüllte,
Ward ich von meinem eignen leeren Namen verraten,
Mit Gewalt an Bord des Kriegsschiffs geführt.
Fünfhundert Goldstücke gaben sie mir,
Ich schob sie weg, achtlos wie eine [Wolke und achtete ihrer nicht].
Verschmähte die Gabe und den angebotenen Titel –
Für all das ward ich verbannt nach Yeh-Lang-Land.
Oh, die tausend Meilen lange Straße nach Yeh-Lang-Land!

Die Reise so weit westwärts machte mich alt.
Obgleich die Welt wieder in Ordnung kam,
Blieb ich nicht-geachtet wie ein Halm erfrorenes Gras.
Sonn und Mond scheinen herunter auf alle gleich,
Wie also könnt' ich den Himmel des Ungerechtseins zeihn?
Du guter Statthalter, als Gott verehrt,
Hattest Mitleid mit dem alten, alten Freund.
Du ludest mich als Ehrengast ein zu dir.
Dreimal stiegen wir zum Turmhaus des Gelben Kranich hinauf.
Ich wehschauerte, wenn ich des Einsiedlerdichters [Mi Hsien] aus alter Zeit gedachte.
Wie würde er dasitzen und beschaulich die Papagei-Insel genießen!
Kein Held mehr wurde geboren auf dem [Zauber] Berg,
Und Herbstverödung überzog die Welt.
Doch sieh, der Fluß schwoll von den Gezeiten der Drei Schluchten
Und von den tausend Dschunken, die diese Wasser bedrängten,
Weiße Segel wurden gerichtet und glitten dahin gen Nanking.
Wenn ich hinsah auf dies, schmolz mir der Kummer vom Herzen.

Wir saßen beim tüllbehangenen Fenster, das in den Himmel stieß
Über die grünsträhnigen Bäume, die am Ufer hin wuchsen.
Wir sahen der Sonne zu, bang, bis sie vom Gebirge verschluckt ward,
Waren heiter beim Mondaufgang und tranken noch mehr Wein.

Jene Mädchen vom Nankinger Land und die hübschen Gören vom Südmeerried,
– Wie fein ihre rosnen Gesichtchen –
Sie kamen die lange [Treppen]flucht herab, tauchten
Hinter den bambusgeflochtenen Schirmen auf, lächelnd,
Und tanzten, seidengewandet, im Frühlingswind.

Der Gastgeber war jeglicher Pause abhold,
Obgleich die Gäste hinknieten und Rast erbaten.
Du zeigtest mir dein Gedicht auf den Rätselberg,
Das mit der eingeborenen Schönheit des Lotos wetteifert,
Der ungeziert aus dem schimmernden Wasser steigt.
Du riefst mich für ständig zu deinem Amtssitz,
Dein Herz schwoll dir über von freudvollem Wesen,
Dem geräumigen Haus, dessen rotes Tor
Von Langspeermannen in stattlicher Reihe bewacht war.
Zwischen wunderlich zubehaunen Steinen und geputztem Bambus
Kam ein Flüßchen, geschwellt mit durchsichtigem Wasser.
Wir gingen hinaus und saßen im Uferlusthaus
Und schütteten unsere Seelen aus in heldenmütigen Reden.
Ein Wort zwischen uns ist köstlich wie weiße Jade
Und eine Bürgschaft von uns mehr als gelb Gold.
Ich war deiner nicht unwert, erkühne ich mich zu sagen,
Und schwor beim Blauen Vogel auf meine Treu.

Die Glücksatzel kam unter fünffarbnen Wolken
Geflogen und schrie vom Himmel her.
Der Erlaß meiner Begnadigung kam an, ward mir gesagt
Und ich konnte rückkehren aus der Verbannung von Yeh-Lang-Land.
Es war, wie wenn ein erfrorenes Tal unter der Wärme auflebt
Oder als ob Feuer und Flamme aus der toten Asche aufspringt.
[Doch die Hunde von Chieh belfern gegen Yao
Und die Tartaren spotten des kaiserlichen Befehls.
Mitten in der Nacht seufze ich vier-fünfmal,
Bekümmert über die großen Angelegenheiten des Kaiserreichs.
Noch bedecken die Kriegsbanner die Seiten der beiden Gebirgszüge,
Zwischen denen der Gelbe Fluß dahinfließt.
Unsere Generäle, gleich aufgeschreckten Hühnern, wagen keinen Vorstoß.
Sie fahren einfach fort, ihre trägen Pferde zu tränken.
Ach, wo werden wir einen Bogner finden wie Hu-I,
Der mit dem ersten Pfeil den Unstern herabschießen wird?]


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