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Wenn man ihn sich denkt, wie er solche Sätze mit seinem Federkiel niederschreibt – wirklich mit der Gänsefeder; eine Stahlfeder hat er zeitlebens nicht in die Hand genommen –, dann ist gleichwohl immer wieder etwas in ihm, das man früher mit dem schönen Wort inkommensurabel auszudrücken liebte; kurz und gut, er ist und bleibt so, wie man von Rechts wegen nicht sein sollte. Und diese zusammenfassende Formulierung würde mir wenn auch vielleicht eine Rüge von manchem seiner lauten Freunde, so doch wahrscheinlich von ihm selbst einen zustimmenden Klaps auf die Schulter eintragen; denn nichts wäre ihm mehr gegen den Strich gegangen, als daß man ihn zu einem Säulenheiligen – und sei es auch einem des »goldenen Humors« – erhoben hätte, an dessen Standbild neue Knopps, Filuziusse, Bählämmer sowie Tanten und Onkel aller Grade ihre feierliche Andacht verrichteten. Wenn je ein Künstler als Sonderling sich in jedem Betracht außerhalb stellte, so Wilhelm Busch – darüber täuscht auch nicht hinweg, daß er die Formen des äußeren Lebens wie nur je ein Kanzleirat wahrte, von dem die andern etwa sagten: Er ist ein bißchen schrullig. Wenn er nur geheiratet hätte! Immerhin hat er sein Auskommen!
Er war trotzdem, ja erst recht eine von herzhafter Dämonie getriebene Ausgeburt der niedersächsischen Landschaft, die ihn darum auch sein Leben lang nicht losließ. Man kann, wenn man größere Worte mehr liebt, auch sagen, ein Genie, denn er ließ sich auf nichts ein, das seinem originalen Wesen nicht ganz entsprochen hätte.
Ein Einsiedler, der sich besser darauf verstand, die Unken im Dorfteich zum Reden zu bringen als mit Menschen umzugehen, erlebte er zur gleichen Zeit, da er die Welt floh, eine Popularität, die mit den Jahren jener des großen Unbekannten, Volksmund genannt, zum Verwechseln ähnlich wurde – und ihm grauste vor ihr so, daß er sich in die letzten Gewinde seines Schneckenhauses zurückzog. Warum? Weil seine Echtheit so sehr der Echtheit des Volksmundes glich, daß es ihm peinlich war, zwischen diese Harmonie als ein Mensch namens Wilhelm Busch aus Wiedensahl störend einzugreifen. Hat es in späteren Zeiten eine im Menschlichen auch nur entfernt so großartig selbstlose Künstlernatur gegeben? Es hätte geschehen können, daß ihm Sprüche wie:
Vater werden ist nicht schwer,
Vater sein dagegen sehr.
Oder:
Das Gute – dieser Satz steht fest –
Ist stets das Böse, was man läßt.
Oder:
Enthaltsamkeit ist das Vergnügen
An Sachen, welche wir nicht kriegen.
ins Ohr geklungen wären, und er hätte sie lächelnd als Volksmund gelten lassen, ohne auch nur daran zu denken, sich als Urheber in Erinnerung zu bringen.
Welch seltenes Original, das keinen Anspruch darauf erhebt, eins zu sein!
Wenn der alte Wilhelm Busch durch seine Landschaft spazierte, philosophierte er oft über die letzten Dinge. Der Gedanke an den Tod konnte ihn schon lange nicht mehr aus der Ruhe bringen, geschweige denn erschüttern. Aber dieses Bewußtsein einer großen Gelassenheit ging nicht auf einen Glauben im kirchlichen Sinne zurück, obgleich Busch bis an sein Ende mit einem Neffen zusammenlebte, der Geistlicher war. Nur selten wohnte er einem Gottesdienst bei, und dann konnte es noch passieren, daß ihn der mangelhafte Gesang oder das zu breite Maul oder die ihm nicht echt erscheinende Andacht eines Gläubigen verstimmte, so daß er keineswegs erbaut die fromme Stätte verließ. Seine Gläubigkeit war von anderer, schwer zu bestimmender Natur – oder vielmehr, da das Wort gerade gefallen ist: sie kam allein aus der Natur. Dabei mochte eine vage Vorstellung von Wiedergeburt und Seelenwanderung, der er schon früh zuneigte und auf die er auch später immer wieder zurückkam, gefühlsmäßig dazu dienen, etwas wie eine Brücke von seinem zum hergebrachten Glauben darzustellen.
Einmal sagte er: »Die Ungewißheit über das Wo und Wie unserer Wiedergeburt ist ein Hauptbestandteil unseres Widerwillens gegen den Tod. Wir werden einen neuen Stall finden und eine neue Laterne.«
Und in einem Gedicht, »Wiedergeburt«, das er für den Nachlaß aufsparte, sagt er:
Keiner fürchte zu versinken,
Der ins tiefe Dunkel fährt.
Tausend Möglichkeiten winken
Ihm, der gerne wiederkehrt.
Dennoch seh ich dich erbeben,
Eh du in die Urne langst.
Weil dir bange vor dem Leben,
Hast du vor dem Tode Angst.
Wenn man ihn beim Wort nehmen darf, so »glaubte« er schon beizeiten: »Unsere Philosophie nach dem dreißigsten Jahre heißt Glaube.« Aber wer meint, daß nun eine Art kirchlichen Bekenntnisses folgen müsse, der wird erstaunt sein, weiter zu lesen: »Ich glaube, daß schlechte Verse die beste Poesie verzwicken. Aber ich glaube ebenso fest und gewiß, daß die schönste Poesie einen rhythmischen Gang und eine melodische Stimme hat – wie das schönste der Mädchen«, was mit den nämlichen Worten von einem der vielen »Heiden« ausgesprochen sein könnte, auf die der Vers aus dem »Pater Filucius« zutrifft:
Ach, man will auch hier schon wieder
Nicht so wie die Geistlichkeit!
Er las und blätterte ebenso gerne in »Brehms Tierleben« wie in der Bibel, aber das hatte gewiß nichts mit der Rationalisierung religiöser Begriffe zu tun, wie sie damals durch den Jenaer Professor Ernst Haeckel und andere »populär« gemacht wurde, worüber sich Busch nicht genug amüsieren konnte – sofern ihn »der Aberglaube solcher Kerle« nicht ernsthaft ärgerte, die alles einfach »bewiesen«, womit er sich herumschlug und abrackerte.
Es war ungeachtet alles anscheinend Nur-Jdyllischen ein weiter Weg für ihn bis zu dem in drei Teufels Namen denn doch einmal in Besitz genommenen Idyll der großen Resignation, von der er – auch wieder mit der Bestimmung, daß es für den Nachlaß zurückbehalten werden müsse – dichtet:
Beruhigt
Zwei mal zwei gleich vier ist Wahrheit.
Schade, daß sie leicht und leer ist,
Denn ich wollte lieber Klarheit
Über das, was voll und schwer ist.
Emsig sucht ich aufzufinden,
Was im tiefsten Grunde wurzelt,
Lief umher nach allen Winden
Und bin oft dabei gepurzelt.
Endlich baut ich eine Hütte.
Still nun zwischen ihren Wänden
Sitz ich in der Welten Mitte,
Unbekümmert um die Enden.
Wenn man bedenkt, daß sich dieses Diogenes-Dasein lange Jahre Wand an Wand mit einer Pastorenfamilie abspielte, so kann man für die gutartige Duldsamkeit auf beiden Seiten, die ja schließlich nichts anderes als wahre Frömmigkeit im Gegensatz zum Formelchristentum bedeutet, nur ehrliche Bewunderung aufbringen.
Mit den Jahren ließ die Schärfe der Augen empfindlich nach, und da offenbart sich wieder Buschs nahezu sagenhaft anmutende Unzweideutigkeit in allen Dingen: Er gibt das Malen, ja sogar das Zeichnen, das inmitten der Natur allmählich seine einzige unmittelbare Ausdrucksform geworden war, ganz auf. Die flächige und auf »große Wirkung« ausgehende Art der mittlerweile aufgekommenen Karikaturisten, die in neuen Zeitschriften von sich reden machten, gefiel ihm ganz und gar nicht. Das sei kein Zeichnen mehr; mit solchem Notbehelf wolle er nicht anfangen und wenn es für ihn noch so sehr praktisch eine Lösung bedeute. Wieviel andere würden sich so entschieden haben? Er blieb sich treu: Was er bei jenen nicht richtig fand, tat er selbst um keinen Preis – und wenn es ihm, dem überragenden Könner, noch so sehr in den Fingern kribbeln mochte, er ließ den Zeichenstift ruhen und bastelte nun nur noch an den Prosasachen »Eduards Traum« und »Der Schmetterling«, die dafür aber auch in der sprachlichen Bildgegenständlichkeit bewiesen, daß bei der Übersetzung aus dem Zeichnerischen ins Dichterische unendliche Geduld am Werke war, um die Erfahrungen eines Lebens auf dem knappsten Raum zu gestalten.
Als der Pfarrerneffe 1898 nach Mechtshausen im Harz versetzt wurde, folgte ihm Busch bald nach und bewies damit, daß ihm die Verbundenheit mit Menschen doch näher lag als die mit der engeren Heimat, was man von ihm kaum noch erwartet hätte, denn er war nun schon so weit mit sich im Reinen, daß er, wenn er je einmal verreiste, immer einen Zettel mit seiner Adresse und der Bitte, im Falle seines Todes zu telegraphieren, in der Tasche trug.
Je weniger er sich mehr aus der Welt machte, um so mehr machte sich die Welt aus ihm – wie es so geht, wenn die Wirkungskraft eines Lebenswerkes schließlich an die äußersten Grenzen des Erreichbaren gelangt. Die Menschen von der Presse behandelten ihn, wenn er Geburtstag hatte, wie einen gängigen Marktartikel, dem Respekt gebührt, und er freute sich, wenn es ihm gelang, ihnen zu entkommen. Dafür pflegte er Unterhaltungen mit kleinen Leuten aus dem Dorfe, wie mit dem alten Betreuer des Pfarrhausgartens, dem er jeden Morgen mit dem höflichen Angebot: »Ist Ihnen eine Zigarre gefällig?« seine Tasche präsentierte, was jedesmal die gleiche Antwort zur Folge hatte: »No, warumme denn nich?« Auch ereigneten sich Vorkommnisse wie das in dieser Briefstelle geschilderte: »Vor einigen Tagen schickte mir so eine alte Tante son Lappen und bat mich, meinen Namen darauf zu schreiben, den sie dann sticken wollte. Son albernes Frauenzimmer, und dann mußte ich den Lappen auch noch wieder einschreiben lassen beim Zurückschicken.«
Und eines Tages fühlte er sich bei aller geistigen Frische und Interessiertheit ein bißchen abgeschlagen. Es war zwei Tage vor Weihnachten des Jahres 1907. Das wissen wir so genau, weil er an diesem Tage einen Brief schrieb, in dem die geheimnisvolle Wendung enthalten ist: »Ich stehe auf der Grenze von Hier und Dort, und fast kommt es mir vor, als ob beides dasselbe wäre.«
Und vierzehn Tage später war er wirklich »dort«.
Pfarrer Nöldeke, der ihn tot auf dem Bett fand, als er von einem Gang zurückkehrte, hatte den Eindruck eines Bildes verklärter Ruhe, und sogar die Berliner Berichterstatter, die mit Photographen herbeieilten, blieben verhältnismäßig friedlich, obgleich sie nicht ins Sterbezimmer gelassen wurden. Der gute Neffe wiederum bewies seine Liebe über das Grab hinaus, indem er dem Onkel, der derartiges nie gemocht hatte, keine Leichenrede hielt. Nur die Schulkinder sangen ein Lied von Ernst Moritz Arndt. In einer Trauerweide aber schilpte ein Spatz, und man darf annehmen, daß aus dem Vogel die Stimme des toten Humoristen tönte, der diese passende Gelegenheit nicht vorübergehen lassen wollte, ohne seinem Glauben an eine Seelenwanderung noch einmal Ausdruck zu geben.