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Im Jahre 1832, einen Monat nach Goethes Tod, wurde Wilhelm Busch geboren. Sein Vater, ein Bauernsohn aus dem westfälischen Dorf Ilwese, war Krämer in Wiedensahl geworden, einem kleinen hannoverschen Nest an der Grenze von Westfalen und Schaumburg-Lippe, wo heute noch so urtümliches Plattdeutsch gesprochen wird, daß Wiedensahl zum Beispiel Wiensaol heißt. Die Ebene dort liegt nicht weit weg vom Münsterland, in dem Annette von Droste-Hülshoff geboren wurde; wo ihre »Judenbuche« stand und ihr die mystischen Worte zum Gedicht wurden:

Helo, heloe –
Komm du auf unsre Heide,
Wo ich meine Schäflein weide –

Ja, heidnische Überlieferungen gingen dort allenthalben noch um, als der Knirps Wilhelm Busch mit frommem Schauder in den Nächten das wilde Heer durch die Luft brausen hörte und auch tags manches erlebte, was ihm sowohl entzückend wie gruselig erschien. Was war das doch für eine Wohnstätte, dies »Wiensaol«! Die Häuser waren mit Stroh gedeckt; über dem offenen Herd hing der Kessel oder stand der Dreifuß; ja sogar Zunder gab es noch, und man holte ihn sich selbst aus dem Wald, um Feuer zu schlagen – wenigstens die ganz Alten taten das noch. Und in der Nähe gab es einen »Drusenwall«, um den fürchterliche Geschichten von Überfällen und Plünderungen durch die bösartigen »Schlüsselburger« von der Weser umgingen.

Und was waren das für Abenteuer, wenn einmal Verwandte im Solling besucht wurden, wie der Wald zwischen Leine und Weser genannt wird. Da reiste man zu Wagen, denn die Bahn gab es noch nicht und an den Grenzen von einem halben Dutzend Ländchen mußte man rüde Zollschikanen über sich ergehen lassen, weil man ja nicht zu den »Oberen« gehörte, vor denen sich die Zöllner bückten. Es war, mit wenig Worten, die »gute alte Zeit«, die mit ihrer charaktervollen und wohl auch ein bißchen muffigen Starrsinnigkeit wie mit ihrem von der Zivilisation noch gänzlich unberührten, aber eben darum vielleicht doch hellsichtigen Niedersachsentum in der Seele des kleinen Jungen, der einmal der Lieblingsspötter der Deutschen werden sollte, jene ersten Eindrücke festlegte, die für immer bestimmend sind.

Er war der älteste von sieben Geschwistern. Nur bis zum zehnten Jahr blieb er in Wiedensahl, was aber nicht hinderte, daß er schon damals mit den Händen auf dem Rücken gravitätisch um den Dorfteich schritt und dem Gequarr der Unken mit einer – wenn man so sagen darf – embryonalen Skepsis lauschte: einerseits glaubend, daß sie sich Bedeutsames mitzuteilen hätten, und andrerseits einen fernen Dämmer von der wehmütigen Komik alles Mitteilungsstrebens auch der winzigsten Kreatur empfindend. Es ist dies nicht so sehr in das Kind hineingedacht als vielmehr wahrscheinlich, weil der Junge schon um diese Zeit mancherlei Gedrucktes in die Hände bekam und alles mit einer Gier verschlang, die Dorfkindern sonst fremd ist: Kalendergeschichten, Gedichte, sogar freireligiöse Schriften, die in der Zeit nach 1840 in keiner noch so braven »Gartenlaube« fehlen durften, denn der gutbürgerliche Nationalismus kehrte als Schrittmacher der 48er Revolution mit Vorliebe sogar in Pfarrhäusern ein.

Nach dem zehnten Jahr kam der kleine Wilhelm zum Bruder seiner Mutter, dem evangelischen Pastor Kleine, nach Ebergötzen bei Göttingen, wo er liebevoll betreut und wie das eigene Kind gehalten wurde. Hier nun und noch mehr in Lüethorst, nicht weit von Einbeck, wohin der Onkel dann übersiedelte, stürzte sich der heranwachsende Wilhelm mit wahrer Gefräßigkeit auf die Bücher. Sogar in die »Kritik der reinen Vernunft« versuchte er einzudringen, welchem überstürzten Unterfangen allerdings durch den Onkel Einhalt geboten wurde – nicht so sehr wegen der vermeinten Gefährlichkeit, als vielmehr, weil er anderes für wichtiger hielt. Er war nämlich ein leidenschaftlicher Bienenzüchter und stellte sogar ein Fachblatt zusammen, in dem er mit einem katholischen Kollegen, der von der gleichen Leidenschaft besessen war, gewaltige Kämpfe über das damals weltbewegende Thema der »Parthenogenesis« aufführte (was schrecklich klingt, aber nur Selbstbefruchtung – der Bienen – bedeutet). Also gut, Wilhelm teilte gehorsam seine Aufmerksamkeit zwischen Bienenzucht und Philosophie, bis er eines schönen Tages, in einen langen schwarzen Schniepel gekleidet und mit einem Zylinder behütet, zur Konfirmation geführt wurde. Das war 1847.

Der gute Onkel Kleine hatte ihn im Unterricht, besonders im Deutschen, soweit vorwärts gebracht, daß daran gedacht werden konnte, ihn einer höheren Schule zu übergeben. Da Wilhelm eine unverkennbare Anlage zur Mathematik hatte, schien es das Nächstliegende, ihn Techniker werden zu lassen. Man gab ihn zur Prüfung nach Hannover, wo es um ein Haar schief gegangen wäre. Aber glücklicherweise war der Direktor des Polytechnikums kein trockener Schleicher, sondern hatte anscheinend sogar Sinn für Humor, zum mindesten für unfreiwilligen, denn ein selbstgedichtetes Sonett, das der verdatterte Busch ihm schließlich zeigte, bewog ihn, Gnade für Recht ergehen zu lassen, und so wurde Wilhelm aufgenommen. Dreiundeinhalb Jahre lang tat er hier nun das, was man studieren nannte. Aus purer Schüchternheit und Zurückhaltung war er fleißiger als viele andere und brachte es in elementarer Mathematik sogar zur besten Nummer »Eins mit Auszeichnung«. Auch im freien Handzeichnen tat er sich hervor. Aber was in seinen Jahren am meisten wundernimmt: Sein Betragen wird in allen Zeugnissen als tadellos gerühmt. Um männlich zu erscheinen, übte er sich im Pfeiferauchen, trieb mit Gleichaltrigen ein harmlos knabenhaftes Budenwesen und begeisterte sich ungeheuerlich, als er einmal für sechs Gute Groschen die berühmte Jenny Lind singen hören durfte, die noch dazu das Lied trillerte: Es sang im Busch ein Vögelein.

Einer dieser Buden- und Busenfreunde, Bornemann, der sich bereits als Maler gebärdete und von dem es auch eine recht nette Zeichnung des achtzehnjährigen Wilhelm Busch gibt, bewog ihn gemeinsam mit dem Maler Klemme, der bereits auf und davon gegangen war, das Studium am Polytechnikum aufzugeben, »um in Düsseldorf Maler zu werden«. Vorher hatte er in Hannover aber doch noch etwas getan, was sich in seinem Leben nie wiederholen sollte: er hatte eine Zeichnung von sich öffentlich ausgestellt, irgendein an Richter oder Schwind erinnerndes Märchenmotiv in Bleistift und Pastell. Übrigens war es in Hannover auch zu einem ersten schriftstellerischen Versuch des Neunzehnjährigen gekommen: »Ein Tag wie alle anderen aus dem Leben zweier Junggesellen.« Aber beides waren nur dilettantische Sachen, die keinerlei Rückschluß auf besondere Gaben zuließen.

In Düsseldorf nun gab er sich recht ernst und zurückhaltend, saß treu und brav jeden Tag im Antikensaal und »tüpfelte«, bis es ihm allmählich doch zu dumm wurde. So fand ihn der inzwischen nach Belgien gegangene hannoversche Freund Klemme gerade in der richtigen Haltung, als er ihn aufforderte, ebenfalls nach Antwerpen zu kommen, wo man immerhin malen lernen könne.

Auf nach Antwerpen! Es war im Jahre 1852.

 

In der alten Künstlerstadt sah er zum erstenmal die Werke der großen Meister Rubens, Brouwer, Teniers, Franz Hals und war hingerissen wie nur je ein junger Mensch, dem ebenso kraftvoll wie anmutig vollendete künstlerische Gestaltung entgegentritt. Noch fünfzig Jahre später erinnert sich Wilhelm Busch des ersten Eindrucks von Franz Hals mit den schwärmenden Worten: »Die göttliche Leichtigkeit der Darstellung malerischer Einfälle, verbunden mit stofflich juwelenhaftem Reiz; diese Unbefangenheit eines Gewissens, welches nichts zu vertuschen braucht, haben für immer meine Liebe und Bewunderung gewonnen.«

Der Zug des Herzens schien also auch hier wieder einmal des Schicksals Stimme gewesen zu sein – wie ein damals häufig gebrauchtes Biedermannssprichwort so schön sagte. Aber dennoch hatte das Schicksal anderes mit Wilhelm vor. Der so gern angeführte Zufall, der nie ein solcher, sondern im Gegenteil immer eine Wegweisung ist, führte ihn, ehe er noch zu einem eigentlichen Einvernehmen mit dem Wesen des Niederländischen gekommen war, in die deutsche Heimat zurück.

Während einer Krankheit, die sich in die Länge zog, war ihm zu Bewußtsein gekommen, daß ihm das fremde Volk eigentlich recht wenig zu sagen hatte. Die Menschen und die Zustände in Antwerpen gefielen ihm ungeachtet aller Begeisterung für die alten Meister auf die Dauer gar nicht und verloren völlig an Wertschätzung, wenn er an die niedersächsische Heimat dachte. Es drängte ihn so heftig, ihr wieder nahe zu sein, daß er eine endlose Fahrt auf einem offenen Bahnwagen, wie man sie damals für gewöhnliche Leute gerade richtig fand, nicht scheute. Mit Mappen voll Skizzen, die kaum viel Eigenes enthielten, kehrte er zurück und wünschte vor allem, in der Heimat aufs neue die Frische zu einem abermaligen Vorstoß in die große Welt zu gewinnen.

Die kleine Welt von Wiedensahl und Lüethorst, wo er sich nun anderthalb Jahre lang teils im Elternhaus, teils beim Onkel Kleine aufhielt, umsing ihn liebevoll mit ihren Dorf- und Kleinstadtidyllen, den Geheimnissen der Bienenzüchterei und Harmlosigkeiten des Liebhabertheaters, für das er kleine Spiele dichtete. Aber natürlich füllte er in dieser Zeit auch Skizzenbücher mit Gestalten der Gegend, wie der des Gänsehirten Börries und mancher Bauern, die alle gewissenhaft und ordentlich gezeichnet sind, doch gewiß nicht bemerkenswerter als von irgendeinem halbwegs begabten Zeichenschüler. Auch Ölbilder entstanden; aber sie beweisen ebensowenig eine besondere Begabung – wenn nicht die eines eifrigen Bemühens um saubere und ehrlich gewollte Arbeit. Außerdem sammelte er schon Märchen zu dem Buch »Ut ôler Welt«, das lange nach seinem Tode erschien und in dem manches bekannte deutsche Volksmärchen in einer drollig persönlichen Fassung noch einmal erzählt wird.

Zwischenhinein wurde Schopenhauer eifrig gelesen – wie denn überhaupt bei dem jungen Busch ungeachtet der Anlage zum Spielerisch-Künstlerischen immer wieder ein Hang zu Skepsis und Kritik die schon in den ersten Knabenjahren mit der Lektüre freireligiöser Schriften begonnene zweiflerische Linie fortsetzte. Immerhin und alles in allem hatte es den Anschein, daß sich in dem Jüngling, der äußerlich vielleicht etwas von einem Muttersöhnchen haben mochte, mit wachsendem Instinkt ein Trieb zum Künstlerischen bemerkbar machte, von dem einmal die Bewältigung malerischer Absichten, wenn nicht ein in sich geschlossenes Können erwartet werden durfte.

 

Aber – hulterpulter klickeradoms – um aus der Fülle seiner nachmals so meisterlich gehandhabten Urlaute einige vorwegzunehmen, griff die Vorsehung wiederum unversehens ein und entführte den mit Zweifelsucht bis zum Rande angefüllten Naturburschen aus Niedersachsen in das München der fünfziger Jahre, wo er nach seinen eigenen Worten wieder verlieren sollte, was er in Antwerpen gewonnen hatte. Man muß das aber wohl nicht tragisch nehmen; es wird in Wirklichkeit nicht allzuviel gewesen sein.

Und wie man schicksalsmäßig nichts verliert, ohne dafür etwas zu gewinnen, wuchs ihm im Kreise der fröhlichen Jugend, die damals in »Isar-Athen« mit rauschendem Getöse das heitere Künstlervölkchen darstellte, ein Etwas zu, über dessen geringeren oder größeren Wert dem ursprünglichen Wollen gegenüber die Meinungen geteilt sein mögen, das aber bestimmend für ihn, weil ausschlaggebend für seine Sendung und Bewertung, ausfallen sollte:

Der Anreiz zu Ulk in Wort und Bild.


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