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Ja, lustig ging es zu in dem München der fünfziger Jahre, da eine Unmasse Ganz-, Halb- und Garnichtbegabter die Möglichkeit hatte, sich inmitten eines wohlhabenden und behaglichen Bürgertums auszustürmen, das selbst nach dem Wahlspruch: Leben und leben lassen! zwischen Vormittags- und Dämmerschoppen dem einzigen Ziel zuzustreben schien: In Gelassenheit einen Bauch und mit diesem ein Amt oder eine Rente zu gewinnen.
Wenn man auch aus der Entfernung von 1938 gesehen – und aus der Herbheit einer volksverbundenen Lebensform heraus, in der die »Gemütlichkeit« nicht mehr so wie einst zu ihrem Recht kommen kann und darf – das Leben von Anno dazumal in romantisch ausgestatteten Revuen, Theaterstücken und Filmen gar nicht goldig genug hinstellen kann, – es war in Wirklichkeit doch wohl eine mehr oder weniger g'schlamperte Angelegenheit. Im Grunde ging es noch genau so zu wie in Gottfried Kellers Münchner Jahren, die im »Grünen Heinrich« ein unvergängliches Denkmal erhalten haben. Die Keller-Zeit lag ja kaum ein Dutzend Jahre zurück. Manche Künstler, die schon – oder noch – mit dem Grünen Heinrich von Fest zu Fest gezogen waren, mochten nach dem Gesetz von der »Sackgasse Boheme«, aus der schwache Naturen selten einen Ausgang ins Freie finden, noch unsern Wilhelm Busch als bemooste Häupter umgeben – wenn sie auch freilich kaum Gegenliebe fanden, denn er war und blieb bei aller Freudigkeit, teilzunehmen, norddeutsch verschlossen und liebte Abstand, was er im Gegensatz zu dem bewußten Wildlingswesen jener schon durch seinen wohlbehüteten äußeren Menschen kundgab.
Die Bilder aus dieser Periode stellen ihn als einen hochgewachsenen, elegant gekleideten jungen Herrn mit einem schnurrbärtigen Posaunenengelgesicht und wallender Künstlermähne dar. Ein wenig selbstgefällig läßt er die gutgeformten Hände sehen und ist überhaupt ein schöner Mann, dem nur ein frühzeitiger Professortitel fehlt, um einer wohlhabenden Bierbrauerstochter als Ehegemahl willkommen zu sein.
Von den Kameraden, mit denen er sich bei Trinkgelagen und Ausflügen ins Isartal traf, sollten zwei rascher bekannt werden: Lorenz Gedon als Architekt und Franz Lenbach als Maler. Mit ihnen blieb er auch später in Briefwechsel, mit Lenbach sogar noch als berühmter Einsiedler. Es ist ebenso rührend wie charakteristisch für die bei aller äußerlichen Bewegtheit der Münchener Jahre im Grunde doch erstaunliche Armut an wirklichen Erlebnissen, wenn man liest, wie wenig sich zwei so alt und so berühmt gewordene Jugendfreunde zu sagen haben. Übrigens stand ihm von allen Münchnern jener Tage Lorenz Gedon am nächsten; als dieser, eine urkräftige und eigenartige Erscheinung, unerwartet früh starb, widmete ihm Busch ein ergreifend schlichtes Gedicht als Nachruf.
Die Kameradschaftlichkeit des lustigen Künstlervölkchens jener Tage entbehrte des inneren Stürmens und Drängens so offenkundig, daß man sich nicht zu wundern braucht, wie wenige von ihnen es wirklich zu etwas Eigenem brachten und wie sehr auch diese wenigen von ihrem Wege abgetrieben wurden und in Gelegenheits- oder Erfolgsbahnen gerieten. Noch der ganz alte Wilhelm Busch schüttelt den Kopf, wenn er daran denkt, daß Lenbach als unverdrossener Erfolgsmensch zuweilen kein Bedenken trug, nur sein Handgelenk in Bewegung zu setzen.
Es war ja alles so bequem in diesem München der fünfziger Jahre. Es kam ja so selten jemand ernsthaft auf den Gedanken, sich um wichtiger Dinge willen dieses Dasein auch nur einmal unbequem zu machen, geschweige denn, es sich sauer werden zu lassen. Man hatte soviel zu tun, sich alltäglich und allnächtlich als lustiger Springinsfeld auszuweisen, daß man für ein mühseliges Erarbeiten künstlerischer Ausdrucksmittel nicht recht viel Zeit gewann.
Nun war freilich unser Wilhelm Busch wiederum durchaus nicht eine oberflächliche Natur, die mit Hallo die Gegebenheiten eines leichtsinnigen Hintreibens wahrgenommen hätte. Vielmehr lag seinem niederdeutschen Charakter, in dem untergründig die reizvoll herbe Natur- und Märchenwelt der hannöverschen Ebene wie Erinnerungen an deren Brauchtum in dörflicher Einfachheit weiterwirkten und zum Ausdruck drängten, eine versponnene Schwere und solide Verantwortungsbewußtheit, die er als junger Mensch in diesen Kreisen vor sich selbst nicht wahrhaben wollte. Dieser Zwiespalt bedrückte ihn um so mehr, als er sich einer ungewöhnlichen Empfindsamkeit bewußt war, die weiblich genannt zu werben verdient hatte, wenn sie in ihren letzten Untergründen nicht so ausgesprochen männlich gewesen wäre.
Den Kameraden fiel es auf, daß sich Busch in jener charakteristischen Art zurückhielt, die sehr empfindsame Menschen nicht selten in den Ruf bringt, hochmütig zu sein. Da er indessen wiederum ein liebenswürdiger, wenn auch manchmal verschmitzt lächelnder Kamerad war, wußte man sich sein Wesen nicht recht zu deuten. Wie hätte man auch – da ein Menschenalter später ein nicht geringer Teil der Nation den Irrtum zur gültigen Auffassung erheben sollte: Daß Wilhelm Busch der geborene Familien- und Stammtischerheiterer sei.
Es ist überaus bezeichnend für ihn, daß er mit den damals in München gangbaren »Schulen« nichts anzufangen wußte und sich darum auch an keine anschloß. Niemand wußte, was er eigentlich trieb. Er lebte so eigenbrötlerisch für sich, daß Kameraden, die ihn besuchten, zwar immer merkten, wie er gerade vor ihren Augen etwas verschloß, aber nie dahinterkamen, was es war: ob vielleicht eine Karikatur oder ein Gedicht, denn im Verdacht, sich sowohl nach der einen wie nach der anderen Seite hin zu betätigen, stand er bei all dieser kindlichen Geheimniskrämerei doch. Allmählich tauchten jedoch im Verein »Jung-München«, dem er angehörte, Karikaturen von ihm auf, in denen bereits irgendwie zum Ausdruck drängte, was bald das eigentliche Wesen seiner komischen Darstellung werden sollte.
In einer von dem lebhaften Wilhelm Diez angeregten Kneipzeitung »Der Knotenstock, ein christlich-politisches Tendenzblatt mit Illustrationen« und im Karikaturenbuch des Vereins sah man gleichfalls Beiträge von ihm, und es blieb auch kein Geheimnis, daß zu den Vorführungen bei den häufigen Festen Wilhelm Busch hin und wieder den Stoff zu ritterlichen Rührstücken und dergleichen geliefert, ja diese gruseligen Dichtungen sogar selbst zu Papier gebracht hatte. Auch die Theaterzettel zu Stücken wie: Das gebackene Herz, Das verräterische Frühstück und so weiter wurden von ihm mit Zeichnungen verziert. Sogar an einer Operette, die am Residenztheater aufgeführt wurde (allerdings nur »einmal hintereinander«, weil sie angeblich mit zu derben Mitteln arbeitete), war er ebenso wie der Komponist Krempelsetzer beteiligt (der diesen für einen Tondichter bemerkenswerten Namen vielleicht mit Recht trug). Auch die Idee und die gesamte künstlerische Durchführung eines Märchenmaskenballs, der damals geradezu sensationell gewirkt haben muß, stammten von ihm. Doch hielt er sich stets im Hintergrund und ließ andere das Rühmchen ernten. Ihm war es wichtiger, seinen persönlichen Spaß bei dem allem zu haben und gleichzeitig im geheimen für sein Skizzenbuch kostbare Beute zu gewinnen, denn immer bewußter wurde in ihm die Freude am Karikieren und heiteren Verzerren wirksam – wenn auch weiterhin zunächst noch im engeren Kreise, so doch schon mit offenkundiger Neigung zu größerer Verbreitung.
Die Notwendigkeit, Geld verdienen zu müssen, trug auch dazu bei, ihn zu Illustrationen zu bewegen, die in Verbindung mit einem heiteren Text für Zeitschriften geeignet schienen. So entstand die allererste seiner Bildergeschichten: »Die Maus oder Die gestörte Nachtruhe«, die allerdings zunächst noch ohne Text war, aber bei der Übernahme in die Münchner Bilderbogen doch einen erhielt – wenn auch vorerst nur in Prosa. Eine Reihe ähnlicher Sachen folgte und fand wachsenden Beifall.
Als Busch anfing, für die »Fliegenden Blätter« zu arbeiten, gab es in München – das will in diesem Fall heißen überhaupt in Deutschland – bereits eine Art von zeichnerischem Humor. Seine Vertreter waren Schwind und Pocci; aber auch der Struwwelpeter-Hoffmann darf nicht vergessen werden, denn gerade seine naive Groteskpädagogik wirkte anregend auf unsern Freund. Seine frühen Fliegenden-Blätter-Beiträge haben noch von Hoffmann wie von Schwind und Pocci allerlei, das läßt sich nicht leugnen. Aber es ist doch auch schon deutlich zu merken, daß er eifrig dabei ist, sich eine eigene Welt zu schaffen; eine kleine, sehr kleine Welt – aber doch eine eigene. Dabei ist auffallend und bezeichnend für die ungewöhnlich gescheite Art eines immer noch jugendlichen Mannes – es ist um 1865, und er ist also anfangs der Dreißig – daß er zielsicher und gelassen wie einer, der weiß, was er will, bestrebt ist, den Umkreis seiner Gestaltungen so eng wie nur möglich zu halten, wobei ihm eine angeborene Begrenztheit im Hinblick auf Phantasie die Sache nicht zu schwer werden läßt. In der Tat ist er von stürmischen Anwandlungen der Einbildungskraft Zeit seines Lebens in dem Maße verschont geblieben, daß er bis ins Alter eher mit einem Zuwenig als mit einem Zuviel ringen und sich ans diesem Grunde häufiger Wiederholungen bewußt sein mußte, die er selbst sich viel stärker zum Vorwurf machte, als es das Publikum getan hat, das im Gegenteil nicht genug davon bekommen konnte.
Es kam nun so, daß der junge Maler, Karikaturist und Versemacher, dessen Beiträge im Witzblatt wie in den Bilderbogen teils Beifall fanden, teils weniger beachtet wurden, allmählich, wie nur je einer, zwei Seelen in seiner Brust gegeneinander wüten fühlte: die spröde, verschämt nach zarter und reiner Gestaltung drängende des Künstlers und die des nun einmal im Leben stehenden Mitmenschen, dem von seiner lustigen und zur Travestie herausfordernden Umgebung die Betonung einer vorhandenen Anlage zu zeichnerischer und versemacherischer Glossierung obendrein fast aufgezwungen wurde. Wie sollte er sich in diesem Dilemma nicht nur erhalten, sondern mit Hilfe eines eher verabscheuten als angestrebten Moments zur Geltung bringen?
Es hat Lyriker und Idylliker von bewunderter Feinheit des Ausdrucks gegeben, die in ihren persönlichen Ausstrahlungen widerborstig, unangenehm, ja bösartig waren und darin den sanftäugigen Lamas im Tierpark glichen, die spucken, wenn man sie streicheln will. Hier handelt es sich um das Geheimnis der gegensätzlichen Wirkung von zarter Anlage und kratziger Abreagierung auf die Umwelt.
Wiederum ist es schon fast ein Gemeinplatz: daß Kritiker, Satiriker und Witzbolde oder berufliche Hervorbringer bitterer Antithesen im privaten Leben entwaffnend harmlose Leutchen sind, die innerhalb des bürgerlichen An und Aufs peinlich bemüht bleiben, sich als gute Kerle, wenn nicht gar als ehrpusselige Mustermenschen auszuweisen. In diesem wie in jenem Falle ist die menschliche Natur schon bei der Durchschnittsbegabung bestrebt, durch Ausgleich der Anlagen und Kräfte ein Höchstmaß von Lebensfähigkeit herbeizuführen – wieviel stärker erst bei ungewöhnlichen Begabungen, die in sich eine Häufung aller gegeneinander wirkenden Eigenschaften darstellen und darum dem Leben gegenüber besonders gefährdet sind. So und nicht anders wird der zartbesaitete Busch-Willem (wie wir in diesem frühen Stadium noch, ohne plump-vertraulich zu wirken, ruhig sagen können), ob er will oder nicht, ob er die inneren Beweggründe ahnt oder sich Täuschungen hingibt, vom Urinstinkt des Geltungsdranges dazu getrieben, sich vor den harmlos beifallsfreudigen Isar-Athenern als Spötter, wenn nicht gar als »Zyniker« zu gebärden.
Da die Jugend, und insbesondere die männliche, zu allen Zeiten nichts geringer einschätzt als eine mimosenhaft empfindsame Neigung zu Verinnerlichung, und nichts höher wertet als den Anschein robusten Abtuns zarter Empfindungen, die mit Weichheit, ja Weichlichkeit gleichgesetzt werden, ist nichts natürlicher, als daß der von Haus aus zu witziger Skepsis veranlagte Wilhelm Busch unversehens in die Tarnung des Spötters um jeden Preis hineinschlüpft – einerseits, um dem trotz äußerlich wahrnehmbarer Bescheidenheit dennoch alles übersteigenden Trieb zur Selbstbehauptung Genüge zu tun (dem überdies noch das Moment des Verdienenmüssens zwanghaft beigegeben ist), und andrerseits, weil sein zweites, wertvolleres, stilleres Ich nur auf diesem Umweg Ruhe bekommen kann, jene »Königlich Bayrische Ruh'«, die damals noch das Ideal war.
Nichts ist bezeichnender für eine solche Art von Mimikry als ein Erlebnis, das Wilhelm Busch selbst so unvergeßlich blieb, daß er es noch als alter Mann in dem knappen Vorwort »Von mir über mich« in der Jubiläumsausgabe der »Frommen Helene« mitzuteilen für notwendig hielt.
Das Erlebnis geht auf die ersten Münchner Jahre zurück; er war ungefähr sechsundzwanzig und machte einen Ausflug nach Brannenburg am Inn. Da kam er in ein unter alten Nußbäumen versteckt träumendes Dörfchen, um zu malen, und erlebte – angeblich – schon beim Eintritt folgendes: »Auf der Schwelle saß ein steinaltes Mütterlein und schlief. Das Kätzchen daneben. Plötzlich, aus dem Hintergrunde des Hauses, kam eine junge Frau, faßte die Alte bei den Haaren und schleifte sie auf den Kehrichthaufen. Dabei quäkte die Alte wie ein Huhn, das geschlachtet werden soll. Mit diesem Rippenstoße führte mich das neckische Schicksal zu den trefflichen Bauersleuten und in die herrliche Gegend, von der ich nur ungern wieder Abschied nahm.«
Unverkennbar ist in dieser Darstellung eines Vorganges, der sich in Wirklichkeit ganz anders abgespielt haben wird, schon ein Vorläufer seiner späteren »literarischen Note« zu erblicken: der unverhohlenen Beteiligung am frisch-fröhlichen Schinden der Kreatur – gleichviel ob Mensch oder Tier. Dies alles hat nicht so viel mit seinem Menschlichen zu tun, als man vielleicht folgern mag. Es ist im Gegenteil anzunehmen, daß der richtige Wilhelm Busch, als »der Andere« in ihm die rohe Szene so gierig auf den Effekt hin gestaltete, um nicht zu sagen frisierte, mit verhülltem Gesicht dabeistand und klagend bei sich selbst bemerkte: Muß denn das sein?
Aber es mußte eben doch sein – und das ist der bittere Humor davon. Es mußte für ihn sein, um Schritt für Schritt dem näher zu kommen, was mit der Zeit die Rarität seines künstlerischen Ausdrucksvermögens werden sollte, durch die er den weitreichenden Namen erwarb – wenn er auch freilich eben dadurch das nicht weniger als sein Ruhm verbreitete Mißverstehen seiner Absichten erleiden mußte. Denn als der Künstler und lautere Mensch, der er war, wußte er besser als die meisten, daß über allem die Liebe Geltung behält, nicht aber der Witz oder Spott – und wenn er zehnmal so treffend wäre, daß die unterbewußten schlechten Instinkte (selbst der Besseren) ihm einen lärmenden Erfolg bereiten.
Aber ob auch München und die zunehmende Verpflichtung, Bildergeschichten liefern zu müssen, ihn in Zwiespalt mit sich selbst brachten – er fand schließlich doch gerade um diese Zeit seinen Stil in einer so überzeugenden Form, daß von diesem eigentlichen Erstling seine beispiellose Volkstümlichkeit herrührt: »Max und Moritz« traten in Erscheinung. Das heißt, zunächst einmal wurde das Manuskript – noch dazu unter Mithilfe des auch von Busch selbst verehrtesten aller damaligen heiteren Idylliker: Ludwig Richter – von dessen Sohn, der in Dresden Verleger war, als »zu wenig aussichtsreich« abgelehnt. Worauf Kaspar Braun, der kluge Herausgeber der Fliegenden Blätter, um so freudiger seine Hand auf das Buch legte, das seinen Urheber in der Folge zu einem weltberühmten Mann machte.
Mit »Max und Moritz« hatte Busch seinem Volk ein heiteres Werk gegeben, das sich wie kein anderes eines lebenden Künstlers eignete, »im Palast wie in der Hütte« liebevolle Aufnahme zu finden; und in der Tat sollte die Zeit kommen, da sich der deutsche Kaiser über die »Buschiaden« ebenso entzückte wie der letzte kleine Mann in der Dachstube.