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8

Da nun aber auch ein Eremit – selbst wenn ihm das Schicksal bestimmt hat, äußerlich nicht als Klausner, sondern als Humorist in Erscheinung zu treten – bisweilen die Anwandlung haben kann, statt an einen Ofen oder an einen Lehnstuhl, auch einmal an ein Lebewesen hinzuphilosophieren, gab es sich eines Tages, daß eine schöngeistige Frau auftauchte, die sich Schmeichelhafteres nicht denken konnte, als menschliche Ausbrüche eines berühmten Humoristen entgegenzunehmen – Frau Maria Anderson, eine wie gesagt schöngeistige Dame aus Holland, Seelenfreundin des gleichfalls eigensinnig versponnenen niederländischen Dichters E. D. Dekker, der sich Multatuli (Viel ertrug ich) nannte und damals als philosophierender Eigenbrötler und sozialer Ideologe auch in Deutschland bekannt war, wo er die letzte Lebenszeit verbrachte und starb.

Wie die Beziehung anfing, geht aus den folgenden Briefstellen hervor: »Ihr Urteil, geehrte Frau, ist mir äußerst schmeichelhaft gewesen. Dem kleinen Buche (»Kritik des Herzens«), welches vielfach mit einer gewissen sittlichen Entrüstung zurückgewiesen wurde, wird es hoffentlich wohl tun, daß eine Dame so freundlich ihre Hand darauf gelegt.«

»In den kleinen Versen (wiederum »Kritik des Herzens«!), welche Sie so freundlich aufgenommen, geehrte Frau, habe ich versucht, möglichst schlicht und bummlig die Wahrheit zu sagen – so wie man sich etwa nach Tisch oder bei einem Spaziergange dem guten Freunde gegenüber aussprechen würde.«

Und einige Zeit später heißt es:

»Eben erhalte ich Ihre Niederschrift, geehrte Frau. Sie betonen den Ernst Ihres Ausspruchs ›Die Ehre sitzt höher als der Gürtel‹ (ein Wort von Multatuli). Ich bin durchaus Ihrer Meinung; nur möchte ich, um Mißverständnisse zu vermeiden, den Satz so fassen: Das Edle befindet sich oberhalb des Gürtels, das Gemeine überall. Wir würden uns dann mit der ältesten Tradition in Einklang befinden.«

»Meinen Dank für Ihre Photographie, obschon ich sagen muß: Sie haben recht! In der linken Backe befindet sich was wie eine Pflaume oder ein Kluntje!

Daß Ihr ausgezeichneter Landsmann (Multatuli) keine Verse liebt, ist nicht mehr als billig; vielleicht gerade deshalb hat er sich so freundlich über das Zeugnis meines bösen Herzens ausgesprochen. – Wen erfaßt nicht ein gelindes Entsetzen, wenn der Poet seine Locken zurückwirft und mit feucht-verklärtem Blick den bekannten Griff in die linke Busentasche tut; oder geht mirs allein nur so? Bin ich etwa mal wieder der Fuchs, der die Trauben verachtet, weil er nicht dran kann? Wer weiß?! Denn wer hat jeweils den Boden seiner schwarzen, abscheulichen Seele erblickt? Ich will nicht schelten. So ein Band Gedichte ist doch im Grund ein harmlos ruhig bescheiden Ding, was keinem was zuleide tut, wers nicht anrührt; und mein Nachbar Dichter ist mir lieber als mein Nachbar Flötenspieler. Aber was mir über alles geht, das sind Bilder, leibhaftige Bilder. Wie freu ich mich darauf, wenn ich wieder mal im Hotel des Paysbas zu Amsterdam sitze und mir den guten Tee mache und dann hinüber gehe zu Rembrandt, Hals und Steen: Das ist ein Stück von dem, was unser Herrgott macht.«

Frau Anderson war gewiß keine Frau, wie sie Goethe als Urbild der Philine vorgeschwebt hatte; sie war vielmehr dem Bilde nach, das nicht nur der Photograph von ihr, sondern auch sie selbst in ihren Briefen von sich gegeben hat, eher ein unschönes als ein anmutiges Geschöpf – aber gepriesen sei sie dennoch in Ewigkeit, daß sie den Anstoß gab, Wilhelm Busch zu Briefen herauszufordern, die zu seinen schönsten Wesensäußerungen gehören. In diesem Sinne mag man Frau Anderson sogar schöpferisch nennen, wie man ja auch Eckermann, der Goethe die Manschette zum Draufschreiben hinhielt, im Gegensatz zu vielen überflüssigen Originalgestalten eine schöpferische Erscheinung nennen kann. An diese Frau Anderson, die ungeachtet ihrer nicht sehr anziehenden Weiblichkeit gelegentlich dennoch vom Kitzel geplagt schien, dem schönen Mann ein wenig einzuheizen, richtete unser in der sogenannten besten Manneskraft stehender, aber dennoch keineswegs aufwiehernder Einsiedler eine Fülle so klarer, wohlgeformter, kluger – um nicht zu sagen tiefschürfender – und zugleich beschwingter Briefe, daß man erfreut ausruft: Also doch! Also endlich doch einmal aufgeschlossen … wenn auch mit Vorbehalten echt buschiger Art, so daß das Blumengärtchen dieser Briefsammlung einer jener duftenden und blühenden Anlagen gleicht, aus denen man zwischen Blumen ein Schild mit der Inschrift aufragen sieht: Vorsicht – Legbüchsen!

So hatte Frau Anderson, um deren Mund ein Zug von Protestantismus oder Sektierertum fast ein wenig an Essig denken läßt, zwar bei Eröffnung der Korrespondenz wie die prüde Miß im vormärzlichen Lustspiel einen schämigen Abstand zur Bedingung gemacht, dann aber dem Kitzel doch nicht widerstehen können, den stattlichen Mann in der Einsiedelei ein bißchen am wallenden Vollbart zu krabbeln – und sei es auch nur, indem sie mit dem bescheidenen Altersunterschied von zehn Jahren kokettierte. Was zur belustigenden Folge hatte, daß sie vom Meister eine Zurechtweisung erhielt, die in ihrer Mischung von Anmut und Würde etwas vom seriösen Gemecker eines altjüngferlichen Fauns hat, der seine tiefverborgene Männlichkeit mit Bravour gegen einen maskulinen Blaustrumpf verteidigt: »Die Tätigkeit des blumenkohl-ähnlichen Gehirns pflegt man Geist zu nennen. Sie haben gesagt, daß Sie meinen Geist liebten. Gut! Was kümmert Sie dann meine physikalische Beschaffenheit? Sollten Sie etwa Geist und Seele miteinander verwechseln! Das Bild der Seele, welches durch Vermittlung der Sinne im Gehirn sich zeigt, heißt Körper. Wehe, wehe! Kommt Ihnen mein Geist, der viel gepriesene, gar so ungenügend vor?? Ahem!«

Und als sie hierauf, denn doch ein wenig bestürzt, einlenkte und vermutlich etwas rührsam antwortete, bekam sie eine Vorlesung zu hören, die nicht nur um ihres herzerfrischenden Tones willen, sondern weil sie Bemerkenswertes über ihn aussagt, gleichfalls hier stehen soll:

»Es freut mich, daß Sie sagen: Ich hätte recht, und Sie wollten künftig bräver sein. Von Ihrer liebenswürdigen ›Gerechtigkeit‹, die sonst nicht Sache der Weiber sein soll, wie manche Gelehrte behaupten wollen, war das auch nicht anders zu erwarten. Denn wer hat zuerst so hübsch und freundlich auf platonische Liebe gedrungen? Nicht ich, sondern Sie, Madamchen! Bin ich nicht mit himmlischer Seelengüte auf Ihren Wunsch und Standpunkt eingegangen? Und nun kommen Sie daher und machen mich zu einem alten weisen Murkepott!! – ›Jugend ist relativ.‹ Ja, auch zwischen Weibern und Männern. Mit siebzehn Jahren ist so ein Mädchen fix und fertig für Bett und Ball und wohlgeübt in allen Künsten des Krieges und des Friedens. Während der gute Jüngling dieses Alters mit der Mappe unterm Arm noch ganz bescheidentlich zur Schule wandelt. Kaum daß er mit fünfundzwanzig Jahren ein wenig für voll genommen wird. Aber das Auge der ewigen Gerechtigkeit da droben blinzelt scharf. Die eben erwähnte Jungfrau ist nun schon längst, wie man zu sagen pflegt, ›aus dem Schneider heraus‹; sie ist ausgemerzt und abgemeiert, und wehe ihr, wenn sie dem Schicksal zu trotzen wagt. Es kommt der frische blühende Nachschub auf den Ball und dann heißt's: So alte Knochen sollten sich doch lieber ausruhen und zu Hause bleiben! Ein Glück, wenn sie noch einen erwischt, und in den Stand der heiligen Ehe zu sich herniederzieht. Mit fünfzig Jahren kann sie nur noch ausnahmsweise ein Kind kriegen, während der Mann von fünfzig Jahren nur ausnahmsweise keine Kinder mehr machen kann. So gleicht sich die Sache recht nüdlich aus. Wären Sie so alt wie ich, so würde ich zum mindesten zehn Jahre jünger sein als Sie. Sie fühlen sich noch jung; ich auch. Das ist recht schön und brav von uns. Aber damit alles seine Richtigkeit hat, müßten wir auch von andern für jung gehalten werden. Ach du grundgütiger Himmel!

Sie haben selbst und zuerst unsern Verkehr so begrenzt, daß er gewissermaßen ein Zwiegespräch über den ›platonischen Zaun‹ sein sollte. Fragen Sie nun aber zu genau nach meiner Person, so möchte mir das leicht eine Veranlassung geben, über den Zaun hinüber zu steigen. Eine verhängnisvolle, unberechenbare Veränderung der Situation. Wehe!«

Eines Tages ergab es sich, daß Busch der Frau, an die er solche Briefe richtete, persönlich gegenübertrat. Es muß überaus seltsam gewesen sein. Die Begegnung geschah an einem Abend auf dem Bahnhof in Mainz, wo sie sich verabredet hatten, denn es traf sich gerade, daß Frau Anderson eine Rheinreise und er einen Ausflug von Frankfurt nach Heidelberg vorhatte.

Die Bahnhöfe der damaligen Zeit waren bei weitem weniger zu eindrucksvollen erstmaligen Begegnungen geeignet als die heutigen. Selbst die unbedenkliche Jugend, die von leichtfertigen Erwartungen überschäumt, würde anfangs der siebziger Jahre an einem regnerischen Oktobertag abends zwischen sechs und sieben auf dem Bahnhof in Mainz im trüben Geflacker der Gaslaternen nicht eben an Romeo und Julia erinnert haben – wieviel weniger unser allzu scharf blickender Meister und seine nicht mehr ganz junge Dame aus Holland, deren eine Backe den Anschein erweckte, als ob ein »Kluntje« darin aufbewahrt würde. Wie mag er, als sie in einem Gemisch von Deutsch und Holländisch auf ihn einsprach, mit bestürztem Gesicht, aber natürlich jeder Zoll ein Kavalier, seinen Regenschirm über sie gehalten haben, um sie – nicht ohne einige Schreckenslaute in den Tiefen seines Vollbarts zu ersticken – zum Wartesaal zu geleiten, wo dann bei Schokolade und Imbiß die umständliche Prozedur des eigentlichen Kennenlernens in Wirksamkeit trat.

Sie wollte schon brieflich immer alles von ihm wissen, obgleich sie doch selbst so klug war, daß der Dichter Multatuli beständig seine Seufzer in die Falten ihrer Seele ausschüttete, – wie mochte sie nun erst begierig sein, das wohltönende Geräusch seiner Wesenskundgebungen entgegenzunehmen, als der berühmte und schöne Humorist ihr leibhaftig gegenübersaß. Vielleicht durchzuckte Frau Anderson, als die heiße Schokolade wohltuend in sie einströmte, das aufwühlende Gefühl, sie seien vom Schicksal füreinander bestimmt, nur habe dieses übersehen, sie sich wirklich finden zu lassen. Es ist aber ebenso auch möglich, daß eine unerwartete sarkastische Bemerkung, die von seiner Seite ungeachtet der berühmten guten Kinderstube kaum zu vermeiden war, sie solchen weiblichen Bedauerns im Grunde schon enthob. Wie es aber auch hinausgegangen sein mag – recht viel näher scheint der Dichter seiner Egeria (wie man solche Damen damals noch poetisch nannte) auf dem abendlichen Bahnhof in Mainz nicht gekommen zu sein, und das ist wohl auch der Grund, weshalb über die näheren Umstände bei der Begegnung weder von ihm noch von ihr auch nur eine andeutende Schilderung ermittelt werden kann. Es war wohl schon Glückes genug, daß das Schicksal beide vor Erfüllungen bewahrte, die anderen brieflich angesponnenen Freundschaften zum bitteren Verhängnis wurden.

Jedenfalls seufzt Busch um diese Zeit herum einmal vielsagend in einem Brief an sie:

»Ja, meine liebe Frau Anderson, wir radebrechen uns was Ehrliches herum. Warum und immer warum?«

Und ein anderes Mal, als sie, wie so oft, hohe Gefühle und tiefe Absichten ausgebreitet haben mochte, führt er ihr rauh und gar nicht liebenswürdig, aber wahrheitsbeflissen wie immer, die unzweideutige Erkenntnis zu Gemüter

»Das gewisse kleine wertvolle Päckchen schmuggelt ja doch ein jeder mit durch und in sein Grab hinein.«

Fast hat es den Anschein – und das wäre bei seiner schwierigen Anlage nicht weiter verwunderlich – als ob die Zusammenkunft in Mainz ihn auch Frau Anderson gegenüber in dem Gefühl bestärkt hätte, man könne in diesem Leben gar nicht allein genug sein. Im übrigen wäre ihm schon zuzutrauen, daß er, nach glücklich vollzogener Abfahrt der Freundin, mit einem Seufzer der Erleichterung seinen Regenschirm schließend, in der Abgeschlossenheit seines Coupés zu Notizbuch und Bleistift gegriffen und diese unsterblichen Zeilen zu Papier gebracht hätte:

Es ist halt schön,
Wenn wir die Freunde kommen sehn.
Schön ist es ferner, wenn sie bleiben,
Und sich mit uns die Zeit vertreiben.
Doch wenn sie schließlich wieder gehn,
  Ist's auch recht schön.

Der alternde Wilhelm Busch wurde einmal gebeten, für das Album einer Dame einen Fragebogen zu beantworten, den sie zu diesem Zweck mit weiblicher Arglist zusammengestellt hatte. Auf die Frage: Was ist Ihre hervorstechendste Eigenschaft? gab er die Antwort: »Reiselust nach der Grenze des Unfaßbaren.« Die Frage: Welche Fehler finden Sie am verzeihlichsten? beantwortete er so: »Mitunter meine eigenen.« Die weitere: Was ist am schwersten zu erreichen? findet die Antwort: »Daß man sich selbst hinter die Schliche kommt.« Die Aufforderung: Definieren Sie die Liebe! hat die Erwiderung zur Folge: »Sehnsucht, unbewußt zu zweit ein Drittes zu bilden, das vielleicht besser ist, als man selbst.«

Auf die Frage, wie er die Frau definiere, erwidert er: »Hauptlockvogel für diese Welt, günstigenfalls auch für die andere.«


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