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Wie ist es nun um den goldenen Humor, die lachende Lebensweisheit, den heiteren Tiefsinn und all die anderen rezeptmäßig anmutenden Zusammenstellungen, die von gedankenfreien Lesern ebenso wie von allzu gedankenvollen Geschäftsleuten als gangbare Bezeichnungen für heitere Ware in Umlauf gesetzt werden, in Wahrheit bestellt?

Und was ist überhaupt Humor?

»Humor ist, wenn man trotzdem lacht.« Jawohl, das wissen wir, danke bestens, sehr treffend bemerkt.

»Humor ist keine Gabe des Geistes; er ist eine Gabe des Herzens.« Auch gut, und anläßlich Jean Pauls besonders erfreulich ausgedrückt.

Aber vor allem und unwiderleglich ist: daß Humor bestimmt nicht das sein kann, was dafür ausgegeben wird – sowohl bei uns wie überall in der Welt.

Es ist noch gar nicht lange her, daß man ein Geschichtchen, in dem Lustiges vorgebracht wurde, »Humoreske« nannte. Daß es obendrein gewöhnlich mit traurigmachender Unzulänglichkeit vorgebracht wurde, änderte nichts daran: Eine Erzählung, ein Skizzchen, ein Plausch, in dem eine »komische Pointe« vorkam, war eine Humoreske und basta. Ja, nicht einmal, daß eine trostlos schlecht erzählte Kleinigkeit keine Pointe, sondern an ihrer Stelle ein Witzchen aufwies, das bei näherem Zusehen knapp ein Kalauer war, bewahrte den armen Humor vor dem unverdienten Schicksal, eine mißratene Tochter landstreicherisch als Humoreske herumziehen sehen und dem unschuldigen Vater Schande machen lassen zu müssen.

 

Ich habe in meinem Leben mehr mit »Humoristen« zu tun gehabt als viele andere. Aber ich muß der Wahrheit gemäß bekennen, daß mir bei den meisten allenfalls ihre Eignung zum Gegenstand des Humors bemerkenswert erschien – wohl deshalb, weil selten etwas so traurig zu stimmen vermag wie die berufsmäßige Hervorbringung dessen, was allein einer Seelenhaltung entspringen kann. Diesem Widerspruch in sich selbst ist wohl auch der bekannte Umstand zuzuschreiben, daß Humoristen in der Regel schwermütig sind – und die sind noch die erträglichen, denn ihre Traurigkeit kommt aus der Erkenntnis, daß eine so einseitige Verausgabung das Gleichgewicht der Seele stören muß.

Als ich einmal dem berühmten Münchner Komiker Karl Valentin, einem obwohl sehr gescheiten, so doch rührend unverbildeten Menschen, zum Trost in Trübsal von der alltäglichen Erscheinung sprach, daß alle großen Humoristen Melancholiker gewesen seien, denn die einseitige Verausgabung müsse gesetzmäßig nach der anderen Seite belastend wirken, tat Valentin nach längerem Nachdenken den wirklich an Humor heranreichenden Ausspruch: »Also müßte ich eigentlich von Beruf Leichenbeschauer sein. Dann könnte ich wenigstens nach Feierabend ohne Traurigkeit lachen.«

So weit die Humoristen als seelisch Belastete. Man soll keinen Stein auf sie werfen; sie haben es nicht leicht im Leben. Aber die unentwegt bejahenden fröhlichen Neckbolde unter den »Humoristen« (darum bejahend, weil sie nicht ahnen, welche Bedeutung im Verneinen und seiner Überwindung liegen kann), denen das Dasein eine einzige goldene Heiterkeit bedeutet, im Gegensatz zu jenen, die stets von neuem auf den Grund tauchen und sich todesverachtend über Abgründe schwingen, – die tun unrecht, wenn sie sich gebärden, als ob sie mit dem wirklichen Humor Arm in Arm gehen dürften. Der Himmel behüte uns vor den Kolophoniumblitzen ihrer Laune und der Armseligkeit ihres Gelächters, das den Humor so sehr in Verruf gebracht hat, daß sich die Beschränktheit allein schon deshalb, weil sie vom tierischen Ernst besessen ist, für höhergeartet hält. Ja, daß man selbst klugen Menschen begegnet, die sich da nicht mehr auskennen und schließlich nicht davor zurückschrecken, einen Wilhelm Busch mit Spaßmachern auf eine Stufe zu stellen, weil auch er Dinge geschaffen hat, über die man nicht nur lachen kann, sondern sogar lachen muß.

Es konnte nicht ausbleiben, daß der Meister von Leuten, die niemals dahinterkamen, weshalb eine Humoreske mit Humor nichts zu tun haben kann, mit der Zeit so geschätzt, so hausgeschätzt, so – mit einem Wort – veronkelt wurde.

Aus seinen beliebten Bilderbüchern entnahmen sie nicht nur die in leichtfaßlicher Form vorgetragene und vor ihm kaum je mit ähnlich knapper Schlagkraft dagewesene Lebensweisheit, sondern sie genossen auch mit jener Schadenfreude, von der sie selbst immer wieder zwinkernd feststellten, daß sie die reinste aller Freuden sei, eine fast unabsehbare Folge von Hereinfällen, Lausbübereien und Folterungen, die zudem in überwältigend komischer Form und mit den könnerischen Mitteln höchster Einfachheit dargestellt waren.

Das war denn doch, um auf die Schenkel zu patschen! Das war zum Kugeln, zum Wälzen, zum Schreien, zum Langhinschlagen! So patschten, kugelten, wälzten sich die wohlsituierten Stammtischler, die der Aufmunterung zur Bestärkung in ihrer gemütlich-skeptischen Weltanschauung bedurften – um sich darüber im klaren zu bleiben, daß sie zwar in der besten aller Welten einen sicheren Ankerplatz gefunden hatten, sich aber dennoch der Kniffe und Angelruten des Daseins für Pechvögel und weniger Gefestigte, auf deren Kosten sie lachen konnten, schmunzelnd bewußt blieben.

In der Einschätzung dessen, was sie in dieser Art guthießen und darum als Humor empfanden, verlangten sie von dem Künstler, den sie sich allmählich bis zum Grade eines Lieblings zu eigen gemacht hatten, beständig die Wiederholung des Gleichen. Noch einen Plumps in den Brotteig, noch einen Angelhaken in den Finger oder einen Finger zwischen die Tür, noch einen Fall von der Treppe und – vorausgesetzt, daß man nicht etwa gut katholisch war und von Hochwürden entsprechende Aufklärung erhalten hatte – immer wieder eine Fromme Helene oder einen Pater Filucius. Das war für sie das Kriterium des Busch-Humors und die Voraussetzung zum bedingungslosen Mitgehen mit seinem Urheber.

Nur eins bedachten die so gearteten Förderer des Meisters nicht – und konnten es nicht bedenken: daß der Schöpfer ihrer Lieblingsgestalten im selben Maße, wie sie sich zunehmend für seine Geschöpfe begeisterten, von ihnen Abstand gewann und viel früher, als sich selbst Wissende träumen ließen, mit Abscheu und Grauen vor der geforderten Schematisierung zu kämpfen hatte, zu der sie allein im richtigen Verhältnis standen, nämlich in dem der sich ohne Scheu immer wieder mit hellem Jubel begegnenden Banalität. Wie hätte es auch anders sein können?

 

Wilhelm Busch war eine einmalige Erscheinung, an die von den meisten Mitlebenden die Forderung gestellt wurde, vielmalig, will sagen so klein zu sein, wie sie ihn haben wollten. Die ahnungslosen Bewunderer glaubten, viel zu verlangen, indem sie so wenig von ihm begehrten, wie er auf die Dauer, ohne sich selbst mißachten zu müssen, nicht gewähren konnte. Wenn sie geahnt hätten, wie reich er in seiner Verschämtheit eigentlich war – und wie arm dazu in seiner Bedrücktheit durch ihre Begeisterung – sie hätten ihn noch früher fallen lassen, als sie ohnehin taten. Und es hätte des Nachweises durch seine stillen, tiefen und darum unverständlichen Sachen gar nicht mehr bedurft, um die Stammtische und den Hausgebrauch ebenso wie die Intellektuellen zu überzeugen, »daß nichts mehr mit ihm los sei«.

Jawohl: Daß Busch die Forderung nach immer mehr von dem komischen Schema nur bis zu einer gewissen Wegscheide erfüllen konnte – nämlich bis zu dem Punkt, da seine künstlerische Selbstachtung ebenso wie seine menschliche Vornehmheit zum Ausdruck brachte: bis hierher und nicht weiter! – haben ihm die Stammtische, die ja nach den Bedürfnissen der Zeit jeweils sowohl individualistisch wie auch kollektivistisch eingestellt sein können, ebensowenig verziehen wie die intellektuellen Spießer in den Redaktionen der damaligen Berliner »Weltblätter«. Die einen wie die anderen stellten bedauernd fest: Er hat sich ausgeschrieben! Wenn er den Knopp nicht zum soundsovielten Mal in Ungelegenheiten bringen, ja nicht einmal die Helene wiederauferstehen lassen kann, muß er doch fertig sein!

Jawohl – das war er auch. Nur eben in einem anderen Sinne als die enttäuschten Ahnungslosen meinten.

Mit ihnen war er fertig.


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