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So bummelte unser skeptisch-behaglicher, ein wenig verträumter und spökenkiekerischer, gleichzeitig aber mit unendlich scharfen Beobachtungsorganen ausgerüsteter Weltflüchtling zwischen den niederdeutschen Heimatdörfern Wiedensahl und Lüethorst umher und wunderte sich, daß die von ihm zum Zeitvertreib ausgezeichneten Verse, aber natürlich mehr noch die lustigen Zeichnungen, seinen Namen mit Lorbeer umkränzten und – was noch märchenhafter war – seinen Beutel dermaßen füllten, daß jede Sorge um das schnöde Geld wie durch den Besitz eines Zaubersäckels für alle Zeit verbannt schien.
Der Mann, der in der Hauptstadt München nur auf Urlaub vom Dörfchen seine Tage und Nächte hinbrachte, lebte auf dem Lande wirklich, indem er es auf Schritt und Tritt erlebte. Wie ein ewig Verliebter, ja wie ein Fetischist blieb er der Natur auf den Hacken. Keine Minute – und wäre sie scheinbar noch so trödelig und duselnd hingebracht worden – verging in Wahrheit, ohne daß er ihr nicht ein neues Geheimnis abgelauscht hätte. Vor seinem Zeichenstift war kein Gräschen, kein Häschen, kein Tierexkrement, kein Spinnennetz und keine Vogelfeder sicher. Und die Summe aller dieser Bewegungs-, Regungs-, Farben- und Stimmungsergebnisse wurde im zeichnerisch Ausdruckfähigen ebenso wie im dichterisch Erlebnishaften dem Arsenal zugeführt, dem er hin und wieder, wenn es ihn jückte, einmal auf seine Art Gottvater zu spielen, alle Bestandteile seiner Darstellung mit leichter Hand entnahm – mit leichter Hand und dennoch im Schweiße seines Angesichts wie jeder wahrhaft Schöpferische. Es ist ganz wunderbar und für den Nichteingeweihten kaum zu glauben, welche Fülle winzigster Kunstwerke in den Papierkorb fiel, bis einmal eins so in sich geschlossen herauskam, daß er damit zufrieden war. Und was geschah hernach damit? Es verstaubte ungesehen mit vielen anderen in einer Mappe, aber –: ein Mehr an Können war dem Zeichner heimlich zugewachsen – eben jenes Mehr, das sich in einem noch vollkommener komischen Strich irgendeiner Zeichnung auswirkte, die dann dem Publikum gerade deshalb gefiel, weil sie ihm wie aus dem Ärmel geschüttelt schien.
Wenn seine Seele dabei ungeachtet aller Glücksumstände des behaglichen Seins in der Kleinwelt der Bosheit dennoch nicht entraten konnte und seine wuchtigen zwei Zentner ihr die Steine des Anstoßes immer wieder in den Weg wälzten, so kann man dazu nur, in seinem Sinne dichterisch angewandelt, sagen:
Vor allem wäre zu bemerken:
Der Teufel steckt in Gottes Werken.
Wilhelm Busch gesteht einmal: Ich habe nichts erlebt. Wenn das natürlich auch nur im Hinblick auf die äußere Bewegtheit des Daseins gesagt scheint, so ist doch nicht von der Hand zu weisen, daß bei ihm vieles auch für ein wenn nicht dünnes, so doch begrenztes oder stockendes Innenleben spricht.
Im individualistischen Zeitalter, da die Beziehung zum andern Geschlecht einen viel wesentlicheren Teil des Lebensinhalts ausmachte als in einer Zeit wie der heutigen, der andere Sorgen und Aufgaben wichtiger sind, hatte es viel zu bedeuten, wenn ein Mann von vierzig Jahren »die Frau« für sich abgetan wußte. Wenn er sich zudem und vielleicht im Zusammenhang damit auch noch vom beruflichen Geltungsstreben in seiner üblichen bestimmenden Form und weiter von allen sonstigen männlichen Ehrgeizen befreit fühlen konnte, – wie hätte bei einer solchen Entbundenheit eigentlich alles in ihm strömen und einer jubelnden Aufgeschlossenheit für künstlerische Gestaltung hingegeben sein müssen! Aber so gut geht es eben doch keinem Sterblichen, daß mit der Flucht in die Einsamkeit auch schon die Fähigkeit gegeben wäre, sie so fruchtbar zu machen, wie irgend jemand sich das vorstellt. In der Tat ist es schon mehr, als füglich zu erwarten wäre, wenn der von allen zeitläufigen Lebens- und Tatenbindungen solchermaßen freigewordene Künstler in der Natur überhaupt zum Schaffen kommt und von den Zweifeln, die sich im Verhältnis zur Muße der Einsamkeit gern verhundertfachen, nicht gänzlich aufgefressen wird.
So wird denn auch ungeachtet allen Fleißes in der Kleinarbeit des Beobachtens, Skizzierens und Aufnehmens die Neigung zum absolut Aphoristischen immer deutlicher: im Wort herrscht der Zweizeiler vor, der das ganze Ergebnis des Schopenhauerschen Denkerlebens mit einem summarischen Achselzucken abschließt (soweit er es nicht etwa gar vorwegnimmt):
Denn hinderlich wie überall
Ist hier der eigene Todesfall.
In der Zeichnung dagegen bildet er sich immer equilibristischer zum Spezialisten meisterhaft umständlich dargestellter Hereinfälle und Drangsalierungen seiner Geschöpfe aus. Aber – und das ist bezeichnend für einen gerade auf diesem Gebiete so großen Könner – am liebsten wird es ihm allmählich, wenn man ihn damit ganz in Ruhe läßt. Viel lieber dichtet er, und zwar – noch charakteristischer! – nicht in Versen, sondern in einer Prosa, deren Sätze »es in sich haben«; die in ihrer scheinbar mühelos hingeschriebenen Art zäh erarbeitet und durchtränkt sind mit der Essenz seines Charakters und dem Gehalt seines Wesens wie nur irgend etwas von einer selbständigen Natur.
Allenfalls werden in diesen Prosaarbeiten noch ein paar nebensächliche Bildchen wie eine Abschlagszahlung an das große Publikum hingeworfen – da habt ihr den Quark! – aber schon mit einer Art von Geringschätzung der Popularität, daß man deutlich erkennt: sie ist ihm nicht im mindesten mehr wichtig. Und warum ist sie ihm nicht mehr wichtig (wenn sie es wirklich je war)? Weil er genau weiß, daß das, was ihm wichtig ist: das Herausstellen seines eigentlichen Wesens in seiner Prosa – nahezu an allen vorübergeht, die ihn liebten, weil sie ihn mit Begeisterung nur so verstanden, wie sie ihn haben wollten; weil sie ihn dennoch und immer wieder nicht für eine sich nun gerade »komisch« ausdrückende schöpferische Natur, sondern für »das Viech« (um mit dem Bayrischen, von dem er ausging, anzufangen), den »dollen Bruder« und zu böser Letzt für den Onkel des deutschen Familienhumors halten.
Er aber, in Wiedensahl eingekapselt, ist ein ebenso gütiger wie böser Elementargeist, der Bilder malt, die niemand zu sehen bekommt, und heimlich eine Prosa schreibt, in welcher der Empfindungs- und Gedankengehalt von Voltaires bitterbösem »Candide« auf deutsche Art, das will heißen mit einer nicht geringeren, sondern eher bissigeren Wonne an der Durchhechelung des Idealzustandes dieser »besten aller Welten« zu persönlichem Ausdruck gebracht wird.
Im »Schmetterling« begegnet der Erzähler schon im Eingang zum Dorf Juxum einem überaus munteren Greis, der auf die Frage, wie er es angefangen, so alt zu werden, schmunzelnd erwidert: »Regelmäßig weiterleben ist die Hauptsache. Ich esse, trinke, schlafe regelmäßig, und wenn meine Frau stirbt, so heirate ich regelmäßig wieder. Jetzt hab ich die fünfte. Ich bin der Bäcker Pretzel. Dort liegt das Wirtshaus. Gleich komm ich nach.«
In der Schenke sitzen die andern Stammtischler und philosophieren. »Gleich wird Bäcker Pretzel kommen«, bemerkt die Wirtin. »Seit nun bereits fünfzig Jahren präzis um Schlag fünf, setzt er sich hier auf seinen Platz und trinkt regelmäßig seine fünf Schnäpse.«
»Das ist wie mit den ewigen Naturgesetzen!« erklärt der schnauzbärtige Förster.
Die Uhr schlägt fünf. Es faßt wer draußen auf die Türklinke.
»Hurra!« heißt es. »Da kommt Pretzel. Jetzt wird's lustig!« Die Tür geht auf. Der Bäckerjunge tritt ein und teilt mit, daß der alte Pretzel soeben gestorben ist.
Auf einen Augenblick des Schweigens folgt ein allgemeines Gelächter. Man lacht über sich selber, daß man so dumm gewesen war, zu glauben, es gäbe was Gewisses in dieser Welt.
Gegen den Schluß hin trifft der Erzähler eine vornehme Gesellschaft vor einem Schloß. Die Lakaien, die herumstehen, machen einen soliden, vertrauenerweckenden Eindruck. Sie sind tadellos rasiert und fett und tragen in großen goldenen Buchstaben treffliche Wahlsprüche auf den Livreen: Gut – Schön –Wahr – Ora – Labora und so weiter.
Es freut den Erzähler, so biedere Leute zu sehen, und der fetteste von ihnen, der die Inschrift »Treu und Redlichkeit« trägt, sagt erklärend: »Wir sind die guten Grundsätze.«
Der Erzähler will ihm gerührt die Hand drücken, aber die ist weicher als Butter, und als er ihm auf die Schulter klopft, sackt der Windbeutel zusammen.
Schließlich erscheint der Herr von dem allen, »Se. Durchlaucht der Fürst dieser Welt«. Es ist der hochstapelnde Teufel, der mit der betrügerischen Hexe in der Equipage sitzt.
Nach so viel Spott und Hohn geht zu böser Letzt alles auf bittere Entsagung hinaus, und man kann alles andere eher behaupten, als daß der Urheber dieser Geschichte ein Menschenfreund sei.
Aus den Bitterkeiten von »Eduards Traum«, der dem berühmten rosenroten Optimismus auf eine Art mitspielt, die es begreiflich erscheinen läßt, daß das Buch nur ganz langsam eine verhältnismäßig kleine Auflagenziffer erleben konnte, genügt ein kurzer Abschnitt als Beweis, daß etwa der bissige Ire Bernard Shaw mit dem Zauber der Mythologie immer noch liebevoller umging als unser herzhafter deutscher Humorist:
»Unterwegs, als ich bei einer ganz kleinen Insel vorüberkam, sah ich mehrere antike Sirenen auf ihren Nestern sitzen. Ihre Gesichter waren faltig wie dem Großvater sein lederner Tobaksbeutel, und Stimmen hatten sie auch nicht mehr, sondern schnatterten wie die Gänse. Da sie nicht länger, weder durch Gesang noch durch Händewinken und Augenzwinkern, den Schiffer bezaubern konnten, versuchten sie's vermittelst goldener Eier, die sie selber gelegt hatten, und als ich mich auf nichts einließ, schmissen sie damit, und ich merkte wohl an einem, welches dicht an mir vorbeiflog, daß sie nicht echt waren, und freute mich, daß mich keins traf wegen meiner Geringfügigkeit, und so erreicht' ich wohlbehalten das Festland, ohne vergüldet zu werden.«
Und zwischendurch – oder auch in der Hauptsache – immer wieder: Käferchen begucken, Hälmchen abzeichnen, Vögelchen das Tütelü und Wipptirili ablauschen, das Kätzchen streicheln und mit dem Gänschen um die Wette schnattern – wie der Dämon des alten Volksmärchens all das betreibt – nicht ohne zur Abwechslung den Menschen, den unverbesserlich bösen, die Nase einklemmen, die Finger verbrühen, die Suppe versalzen zu lassen – und alles dies unter ebenso herz- wie boshaftem Gekicher. Einmal nimmt er den »Macbeth« mit hinaus in die Heide und versucht, die Sprache der Hexenszenen »in seine Dorfsprache zu übersetzen«, denn er hat plötzlich das Gefühl, daß die drollig-ernsten Spukgeschichten seiner Kindheit in der Erinnerung genau so auf ihn einwirken wie der Shakespeare, und so versucht er treuherzig, sich die Hexen »ins Plattdeutsch herüberzuholen«.
Aber immer wieder kommt der Augenblick, da unser bösgütiger bebarteter Einsiedelmann mit einem wahren Jauchzer des Triumphes den Ausbruch des Niederträchtigen mitten im scheinbar Guten feststellt und aus dieser Entdeckung Folgerungen zieht, die recht verschieden von denen seiner Nächststehenden sind, die das krullige Wesen des Versponnenen um so unerschließbarer finden, je liebevoller sie sich um ihn bemühen.