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In den Münchner Jahren zwischen 1865 und 1870 – von »Max und Moritz« bis zum »Heiligen Antonius« – zeichnete er eine Menge Sachen für die »Fliegenden«, die Bilderbogen und »Über Land und Meer«, darunter »Schnaken und Schnurren«, »Hans Huckebein, der Unglücksrabe«, »Das Pusterohr«, »Schnurrdiburr oder Die Bienen«, alles Darstellungen, die ihn schon so erkennen lassen, wie er war und im großen und ganzen auch bleiben mußte.
Wenn er der Stadt überdrüssig war, was ziemlich oft geschah, fuhr er immer wieder in die Heimat, und daß er so an ihr hing, war gewiß nicht Sentimentalität, sondern fast, wenn man so sagen darf, eine Zweckmäßigkeitsangelegenheit: Das ländliche Idyll wurde immer mehr zur Voraussetzung für die Möglichkeit, sich im Umgang mit dem Kleinen, Erdgebundenen zu künstlerischer Gestaltung anregen zu lassen. Es gibt aus dieser Zeit Skizzen von ihm, die das deutlich beweisen, zum Beispiel raufende Hähne, in deren Ausdrucksbewegung der groteske Humor des von Schopenhauer so getauften »tierischen Ernstes« auf eine Art gestaltet wird, wie sie einzig das Erleben an Ort und Stelle möglich machen kann. Und das Merkwürdige ist: Wenn man den gleichen harmlosen Vorgang auf einem Blatt sieht, das er dreißig Jahre später gezeichnet hat, meint man in der Wiedergabe eines so winzigen Naturausschnittes zu erkennen, welche Welt von Beobachtung, Erfahrung und Können zwischen den beiden Darstellungen liegt.
Ende der sechziger Jahre geschah das Überraschende, daß sich Busch doch einmal ein ganzes Jahr lang in einer anderen Umgebung aufhielt, nämlich in Frankfurt am Main, wo sich sein Bruder Otto als Hauslehrer bei dem Bankier Keßler festgesetzt hatte. Die Keßlers scheinen ungewöhnlich nette Leute gewesen zu sein, denn es ist fast ein Wunder, daß ein so scheuer Mensch wie Wilhelm Busch lange Zeit innerhalb eines fremden Wohnbezirks blieb. Er drückte denn auch seine Dankbarkeit für ein so seltenes Erlebnis durch eine kavalierhafte Betätigung aus: indem er für die Dame des Hauses eine einmalige Pergamentausgabe des »Heiligen Antonius« in Mönchsmanier mit Initialen und Aquarellen herstellte. Ja, sogar zu einer Porträt-Büste der Frau Keßler ließ er sich hinreißen und auch Ölgemälde verehrte er der Frankfurter Familie. Sein Bruder Otto, der ein unentwegter Schopenhauer-Anhänger war, bestärkte Wilhelm natürlich in seinen alten Neigungen, und bei ihren Disputationen hörte die Skepsis nimmer auf. In Frankfurt entstanden auch, auf Anregung des Verlegers Grote, die »Bilder zur Jobsiade«. Doch vor allem wurde die später so berühmt gewordene »Fromme Helene« in der Goethestadt geboren – wohl der überzeugendste Beweis, daß es ihm dort in jeder Hinsicht gut gegangen sein muß.
Von Frankfurt ging er auf einige Zeit nach Heidelberg, wo sein Münchner Jugendfreund Bassermann das väterliche Verlagsgeschäft übernommen hatte, das er später nach München verlegte.
Auch diese lebhafte Zwischenzeit endete, wie jede Unternehmung Buschs, wieder mit einem Aufenthalt in Wiedensahl. Von hier aus war er dann noch mehrmals in Frankfurt; aber Ende der siebziger Jahre starb sein Bruder, und damit wurden die Beziehungen zu der Stadt, die ihm nächst München die stärkste Anregung geboten hatte, lockerer. Schon Anfang der siebziger Jahre hatte er alle seine Sachen nach Wiedensahl ins Elternhaus schicken lassen, gewissermaßen als Ausdruck seines – damals vielleicht noch nicht einmal bewußten – Willens, eher früher als später ganz und gar Einsiedler zu werden. Zwar reiste er noch einen Teil des Jahres oder hielt sich auch wieder in München auf, doch blieb er nie länger; es war, als ob der Aufenthalt im alten Wiedensahl für ihn gleichbedeutend mit der Zuflucht zu seiner stärksten Kraftreserve sei.
Es ist merkwürdig, zu sehen, wie er auf das Drängen seiner Freunde und infolge der »vernünftigen« Erwägung, daß es für ihn als Künstler aussichtsreicher sein müsse, sich in der großen Kunststadt aufzuhalten, immer wieder den Versuch unternimmt, sich dort wirklich und endgültig festzusetzen – und wie es immer wieder fehlschlägt. Der wendige und unbekümmert schaffende Gedon richtet ihm in der Karlstraße ein gemütliches Atelier ein. Die Verleger sind, wie sich das einem inzwischen berühmt gewordenen Autor gegenüber von selbst versteht, zu jedem Entgegenkommen bereit. An guten Freunden fehlt es aus den gleichen Gründen erst recht nicht, und anmutige Frauen würden dem berühmten Mann, der obendrein mit seiner eindrucksvollen Erscheinung den meisten Männern überlegen war, gewiß nicht die kalte Schulter zeigen – aber alles umsonst. Busch mag einfach das städtische Leben nicht. Er mag die vielen Leute nicht. Der Lärm ist ihm zuwider – ja sogar das Bier lehnt er ab und begeht damit für bayrische Begriffe eine Art von Landesverrat.
»Mir wird ganz unklug von dem allen«, sagt er einmal und beweist damit, wie klug er ist. »Und dann nie vor nachts zwei Uhr ins Bett!« Womit er zum Ausdruck bringt, daß er im Gegensatz zum genialischen Über-die-Schnur-Hauen des lustigen Künstlervölkchens, das vor lauter künstlerischem Bewußtsein nie zu sich selbst kommt, ein in sich ruhender Mensch geblieben ist, dem der Genuß seiner selbst und die Beschäftigung mit Dingen, die seiner wahren Wesenheit entsprechen, wichtiger ist als aller gesellschaftliche und hochstreberische Firlefanz.
In dem »klimperkleinen Plätzchen« der Heimat lebt er auf eine Art für sich, daß man von gelegentlichen Äußerungen den Eindruck gewinnt, das große Leben in der weiten Welt bedeute ihm überhaupt nur noch ein fernes lästiges Geräusch. Sogar ein Sängerfest in der Nachbarschaft, zu dem er eingeladen wird, kommt ihm wie eine fürchterlich aufregende Angelegenheit vor, und er bemerkt ungehalten: »Da ich mich durchaus nicht besinnen konnte, was ich da eigentlich anfangen sollte, so blieb ich zu Hause.« Wichtig ist ihm dagegen, festzustellen, daß die Rosen im Garten trotz regelmäßigen Lesens von Läusen zerknabbert sind. Immerhin treten sie aber trotzdem in Blüte. Auch über Bohnen, Erbsen, Gurken und weißen Kohl macht er sich Gedanken und bei den täglichen Spaziergängen sammelt er eifrig Champignons und Schwammerlinge. Er kennt jeden Vogel am Gesang wie am Gefieder. Es ist anzunehmen, daß er eine Schnecke, die unvorsichtig auf den Dorfweg gekrochen ist, vorsichtig wegträgt, damit sie nicht überfahren wird. Aber bemerken darf das natürlich niemand, denn er gebärdet sich schroff vor sich selbst und bewegt, wenn nicht im Gemüt, so doch im Hirn Empfindungen, die er mit diesen Worten jemand anvertraut, der Gott sei Dank fern ist:
»Es freut mich von Herzen, daß die naßkalte Witterung so günstig auf Ihre Moralität einwirkt. Sie lieben Ihre Freunde und verzeihen Ihren Feinden. Ach, du lieber Himmel! Wenn's mir doch auch so ginge! Aber mich, mich abscheulich verhärteten Sünder hat noch immer das Alte Testament beim Frack; ob's regnet oder schneit oder die Sonne aus allen Löchern scheint, es bleibt dabei: So dich jemand auf den linken Backen schlägt, so reiße ihm das rechte Auge aus und wirf es von dir.«
Während er so, der kleinen Umwelt mit Blick und Gefühl hingegeben, dennoch in seinem Innern unausgesetzt mit den Mächten hadert und »seinem Affen Zucker gibt«, entstehen Bilderfolgen wie »Herr und Frau Knopp«, »Julchen«, »Die Haarbeutel«, »Balduin Bählamm«, »Plisch und Plum« und »Maler Klecksel«, mit denen sich die Menschen in den Städten ebenso laut und fröhlich beschäftigen, wie ihr Schöpfer sie still und von zwiespältigen Empfindungen herumgerissen in der Verborgenheit seiner Einsiedelei empfangen hat.
Auch in der Art, sich nicht in die Karten schauen zu lassen und selbst da zunächst abzulehnen, wo er schon ja zu sagen entschlossen ist, zu grollen und zu »murkeln«, wenn ihm eigentlich ganz zustimmend behaglich zumute ist, bleibt er unentwegt der gleiche. Wenn ihn zum Beispiel der Neffe, bei dem er lebt, um eine Eintragung ins Hausbuch bittet, damit die Kinder eine wertvolle Erinnerung haben, lehnt er ab und brummelt, andere könnten das viel besser. Aber nachdem die Familie auch damit zufrieden ist und kein Wort mehr davon erwähnt, findet sie eines Tages folgende Eintragung im Hausbuch, die manchem gründlich zu widersprechen scheint, was er sonst geäußert hat, aber in Wirklichkeit dem wahren Empfinden entspricht, mit dem sich der Ring schließt:
Haß als minus und vergebens
Wird vom Leben abgeschrieben.
Positiv im Buch des Lebens
Steht verzeichnet nur das Lieben.
Ob ein Minus oder Plus
Uns verblieben, zeigt der Schluß.
Welche Bücher liest der Einsiedler, wenn er nicht gerade zum soundsovielten Male ein Blatt, einen Tonkrug, eine Kinderhand oder einen über den Zaun gestülpten Nachttopf zeichnet und damit immer wieder Auge, Hirn und Handgelenk für einen auserlesenen Strich zu einer neuen komischen Zeichnung vorbereitet? Er liest Shakespeare, Cervantes, Carlyle, Scott, Dickens, aber auch eine bekannte radikale Tageszeitung, denn merkwürdigerweise beschäftigt diesen wohlversorgten Idylliker trotz aller Weltabgewandtheit das Schicksal der Arbeiter, die sich mit Händen und Füßen abrackern, vorwärts zu kommen, aber dennoch »ewig auf der Stelle treten müssen«. Und seltsam – gerade bei diesem Problem empfindet er Gedanken, die uns heute wie Voraussagungen eines ahnungsvollen Gemüts anmuten. Es ist von Streiks und Aussperrungen die Rede, und Busch findet, daß alles falsch gemacht wird. Wie aber soll es richtig gemacht werden?
»Wenn die Sache wirklich vorwärtsgehen soll, dann muß ein Mensch sie machen, der schlaflose Nächte drum hat. Staatliche Beamte, die ihr Gehalt kriegen, haben keine schlaflosen Nächte und grübeln nicht. Es muß einer grübeln über neue Mittel und Wege der Arbeit, und das kostet schlaflose Nächte. Nur dann wird was draus.«
Das ist zu einer Zeit gesagt, da den Herrschenden solche Gedanken noch ketzerisch, wenn nicht lächerlich vorkamen, und es beweist, daß im Kopf des Mannes, der sein Volk wie kein anderer durch Späße zum Lachen bringen konnte, die merkwürdigsten Dinge beieinander lagen.
Überhaupt stellt er sich zu den Großen der Welt wie ein Mann, der seiner Überzeugung so gewiß ist, daß er durch Beifall oder Ablehnung in seiner Meinung nicht beeinflußt werden kann:
»Den Bismarck habe ich mal in Frankfurt gesehen, von weitem. Er ging spazieren in Kürassieruniform. Ein ganzer Haufe Bengels und Proleten war hinter ihm her. Als mich der Lenbach einlud, mal mit nach Friedrichsruh zu fahren, hatte ich nicht die geringste Neigung dazu. Wer wird sich denn in solchen Zwang begeben; und wenn es noch so zwanglos und bummelig sein sollte, es gehört eine andere Natur dazu. Ich habe vor Bismarck eine außerordentliche hohe Achtung und Bewunderung; aber ich weiß ja so, was er getan hat; dazu brauche ich ihn nicht zu sehen.«
Und von Menzel sagt er: »Ich habe ihn nicht gekannt. Er war mal in München; ich muß gerade nicht dagewesen sein. Doch liegt mir auch nichts dran; ich hätte mir keine Mühe gegeben, ihn zu sehen; ich weiß so, daß er viel und Gutes geleistet hat.«