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§ 10.

Das Ich enthält alles Sein, alle Realität. Sollte es eine Realität außerhalb des Ichs geben, so würde sie mit der im Ich gesetzten entweder übereinstimmen oder nicht. Nun ist alle Realität des Ichs bestimmt durch seine Unbedingtheit; es hat keine Realität, als insofern es unbedingt gesetzt ist. Gäbe es also eine Realität außer dem Ich, die mit der Realität im Ich übereinstimmte, so müßte diese Realität gleichfalls Unbedingtheit haben. Nun erhält aber das Ich alle seine Realität nur durch Unbedingtheit, mithin müßte Eine Realität des Ichs, die außer ihm gesetzt wäre, zugleich alle Realität desselben enthalten, d.h. es würde ein Ich außer dem Ich geben, was (§ 9) ungereimt ist. – Würde aber jene Realität außer dem Ich seiner Realität widerstreiten, so würde durch das Setzen jener eine Realität im Ich, und, da das Ich schlechthin Einheit ist, das Ich selbst mit aufgehoben, was ungereimt ist. (Wir sprechen vom absoluten Ich. Dieses soll Inbegriff aller Realität sein, und alle Realität soll ihm gleich gesetzt, d.h. seine Realität sein. Es soll die Data, die absolute Materie der Bestimmung alles Seins, aller möglichen Realität enthalten.) Will man Einwürfe antizipieren, so müssen wir auch Antworten antizipieren. Unser Satz nämlich wäre freilich sehr bald widerlegt, wenn entweder ein vor allem Ich gesetztes Nicht-Ich denkbar, oder das dem Ich ursprünglich und schlechthin entgegengesetzte Nicht-Ich als absolutes Nicht-Ich realisierbar, kurz, wenn die Realität der Dinge an sich in der bisherigen Philosophie beweisbar wäre; denn alsdann würde alle ursprüngliche Realität ins absolute Nicht-Ich fallen.

Ding an sich nämlich wäre entweder das vor allem Ich gesetzte Nicht-Ich; allein es ist schon bewiesen, daß ein vor allem Ich gesetztes Nicht-Ich schlechterdings keine Realität habe, ja nicht einmal denkbar sein könne, weil es sich nicht, wie das Ich selbst, realisiert, und nur in der Entgegensetzung gegen das Ich, und zwar nicht gegen das bedingte (denn dieses ist nur Korrelatum des Objekts), sondern gegen das absolute Ich gedenkbar ist.

Oder wäre das Ding an sich das dem Ich in seiner Endlichkeit schlechthin entgegengesetzte Nicht-Ich in seiner bloßen Entgegensetzung. Nun ist es zwar richtig, daß das Nicht-Ich ursprünglich dem Ich schlechthin, und bloß als solches, entgegengesetzt wird, Insofern das Nicht-Ich dem Ich ursprünglich entgegengesetzt wird, setzt es das Ich notwendig voraus. Aber die Entgegensetzung selbst geschieht schlechthin, so gut als das Setzen des Ichs: eben deswegen aber ist das der Realität schlechthin Entgegengesetzte notwendig absolute Negation. Daß das Ich sich ein Nicht-Ich entgegengesetzt, dafür läßt sich so wenig weiter ein Grund angeben, als davon, daß es sich selbst schlechthin setzt, ja eins schließt unmittelbar das andere ein. Das Setzen des Ich ist absolutes Entgegensetzen, d.h. Negieren dessen, was Nicht = Ich ist. Aber ursprünglich kann überhaupt nichts, noch viel weniger aber etwas schlechthin entgegengesetzt werden, wie doch geschieht, ohne daß zuvor etwas schlechthin gesetzt ist. – Der zweite Grundsatz der Wissenschaft, der das Nicht-Ich dem Ich schlechthin entgegensetzt, erhält in sofern seinen Inhalt (das Entgegen gesetzte) schlechthin, seine Form aber (das Entgegen setzen selbst) ist nur durch den ersten Grundsatz bestimmbar. – Der zweite Grundsatz soll aber nicht aus dem ersten analytisch hergeleitet werden, denn aus dem absoluten Ich kann kein Nicht-Ich hervorgehen, vielmehr findet ein Progressus von Thesis zu Antithesis, und von da zu Synthesis statt. Es wäre freilich nicht zu begreifen, wie die gesamte Wissenschaft auf einen Grundsatz gegründet werden könnte, wenn man annähme, daß sie in demselben gleichsam eingeschachtelt wäre; allein dies hat auch, soviel ich weiß, kein Philosoph behauptet. weswegen auch das ursprüngliche Nicht-Ich kein bloß empirischer, abstrahierter Begriff sein kann (denn um einen solchen Begriff in der Erfahrung zu finden, müßte Erfahrung selbst, d.h. das Dasein eines Nicht-Ichs, vorausgesetzt werden), ebensowenig ein allgemeiner Begriff a priori, (denn es ist zwar nicht schlechthin gesetzt, aber schlechthin entgegengesetzt, muß also) als ein Entgegengesetztes, in der Qualität seines Entgegengesetztseins ebenso absolut (entgegengesetzt) sein, als das Ich gesetzt ist). Dieses ursprüngliche Entgegensetzen des Nicht-Ichs schlechthin kann es auch allein möglich gemacht haben, sich ein absolutes Nicht-Ich vor allem Ich einzubilden. Denn, obgleich der Dogmatismus sich anstellt, als ob er imstande wäre, ein Nicht-Ich vor allem Ich, nicht entgegengesetzt, sondern schlechthin gesetzt zu denken, so wäre ihm doch selbst das bloße Denken eines absolut- gesetzten Nicht-Ichs unmöglich gewesen, hätte ihm nicht das absolut- entgegengesetzte vorschwebt, dem er dann überdies noch unvermerkt diejenige Realität lieh, die nicht dem schlechthin entgegengesetzten, sondern dein im Ich gesetzten Nicht-Ich zukommt.

Jenes schlechthin entgegengesetzte Nicht-Ich nämlich ist zwar nicht schlechterdings undenkbar, wie das schlechthin (d.i. vor allem Ich) gesetzte Nicht-Ich, aber es hat als solches schlechterdings keine, auch nicht einmal denkbare, Realität. Denn es ist eben deswegen, weil es dem Ich schlechthin entgegengesetzt ist, nur als bloße Negation, als absolutes Nichts gesetzt, von dein sich also auch nichts, schlechterdings nichts, als seine bloße Entgegensetzung gegen alle Realität aussagen läßt. Sowie wir ihm Realität mitteilen wollen, versetzen wir es aus der bloßen Sphäre des absoluten Entgegensetzens in die Sphäre des Bedingten, im Ich Gesetzten. Entweder ist es nämlich dein Ich schlechthin entgegengesetzt, also absolutes Nicht-Ich, d.h. absolutes Nichts, oder es wird zum Etwas, zum Ding, d.i. es wird nicht mehr schlechthin entgegengesetzt, sondern bedingt, ins Ich gesetzt, d.h. es hört auf, Ding an sich zu sein.

Will man also das dem Ich ursprünglich und schlechthin entgegengesetzte Nicht-Ich Ding an sich nennen, so geht das recht gut an, sobald man nur unter Ding an sich absolute Negation aller Realität versteht; will man ihm aber als schlechthin entgegengesetztem Nicht-Ich Realität beilegen, so ist dies nur durch eine Täuschung der empirischen Einbildungskraft möglich, die ihm diejenige Realität leiht, die dem Nicht-Ich nur in der Qualität seines Gesetztseins im Ich zukommt. Da nämlich dem ursprünglich entgegengesetzten Nicht-Ich schlechterdings keine Realität, sondern bloße Negation, weder reines noch empirisches Sein, sondern gar kein Sein (absolutes Nichtsein) zukommt, so muß es, wenn es Realität bekommen soll, dem Ich nicht schlechthin entgegen, sondern in ihm selbst gesetzt sein. Insofern nämlich das Ich sich ursprünglich ein Nicht-Ich entgegensetzt (dasselbe nicht bloß ausschließt, wie das absolute Ich), setzt es sich selbst als aufgehoben. Da es aber zugleich sich selbst schlechthin setzen soll, so setzt es hinwiederum das Nicht-Ich als schlechthin aufgehoben = 0. Setzt es also das Nicht-Ich schlechthin, so hebt es sich auf, setzt es sich schlechthin, so hebt es das Nicht-Ich auf – und doch sollten beide gesetzt sein. Dieser Widerspruch ist nicht lösbar, als nur dadurch, daß das Ich sich das Nicht-Ich gleich setzt. Allein dem widerstrebt die Form des Nicht-Ichs. Mithin kann es dem Nicht-Ich nur Realität mitteilen, es kann das Nicht-Ich nur setzen als Realität, verbunden mit Negation. Das Nicht-Ich hat also so lange keine Realität, als es dem Ich nur entgegengesetzt, d.h. reines, absolutes Nicht-Ich ist; sobald ihm Realität mitgeteilt wird, muß es in den Inbegriff aller Realität, ins Ich, gesetzt werden, d.i. es muß aufhören, reines Nicht Ich zu sein. Um es nämlich in sich setzbar zu machen (was notwendig ist, da es zwar dem Ich entgegen – aber doch gesetzt sein soll), ist das Ich schlechthin genötigt, ihm seine Form, die Form des Seins und der Realität, der Unbedingtheit und der Einheit mitzuteilen. Dieser Form aber widerstrebt die Form des ursprünglich entgegengesetzten Nicht-Ichs; mithin ist die Übertragung der Form des Ichs an das Nicht-Ich nur durch Synthesis beider möglich, und aus dieser übertragenen Form des Ichs, der ursprünglichen Form des Nicht-Ichs, und der Synthesis dieser beiden entstehen die Kategorien, durch welche allein das ursprüngliche Nicht-Ich Realität erhält (vorstellbar wird), eben deswegen aber aufhört, absolutes Nicht-Ich zu sein.

Mithin ist die Idee von Ding an sich schlechterdings nicht, weder durch ein vor allem Ich gesetztes, noch durch das dem Ich ursprünglich entgegengesetzte Nicht-Ich zu realisieren. Aber ebenso leicht könnte der Satz, daß im Ich alle Realität enthalten sei, umgestoßen werden, wenn die theoretische Idee eines objektiven, außer dem Ich vorhandenen Inbegriffs aller Realität realisierbar wäre. Wir räumen es ein, daß die höchste Synthesis, durch welche die theoretische Vernunft den Widerstreit zwischen Ich und Nicht-Ich zu lösen versucht, irgend ein x ist, in welchem diese beide Realitäten, das Ich und das im Ich gesetzte Nicht-Ich, als einem Inbegriff aller Realität, vereinigt werden sollen, daß demnach dieses x als etwas außer dem Ich, also = Nicht-Ich, aber ebensowohl als etwas außer dem Nicht-Ich, also = Ich, bestimmt ist, kurz, daß die theoretische Vernunft sich genötigt sieht, zu einem absoluten Inbegriff aller Realität = Ich = Nicht-Ich seine Zuflucht zu nehmen, und eben dadurch das absolute Ich als Inbegriff aller Realität aufzuheben.

Aber die höchste Synthesis der theoretischen Vernunft, die anders nichts, als der letzte Versuch, den Widerstreit zwischen Ich und Nicht-Ich beizulegen, ist, wird für uns, obgleich sie die absolute Realität des absoluten Ichs geradezu aufzuheben scheint, doch zugleich selbst der vollgültigste Bürge derselben, weil das Ich niemals genötigt sein könnte, jenen Widerstreit durch die Idee eines objektiven Inbegriffs aller Realität beizulegen, wäre nicht dieser Widerstreit erst dadurch möglich geworden, daß das Ich ursprünglich und vor allem Nicht-Ich als Inbegriff aller Realität gesetzt ist. Denn wäre dieses nicht der Fall, so könnte das Nicht-Ich eine vom Ich unabhängige und mit der Realität des Ichs zugleich setzbare Realität haben, mithin gäbe es keinen Widerstreit zwischen beiden, also wäre auch keine Synthesis und kein objektiver Inbegriffs widerstreitender Realität notwendig. Ebenso wäre ohne jene Voraussetzung, daß das absolute Ich Inbegriff kein docheion (Zusatz der ersten Auflage). aller Realität sei, keine praktische Philosophie denkbar, deren Ende Ende alles Nicht-Ichs und Wiederherstellung des absoluten Ichs in seiner höchsten Identität, d.h. als Inbegriffs aller Realität, sein muß. Man kann sich die Sache versinnlichen. – Das absolute Ich beschreibt eine unendliche Sphäre, die alle Realität befaßt. Dieser wird nun erst eine andere, gleichfalls unendliche Sphäre entgegengesetzt (nicht nur ausgeschlossen), die alle Negation befaßt (absolutes Nicht-Ich). Diese Sphäre ist also schlechthin = 0; jedoch erst dann, wann die absolute Sphäre der Realität schon beschrieben ist, und nur im Gegensatz gegen diese möglich. Denn absolute Negation bringt sich nicht selbst hervor, sondern ist nur im Gegensatz gegen absolute Realität bestimmbar. Eine unendliche Sphäre außer einer, vorher gesetzten, gleichfalls unendlichen, ist schon ein Widerspruch, und ihr Gesetztsein außer dieser schließt es schon in sich, daß sie absolute Negation sein muß. Denn wäre sie dies nicht, so wäre sie nicht außer jener unendlichen Sphäre, sondern fiele mit ihr zusammen. Die absolute Sphäre des Nicht-Ichs also, wenn sie bloß schlechthin gesetzt würde, müßte das Ich ganz aufheben, denn eine unendliche Sphäre duldet keine andere außer ihr. Aber eben deswegen müßte umgekehrt auch die Sphäre des Ichs die des Nicht-Ichs aufheben, wenn jene als unendlich gesetzt ist. Und doch sollen beide gesetzt sein. Mithin bleibt zunächst nichts übrig, als ein Streben des Ichs, jene unendliche Sphäre des Nicht-Ichs in seine Sphäre zu ziehen, denn sie soll gesetzt werden, und Setzen überhaupt ist nur im Ich möglich. Allein dem widerstrebt die absolute Negation dieser Sphäre, mithin ist sie nur mit Negation jener setzbar. Also wird die unendliche Sphäre der Negation, wenn sie in die unendliche Sphäre der Realität gesetzt werden soll, eine endliche Sphäre der Realität, d.h. sie ist notwendig nur als Realität, mit Negation verbunden, in derselben setzbar. Dadurch entsteht also zugleich Einschränkung des Ichs; die Sphäre des Ichs wird zwar nicht ganz aufgehoben, aber es ist notwendig, daß Negation, d.h. Schranke in sie gesetzt werde. Nun kann die endliche Sphäre streben, selbst die unendliche in sich zurückzuziehen und sich zum Mittelpunkt der gesamten Sphäre zu machen, von dem aus die Strahlen der Unendlichkeit so gut als die Sehranken der Endlichkeit ausgehen, was sich widerspricht. Ist nur der Widerstreit zwischen Ich und Nicht-Ich in der höchst möglichen Synthesis (Ich = Nicht-Ich) ausgedrückt, so bleibt, um ihn zu lösen, nichts mehr übrig, als gänzliche Zerstörung der endlichen Sphäre, d.h. Erweiterung derselben bis zum Zusammenfallen mit der unendlichen (praktische Vernunft). (Anmerkung der ersten Auflage.)


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