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§ 5.

2. Das System, das vom Subjekt, d.h. von dem nur in bezug auf ein Objekt denkbaren Ich, ausgeht, das also weder Dogmatismus noch Kritizismus sein soll, widerspricht sich in seinem Prinzip, insofern es höchstes Prinzip ist, so gut als der Dogmatismus. Es ist aber wohl der Mühe wert, dem Ursprung dieses Prinzips weiter nachzugehen.

Man setzte – freilich etwas schnell – voraus, das oberste Prinzip aller Philosophie müsse eine Tatsache ausdrücken. Verstand man, allem Sprachgebrauch zufolge, unter Tatsache etwas, das außer dem reinen, absoluten Ich (also in der Sphäre des Bedingten) liegt, so mußte notwendig die Frage entstehen: was soll Prinzip dieser Tatsache sein? – Eine Erscheinung oder ein Ding an sich? – war die nächste Frage, die man, da man einmal in der Welt der Objekte war, nun tun konnte. – Eine Erscheinung? – Was sollte Prinzip dieser Erscheinung sein? – (z.B. wenn die Vorstellung, die doch selbst nur Erscheinung ist, als Prinzip aller Philosophie aufgestellt wurde). Wieder eine Erscheinung, und so ins Unendliche? – Oder wollte man, daß jene Erscheinung, die Prinzip der Tatsache sein sollte, keine andere Erscheinung mehr voraussetze? – Oder ein Ding an sich? – Laßt uns die Sache genauer betrachten!

Das Ding an sich ist das vor allem Ich gesetzte Nicht-Ich. – (Die Spekulation verlangt das Unbedingte. Ist nun einmal die Frage, wo das Unbedingte liege, vom einen fürs Ich, vom ändern fürs Nicht-Ich entschieden, so müssen die Systeme beider ganz gleich fortgehen: was der eine vom Ich behauptet, muß der andere vom Nicht-Ich behaupten und umgekehrt: kurz, man muß alle ihre Sätze durchaus verwechseln können, wenn man nur beim einen statt des Ichs Nicht-Ich, beim ändern statt des Nicht-Ichs Ich setzt: wo man dies nicht ohne Schaden des Systems tun könnte, müßte einer von beiden inkonsequent gewesen sein.) – Erscheinung ist das durchs Ich bedingte Nicht-Ich.

Soll nun das Prinzip aller Philosophie eine Tatsache, und das Prinzip dieser ein Ding an sich sein, so ist eben dadurch alles Ich aufgehoben, es gibt kein reines Ich mehr, keine Freiheit, keine Realität – nichts als Negation im Ich. Denn es ist ursprünglich aufgehoben, wenn ein Nicht-Ich absolut gesetzt ist, so wie umgekehrt, wenn das Ich absolut gesetzt ist, alles Nicht-Ich ursprünglich aufgehoben und als bloße Negation gesetzt wird. (Das System, das vom Subjekt, d.i. vom bedingten Ich, ausgeht, muß also notwendig ein Ding an sich voraussetzen, das jedoch in der Vorstellung, d.h. als Erscheinung, vorkommen kann, kurz, es verfällt in einen Realismus, der der unbegreiflichste, inkonsequenteste von allen ist.)

Soll das letzte Prinzip jener Tatsache eine Erscheinung sein, so hebt es sich selbst unmittelbar als höchstes Prinzip auf; denn eine unbedingte Erscheinung widerspricht sich, und alle Philosophen, die ein Nicht-Ich zum Prinzip ihrer Philosophie machten, erhoben dasselbe zugleich zu einem absoluten, unabhängig von allem Ich gesetzten Nicht-Ich, d.i. zu einem Ding an sich.

Befremdend würde es also allerdings sein, aus dem Munde solcher Philosophen, die eine Freiheit des Ichs behaupten, zugleich die Behauptung, daß das Prinzip aller Philosophie eine Tatsache sein müsse, zu hören, wenn man wirklich voraussetzen dürfte, daß sie als nächste Folge jener Behauptung auch die Behauptung gedacht hätten, daß das Prinzip aller Philosophie ein Nicht-Ich sein müsse.

(Diese Folge ist notwendig. Denn das Ich ist nur als Subjekt, d.h. bedingt, gesetzt, kann also nicht das Prinzip sein. Also muß entweder zugleich mit diesem Prinzip, insofern es das höchstmögliche sein soll, alle Philosophie als unbedingte Wissenschaft aufgehoben, oder das Objekt als ursprünglich und unabhängig von allem Ich vorausgesetzt, das Ich selbst also als nur im Gegensatz gegen ein absolutes Etwas setzbar, d.h. als absolutes Nichts, bestimmt werden.)

Allein jene Philosophen wollten wirklich das Ich, und kein Nicht-Ich zum Prinzip der Philosophie, aber der Begriff von Tatsache sollte deshalb nicht aufgegeben werden. Um sich aus dem Dilemma, das sie vor sich sahen, herauszuhelfen, mußten sie also zwar das Ich, aber nicht das absolute, sondern das empirisch-bedingte, als Prinzip aller Philosophie wählen. Was konnte auch näher liegen? Sie hatten nun doch ein Ich zum Prinzip der Philosophie – ihre Philosophie war kein Dogmatismus, zugleich aber hatten sie eine Tatsache, denn daß das empirische Ich Prinzip einer Tatsache sei, wer wollte das leugnen?

Allein freilich konnte man sich damit nur eine Zeitlang zufriedenstellen. Denn, die Sache näher betrachtet, war nun entweder gar nichts, oder nur das gewonnen, daß man wieder ein Nicht-Ich zum Prinzip der Philosophie hatte. Denn, daß es gleichviel ist, ob ich von dem durchs Nicht-Ich bedingten Ich, oder von dem durchs Ich bedingten Nicht-Ich ausgehe, leuchtet von selbst in die Augen. Auch ist gerade das durchs Nicht-Ich bestimmte Ich etwas) worauf der Dogmatismus auch, nur etwas später, kommen muß, ja, worauf alle Philosophie notwendig hinführt. Auch müßten notwendig alle Philosophen das durchs Nicht-Ich bedingte Ich auf dieselbe Weise erklären, wenn sie nicht vor dieser Tatsache (dem Bedingtsein des Ichs) etwas Höheres, worüber sie versteckter Weise uneinig sind, als Bedingung (Erklärungsgrund) des bedingten Ichs und Nicht-Ichs aufstellten; was nun nichts anderes mehr sein kann, als entweder ein nicht durchs Ich bedingtes absolutes Nicht-Ich, oder ein nicht durchs Nicht-Ich bedingtes (absolutes) Ich. Allein dieses war eben dadurch schon als aufgehoben gesetzt, daß das Subjekt als Prinzip der Philosophie aufgestellt war; mithin mußte, wenn man konsequent sein wollte, entweder alle weitere Bestimmung dieses Grundsatzes, d.h. alle Philosophie, aufgegeben, oder ein absolutes Nicht-Ich, d.h. das Prinzip des Dogmatismus, also wieder ein sich selbst widersprechendes Prinzip (§ 4), angenommen werden. Kurz, das Prinzip, wenn es das höchste sein sollte, mußte, es mochte sich hinwenden, wo es wollte, auf Widersprüche stoßen, die auch nur durch Inkonsequenz und prekäre Beweise einigermaßen versteckt werden konnten. Und so wäre denn freilich, wenn die Philosophen einmal über dieses Prinzip, als das höchste, einig gewesen wären, Friede in der philosophischen Welt entstanden; denn über die bloße Analyse desselben wäre man bald einig geworden, und sowie irgend einer über diese hinauszugehen, und die aus demselben analysierte Tatsache einer Bestimmung des Ichs durchs Nicht-Ich und des Nicht-Ichs durchs Ich (denn weiter wäre man durch bloße Analyse nicht gekommen) synthetisch zu erklären versucht hätte, hätte er den Vertrag gebrochen und ein höheres Prinzip vorausgesetzt.

Anmerkung. Diesen Versuch, das empirisch-bedingte (im Bewußtsein vorkommende) Ich zum Prinzip der Philosophie zu erheben, hat bekanntermaßen Reinhold gemacht. Man würde sehr wenig Einsicht in den notwendigen Gang aller Wissenschaften verraten, wenn man dieses Versuchs, auch dann, wann die Philosophie weiter vorgerückt ist, nicht mit der größten Achtung erwähnen wollte. Er war nicht dazu bestimmt, das eigentliche Problem der Philosophie zu lösen, aber dazu, es auf die bestimmteste Art vorzustellen, und wer weiß nicht, welche große Wirkung eine solche bestimmte Vorstellung des eigentlichen Streitpunkts gerade in der Philosophie hervorbringen muß, wo diese Bestimmung gewöhnlich nur durch einen glücklichen Vorblick auf die zu entdeckende Wahrheit selbst möglich wird. Auch der Verfasser der Kritik der reinen Vernunft wußte bei seiner Absicht, endlich den Streit der Philosophen nicht nur, sondern sogar der Philosophie selbst zu schlichten, nichts eher zu tun, als den eigentlichen Streitpunkt, der ihm zugrunde lag, in einer allesbefassenden Frage zu bestimmen, die er so ausdrückte; wie sind synthetische Urteile a priori möglich? Es wird sich im Verlauf dieser Untersuchung zeigen, daß diese Frage, in ihrer höchsten Abstraktion vorgestellt, keine andere, als diese ist: wie kommt das absolute Ich dazu, aus sich selbst herauszugehen und sich ein Nicht-Ich schlechthin entgegenzusetzen? Es war ganz natürlich, daß die Frage, solange sie nicht in ihrer höchsten Abstraktion vorgestellt war, so wie die Antwort darauf, mißverstanden werden mußte. Das nächste Verdienst also, das ein denkender Kopf sich machen konnte, war offenbar dieses, die Frage selbst in einer höhern Abstraktion vorzustellen, und so die Antwort darauf auf eine sichere Art vorzubereiten. Dieses Verdienst hat sich auch der Verfasser der Theorie des Vorstellungsvermögens durch Aufstellung des Grundsatzes des Bewußtseins wirklich erworben; in ihm war die letzte Stufe der Abstraktion erstiegen, auf der man stehen mußte, ehe man zudem kommen konnte, das höher ist denn alle Abstraktion.


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