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Vorrede zur ersten Auflage

Nach dem Wiederabdruck derselben im ersten Band der philosophischen Schriften (Landshut 1809). A. d. O.

Statt aller der Bitten, mit welchen ein Schriftsteller seinen Lesern und Beurteilern entgegenkommen kann hier nur eine einzige an die Leser und Beurteiler dieser Schrift, sie entweder gar nicht oder in ihrem ganzen Zusammenhang zu lesen, und entweder alles Urteils sich zu enthalten, oder den Verfasser nur nach dem Ganzen, nicht nach einzelnen aus dem Zusammenhang gerissenen Stellen, zu beurteilen. Es gibt Leser, welche in jede Schrift nur einen flüchtigen Blick werfen, um in der Schnelligkeit irgend etwas aufzufassen, das sie dem Verfasser als Verbrechen aufbürden, oder eine außer dem Zusammenhang unmöglich verständliche Stelle zu finden, mit der sie jedem, der die Schrift nicht selbst gelesen hat, beweisen können, daß der Verfasser Unsinn geschrieben habe. So könnten z. B. Leser jener Art bemerken, daß in der vorliegenden Schrift von Spinoza sehr häufig nicht »wie von einem toten Hunde« (um Lessings Ausdruck zu gebrauchen) geredet werde, und dann die Logik solcher Leute ist ja bekannt den schnellen Schluß machen, der Verfasser suche die längst widerlegten spinozistischen Irrtümer aufs Neue geltend zu machen. Für solche Leser (wenn man anders diesen Ausdruck hier gebrauchen darf) bemerke ich einerseits, daß diese Schrift gerade dazu bestimmt sei, das nicht schon längst widerlegte spinozistische System in seinem Fundament aufzuheben, oder vielmehr durch seine eignen Prinzipien zu stürzen, andrerseits aber, daß mir das spinozistische System mit allen seinen Irrtümern doch durch seine kühne Konsequenz unendlich achtungswürdiger sei, als die beliebten Koalitionssysteme unserer gebildeten Welt, die, aus den Lappen aller möglichen Systeme zusammengeflickt, der Tod aller wahren Philosophie werden. Zugleich räume ich solchen Lesern recht gerne ein, daß diejenigen Systeme, die nur immer zwischen Erde und Himmel schweben, und nicht mutvoll genug sind, auf den letzten Punkt alles Wissens hinzudringen, vor den gefährlichsten Irrtümern weit sicherer sind, als das System des großen Denkers, dessen Spekulation den freiesten Flug nimmt, alles aufs Spiel setzt, und entweder die ganze Wahrheit in ihrer ganzen Größe, oder gar keine Wahrheit will; dagegen bitte ich sie hinwiederum zu bedenken, daß, wer nicht kühn genug ist, die Wahrheit bis auf ihre ganze Höhe zu verfolgen, zwar den Saum ihres Kleides hie und da berühren, sie selbst aber niemals erringen kann, und daß die gerechtere Nachwelt den Mann, der, das Privilegium tolerierbarer Irrtümer verachtend, der Wahrheit frei entgegenzugehen den Mut hatte, weit über die Furchtsamen hinaufsetzen wird, die, um nicht auf Klippen und Sandbänke zu stoßen, lieber ewig vor Anker lägen.

Für Leser der anderen Art, die durch herausgerissene Stellen beweisen, daß der Verfasser Unsinn geschrieben habe, erinnere ich, daß ich auf die Ehre gewisser Schriftsteller, bei denen jedes Wort, in und außer seinem Zusammenhange, gleich viel bedeutet, Verzicht tue. Bei aller Bescheidenheit, die mir gebührt, bin ich mir doch bewußt, daß ich die hier vorgetragnen Ideen meinem eignen Nachdenken verdanke, und glaube daher keine unbillige Forderung zu tun, wenn ich nur von selbstdenkenden Lesern beurteilt sein will. Überdies geht die ganze Untersuchung auf Prinzipien, sie kann also auch nur nach Prinzipien geprüft werden. Ich habe versucht, die Resultate der kritischen Philosophie in ihrer Zurückführung auf die letzten Prinzipien alles Wissens darzustellen. Die einzige Frage also, die sich Leser dieser Schrift beantworten müssen, ist die: ob jene Prinzipien wahr oder falsch seien, und (sie mögen nun wahr oder falsch sein) ob durch sie wirklich die Resultate der kritischen Philosophie begründet seien. Eine solche auf die Prinzipien selbst gehende Prüfung wünschte ich dieser Schrift; erwarten kann ich sie nur von solchen Lesern nicht, denen alle Wahrheit gleichgültig ist, oder die voraussetzen, daß nach Kant keine neue Untersuchung der Prinzipien möglich sei, und die höchsten Prinzipien seiner Philosophie schon von ihm selbst aufgestellt seien. Jeden ändern Leser – sein System sei, welches es wolle – muß die Frage über die höchsten Prinzipien alles Wissens interessieren, weil auch sein System, selbst wenn es das System des Skeptizismus ist, nur durch seine Prinzipien wahr sein kann. Mit Leuten, die alles Interesse an Wahrheit verloren haben, läßt sich deswegen nichts anfangen, weil man ihnen nur mit Wahrheit beikommen könnte; hingegen glaube ich, gegen solche Anhänger Kants, die voraussetzen, daß er selbst schon die Prinzipien alles Wissens aufgestellt habe, bemerken zu dürfen, daß sie wohl den Buchstaben, aber nicht den Geist ihres Lehrers gefaßt haben, wenn sie nicht einsehen lernten, daß der ganze Gang der Kritik der reinen Vernunft unmöglich der Gang der Philosophie als Wissenschaft sein könne, daß das Erste, wovon sie ausgeht, das Dasein ursprünglicher, nicht durch Erfahrung möglicher Vorstellungen, selbst nur durch höhere Prinzipien erklärbar sein muß, daß z.B. jene Notwendigkeit und Allgemeingültigkeit, die Kant als ihren auszeichnenden Charakter aufstellt, schlechterdings nicht auf das bloße Gefühl derselben gegründet sein könne (was doch notwendig der Fall sein müßte, wenn sie nicht durch höhere Grundsätze bestimmbar wäre, die selbst der Skeptizismus, der durch keine bloß gefühlte Notwendigkeit umgestürzt werden kann, voraussetzen muß); daß ferner Raum und Zeit, die doch nur Formen der Anschauung sein sollen, unmöglich vor aller Synthesis vorhergehen, und also keine höhere Form der Synthesis voraussetzen können Ich finde, daß Beck in der Vorrede zum zweiten Teil seines Kommentars über Kant einen ähnlichen Gedanken äußert. Ich kann aber noch nicht beurteilen, wie nahe oder entfernt die Gedanken dieses, in den Geist seines Schriftstellers so sichtbar eingedrungenen, Kommentators den meinigen verwandt seien. daß ebensowenig die untergeordnete, abgeleitete Synthesis durch Verstandesbegriffe ohne eine ursprüngliche Form und einen ursprünglichen Inhalt, der aller Synthesis, wenn sie Synthesis sein soll, zugrunde liegen muß, gedenkbar sei. Dies fällt desto mehr auf, da die kantischen Deduktionen selbst es auf den ersten Anblick verraten, daß sie höhere Prinzipien voraussetzen. So nennt Kant als die einzig möglichen Formen sinnlicher Anschauung Raum und Zeit, ohne sie nach irgend einem Prinzip (wie z.B. die Kategorien nach dem Prinzip der logischen Funktionen des Urteilens) erschöpft zu haben. So sind zwar die Kategorien nach der Tafel der Funktionen des Urteilens, diese selbst aber nach gar keinem Prinzip, angeordnet. Betrachtet man die Sache genauer, so findet sich, daß die im Urteilen enthaltene Synthesis zugleich mit der durch die Kategorien ausgedrückten nur eine abgeleitete ist, und beide nur durch eine ihnen zugrunde liegende ursprünglichere Synthesis (die Synthesis der Vielheit in der Einheit des Bewußtseins überhaupt), und diese selbst wieder nur durch eine höhere absolute Einheit begriffen wird, daß also die Einheit des Bewußtseins nicht durch die Formen der Urteile, sondern umgekehrt diese zugleich mit den Kategorien nur durch das Prinzip jener Einheit bestimmbar seien. Ebenso lassen sich die vielen scheinbaren Widersprüche der kantischen Schriften, die man den Gegnern der kritischen Philosophie schon lange (besonders insofern sie die Dinge an sich betreffen) hätte einräumen sollen, schlechterdings nur durch höhere Prinzipien schlichten, die der Verfasser der Kritik der reinen Vernunft überall nur voraussetzte. Endlich gesetzt auch, daß die theoretische Philosophie Kants überall den bündigsten Zusammenhang behauptete, so ist doch seine theoretische und praktische Philosophie schlechterdings durch kein gemeinschaftliches Prinzip verbunden, die praktische scheint bei ihm nicht ein und dasselbe Gebäude mit der theoretischen, sondern nur ein Nebengebäude der ganzen Philosophie zu bilden, das noch dazu beständigen Angriffen vom Hauptgebäude aus bloßgestellt ist, dagegen, woferne das erste Prinzip der Philosophie gerade wieder ihr letztes ist, wenn das, womit alle, auch theoretische, Philosophie anfängt, selbst wieder letztes Resultat der praktischen ist, in dem sich alles Wissen endet, die ganze Wissenschaft in ihrer höchsten Vollendung und Einheit möglich werden muß.

Man darf, denke ich, alles Bisherige nur nennen, um das Bedürfnis einer durch höhere Prinzipien geleiteten Darstellung der kantischen Philosophie begreiflich zu machen; ja ich glaube, daß gerade bei einem solchen Schriftsteller der Fall eintritt, da man ihn einzig und allein den Prinzipien gemäß, die er vorausgesetzt haben muß, erklären, und selbst gegen den ursprünglichen Sinn seiner Worte den noch ursprünglicheren der Gedanken behaupten muß. Der vorliegende Versuch nun soll diese Prinzipien aufstellen. Ich wüßte mir für diesen Versuch kein größeres Glück zu versprechen, als Prüfung der in ihm aufgestellten Prinzipien; selbst die strengste Prüfung, wenn sie nur diesen Namen verdient, würde ich mit einer Dankbarkeit aufnehmen, die gewiß mit der Wichtigkeit des Gegenstandes, den sie betreffen müßte, im Verhältnis stünde. Der achtungswerte Rezensent der Abhandlung über die Möglichkeit einer Form der Philosophie überhaupt in den hiesigen gel. Anz. (1795. 12tes Stück) hat über das dort aufgestellte Prinzip eine Beimerkung mitgeteilt, die gerade den eigentlichen Hauptpunkt der ganzen Untersuchung trifft. Ich glaube aber seinen Zweifeln in der folgenden Abhandlung Genüge getan zu haben. Wäre freilich das aufgestellte Prinzip ein objektives Prinzip, so würde man unmöglich begreifen können, wie dieses Prinzip von keinem hohem abhängig sein sollte; das Unterscheidende aber des neuen Prinzips liegt gerade darin, daß es gar kein objektives Prinzip sein soll. Darüber bin ich mit dem Rezensenten einverstanden, daß ein objektives Prinzip nicht das höchste sein könne, weil ein solches nur wieder durch ein anderes Prinzip gefunden werden muß; die einzige zwischen ihm und mir streitige Frage ist also nur die: ob es kein Prinzip geben könne, das schlechterdings nicht objektiv sei, und doch die gesamte Philosophie begründe? Wenn wir freilich das, was das Letzte in unserm Wissen ist, nur als ein stummes Gemälde außer uns (nach Spinozas Vergleichung) betrachten müßten, so würden wir niemals wissen, daß wir wissen; wenn dieses aber selbst Bedingung alles Wissens, ja Bedingung seiner eigenen Erkenntnis, also das einzige Unmittelbare in unserm Wissen ist, so wissen wir eben dadurch, daß wir wissen, wir haben das Prinzip gefunden, von dem Spinoza sagen konnte, es sei das Licht, das sich selbst und die Finsternis erhelle. In der Originalauflage folgen hier einige Bemerkungen gegen eine in Jacobs philos. Annalen (Jan. 1794, 4. Stück) erschienene Rezension der Schrift »Über die Möglichkeit usw.«, sie enthalten einen Nachweis der Insinuationen und Verdrehungen, die sich der Rezensent erlaubt hatte, gegen die der Verfasser bereits eine vorläufige Erklärung ins Intelligenzbl. der A. Lit. Z. 1795, Nr. 31, hatte einrücken lassen. A. d. O.

Es steht der Philosophie überhaupt übel an, das Urteil über die Prinzipien durch vorangehende Aufzählung der Resultate zu bestechen, oder überhaupt sich gefallen zu lassen, daß man ihre Prinzipien nur an dem materialen Interesse des gemeinen Lebens messe. Indes, da ein wohlmeinender Mann denn doch in guter Absicht die Frage tun kann, wohin eigentlich solche Grundsätze, die man als ganz neue aufstellt, führen sollen, ob sie ein bloßes Eigentum der Schule bleiben sollen, oder ins Leben selbst übergehen werden, so kann man ihm, wenn man nur nicht sein Urteil über die Prinzipien selbst zum voraus dadurch bestimmen will, immerhin auf die Frage antworten. Nur in dieser Hinsicht allein, und nur in bezug auf gewisse Leser, sei es mir erlaubt, in Ansehung der Prinzipien, die der folgenden Abhandlung zugrunde liegen, zu bemerken, daß eine Philosophie, die auf das Wesen des Menschen selbst gegründet ist, nicht auf tote Formeln, als eben so viele Gefängnisse des menschlichen Geistes, oder nur auf ein philosophisches Kunststück gehen könne, das die vorhandenen Begriffe nur wieder auf höhere zurückführt und das lebendige Werk des menschlichen Geistes in tote Vermögen begräbt; daß sie vielmehr, wenn ich es mit einem Ausdruck Jacobis sagen soll, darauf geht, Dasein zu enthüllen und zu offenbaren, daß also ihr Wesen, Geist, nicht Formel und Buchstabe, ihr höchster Gegenstand aber nicht das durch Begriffe Vermittelte, mühsam in Begriffe Zusammengefaßte, sondern das unmittelbare nur sich selbst Gegenwärtige im Menschen sein müsse; daß ferner ihre Absicht nicht bloß auf eine Reform der Wissenschaft, sondern auf gänzliche Umkehrung der Prinzipien, d.h. auf eine Revolution derselben, gehe, die man als die zweite mögliche im Gebiete der Philosophie betrachten kann. Die erste erfolgte, da man als Prinzip alles Wissens Erkenntnis der Objekte aufstellte; bis zu der zweiten Revolution war alle Veränderung nicht Veränderung der Prinzipien selbst, sondern Fortgang von einem Objekt zum ändern, und da es zwar nicht für die Schule, aber doch für die Menschheit selbst gleichgültig ist, welchem Objekt sie diene, so konnte auch der Fortgang der Philosophie von einem Objekte zum ändern nicht Fortgang des menschlichen Geistes selbst sein. Darf man also noch von irgend einer Philosophie Einfluß auf das menschliche Leben selbst erwarten, so darf man dies von der neuen nur durch gänzliche Umkehrung der Prinzipien möglichen Philosophie.

Es ist ein kühnes Wagestück der Vernunft, die Menschheit freizulassen und den Schrecken der objektiven Welt zu entziehen; aber das Wagestück kann nicht fehlschlagen, weil der Mensch in dem Maße größer wird, als er sich selbst und seine Kraft kennen lernt. Gebt dem Menschen das Bewußtsein dessen, was er ist, er wird bald auch lernen, zu sein, was er soll: gebt ihm theoretische Achtung vor sich selbst, die praktische wird bald nachfolgen. Vergebens würde man vom guten Willen der Menschen große Fortschritte der Menschheit hoffen, denn um besser zu werden, müßten sie schon vorher gut sein; eben deswegen aber muß die Revolution im Menschen vom Bewußtsein seines Wesens ausgehen, er muß theoretisch gut sein, um es praktisch zu werden, und die sicherste Vorübung auf eine mit sich selbst übereinstimmende Handlungsweise ist die Erkenntnis, daß das Wesen des Menschen selbst nur in der Einheit und durch Einheit bestehe; denn der Mensch, der einmal zu dieser Überzeugung gekommen ist, wird auch einsehen, daß Einheit des Wollens und des Handelns ihm ebenso natürlich und notwendig sein müsse, als Erhaltung seines Daseins: und – dahin soll ja der Mensch kommen, daß Einheit des Wollens und des Handelns ihm so natürlich wird, als der Mechanismus seines Körpers und die Einheit seines Bewußtseins.

Einer Philosophie nun, die als ihr erstes Prinzip die Behauptung aufstellt, daß das Wesen des Menschen nur in absoluter Freiheit bestehe, daß der Mensch kein Ding, keine Sache, und seinem eigentlichen Sein nach überhaupt kein Objekt sei, sollte man freilich in einem erschlafften Zeitalter wenig Fortgang versprechen, das vor jeder aufgeregten, dem Menschen eigentümlichen Kraft zurückbebt, und bereits das erste große Produkt jener Philosophie, das den Geist des Zeitalters für jetzt noch schonen zu wollen schien, zur hergebrachten Unterwürfigkeit unter die Herrschaft objektiver Wahrheit, oder wenigstens zu dem demutigen Bekenntnis, daß die Grenzen derselben nicht Wirkung absoluter Freiheit, sondern bloße Folgen der anerkannten Schwäche des menschlichen Geistes und der Eingeschränktheit seines Erkenntnisvermögens seien, herabzustimmen versucht hat. Aber es wäre eine der Philosophie unwürdige Verzagtheit, wenn sie nicht selbst hoffte, mit dem neuen großen Gang, den sie zu nehmen beginnt, auch dem menschlichen Geist eine neue Bahn vorzuzeichnen, den Erschlafften Stärke, den zerknirschten und zerschlagenen Geistern Mut und Selbstkraft zu geben, den Sklaven objektiver Wahrheit durch Ahnung der Freiheit zu erschüttern, und den Menschen, der in nichts als in seiner Inkonsequenz konsequent ist, zu lehren, daß er sich nur durch Einheit seiner Handlungsweise und durch strenge Verfolgung seiner Prinzipien retten könne.

Es ist schwer, der Begeisterung zu widerstehen, wenn man den großen Gedanken denkt, daß, so wie alle Wissenschaften, selbst die empirischen nicht ausgenommen, immermehr dem Punkt vollendeter Einheit entgegeneilen, auch die Menschheit selbst, das Prinzip der Einheit, das der Geschichte derselben von Anfang an als Regulativ zugrunde liegt, am Ende als konstitutives Gesetz realisieren werde; daß, so wie alle Strahlen des menschlichen Wissens und die Erfahrungen vieler Jahrhunderte sich endlich in einem Brennpunkte der Wahrheit sammeln und die Idee zur Wirklichkeit bringen werden, die schon mehreren großen Geistern vorgeschwebt hat, daß nämlich aus allen verschiedenen Wissenschaften am Ende nur eine werden müsse – ebenso auch die verschiedenen Wege und Abwege, die das Menschengeschlecht bis jetzt durchlaufen hat, endlich in einem Punkte zusammenlaufen werden, an dem sich die Menschheit wieder sammeln und als eine vollendete Person demselben Gesetze der Freiheit gehorchen werde. Mag dieser Zeitpunkt noch so entfernt, mag es auch noch so lange möglich sein, über die kühnen Hoffnungen vom Fortgang der Menschheit ein vornehmes Gelächter aufzuschlagen, so ist doch für diejenigen, denen diese Hoffnungen keine Torheit sind, das große Werk aufbehalten, durch gemeinschaftliches Arbeiten an der Vollendung der Wissenschaften jene große Periode der Menschheit wenigstens vorzubereiten. Denn alle Ideen müssen sich zuvor im Gebiete des Wissens realisiert haben, ehe sie sich in der Geschichte realisieren; und die Menschheit wird nie eines werden, ehe ihr Wissen zur Einheit gediehen ist.

Die Natur hat für menschliche Augen weislich durch die Einrichtung gesorgt, daß sie nur durch Dämmerung zum vollen Tag übergehen. Was Wunder auch, daß noch in den untern Regionen kleine Nebel zurückbleiben, während die Berge schon im Sonnenglanze dastehen. Wenn aber die Morgenröte einmal da ist, kann die Sonne nicht ausbleiben. Diesen schöneren Tag der Wissenschaft wirklich heraufzuführen, ist nur wenigen – vielleicht nur einem – vorbehalten, aber immerhin mög' es dem Einzelnen, der den kommenden Tag ahnet, vergönnt sein, sich zum voraus desselben freuen.

Was ich in dem folgenden Versuche und auch in der Vorrede gesagt habe, ist, wie ich wohl weiß, für Viele zu viel, für mich selbst zu wenig; desto größer aber ist der Gegenstand, den beide betreffen. Ob es zu große Kühnheit war, über einen solchen Gegenstand mitzusprechen, darüber kann nur der Versuch selbst Rechenschaft geben – sie mag nun ausfallen, wie sie will, so wäre jede vorher gegebene Antwort verlerne Mühe gewesen. Daß ein Leser, der auf Verdrehungen und Mißverständnisse ausgeht, Mängel genug finden kann, ist natürlich; daß ich aber nicht zum voraus jeden Tadel als ungerecht, jede Belehrung als zwecklos ansehe, glaube ich durch bescheidene Bitte um strenge Prüfung deutlich genug zu erklären. Daß ich Wahrheit gewollt habe, weiß ich ebenso gut, als ich mir bewußt bin, in einer Lage, die fragmentarisches Arbeiten in diesem Felde nicht notwendig macht, mehr tun zu können; und hoffen darf ich es, daß mir noch irgend eine glückliche Zeit vorbehalten ist, in der es mir möglich wird, der Idee, ein Gegenstück zu Spinozas Ethik aufzustellen, Realität zu geben. Die Vorrede zum ersten Band der philosophischen Schriften charakterisiert diese Schrift vom Ich mit den Worten: »Sie zeigt den Idealismus in seiner frischesten Erscheinung, und vielleicht in einem Sinn, den er späterhin verlor. Wenigstens ist das Ich noch überall als absolutes, oder als Identität des Subjektiven und Objektiven schlechthin, nicht als subjektives genommen.« A. d. O.

Tübingen, den 29. März 1795.


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