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§ 9.

Das Ich ist schlechthin Einheit. Denn, wäre es Vielheit, so wäre es nicht durch sein bloßes Sein, sondern durch die Wirklichkeit seiner Teile. Es wäre bedingt nicht bloß durch sich selbst, durch sein bloßes Sein (d.h. es wäre gar nicht), sondern es wäre bedingt durch alle einzelnen Teile der Vielheit, weil, wofern einer derselben aufgehoben würde, es eben dadurch selbst (in seiner Vollendung) aufgehoben wäre. Aber dies widerspricht dem Begriff seiner Freiheit, mithin (§ 8) kann das Ich keine Vielheit enthalten, es muß schlechthin Einheit – nichts als Ich schlechthin sein.

Wo Unbedingtheit, durch Freiheit bestimmt, ist, da ist Ich. Das Ich ist also schlechthin Eines. Denn sollte es mehrere Ich, sollte es ein Ich außer dem Ich geben, so müßten diese verschiedenen Ich durch irgend etwas unterschieden werden. Allein das Ich ist bloß durch sich selbst bedingt, und nur in intellektualer Anschauung bestimmbar, es muß sich also selbst schlechthin gleich (gar nicht durch Zahl bestimmbar) sein; mithin fiele das Ich außer dem Ich mit diesem zusammen, wäre gar nicht von ihm unterscheidbar. Also kann das Ich schlechterdings nur Eines sein. (Wäre das Ich nicht Eines, so läge der Grund, warum mehrere Ich wären, nicht im Wesen des Ichs selbst, denn dieses ist gar nicht als Objekt bestimmbar (§ 7) – also außer dem Ich, was nichts anderes hieße, als das Ich selbst aufheben (das.). – Das reine Ich ist überall dasselbe, Ich überall = Ich. Wo sich ein Attribut des Ichs findet, da ist Ich. Denn die Attribute des Ichs können nicht voneinander verschieden sein, da sie alle durch dieselbe Unbedingtheit bestimmt (alle unendlich) sind. Denn sie wären als verschieden voneinander bestimmt, entweder durch ihren bloßen Begriff, was unmöglich ist, da das Ich absolute Einheit ist, oder durch irgend etwas außer ihnen, wodurch sie ihre Unbedingtheit verlören, was abermals ungereimt ist; das Ich ist überall Ich, es füllt, wenn man so sagen darf, die ganze Unendlichkeit.

Diejenigen, die von keinem Ich als dem empirischen wissen (das doch ohne Voraussetzung des reinen Ichs schlechterdings unbegreiflich ist), die sich noch nie zur intellektualen Anschauung ihres Selbsts erhoben haben, müssen diesen Satz, daß das Ich nur Eines sei, freilich ungereimt finden. Denn, daß das empirische Ich Vielheit sei, muß die vollendete Wissenschaft selbst beweisen. (Denket euch eine unendliche Sphäre [eine unendliche Sphäre ist notwendig nur Eine], in dieser endliche Sphären, so viel ihr wollt. Diese aber sind selbst nur in der Einen unendlichen möglich; zernichtet jene, so ist nur Eine Sphäre). Jenen scheint es daher nach ihrer bisherigen Gewohnheit, bloß das empirische Ich zu denken, notwendig, daß es mehrere Ich gebe, die wechselseitig füreinander Ich und Nicht-Ich seien, ohne zu bedenken, daß ein reines Ich nur durch Einheit seines Wesens denkbar sei.

Ebensowenig werden sich diese Anhänger des empirischen Ichs den Begriff von reiner absoluter Einheit (unitas) denken können, weil sie, wo von absoluter Einheit die Rede ist, schlechterdings nur an empirische, abgeleitete Einheit (des durch das Schema von Zahl versinnlichten Verstandesbegriffs) denken können.

Dem Ich kommt Einheit im empirischen Sinne (unicitas) so wenig zu, als Vielheit. Es ist ganz außer der Sphäre der Bestimmung dieses Begriffs; es ist nicht – eines, nicht – vieles im empirischen Sinne, d.h. beides widerspricht seinem Begriff, sein Begriff liegt nicht nur außerhalb aller Bestimmbarkeit durch diese beiden Begriffe, sondern selbst in einer ganz entgegengesetzten Sphäre. – Wo von numerischer Einheit die Rede ist, setzt man irgend etwas voraus, in bezug auf welches das numerisch Einzige als solches gedacht wird; man setzt einen Gattungsbegriff voraus, unter dem es als das Einzige seiner Art begriffen ist, wobei aber doch die (reale und logische) Möglichkeit übrig bleibt, daß es nicht das einzige wäre, d.h. es ist nur seinem Dasein, nicht seinem Wesen nach Eines. Allein das Ich ist gerade nicht seinem Dasein (was ihm gar nicht zukommt), sondern seinem bloßen, reinen Sein nach schlechthin Eines; auch kann es überall nicht in bezug auf etwas Höheres gedacht werden, es kann unter keinem Gattungsbegriff stehen. – Begriff überhaupt ist etwas, das Vielheit in Einheit zusammenfaßt: das Ich kann also kein Begriff sein, weder ein reiner noch ein abstrahierter, denn es ist weder zusammenfassende noch zusammengefaßte, sondern absolute Einheit. Es ist also weder Gattung, noch Art, noch Individuum. Denn Gattung, Art und Individuum sind nur in bezug auf Vielheit denkbar. Wer das Ich für einen Begriff halten, oder von ihm numerische Einheit oder Vielheit aussagen kann, weiß nichts vom Ich. Wer es in einen demonstrierbaren Begriff verwandeln will, der muß es nicht mehr für das Unbedingte halten. Denn das Absolute kann nimmer vermittelt werden, also nimmer ins Gebiet erweisbarer Begriffe fallen. Denn alles Demonstrierbare setzt etwas schon Demonstriertes, oder das höchste nicht mehr Demonstrierbare voraus. Wer also das Absolute demonstrieren will, hebt es eben dadurch auf, und mit ihm alle Freiheit, alle absolute Identität usw.

Anmerkung. Man könnte die Sache auch wohl umkehren. »Eben weil das Ich nichts Allgemeines ist, kann es nicht Prinzip der Philosophie werden.«

Soll die Philosophie vom Unbedingten ausgehen, was wir jetzt voraussetzen, so kann sie von nichts Allgemeinem ausgehen. Denn das Allgemeine ist bedingt durch das Einzelne, und ist nur in bezug auf bedingtes (empirisches) Wissen überhaupt möglich. Deswegen auch das konsequenteste System des Dogmatismus, das Spinozistische, sich gegen nichts stärker erklärt, als dagegen, daß man die einige, absolute Substanz für ein Ens rationis, für einen abstrakten Begriff halte. Spinoza setzt das Unbedingte ins absolute Nicht-Ich, nicht aber in einen abstrakten Begriff, oder in die Idee der Welt, ebensowenig in ein einzelnes existierendes Ding; vielmehr erklärt er sich mit einer Art von Heftigkeit – wenn man anders diesen Ausdruck von einem Spinoza gebrauchen darf – dagegen, Siehe einige Stellen bei Jacobi über Spinozas Lehre S. 179 ff. Noch gehören zu diesen mehrere andere, vorzüglich Eth. L. II, Prop. XL. Schol. und S. 467 seiner Briefe. Hier sagt er: »Cum multa sint, quae nequaquam in imaginatione, sed solo intellectu assequi possumus, qualia sunt Substantia, Aeternitas et al. si quis talia ejusmodi notionibus, quae duntaxat axilia imaginationis sunt, explicare conatur, nihilo plus agit, quam si det operam, ut sua imaginatione insaniat«. Man muß, um diese Stelle zu verstehen, wissen, daß er die abstrahierten Begriffe für bloße Produkte der Einbildungskraft hielt. Die transzendentalen Ausdrücke (so nennt er die Ausdrücke Ens, Res usw.), sagt er, entstehen daher, daß der Körper nur einer gewissen bestimmten Quantität von Eindrücken fähig ist, und also, wenn er mit allzu vielen überhäuft wird, die Seele sie nicht anders als verworren, und ohne alle Unterscheidung – alle zusammen unter Einem Attribut – imaginieren kann. Ebenso erklärt er die Allgemeinbegriffe, z.B. Mensch, Tier usw. – Man vergleiche die angegebene Stelle der Ethik, und insbesondere auch seine Abh. de intellectus Emendatione in den Opp. posth. – Die niedrigste Stufe der Erkenntnis ist ihm bloße Imagination der einzelnen Dinge, die höchste – reine intelektuale Anschauung der unendlichen Attribute der absoluten Substanz, und die dadurch entstehende adäquate Erkenntnis des »Wesens der Dinge. Dies ist der höchste Punkt seines Systems. Bloße verworrene Imagination ist ihm Quelle alles Irrtums, intellektuale Anschauung Gottes Quelle aller Wahrheit und Vollkommenheit im ausgedehntesten Sinn des Worts. – »Quid, sagt er im zweiten Buch seiner Ethik Prop. XLIII. Schol., quid idea vera clarius et certius dari potest, quod norma sit veritatis? Sane, sicut lux se ipsam et tenebras manifestat, ita veritas norma sui et falsi est«. – Was geht über die stille Wonne dieser Worte, das Hen kai pan unseres besseren Lebens?

und erklärt, daß, wer Gott im empirischen Sinne Einen nenne, oder für ein bloßes Abstraktum halte, keine Ahnung von seinem Wesen habe. Freilich begreift man nicht, wie das Nicht-Ich außer aller numerischer Bestimmung liegen soll, aber im Grunde setzte Spinoza das Unbedingte nicht ins Nicht-Ich, er hatte das Nicht-Ich selbst zum Ich gemacht, indem er es zum Absoluten erhoben hatte.

Leibniz soll vom Gattungsbegriffe des Dings überhaupt ausgegangen sein: es käme darauf an, die Sache genauer zu untersuchen, wozu hier der Ort nicht ist. Aber gewiß ist es, daß seine Schüler von diesem Begriff ausgingen, und dadurch ein System des unvollendeten Dogmatismus begründeten.

( Frage: Wie lassen sich jetzt die Monaden erklären, und die prästabilierte Harmonie? – Wie die theoretische Vernunft dem Kritizismus zufolge damit endet, daß das Ich = Nicht-Ich wird, so muß sie umgekehrt dem Dogmatismus zufolge damit enden, daß Nicht-Ich = Ich wird. Die praktische Vernunft muß dem Kritizismus zufolge auf Wiederherstellung des absoluten Ichs, dem Dogmatismus zufolge auf Wiederherstellung des absoluten Nicht-Ichs gehen. Es wäre interessant, ein konsequentes System des Dogmatismus zu entwerfen. Vielleicht geschieht es noch.)

... » Das höchste Verdienst des philosophischen Forschers ist nicht, abstrakte Begriffe aufzustellen, und aus ihnen Systeme herauszuspinnen. Sein letzter Zweck ist reines absolutes Sein; sein größtes Verdienst das, was sich nimmer auf Begriffe bringen, erklären, entwickeln läßt – kurz, das Unauflösliche, das Unmittelbare, das Einfache – zu enthüllen und zu offenbaren«...


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