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§ 4.

Wenn einmal das Ich als das Unbedingte im menschlichen Wissen bestimmt ist, so muß sich der ganze Inhalt alles Wissens durch das Ich selbst, und durch Entgegensetzung gegen das Ich bestimmen lassen: und so muß man auch alle möglichen Theorien des Unbedingten a priori entwerfen können.

Wenn nämlich das Ich das Absolute ist, so kann das, was nicht Ich ist, nur im Gegensatz gegen das Ich, also nur unter Voraussetzung des Ichs, bestimmt werden, und ein schlechthin gesetztes, nicht entgegengesetztes Nicht-Ich ist ein Widerspruch. Wird hingegen das Ich nicht als das Absolute vorausgesetzt, so kann das Nicht-Ich entweder vor allem Ich, oder dem Ich gleichgesetzt werden. Ein Drittes ist nicht möglich.

Die beiden Extreme sind Dogmatismus und Kritizismus. Prinzip des Dogmatismus ist ein vor allem Ich gesetztes Nicht-Ich, Prinzip des Kritizismus ein vor allem Nicht-Ich, und mit Ausschließung alles Nicht-Ichs gesetztes Ich. Mitten inne zwischen beiden liegt das Prinzip des durch ein Nicht-Ich bedingten Ichs, oder, was dasselbe ist, des durch ein Ich bedingten Nicht-Ichs.

1. Das Prinzip des Dogmatismus widerspricht sich selbst (§ 2), denn es setzt ein unbedingtes Ding, d.h. ein Ding, das kein Ding ist, voraus. Man gewinnt also beim Dogmatismus durch Konsequenz (das erste Erfordernis einer wahren Philosophie) nichts, als daß das, was nicht Ich ist, Ich, das, was Ich ist, Nicht-Ich werde, wie dies auch bei Spinoza der Fall ist. Aber noch hat kein Dogmatist bewiesen, daß ein Nicht-Ich sich selbst Realität geben, und außer der bloßen Entgegensetzung gegen ein absolutes Ich noch irgend etwas bedeuten könne. Auch Spinoza hat nirgends bewiesen, daß das Unbedingte im Nicht-Ich liegen könne und liegen müsse; vielmehr setzt er, nur durch seinen Begriff des Absoluten geleitet, dieses geradezu in ein absolutes Objekt, gleichsam als ob er voraussetzte, daß jeder, der ihm nur einmal den Begriff des Unbedingten eingeräumt hätte, ihm darin von selbst folgen würde, daß es notwendig in ein Nicht-Ich gesetzt werden müsse. Dabei aber erfüllte er, nachdem er einmal diesen Satz, nicht bewiesen, sondern vorausgesetzt hatte, die Pflicht der Konsequenz so strenge, als sie vielleicht kein einziger seiner Gegner erfüllt hat. Denn es offenbart sich plötzlich, daß er – gleichsam wider seinen Willen, durch die bloße Macht seiner vor keiner Folge aus angenommenen Grundsätzen zurückbebenden Konsequenz, das Nicht-Ich selbst zum Ich erhob, das Ich zum Nicht-Ich herabsetzte. Die Welt ist bei ihm nicht mehr Welt, das absolute Objekt nimmer Objekt; keine sinnliche Anschauung, kein Begriff erreicht seine Einige Substanz, nur der intellektuellen Anschauung ist sie in ihrer Unendlichkeit gegenwärtig. Sein System kann daher überall und bei unsrer ganzen Untersuchung an die Stelle des vollendeten Dogmatismus überhaupt substituiert werden. Kein Philosoph war so würdig, wie Er, den großen Mißverstand einzusehen: ihn einsehen und am Ziele sein, wäre – für Ihn Eins gewesen. Kein Vorwurf ist unerträglicher, als der, den man ihm so oft gemacht hat, daß er die Idee von absoluter Substanz willkürlich, und wohl gar nur durch willkürliche Worterklärung voraussetze. Aber freilich ist es leichter, ein ganzes System durch eine kleine grammatikalische Bemerkung umzuwerfen, als auf sein letztes Fundament, das, selbst wenn es noch so irrig ist, doch irgendwo im menschlichen Geiste entdeckbar sein muß, anzudringen. – Der Erste, der es einsah, daß Spinozas Irrtum nicht in jener Idee, sondern darin liege, daß er sie außerhalb alles Ichs setzte, hatte ihn verstanden und den Weg zur Wissenschaft gefunden.


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