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XIII.

Es war in der nächsten Nacht, als der neuangestellte Hausmeister des ehemaligen Fallnerschen Hauses heftig an die Tür pochte, hinter der der Polizeiinspektor schlief.

Augenblicklich fuhr dieser in die Höhe, warf im Dunkeln einige Kleidungsstücke über und rief:

»Ich komme schon! Was gibt es denn?«

»Er ist da, Herr Inspektor, er ist da!« antwortete der Mann vor der Tür.

Der aus dem Schlaf Gerüttelte tat einen Ruf des Erstaunens und riß die Tür auf. Der Schein einer flackernden Kerzenflamme traf ihn.

»Wer ist da? Was habt Ihr gesehen, Bormann?«

Der ältere Mann zitterte vor Angst und Aufregung. Er war nur notdürftig bekleidet und konnte sich kaum auf den Füßen halten.

»Sie haben mir doch erzählt, Herr Inspektor, daß Balthasar eine Gestalt im Garten gesehen haben wollte, die der Mörder sein soll. Ich schlafe oft recht schlecht, und da es draußen heute eine schöne, windstille Nacht ist, so setzte ich mich vor das offene Fenster und sah in den Garten hinab. Da hörte ich plötzlich etwas.

Man schlich über das Gras und dann auch über den Kiesweg. Ich erschrak nicht wenig und mußte sogleich an den geheimnisvollen Unbekannten denken. Richtig, da war er – eine lange, schwarze Gestalt! Sie lief im Zickzack um das Haus. Aber das Gesicht konnte ich nicht sehen, es war viel zu dunkel dazu.«

»Weiter, weiter!« rief der Inspektor heftig, als der alte Mann eine Pause machte. »Was geschah dann?«

»Die Gestalt wollte in das Fenster steigen, das in die Schlafstube der ermordeten Frau Fallner führt.«

»Wißt Ihr das gewiß?«

»Ja, ich kann's beschwören! Der Mensch muß noch dort sein, denn als ich sah, was er wollte, zündete ich Licht an und rannte hierher!«

»Habt Ihr eine Laterne?« rief der Inspektor mit fliegendem Atem.

»Jawohl –«

»So zündet sie an. Und dann hinunter in den Garten. Wir müssen ihn durchsuchen. Der Mensch soll mir diesmal nicht entkommen. So hatte Balthasar doch die Wahrheit gesprochen. Es treibt den Mörder mit unwiderstehlicher Gewalt an den Ort seiner Tat zurück.«

Der Inspektor nahm einen Revolver in die Hand, löste die Sicherung und währenddem besorgte Bormann die brennende Laterne.

Darauf eilten beide in den Garten hinab.

»Wir teilen uns – Ihr dort – ich hier!« gebot der Inspektor halblaut.

Er selbst rannte geradenwegs auf das Fenster zu, das ins Zimmer der Ermordeten führte.

Die Nacht war ziemlich dunkel, der Mond, in der ersten Hälfte am Himmel stehend, von einem weißen Wolkenschleier überdeckt.

Dennoch konnte man sehr genau die hellen Grundmauern des Hauses, wie auch den lichten Kiesweg davor unterscheiden.

Aber der Platz war leer, keine menschliche Gestalt dort zu entdecken.

»Er ist entflohen!« rief der Inspektor. »Irgendein Geräusch kam ihm verdächtig vor. Aber das soll ihm nicht viel nützen.«

Der Inspektor wandte sich rasch dem Garteninnern zu.

In diesem Augenblick erscholl ein Schrei aus dem linken Gartenwinkel.

»Hilfe! Er ist da, Herr Inspektor!«

Mit langen Sätzen sprang dieser nach der Richtung, aus der der Ruf kam.

Beinahe dicht am Heckenzaun lag die große Laterne Bormanns am Boden, daneben der Mann selbst, der sich nur mühsam wieder erhob.

Der Inspektor faßte ihn bei der Schulter.

»Ihr habt eben gerufen! Wo ist der Mann?«

»Dort über den Zaun!« keuchte Bormann. »Hören Sie es nicht, wie er über die harte Straße rennt?«

Der Polizeiinspektor schwang sich über die Hecken und strengte seine Augen an.

Wirklich bemerkte er in ziemlicher Entfernung von sich eine dunkle Gestalt, aber schwach, undeutlich.

Dies mußte der Gesuchte sein.

»Halt! Oder ich schieße!« schrie der Inspektor aus Leibeskräften, indem er ein paar Schritte vorsprang und den Revolver hob.

Doch der Verdächtige war entweder nicht gewillt, sich so leichten Kaufes gefangen zu geben, oder er hörte den Anruf gar nicht.

Da gab Brak rasch hintereinander zwei Schüsse ab, ob mit Erfolg, konnte er nicht sagen, da er zwar die Gestalt nicht mehr bemerkte, aber auch keinen Schrei vernommen hatte.

So rasch es anging, sprang er die Straße entlang, hoffend, den Verwundeten zu finden.

Er suchte jedoch vergeblich den ganzen Weg ab, horchte nach allen Richtungen, doch nicht das geringste ließ sich entdecken.

»Der Bursche ist entkommen; ich gäbe viel darum, zu wissen, wer es war!« murmelte Brak.

Tatsächlich war die Nachtgestalt ganz in Nebel aufgegangen. Kein Laut ringsum deutete die Richtung an, die der Verdächtige nahm.

Der Inspektor mußte wieder in das Haus zurückkehren, wo er Bormann mit der Laterne wartend fand.

»Er ist entkommen, daran ist leider nichts mehr zu ändern,« sagte er. »Nun aber erzählt mir, wie Ihr mit dem Menschen zusammengetroffen seid.«

»Da ist nicht viel zu erzählen,« ächzte der Alte, mit der Hand über den Mund fahrend. »Ich ging mit der Laterne dicht am Heckenzaun, als ganz plötzlich, ganz unerwartet von der Seite her ein Mensch aus den Büschen brach, mich über den Haufen rannte und über den Zaun sich schwang.«

»Ihr seid gestürzt?«

»Ja, er fiel beinahe über mich und die Laterne.«

»Fort ist er; aber Ihr habt ihn doch gesehen, wißt, wie er aussah?«

»Ich habe leider so gut wie gar nichts gesehen,« seufzte der Mann.

»Das ist doch unmöglich! Ihr hattet doch eine Laterne in der Hand!«

»Ich verlor sie ja!«

»Aber einen Moment muß doch das Licht auf die Züge, auf die Gestalt dieses Menschen gefallen sein?«

»Das ist schon möglich, aber vor Schrecken sah und hörte ich nichts. Ich glaubte ja im ersten Augenblick, der Mensch habe mich auf den Kopf geschlagen, wie er Frau Fallner schlug.«

»Ihr habt also gar nichts gesehen?«

»O ja, einen Teil seiner Beine, als er über den Zaun sprang!«

Wäre nicht die Situation so ernst gewesen, der Inspektor hätte laut hinausgelacht.

»An diesen Beinen, Bormann, würdet Ihr den Menschen schwerlich wiedererkennen!« sagte er.

»Und ich denke mir, gerade an den Schuhen, die ich sah, dürfte man den Verbrecher herausfinden.«

»Weshalb denn? Waren sie so absonderlich?«

»Für mich, ja. Sie waren rot!«

»Rot?«

»Jawohl, sie sahen aus, als ob es gar keine Schuhe wären, wie man sie für gewöhnlich trägt.«

»Das ist wenigstens etwas! Näher beschreiben könnt Ihr sie aber nicht?«

»Nein, ich habe nur gesehen, daß es rote Schuhe waren.«

Der Inspektor merkte sich die Worte des alten Bormann.

Am nächsten Morgen begab er sich zu dem Polizeikommissar von Wilberg und trug ihm die Sache vor.

Dieser hörte aufmerksam zu und bemerkte sodann:

»Ihr Bericht hört sich so seltsam an, wie alles Übrige dieses verwickelten Falles. Wenn Sie mir nicht selbst versicherten, daß Sie wirklich eine solche Gestalt sahen und auf sie schossen, dem alten Bormann würde ich es so wenig glauben, wie seinerzeit Balthasar. Aber so muß es ja doch seine Richtigkeit haben.«

»Ich dachte schon, ob sich in Wilberg oder dessen Nähe fahrendes Volk, Zigeuner oder Kunstreiter, aufhalten.«

»Ach – wegen der roten Schuhe? Ich werde sogleich recherchieren lassen. Möglicherweise könnte der Mord von solchem Gelichter vollführt worden sein. Aber auch Bormann kann sich versehen haben.«

»Sie halten noch immer Gollwitz für den Schuldigen?«

»Mehr als je und mit Recht. Weshalb entfloh er sofort am Morgen nach dem zweiten Einbruch, wenn er frei von jeder Schuld war? Weshalb hält er sich nun derart versteckt, daß ihn die gewiegtesten Kriminalisten nicht entdecken? Schließlich, wovon lebt er, wenn nicht von dem geraubten Geld? Er war ja angeblich mittellos.«

»Ich gebe zu, daß Gollwitz überaus schwer belastet ist, denn wie mir bekannt, ist auch das Aufnahmeverfahren seines ersten Prozesses wieder eingeleitet worden. Man hatte, trotz dem Alibinachweis, einen Punkt übersehen. Gollwitz kann möglicherweise nach ein Uhr aus dem Fenster gestiegen sein und kann so den Mord begangen haben. Diese furchtbare Anklage wäre wohl kaum jetzt nachträglich wieder gegen ihn erhoben worden, wenn nicht der Verdacht des Diebstahls auf ihn gefallen wäre. Dennoch, so wie ich den jungen Mann kenne, ist es mir oft unmöglich, zu glauben, daß er einer solch blutigen Tat fähig ist.«

»Daß man sich mitunter in einem Menschen ganz ungemein täuschen kann, sollte Ihnen doch bekannt sein, Herr Inspektor!«

»Allerdings; bei Gollwitz bin ich aber noch nicht recht im klaren mit mir. Ich werde von jetzt ab sorgfältig den Garten und die nähere Umgebung bewachen, da ich gewiß bin, die nächtliche Gestalt kommt wieder.«

»Da kann ich Ihnen nur Erfolg wünschen. Es wäre leicht möglich, bei dieser Gelegenheit fiele Ihnen Gollwitz in die Hände.«

»Gollwitz? Wie käme er hierher?«

»Man kann es nicht wissen; kein Ding ist unmöglich auf der Welt. Vergessen Sie nicht, daß dessen Aufenthalt unbekannt ist.«

»Wie könnte er sich hier aufhalten? Er besitzt keine Freunde hier.«

»Wenigstens ist es der Polizei nicht bekannt,« meinte der Kommissar. »Man wird ja sehen, was sich in nächster Zeit herausstellt.«

Der Inspektor sprach den Wunsch aus, einen entschlossenen Mann zugesellt zu bekommen, mit dem er gemeinsam die Wache übernehmen wollte.

»Das dürfte nicht schwer sein!« versetzte der Kommissar. »Hielten mich meine Berufsgeschäfte nicht ab, so würde ich mich Ihnen zur Verfügung stellen. So aber werde ich nach E… depeschieren, da Sie ja in Urlaub sind. Morgen ist ein gewiegter Kriminalist hier.«

»Ich danke Ihnen für Ihre Liebenswürdigkeit!«

Die beiden Männer trennten sich.

Angestellte Recherchen ergaben, daß sich weder Zigeuner noch Kunstreiter in oder um Wilberg aufhielten, weder jetzt da waren, noch dagewesen waren.

Dafür aber traf am nächsten Tag aus E… ein tüchtiger Geheimpolizist ein, der als Geschäftsreisender im Städtchen Quartier nahm.

Schon in derselben Nacht teilte er mit dem Inspektor die Wache.

Es ereignete sich jedoch nichts.

Ebenso erfolglos verging die zweitnächste Nacht.

Nicht so die dritte.

Der Inspektor hatte den Polizisten, etwa zehn Schritt vom Heckenzaun des Fallnerschen Hauses entfernt, hinter einen großen Strauch postiert.

Von dort aus vermochte Weller, wie der Polizist hieß, einen großen Teil des Weges zu übersehen, fast bis zur Besitzung Peter Braks hin.

Die Nacht war zwar, im ganzen genommen, ziemlich hell, doch schoben sich hin und wieder Wolkenmassen über die Mondscheibe, so daß schwarze Schatten auf die Erde fielen.

Der Inspektor selbst befand sich im Garten des Fallnerschen Hauses, während der alte Hausmeister Bormann zu Bett geschickt worden war.

Es mochte Mitternacht bereits vorbei sein, als Weller, der Geheimpolizist, plötzlich den Ruf eines Nachtvogels ertönen ließ.

Augenblicklich schlich sich der Inspektor aus dem Garten bis zu dem Standort des Polizisten.

»Sie haben etwas bemerkt?« fragte er hastig.

»Jawohl,« lautete dessen gedämpfte Antwort. »Ein Mann befindet sich in der Nähe.«

»Der Gesuchte?«

»Das vermag ich nicht zu sagen, aber verdächtig ist der Mensch auf jeden Fall. Er drückte sich hier an mir vorbei, eine große Figur, schwarz gekleidet.«

»Das ist er, das ist er!« rief der Inspektor. »Sie haben ihn nicht festgehalten?«

»Nein; man muß doch erst sehen, was der Mann vorhat. Entkommen wird er ja kaum.«

»Wohin wandte er sich denn? Ich kann nichts von ihm entdecken!«

»Weil es zu dunkel ist! Er schlug die Richtung ein nach dem Haus Ihres Bruders. Der Mond muß sogleich für einige Zeit aus den Wolken treten. Unter dem Schutz der Dunkelheit können wir, diesen Wegrain noch als Deckung benutzend, uns den Weg entlangschleichen, sobald Ihnen mein Vorschlag zusagt?«

»Gewiß; lassen Sie uns keine Zeit verlieren. Vorwärts also!«

Es war noch dunkel genug, so daß die beiden Männer, ohne bemerkt zu werden, sich rasch gegen die Besitzung Peter Braks hinzuziehen vermochten.

Plötzlich blieben sie stehen. Langsam rückte die Mondscheibe aus den Wolken.

Nun galt es Vorsicht anzuwenden. Das ziemlich helle Licht zitterte über die Gegend.

Weller ergriff in der Aufregung den Arm des Inspektors.

»Da sehen Sie! Eben schwingt sich der Bursche in den Garten Ihres Bruders!« flüsterte er hastig.

Dies war wirklich der Fall.

Zwar konnte man nichts Genaues mehr erkennen, vor allem kein Gesicht des Einsteigenden, doch daß eine Gestalt soeben über den Zaun Braks gestiegen war, dies hatte auch der Inspektor bemerkt.

»Er ist es!« entgegnete er. »Wir haben den Fuchs in der Falle.«

»Was sollen wir tun?« sprach Weller. »Ich könnte dem Burschen sogleich folgen und mich innerhalb des Gartens seiner versichern.«

»Nein, warten wir, bis er zurückkommt, dies dürfte nicht allzu lange dauern. Wir stellen uns an zwei Stellen auf. Ich habe so meine Vermutung, daß der Bursche auch diesmal wieder einen Diebstahl versuchen wird, und da er sich hierzu ganz unbekannter, geheimnisvoller Mittel bedienen muß, wäre es möglich, der Streich gelänge ihm ein drittesmal.«

»Ich höre ein Geräusch!«

»Das klingt wie das Klirren eines Fensters.«

»Man wird gleich mehr erfahren!«

»Wir fangen den Burschen, samt seinem geraubten Geld, hier ab. Damit ist der Fall erledigt.«

Plötzlich erscholl in der sonst so stillen Nacht ein lauter, gellender Aufschrei.

Dies geschah im Innern des Gartens, und dieser Schrei enthielt so viel Schrecken und Überraschung, so viel namenloses Entsetzen, daß sich die beiden Männer betroffen ansahen.

»Was ist das?« rief der Inspektor.

»Da muß etwas geschehen sein!« entgegnete ebenso rasch der Befragte. »Soll ich über den Zaun springen?«

»Nein; man kommt! Hören Sie nicht die Schritte im Kiessand? Achtung! Bücken wir uns! Der Mensch kommt zurück. Er wird festgehalten!«

Die beiden Männer bückten sich.

In diesem Moment schwang sich eine Person in voller Hast über den Gartenzaun und wollte nach dem Wald zu entfliehen.

Schon im Begriff, sich auf den Verdächtigen zu stürzen, hielten die beiden Polizisten doch noch zurück, denn der Mann blieb mitten auf dem Wege stehen.

Er rang die Hände, stieß einen jammervollen Ruf aus und seine Knie schienen brechen zu wollen. Dann schlug er ächzend und stöhnend die beiden Hände vor das Gesicht.

Wie er sich wieder mit Gewalt aufraffte und entfliehen wollte, sprangen die beiden Polizisten auf ihn zu.

»Halt! Im Namen des Gesetzes!« rief Weller.

Der Angerufene zuckte, wie vom Blitz getroffen, zusammen und stieß abermals einen Schrei aus.

Der erste Gedanke von ihm war Flucht.

Als aber Weller und der Inspektor von beiden Seiten ihre Hände fest auf seine Schultern legten, erfasste ihn nur ein heftiges Zittern und er stammelte:

»Verloren!«

Das Mondlicht trat in diesem Augenblick voll und klar aus den Wolken.

Der Inspektor prallte zurück.

»Gollwitz?!« rief er. »Also doch Sie, den wir hier festnahmen? Unseliger, das ist Ihr Verderben!«

Wirklich war es Gollwitz, der Referendar.

Sein Gesicht sah in der Mondbeleuchtung erschreckend bleich aus und keuchender Atem flog aus seiner Kehle.

»Ich – bin es,« stieß er, zitternd am ganzen Körper, hervor. »Ich ahne auch, weshalb Sie hier sind. Daß ich verloren bin, weiß ich. Aber dennoch – ich bin nicht das, wofür mich alle nun halten werden. Das schwöre ich bei dem allwissenden Gott!«

Der Inspektor hatte mit gerunzelter Stirn diese Worte vernommen.

»Ich habe viel auf Sie gehalten, Gollwitz, selbst dann noch, als Sie sich durch Flucht der Verantwortung entzogen!« entgegnete er finster. »Jetzt aber werden Sie vergeblich nach einem Menschen suchen, der nur noch im entferntesten an Ihre Unschuld glaubt.«

»Ich weiß es – und dennoch kenne ich den wahren Dieb und Mörder,« stammelte Gollwitz mit gebrochener Stimme.

»So nennen Sie ihn doch!«

Der Referendar ließ den Kopf sinken.

»Aha! Also höchstens ein Komplize, und Sie sagen sich wahrscheinlich in diesem Augenblick, daß es für Sie zwecklos ist, auch jenen anzugeben.«

Gollwitz wandte plötzlich den Kopf.

Man hörte das Klirren eines Fensters, und mit allen Zeichen der Angst verlangte der Festgenommene:

»Führen Sie mich fort, Herr Inspektor!«

»Das wird mein Kollege tun!«

Er gab Weller einen Wink, und dieser legte dem Referendar Handfesseln an.

»Wollen Sie mir noch erklären, was Sie in dem Garten meines Bruders suchten?« fragte der Inspektor.

Gollwitz antwortete dumpf: »Nein!«

»Sie wollten sich vielleicht wieder mit Luise in Verbindung setzen? Wäre dies der Grund?«

Gollwitz schüttelte heftig den Kopf.

»O nein! Ganz gewiß nicht. Luise hat nichts, gar nichts in dieser Sache zu tun. Man sollte sie doch ganz aus dem Spiel lassen. Ich wußte ja, daß sie gar nicht in der Stadt war.«

»Ah! Sie wußten das! Um so schlimmer für Sie! Da kann man nichts anderes annehmen, als daß Sie abermals einen Diebstahl versuchten, nachdem wahrscheinlich das Geld aus den früheren zu Ende gegangen war?«

Gollwitz blickte den Inspektor mit einem schmerzlichen Blick an.

»Lassen Sie mich in allen Taschen untersuchen, Herr Inspektor, ich habe nicht mehr Geld, als ich notwendig zum Leben der nächsten Tage brauche. Sie hielten einst viel auf mich, glaubten an meine Unschuld, und dafür danke ich Ihnen noch heute. So wie sich die Verhältnisse fügten, muß mich jetzt alle Welt für schuldig halten. Und doch bin ich es nicht, bin weder der Dieb noch der Mörder. Mit einem einzigen Wort könnte ich das ganze Geheimnis aufklären –«

»Nun, weshalb sprechen Sie denn nicht?« rief der Inspektor.

»Weil ich nicht will!«

Es war nicht Trotz, sondern tiefste Verzweiflung, das aus diesen Worten klang.

»Dann habe ich nur eine Antwort für Sie: Ihre Worte sind erlogen, wertlos! Sie täten besser, alles einzugestehen!«

»Wie könnte ich etwas gestehen, das ich gar nicht begangen habe?«

»Was, zum Teufel, hätten Sie dann mitten in der Nacht im Garten meines Bruders zu suchen?«

Gollwitz ließ den Kopf sinken und schwieg.

»Sie weigern sich, zu antworten? Gut! Was hatte der Aufschrei zu bedeuten, den Sie vor kurzem ausstießen? Es war im Garten, er kam aus Ihrem Mund?«

Abermals Schweigen.

»Trafen Sie mit jemandem zusammen?«

»Nein – nein, denken Sie das nicht!« rief nun heftig Gollwitz. »Ich sah niemand, ich – erschrak eben nur unwillkürlich.«

»Worüber denn? Man erschrickt doch nicht vor dem bloßen Nichts?«

»Führen Sie mich fort, Herr Inspektor!« bat Gollwitz, und man konnte sehen, wie er sich kaum noch zu fassen vermochte. »Ich kann nicht sagen, was mich entsetzte, so daß ich laut aufschrie. Man verurteilt einen Unglücklichen, einen Schuldlosen, aber es ist mir von heute ab jeder Weg abgeschnitten, mich freizulösen.«

»Ich gebe auf Ihre Worte nichts mehr; nun mag das Gericht entscheiden, das Ihre Verurteilung aussprechen muß, denn von heute an halte auch ich Sie für schuldig. Führen Sie den Mann nach der Stadt, Weller, und geben Sie acht, daß er Ihnen nicht entwischt.«

»Dies Kunststück müßte er mir schon vormachen, Herr Inspektor,« entgegnete lachend der Kriminalist. »Aber wollen Sie nicht den Weg mitmachen?«

»Ich will meinen Bruder aufsuchen, um von ihm zu erfahren, ob er nichts von dem Vorgefallenen hörte. Vielleicht höre ich dabei auch, was Gollwitz so erschreckte.«

Der Referendar hob rasch den Kopf.

Er wollte sprechen, vielleicht den Inspektor bitten, nicht zu Peter Brak hineinzugehen, vielleicht fürchtete er auch, der Beamte könne dabei entdecken, was ihn selbst so erschreckte; aber nach momentanem Überlegen schwieg er.

Es war besser so.

Weller gebot ihm nun, voranzuschreiten, was Gollwitz zwar tat, aber schon nach kurzer Zeit von dem Kriminalisten gestützt werden mußte, da er kraftlos zusammenzubrechen drohte.

Das Entsetzen über das, was er gesehen hatte, schien ihn völlig zu lähmen.

Schwer und röchelnd kam der Atem aus seiner Brust.

Endlich war das Stadthaus erreicht, wo der diensthabende Polizeiwachtmeister den Verhafteten in Empfang nahm und bis zum Morgen in eine feste Zelle unterbrachte.

Dann erst sollte das Verhör vor dem Kommissar stattfinden.

Der Wachtmeister schritt mit der brennenden Laterne die kurze Steintreppe hinab, nach den wenigen Zellen, die das alte Stadthaus enthielt.

Diese lagen zur Hälfte unter dem Boden und hatten alle dasselbe breite, vergitterte Fenster, das hoch oben an der Wand auf den Hofraum des Stadthauses hinausführte.

Besonders angenehm war der Aufenthalt hier unten nicht, aber dafür waren es nun eben Arrestzellen.

Der Wachtmeister blieb in dem kahlen Gang vor einer der Türen stehen und riegelte sie auf.

Die Flamme seiner Laterne warf ihren trüben Schein in den düsteren Raum.

Weller nahm Gollwitz die Fesseln ab, und der Wachtmeister machte eine Handbewegung, die so viel besagte, wie etwa: »Spazieren Sie herein!«

Gollwitz, von den Fesseln befreit, ließ schlaff die beiden Arme sinken und tat einen tiefen Atemzug.

»Verloren!« murmelte er.

Dann schritt er in die Zelle, blieb vor der niedrigen Matratze stehen und starrte wie geistesabwesend vor sich nieder. Der Wachtmeister war hinter ihm eingetreten und hob die Laterne.

»Hier ist ein Lager und dort steht ein Krug mit Wasser. Wünschen Sie noch etwas zu essen?«

Aber Gollwitz schüttelte nur trostlos den Kopf.

»Na, dann bis morgen!«

Der Wachtmeister verließ die Zelle, schloß ab und ging mit Weller der Treppe zu.

Dort blieben sie beide plötzlich stehen.

»Hörten Sie nichts schreien?« fragte der Wachtmeister.

»Das ist Gollwitz! Was hat der Mensch nur?« antwortete Weller.

»Das klang ja ganz unheimlich, als wäre er plötzlich verrückt geworden?«

»Befindet sich etwas in der Zelle, mit dem sich der Arrestant das Leben nehmen könnte?«

»Nein, dafür ist schon gesorgt. Er müßte geradezu mit dem Kopf gegen die Wand rennen, und wenn dies einer versucht, läßt er's auch bei dem ersten Versuch.«

»Schließen Sie rasch noch einmal auf und lassen Sie uns nachsehen, was Gollwitz eigentlich angestellt hat!« sagte Weller.

Rasch wurde die Zellentür noch einmal geöffnet.

Der Polizist trat mit der Laterne in den Raum hinein.

Gollwitz lag ausgestreckt auf der Matratze, die beiden Hände vor das Gesicht geschlagen.

Ein Schauer lief mehrmals hintereinander über seinen Körper, und er röchelte dabei, wie ein zu Tode verwundeter Mann.

Da Gollwitz das Gesicht mit beiden Händen bedeckte, so war es nicht möglich, zu sehen, ob er sich etwa eine Verletzung beigebracht hatte.

Der Wachtmeister rüttelte den Arrestanten deshalb an der Schulter und rief:

»He! Was haben Sie denn? Warum schreien Sie so?«

Gollwitz ließ die Hände vom Gesicht sinken und starrte den Wachtmeister an, ohne eine Silbe zu entgegnen.

»Fehlt Ihnen etwas?« fragte dieser.

»Nein,« lautete die tonlose, beinahe stumpfsinnige Antwort.

Dabei sah das Gesicht des Referendars aus, wie eine Leiche. Verletzt war er jedoch nicht.

»So verhalten Sie sich gefälligst ruhig, oder ich werde andere Maßregeln ergreifen!« sprach ärgerlich der Wachtmeister und verließ die Zelle.

Draußen im Gang sagte er zu Weller:

»Das Gewissen war es, das ihn so schreien ließ!«

Weller sagte nichts darauf.

Ihm gingen so allerhand Gedanken durch den Kopf.

*

Der Inspektor hatte, nachdem Gollwitz durch Weller abgeführt war, versucht, das Gittertor des Gartens zu öffnen, was ihm indessen nicht gelang.

Er schwang sich deshalb, gleich Gollwitz, über den Zaun und schritt im Dunkeln auf das Haus seines Bruders zu.

Zunächst nahm er die Richtung, aus der vorhin der Schrei Gollwitz' gekommen war, um vielleicht die Ursache des Aufschreies zu entdecken.

Der Inspektor hielt für alle Fälle den schußbereiten Revolver in der Hand.

Vorsichtig schritt er weiter, den Grasboden benutzend, wodurch sich das Geräusch seiner Stiefeln aufhob.

Er blieb hin und wieder stehen und horchte.

Es war jedoch absolut nichts zu hören. Sehen konnte der Inspektor ohnehin nichts.

Nur der Nachtwind fuhr in die Büsche und rauschte die Blätter durcheinander.

Brak besah sich das Haus, an dessen rechter Seite er sich nun befand.

Keines der Fenster war erleuchtet, alles dunkel.

In diesem Augenblick kam dem Beamten ein aparter Gedanke, den er auch sogleich zur Ausführung brachte.

Peter Brak hatte nach jedem der Einbruchsdiebstähle fest behauptet, Tür und Fenster am Abend vorher verschlossen gehalten zu haben, besonders das letztere, das dann jedesmal offen gefunden wurde.

Durch diese bestimmte Aussage wurde das Eindringen des Diebes geradezu unerklärlich, wenn man das Mitwirken einer weiteren Person, vom Innern des sogenannten Arbeitszimmers aus, ausschloß.

Und eben auf diese Art wurde ja gerade Luise verdächtigt, selbst vom eigenen Vater.

Der Inspektor hätte viel für die Gewißheit gegeben, ob sich sein Bruder nicht doch getäuscht hatte, als er das Fenster am Abend zu schließen wähnte.

Es war auch möglich, Peter hatte den Flügel vielleicht um Luft zu schöpfen, wieder selbst in Gedanken geöffnet und dann vergessen, noch einmal zu schließen.

Wenn es gelang, diese Gewißheit zu erhalten, war Luise frei von dem häßlichen Verdacht.

Der Inspektor beschloß, auf demselben Weg an der Mauer hinauf zum Fenster zu steigen, wie es der Verbrecher tat.

Fand er auch diesmal das Fenster offen und Brak behauptete, es fest geschlossen zu haben, so war der Beweis erbracht, daß sich Brak heute und früher eben täuschte und den Flügel persönlich zu schließen vergessen hatte.

Der Inspektor tastete nach dem Rebgeländer an der Wand und prüfte dessen Tragfähigkeit.

Es war fest genug, die Latten gut ineinandergefügt, so daß es für einen Mann, der nicht gerade ein Riese war, durchaus wenig Schwierigkeit bot, zu dem Fenster hinaufzugelangen.

Der Inspektor wollte den Versuch machen.

Da es etwas heller geworden war, so konnte er das Fenster entdecken und begann langsam nach oben zu steigen.

Das Experiment gelang sehr gut, da sich das Rebgeländer als eine durchaus sichere Leiter repräsentierte.

Der Inspektor fand es erklärlich, daß der Dieb so leicht nach oben und wieder zurückgelangen konnte.

Jetzt hatte er das Fenster erreicht.

Mit der einen Hand sich festhaltend, tastete er mit der anderen nach dem Fensterrahmen.

Ein Ausruf der Überraschung entfuhr ihm.

Das Fenster gab dem Druck seiner Hand nach, es war wirklich offen.

»Bin ich einmal so weit, kann ich auch noch weiter gehen,« sagte sich der Inspektor und schwang sich auf das Fensterbrett.

Von hier aus stieg er in das sogenannte Arbeitszimmer.

»Ich werde meinem Bruder jetzt beweisen, daß er sich im Irrtum befand!«

Damit entzündete der Inspektor eine kleine Taschenlaterne und sah sich um.

In dem Raum war nichts, was darauf schließen ließ, Gollwitz wäre vor kurzem hier gewesen.

Nichts befand sich in Unordnung.

Er schritt nun auf die Tür des Wohnzimmers zu. Diese war verschlossen.

Der Inspektor ging nach der anderen, zu jener, welche in das Schlafzimmer Peter Braks führte.

Dieselbe ließ sich ohne Mühe oder Geräusch öffnen.

»Aha! Da haben wir's ja!« nickte der Beamte. »Wie unvorsichtig! Auf solche Weise ist es wirklich kein Kunststück, ihm die Kassenschlüssel selbst vom eigenen Leib fortzustehlen. Und das gestellte Wort hat Gollwitz jedenfalls bei seinem Aufenthalt im Hause erfahren.«

Er sah sich um.

An der Längswand stand ein breites Bett.

Auf demselben lag Peter Brak, aber sonderbarerweise nur zur Hälfte entkleidet.

Auf dem Boden lag geöffnet eines der mystischen Bücher; die Kerze auf dem Nachttisch war gänzlich herabgebrannt. Der Inspektor schüttelte mißbilligend den Kopf.

»Da hat er nun wieder in dem verrückten Buch gelesen, so lange, bis er darüber einschlief und, halb angekleidet, wie er war, auf das Bett fiel. Und nun schläft er wie eine Ratte, trotz dem lauten Schrei Gollwitz' im Garten, trotzdem ich durch die beiden Zimmer schritt.«

Er rüttelte nun Peter Brak an der Schulter. Mit einem Schrei fuhr dieser empor; er hatte dabei weit die Augen geöffnet und erkannte im ersten Schrecken gar nicht seinen Bruder.

»Hilfe! Diebe! Mörder!« schrie er kreischend und packte den Inspektor an der Brust.

Dieser mußte ihn auf das Bett zurückwerfen.

»Zum Donnerwetter!« rief er laut. »Kennst du mich denn nicht, Peter? Besinne dich doch!«

Peter Brak kauerte auf dem Bettrand und stierte den Inspektor an.

Dann rieb er sich die Stirn.

»Du bist es?« murmelte er. »Wie kommst du denn hier herein?«

»Auf demselben Weg, den der Dieb für gewöhnlich nahm. Du siehst, es ist gar kein Kunststück. Nur um dir dies zu beweisen, bin ich hier.«

»Der – Dieb? Ist es denn nicht Nacht?«

»Allerdings! Hast du keine Ahnung von dem, was vorgefallen ist?«

»Ich weiß nichts – bin eingeschlafen,« ächzte Peter Brak. »Später bin ich dann aufgewacht, wodurch, das weiß ich nicht mehr.«

»War es nicht ein Schrei, der dich weckte?«

»Ich kann es nicht sagen. Warum soll es denn ein Schrei gewesen sein?«

»Wir haben in dieser Nacht dicht vor deinem Garten den wahrscheinlichen Dieb und Mörder erwischt!«

Peter Brak schnellte hoch empor.

Es funkelte in seinem Blick.

»Ihr habt ihn? Ah – das ist eine Nachricht. Ich erhalte mein schönes Geld wieder!« rief er. »Wo ist der Mensch?«

»Bereits im Polizeigewahrsam. Es ist Gollwitz!«

»Gollwitz?!« schrie Peter Brak mit wahrhaft teuflischer Freude. »Was sagte ich denn nicht immer? Hatte ich recht oder nicht?«

»Du hattest recht, heute gestehe ich dies offen ein.«

»Gollwitz und Luise! Sie haben gemeinsam operiert, um mich zugrunde zu richten!«

»Hier befindest du dich wieder stark im Irrtum. Luises ganzes Verbrechen besteht einzig darin, daß sie Gollwitz liebt. Das ist aber alles. Mit ihm verbunden, zu dem Zweck, dich zu schädigen, hat sie sich gewiß nicht. Das kann ich dir damit beweisen, daß ich hier stehe, ohne daß mir jemand von innen das Fenster öffnete.«

Verblüfft schaute Peter Brak den Bruder an.

»Richtig,« stammelte er, »wie kommst du denn herein? Ich habe doch gestern abend alles verschlossen.«

»Von innen verschlossen? Auch das Fenster und nicht mehr geöffnet? Weißt du das gewiß?« fragte lächelnd der Inspektor.

»Ich könnte darauf schwören!«

»Tue das lieber nicht, es wäre falsch. Ich kann es dir ja beweisen, daß du dich in einem Irrtum befindest.«

»Wieso?«

Der Inspektor berichtete nun genau, wie er Gollwitz verhaftete, den Zaun überstieg, an dem Rebgeländer emporkletterte und ohne Mühe einzusteigen vermochte.

Trotzdem er nun dadurch auf das deutlichste bewies, daß sich Peter Brak in seiner Behauptung, er habe stets das Fenster von innen fest verschlossen gehalten, eben irrte, so blieb doch der Sonderling hartnäckig bei dieser seiner Behauptung, obwohl ihn der Inspektor gründlich widerlegte.

Schließlich wollte er noch zugeben, daß er sich diesmal vielleicht täusche, die letzten Male aber gewiß nicht.

Kopfschüttelnd sagte der Inspektor:

»Du mußt dich auch da täuschen. Luise ist völlig unschuldig, daran halte ich fest!«

»Du hast auch Gollwitz für unschuldig gehalten!«

»Das war etwas anderes! Da würde ich noch weit eher glauben, der Dieb wäre durch ein anderes offenes Fenster in das Haus gelangt und hätte Eingang in dieses Zimmer gefunden.«

»Wie wäre denn dies möglich?«

»Hm! Woran stößt diese Wand hier?«

Der Inspektor deutete dabei nach jener Seite des Zimmers, auf der der Schrank stand.

»Auf den Korridor,« antwortete Brak.

Der Polizeibeamte schritt nun auf den Schrank zu. Er hatte soeben erst bemerkt, daß dieser nicht direkt an die Wand stieß.

Es mußte sich ein Zwischenraum dort vorfinden, was freilich nicht auf den ersten Blick zu entdecken war.

Wirklich konnte der Inspektor den Kopf zwischen Wand und Schrank bringen, ja, einem schmächtigen Menschen gelang es sogar, sich mit dem ganzen Körper hindurchzudrücken.

»Halt! Was ist das?« rief der Inspektor eifrig. »Da am Boden befindet sich ja eine Öffnung. Hattest du davon keine Ahnung?«

Brak trat hinzu.

»Ich erinnere mich jetzt,« sagte er; »hier an dieser Stelle stand ein großer Kachelofen, der nach alter Manier von außen geheizt wurde. Da die Öffnung vollkommen mit der Rückwand des Schrankes bedeckt wurde, so blieb sie unvermauert.«

»Na, da haben wir ja die Lösung! Gollwitz hat bei seinen Besuchen wahrscheinlich zufällig entdeckt, daß ein schmächtiger Mensch vom Korridor aus durch dieses unscheinbare, vergessene Ofenloch in das Zimmer dringen könnte und hat den Versuch gemacht, indem er sich irgendein unverschlossen gehaltenes Fenster oder eine Hintertür aussuchte, um ins Haus zu gelangen. Einmal im Innern, schlüpfte er durch die Öffnung in dieses Zimmer, vollführte den Diebstahl und, um die Polizei irre zu leiten, verließ er den Schauplatz seiner Tat nicht auf demselben Weg, sondern durch das Fenster, das er ja von innen aufriegeln konnte. Begreifst du nun?«

»Allerdings, so ist es möglich!«

»Und du hältst Luise noch immer für schuldig?«

»Ich weiß nicht, wie ich darüber denken soll!«

»Sehr einfach; die Sache verhält sich so, wie ich dir sagte. Diesmal hast du vergessen, das Fenster zu schließen, oder hast es in Gedanken wieder geöffnet. Man bringt Gollwitz hoffentlich zu einem Geständnis. Laß uns jetzt einmal die einstige Feuerungsöffnung von außen betrachten.«

Der Inspektor begab sich mit Peter Brak nach dem Korridor. Ganz in einer Nische verborgen, gänzlich unauffällig, befand sich eine eiserne Tür. Dieselbe ließ sich mit leichter Mühe öffnen.

In dem kleinen Raum dahinter lagen mehrere Mauersteine und dicker Staub, der jedoch an mehreren Stellen durcheinandergewirbelt war.

Es konnten dies schließlich aber auch Mäuse zuwege gebracht haben.

Der Inspektor ließ den Bruder seine gutleuchtende Laterne halten und versuchte es, durch die Öffnung zu kriechen.

Leicht war dies nicht, aber der Beamte ließ nicht nach, und schließlich hatte er wirklich den Körper durch die Maueröffnung gezwängt.

Er stand hinter dem Schrank, im Innern des Zimmers, wenn auch staubbedeckt, zerschunden.

Da kam auch schon Peter Brak gelaufen.

»Bei Gott!« rief er. »Es ist möglich! So ist der Schuft Gollwitz eingedrungen. Aber nun wird ihm sein Handwerk gelegt. Das Loch in der Mauer lasse ich morgen zumauern. Ich hatte es vollkommen vergessen!«

»Das war dein Fehler,« nickte der Inspektor. »Diese Vergeßlichkeit kostet dich siebentausend Mark.«

*


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