Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

IX.

Der Schwurgerichtssaal von E… war dicht besetzt, so daß, um ein altes Sprichwort zu gebrauchen, auch nicht ein Apfel mehr zu Boden hätte fallen können.

Die Meinungen im Publikum waren verschieden, doch gab es nur sehr wenige, die zu behaupten wagten, daß Heinrich Gollwitz am Ende doch unschuldig sei.

Die Glocke des Präsidenten machte den verschiedenen Diskussionen ein Ende.

Man trat in die Verhandlung ein.

An Zeugen waren anwesend: Brak und seine Tochter, der Polizeiinspektor, Balthasar und die alte Magd, ebenso Frau Ballin, der Wald-Sepp und jener Arbeiter, der Gollwitz beobachtete.

Doktor Bernstein hatte niemandem vom Gerichtshofe eine Mitteilung darüber gemacht, daß er in verflossener Nacht ein vollständiges Entlastungsmaterial empfing.

Er bereitete so um so besser seinen Sieg vor.

Peter Brak war ganz in Schwarz gekleidet und von einer nervösen Lebhaftigkeit.

Dagegen saß Luise wie gebrochen neben ihm, sich hin und wieder mit den zuckenden Fingern über das Gesicht streifend, das totenbleich war.

Aus ihrem Benehmen konnte Bernstein, der ihr vergeblich ermutigende Blicke zusandte, schließen, daß das Mädchen bis dahin nicht den Mut gefunden hatte, den Vater von allem zu unterrichten.

Es war dies dem Rechtsanwalt in gewissem Sinn nur erwünscht, denn hätte Brak bereits um die Sache gewußt, so würde er auch in seiner Zeugenaussage diese sogleich erwähnt haben.

So handelte es sich bei ihm und Luise nur darum, anzugeben, ob sie Gollwitz für fähig hielten, den Mord an Frau Fallner begangen zu haben.

Während Luise, wenn auch schwach, aber entschieden verneinte, führte Brak aus, daß der junge Mann, wie sich nachträglich herausstellte, im Geheimen Pläne auf seine Tochter hatte und auch von Frau Fallner ein gewisses Versprechen erschlichen habe.

Er sollte erben.

Da ihm die Sache aber zu lange dauerte, wollte er schon früher Geld zugesichert haben.

Frau Fallner ging nicht darauf ein, und so wäre es schon möglich, daß Gollwitz im Zorn die alte Dame tötete.

Luise gab auf weiteres Befragen, ob sie Gollwitz vielleicht zu der Annahme berechtigt habe, durch Worte oder Benehmen, daß er nur anzuklopfen brauche, sobald er Erbe wäre, eine so verwirrte, konfuse Antwort, daß der Präsident sich lieber bei den weiteren Zeugen Auskunft und Klarheit holte.

Peter Brak erklärte übrigens, daß er dem Referendar auch dann nicht seine Tochter gegeben haben würde, wenn er als Erbe seiner Schwester zu ihm gekommen wäre, denn er habe Gollwitz nur als einen Schleicher und heimtückischen Menschen kennengelernt.

Heinrich Gollwitz preßte bei diesen Worten schmerzlich die Lippen aufeinander.

Er hatte, vom Präsidenten befragt, ob er das Verbrechen begangen habe, mit einem »Nein« geantwortet und wiederholte nur die Darstellung des Sachverhaltes, wie er früher schon angegeben hatte.

Es wurden nun die übrigen Zeugen der Reihe nach vernommen, die Gutachten des Gerichtsarztes verlesen.

Der Wald-Sepp, befragt, ob er in dem Angeklagten vielleicht denjenigen erkenne, der ihm eine Nacht vor dem Morde den Steinhammer gestohlen haben müsse, erklärte, daß er nicht mit Bestimmtheit diese Frage bejahen könne, es wäre zu dunkel gewesen, aber möglich sei es ja immerhin.

Dabei blieb er.

Größe und Haarfarbe stimmten.

Gollwitz leugnete auch diesen Diebstahl.

Er wäre in bewußter Nacht gar nicht aus dem Hause gekommen, was der Vorsitzende mit der Bemerkung erwiderte, daß er sein Zimmer ja sehr leicht durch das im Parterre liegende Fenster verlassen und betreten konnte.

Auch dies stellte Gollwitz entschieden in Abrede.

Im weiteren wurde in der Verhandlung durch die verschiedenen Zeugenaussagen nur das bereits Bekannte noch einmal festgestellt.

Balthasar hatte mit aller Umständlichkeit sein Erlebnis in einer der vergangenen Nächte berichtet, aber dank der schon von Wilberg aus angeführten Randbemerkungen keinen Glauben gefunden.

Der Präsident unterstellte ihn einem scharfen Kreuzverhör, wobei Balthasar zwar immer dasselbe sagte, schließlich aber verstockt wurde, da man ihm auch hier Parteilichkeit vorwarf.

Die Aussagen waren beendet, und der Präsident erteilte dem Staatsanwalt, als öffentlichem Ankläger, das Wort.

Dieser hatte sich gut vorbereitet.

Auf schärfste, zutreffendste Weise legte er klar, daß niemand anders als nur Heinrich Gollwitz der Täter sein könne und auch alles darauf hinweise, trotzdem der Angeklagte beharrlich leugne.

Zwar befand sich die Justiz einmal im Irrtum, als sie einen anderen, den Wald-Sepp, als den Mörder festnahm, wäre jedoch rasch davon abgekommen, nachdem dieser sein Alibi nachzuweisen imstande war.

Und eben dies vermöge der Angeklagte nicht.

Der Staatsanwalt führte nun des Genaueren aus, was Gollwitz bewog, die alte Dame zu töten.

Sie wäre seinen Wünschen entgegengetreten, und von dieser Stunde an hätte der Angeklagte vergessen, wieviel Wohltaten er bereits von der guten Tante empfing.

Auf das heftigste verurteilte er die blutige Tat, die auch eine blutige Sühne erfordere, trotzdem der Angeklagte leugne.

So wie die Dinge lägen, müsse er verurteilt werden, auch ohne Geständnis, denn er wäre überführt.

Die Aussage Balthasars streifte er nur mit einigen wenigen Worten.

»Entweder glaubte er wirklich zu sehen, was gar nicht existierte, oder der alte Mann hat sich durch die Sympathie, die er für den Angeklagten zu haben scheint, zu einer unrichtigen Aussage bewegen lassen.«

Balthasar wollte auffahren.

Es fehlte nur noch, daß man ihn selbst des Mordes ober der Beihilfe daran verdächtigte.

Mit wuchtiger Stimme schloß der Staatsanwalt:

»Dort, meine Herren, sitzt der Mörder, reuelos, verstockt, denn wo, in aller Welt, wäre er denn sonst zu suchen? Wer konnte so wie er mit größerer Berechtigung wünschen, daß Frau Fallner starb, die ihn ja zu ihrem Erben einsetzen wollte, wie der Angeklagte selbst zugibt.«

Der Staatsanwalt beantragte, das Schuldig und die Todesstrafe über Heinrich Gollwitz auszusprechen.

Eine lautlose Stille war im Saal eingetreten.

Man sah, wie der Angeklagte krampfhaft die Hände ballte, wie er sich auf die Lippen biß, während seine Brust arbeitete.

Balthasar schüttelte den Kopf, Peter Brak nickte mehrmals, wie schon während der ganzen Ausführungen des Staatsanwaltes.

Luise aber blickte wie betäubt vor sich hin, alle Kraft und Energie war von ihr gewichen.

Während der vernichtenden Rede des öffentlichen Anklägers wollte sie mehrmals den Mund zum lauten Protest öffnen, aber die Kehle brannte ihr, sie brachte keine Silbe hervor.

Und jetzt, da gegen den Geliebten die Todesstrafe beantragt wurde, brach sie vollends mutlos zusammen.

Es kam nun der Verteidiger des Angeklagten an die Reihe.

Ruhig, mit einem sonderbaren Lächeln, erhob sich Doktor Bernstein.

»Meine Herren,« begann er, »nach der fulminanten Rede des Herrn Staatsanwaltes dürfte wohl zumeist die Ansicht vorherrschen, daß ein jedes meiner Worte nutzlos sein muß, daß ich für eine bereits verlorene Sache kämpfe. Ich wäre nun in der Lage gewesen, schon vor Beginn der Verhandlung mitzuteilen, daß ich in letzter Stunde den Beweis für die völlige Unschuld meines Klienten erhalten habe.

Ich sehe teils überraschte, teils ungläubige Mienen. Dennoch halte ich meine Behauptung aufrecht, Heinrich Gollwitz ist unschuldig; er hätte sein Alibi beweisen können, wenn er nur wollte; er ging nicht spazieren, wie er angab, sondern er befand sich in Gesellschaft einer Person, die er nicht kompromittieren wollte aus Edelsinn.

Diese Person befindet sich hier im Saal, und ich hätte während der Zeugenvernehmung darauf hinweisen können, daß sie den Angeklagten zu entlasten vermag. Da sie jedoch selbst schwieg, wollte ich dem Herrn Staatsanwalt wie dem ganzen Gerichtshof beweisen, daß ein Mann, trotz der schwersten Verdachtsmomente, unschuldig sein kann.

Der Angeklagte wäre verloren, wenn ich ihm nicht zu Hilfe kommen könnte; Sie, meine Herren, würden einen Justizmord auf dem Gewissen haben, denn Heinrich Gollwitz ist kein verstockter Mörder, er ist ein Unschuldiger.

Eine unglückselige Verkettung von Umständen brachte diesen Mann auf die Anklagebank, und der Diener Balthasar verdient vollsten Glauben, wenn er behauptet, daß der wahre Mörder wo anders zu suchen ist.

Der Angeklagte sträubt sich noch jetzt dagegen, daß das Geheimnis jener Nacht, zum Teil wenigstens, gelüftet werde; er bliebe lieber der Schuldige. Aber selbst diesem Edelmut gegenüber gibt es keine Nachsicht.

Heinrich Gollwitz betrat, wie ja die Fußspuren beweisen, an dem bewußten Abend Punkt zehn Uhr den Garten Herrn Peter Braks und verließ ihn erst mit dem Schlag zwölf, wo ihn der Arbeiter beobachtete und nach Hause eilen sah.

Während dieser Zeit ist Frau Fallner ermordet worden, während zehn und zwölf Uhr kam Gollwitz nicht von der Seite der Zeugin, die mir erst gestern nacht dieses Geständnis in der Angst ihres Herzens ablegte. Aus Furcht vor ihrem Vater schwieg sie bis dahin, obwohl die Liebe, die sie heimlich mit dem Angeklagten verband, frei von Schuld ist.

Die Zeugin, die Braut des Angeklagten, sitzt dort – es ist Fräulein Luise Brak, die sich den Dank des ganzen Gerichtshofes verdiente, indem sie einen Justizmord verhinderte.«

Diese Worte schlugen gewaltig ein.

Eine wahre Aufregung entstand im Saal, so daß der Präsident heftig die Glocke bewegen mußte.

Jetzt aber stand Peter Brak mit hochrotem Gesicht und fuchtelnden Armen da, eine Gestalt zum Erschrecken. Die Augen schienen ihm aus den Höhlen zu treten.

»Es ist erlogen!« kreischte er. »Meine Tochter hat nichts mit Gollwitz zu schaffen.«

»Ich ahnte ja, daß Gollwitz aus solchem Grunde schwieg!« rief Balthasar unter Weinen und Lachen.

»Die Zeugin steht unter Eid!« rief der Präsident, selbst erregt. »Sie wird uns sagen, ob der Herr Verteidiger die Wahrheit sprach. Erheben Sie sich, Luise Brak! Verhält es sich so, wie eben behauptet wurde?«

Wieder war eine momentane Stille eingetreten.

Peter Brak hob mit verzerrtem Antlitz die geballte Faust. Diese Schande vor dem ganzen Gerichtshof!

Langsam erhob sich Luise, während Heinrich Gollwitz, die Hände vor das Gesicht geschlagen, erschüttert auf der Anklagebank saß.

Sie sammelte ihre letzte Kraft, indem sie sich sagte, daß ihre Worte allein Gollwitz retten konnten, daß er nicht verurteilt werden durfte, mochte auch sonst was immer geschehen.

»Jedes Wort, das der Herr Verteidiger sprach, enthält die vollste Wahrheit,« sagte sie mit unnatürlicher Ruhe. »Ich habe ihm in gestriger Nacht all diese Mitteilungen gemacht, denn Heinrich Gollwitz kann nicht der Mörder sein, da er sich von zehn bis zum Schlag zwölf in unserem Garten aufhielt. Das schwöre ich noch einmal! Ich habe geschwiegen bis heute, aus falscher Scham, aus Furcht vor dem Zorn meines Vaters, wie Heinrich Gollwitz schwieg aus Edelmut!«

Ein kurzes, vielstimmiges ›Bravo‹ belohnte diese mutigen Worte Luisens, so daß der Präsident sogleich die Glocke ertönen ließ.

»Wenn noch eine einzige solche Äußerung fällt, lasse ich den Saal räumen!«

Mit dem ›Mut‹ Luisens war es nun aber zu Ende. Alles drehte sich vor ihren Augen, tausend Feuersterne schossen durch die Luft, und mit einem Ächzen brach sie bewußtlos zusammen, in demselben Augenblick, als Peter Brak, ihr Vater, von seinem Bruder, dem Inspektor, zurückgehalten wurde, da er sich auf Luise stürzen wollte.

»Du Dirne!« keuchte der rasende Alte.

»Sei doch vernünftig, Peter!« rief ihm der Inspektor zu. »Hörst du nicht, daß ihr Verhältnis ein ganz unschuldiges war, daß sie sich aber lieben? Du selbst trägst die Schuld, daß es so kam. Dein harter Sinn, dein Geiz –«

»Verflucht soll sie sein!« röchelte Brak kaum hörbar, blieb jedoch auf dem Platz und sah starren Blickes zu, wie man seine ohnmächtige Tochter aus dem Saal trug, in ein Nebengemach.

Es dauerte eine geraume Weile, bis der Präsident dem Verteidiger Gollwitz' das Wort wieder erteilen konnte.

»Daß die Zeugin zu angegriffen ist, um ihr ganzes Geständnis noch einmal zu wiederholen, werden Sie begreiflich finden, meine Herren,« sprach Doktor Bernstein. »Was sie jedoch bis jetzt aussagte, ist vollkommen ausreichend, den Angeklagten zu entlasten.«

Der Verteidiger schilderte nun eingehend das Gespräch zwischen ihm und Luise und schloß mit den kräftig gesprochenen Worten:

»Meine Herren, nicht dort steht der Mörder, man wird ihn wo anders suchen müssen, vielleicht in jenem Unbekannten, den der Diener Balthasar in einer der letzten Nächte bemerkte, wie er um das Haus der Ermordeten schlich und an ihr Fenster pochte. Die Aussage des alten, gewissenhaften Mannes wurde angezweifelt, sehr zu Unrecht, wie Sie nun sehen. Aus Edelsinn hat der Angeklagte geschwiegen; er hätte sein Alibi beweisen können, denn er kann unmöglich der Täter sein. Über allen Zweifel erhaben steht die Wahrheit der Worte Luise Braks. Und so beantrage ich, meinen schwer geprüften Klienten freizusprechen!«

Der Präsident stellte an Gollwitz die Frage, ob es sich tatsächlich so verhalte, wie Luise Brak aussagte, und dieser antwortete:

»Da Luise selbst ihr Zeugnis abgab, ja, es ist so! Aber offen kann sie die Stirn tragen, denn unsere Liebe war rein wie das Tageslicht.«

Weiter hatte Gollwitz nichts zu erwidern.

Nach einem kurzen Resümee des Präsidenten zogen sich die Geschworenen zur Beratung zurück.

Sie dauerte nur etwa zwanzig Minuten.

Als sie zurückkehrten, verkündete der Obmann das Resultat: »Nicht schuldig des Mordes an Frau Fallner.«

Heinrich Gollwitz wurde einstimmig freigesprochen, so daß er frei den Saal verlassen konnte.

Mit einem tiefen Aufatmen nahm Gollwitz den Spruch entgegen.

Er hob den Kopf, ließ ihn jedoch mutlos wieder sinken, als er das wutverzerrte Gesicht Peter Braks bemerkte, dessen zorniges Auflachen er vernahm.

Was konnte ihm jetzt noch dieser Freispruch fruchten, da Luise sich bloßgestellt hatte, ihr Vater ihn verwünschte, da er ja von Tante Fallners Erbe nichts zu erhoffen hatte, ja, vielleicht sogar das Mädchen seinetwegen mißhandelte!

Trotz der Warnung des Präsidenten war der Freispruch vom Publikum mit Beifallszeichen aufgenommen worden.

Rapid hatte die Stimmung umgeschlagen, wie dies ja meist der Fall ist.

Der alte Balthasar trocknete eine Träne, als der Präsident selbst einige warmfühlende Worte an Peter Brak richtete, diesem ans Herz legend, den jungen Leuten zu vergeben, besonders seiner Tochter, die noch in letzter Stunde einen Justizirrtum wieder gutmachte, der schwere Folgen hätte nach sich ziehen können.

Allein Brak hörte gar nicht auf diese Worte.

Während Heinrich Gollwitz, umgeben von einem ganzen Kreis rasch gefundener Freunde, den Saal verließ, meldete man ihm, daß Luise zwar wieder zu sich selbst kam, aber ihr Zustand Bedenken erwecke.

Der Polizeiinspektor begab sich mit seinem Bruder nach dem erwähnten Seitenzimmer, wo ein Arzt sich um Luise beschäftigte.

Dieser wandte sich sogleich an die Eintretenden.

»Das Fräulein muß rasch zu Bett gebracht werden!« sagte er. »Ein heftiges Fieber ist im Anzug. Ich habe bereits nach einem Wagen geschickt. Sie mögen dem Kutscher weitere Befehle geben.«

In der Tat wurde Luise schon jetzt vom Fieber geschüttelt. Sie besaß nicht mehr die Kraft, sich selbständig auf den Füßen zu erhalten und drohte jeden Augenblick gänzlich zusammenzubrechen.

Der Inspektor stützte sie, während Peter Brak mit wütenden Blicken die Umstehenden anstarrte.

Der von dem Arzt bestellte Wagen war da und Luise wurde von dem Inspektor mehr getragen als geführt, die breite Treppe hinab, in den Fond des Wagens gebracht.

Peter Brak, sein Bruder und der Arzt stiegen ein und das Gefährt rollte dem goldenen Stern, dem Absteigequartier Braks zu.

Dort angelangt, ließ der Arzt Luise durch eine Dienerin rasch zu Bett bringen und verordnete das Nötigste, worauf er sich empfahl.

Vor dem Gehen machte er Peter Brak noch darauf aufmerksam, daß der Zustand der Patientin größte Ruhe bedinge.

»Und wann kann ich mit meiner Tochter abreisen?« fragte Brak heftig.

»Die Kranke ist vorläufig nicht zu transportieren,« lautete die Antwort.

»Nicht – zu transportieren?« fuhr der Alte auf. »Was heißt das?«

»Daß Sie wohl oder übel einige Tage sich hier gedulden müssen!« sagte der Arzt.

»Fällt mir gar nicht ein!« schrie rücksichtslos Peter Brak. »Ich werde doch nicht mein gutes Geld diesen Halsabschneidern von Wirten noch weiter geben! Hahaha! Da wird nichts daraus, mein lieber Herr! Ich reise ab, und zwar noch heute!«

»Dann haben Sie aber auch die volle Verantwortung zu übernehmen,« versetzte kühl der alte Arzt; »es handelt sich hier um das Leben Ihrer Tochter. Stellen Sie es verwerflicherweise aufs Spiel, so verantworten Sie es auch!«

Damit empfahl sich der Arzt.

Wie ein angeschossener Eber lief Peter Brak in dem Hotelzimmer umher, sich selbst, seine Tochter, vor allem aber Gollwitz verwünschend.

Vergeblich suchte ihn sein Bruder, der Inspektor, zu beruhigen.

»Du hast gut reden!« erhielt er zur Antwort. »Dich ärgert kein Weib, kein Kind, du streichst deinen Gehalt ein und kannst über die ganze Welt lachen, während ich vor Zorn umkomme. Ein Liebesverhältnis mit diesem Ritter von Habenichts!«

»Gollwitz ist unser Verwandter!« wandte der Polizeiinspektor ein.

»Aber er ißt Bettelsuppen!«

»Du selbst hast ihn in dein Haus eingeführt, hast ihn manchmal zu Tisch geladen. Daß er dabei sich in Luise verliebte, ist doch nur erklärlich!«

»Erklärlich? Eine Frechheit ist es! Er sollte Gott danken, daß er hin und wieder einen Bissen erschnappte! Und daß er in mein Haus überhaupt kam, daran ist nur unsere Schwester schuld. Sie führte ihn ein, päppelte ihn auf, unterstützte ihn, wie sie überhaupt ihr schönes Geld mit vollen Händen an Hinz und Kunz verschenkte. Das habe ich ihr nie verziehen; ihr Vermögen hätte das Doppelte betragen, wenn sie es nicht leichtsinnigerweise verschwendet hätte!«

»Du sprichst von einer Toten, Peter, von unserer gemordeten Schwester!« rief der Inspektor entrüstet.

»Lüge ich etwa?« entgegnete Peter Brak.

»Unsere Schwester vergeudete ihr Geld nicht zwecklos. Sie stillte viele Tränen, linderte manches Unglück. Und da wir schon einmal dabei sind, muß ich dir sagen, daß ihr Vermögen im Grunde genommen nicht uns, sondern Gollwitz gehört. Wir sollten dem jungen Mann wenigstens einen Teil davon abgeben, denn die Schwester hat bis zuletzt wiederholt geäußert, daß sie Luise und Gollwitz als ihre einzigen Erben bestimme.«

Mit weit geöffneten Augen blieb Brak mitten in der Stube stehen.

»Bist du verrückt?« kreischte er. »Wir sollen diesem Burschen freiwillig etwas abgeben? Ich hätte mit allen Mitteln ein solches Testament angefochten, wenn sich eines gefunden hätte. Aber glücklicherweise ist gar keines vorhanden!«

»Ich erkenne dich kaum mehr, Peter! Du arbeitest dich in einen förmlichen Haß gegen Gollwitz hinein. Was hat er dir denn eigentlich getan?«

Wieder lachte Brak kreischend auf.

»Das ist großartig! Was mir der Mensch getan hat? Hat er mich nicht vor aller Welt blamiert, meine Tochter bloßgestellt, so daß es schon jetzt die Spatzen auf den Dächern pfeifen: Fräulein Luise Brak gibt sich mit ihrem Liebhaber nächtliche Stelldichein im Garten ihres Vaters, den man einfach als einen alten Narren behandelt!«

»Du könntest der Sache schnell ein Ende machen, indem du die beiden jungen Leute zusammengibst.«

Peter Brak schüttelte wütend die Faust.

»Eher erwürge ich Luise mit eigener Hand, als daß ich sie einem Mörder zur Frau gebe.«

Betroffen sah der Inspektor seinen Bruder an.

»Einem ›Mörder‹ sagst du?« rief er. »Hörtest du denn nicht, daß Gollwitz unschuldig ist?«

»Ach bah! Ich glaube nicht daran!«

»Ja – aber erkläre mir doch, wie deine Annahme möglich ist!«

»Kein Ding ist unmöglich! Luise kann sich, trotz allem, in der Zeit geirrt haben, die Turmuhr kann nicht richtig geschlagen haben, oder doppelt. Oder der Mensch ist nach zwölf Uhr erst recht aus dem Fenster seiner Stube gestiegen und hinaus zu Fallners gelaufen. Daran hat der ganze kluge Gerichtshof nicht gedacht, und es war doch so einfach. Die Überraschung über die Blamage meiner Tochter war eben gar zu groß.«

Der Inspektor schüttelte mißbilligend den Kopf.

»Ich hoffe doch nicht, Peter, daß du diese Ansicht, die niemand außer dir teilt, laut werden läßt?«

»Das kommt darauf an!«

»Ich kann dir nur den guten Rat geben, tue es nicht, denn man würde daraus nur den unversöhnlichen Haß deines Charakters erkennen einem Mann gegenüber, der bis vor kurzem allgemein geachtet war und es hoffentlich auch wieder sein wird, denn Heinrich Gollwitz ist ein Ehrenmann, wenn er auch arm ist. So, das ist meine Meinung, die ich der deinen überall gegenüberstellen werde, sobald sich eine solche in der Öffentlichkeit bemerkbar macht.«

»Tue, was du willst!« schrie wütend Brak. »Ich weiß ja, daß du von allem Anfang an zu Gollwitz hieltest. Da ist unser Oberamtsrichter ein anderer Charakter! Sage mir doch, du Kluger, wo denn der Mörder zu suchen wäre in aller Welt, wenn nicht hinter Gollwitz?«

»Hinter der Person des nächtlichen Gastes, den Balthasar bemerkte!«

»Unsinn das! Der alte Mann sieht nicht mehr gut. Was wäre denn das für ein Mensch?«

»Das vermag ich zur Stunde noch nicht zu enträtseln,« versetzte der Inspektor ernst, »aber Unsinn braucht es deshalb noch lange nicht zu sein. Es ist dem Kriminalisten durchaus nichts Unbekanntes, daß sich Mörder oft Wochen nach der Tat heimlich, zur Nachtzeit, an den Ort ihres Verbrechens schleichen.«

»Daran glaube ich nicht! Was wollen sie denn dort?«

»Das weiß man nicht recht. Das Blut scheint sie anzuziehen oder etwas anderes. Keiner konnte darüber so recht eine Auskunft geben, wenn er dabei, wie es vorkam, festgenommen wurde. Es trieb ihn eben ein unbestimmtes Etwas an den Ort. Unsere Kriminalpolizei kennt diese Tatsache und wird sich auch diesmal den Fingerzeig Balthasars nicht entgehen lassen.«

»Nun, dann kann ich ihr nur Glück wünschen, daß sie den nächtlichen Gast bald abfängt!« versetzte Brak höhnisch. »Bis dahin müßt Ihr mir aber schon erlauben, die Erzählung Balthasars für ein Ammenmärchen zu halten.«

In diesem Augenblick klopfte es.

Der Besucher, wer es auch sein mochte, hätte keine schlechtere Stunde, als gerade diese, wählen können.

»Herein!« rief Peter Brak.

Er fuhr jedoch mit einer Verwünschung zurück, als er den Eintretenden erkannte.

Heinrich Gollwitz!

»Was? Sie unterstehen sich noch, hierherzukommen?« zeterte Brak. »Was wollen Sie, Unverschämter?«

Der Referendar stand bescheiden an der Tür.

Eine flüchtige Röte war über sein Gesicht gehuscht bei dem schroffen Empfang, der ihm zuteil wurde. Dann aber zwang er sich gewaltsam zur Ruhe.

»Ehe ich nach Wilberg zurückreise, wollte ich Sie noch vorher um Verzeihung bitten für die Ihnen unerwartet gekommene schmerzliche Überraschung,« sagte er.

»Für die Unverschämtheit!« schrie Brak. »Das ist die richtige Bezeichnung.«

Gollwitz biß sich auf die Lippen.

»Ich glaube keine so harte Behandlung verdient zu haben,« sprach Heinrich Gollwitz, »denn daß ich Luise liebe, das ist im Grunde genommen kein Verbrechen. Ich hätte Ihnen ja sogleich unser Geheimnis enthüllt, aber die arme Tante Fallner war es selbst, die es nicht wollte. Und einzig um diesem unhaltbaren Zustand ein Ende zu machen, bat ich sie ja, uns zu helfen, und erhielt eine Antwort, die mir so übel ausgelegt wurde.«

Peter Brak fuchtelte wütend mit den Händen in der Luft herum.

»Was reden Sie denn noch immer? Verlassen Sie das Zimmer!« rief er.

»Ich wollte Sie bitten, wenn nicht mir, so doch Luise zu verzeihen, denn sie ist gewiß völlig schuldlos und hat sich auch nichts vorzuwerfen.«

»Als daß sie mich hinterging, jawohl! Was ich übrigens mit meiner Tochter ausmache, ist meine Sache und geht Sie nichts an!«

»Vergeben Sie ihr, das ist meine innigste Bitte. Dann will ich Ihnen auch versprechen, Ihnen nie mehr absichtlich in den Weg zu treten. Ihr Haus zu meiden!«

»Das werden Sie ohnedies tun. In meinem Haus gibt es für Sie gar nichts mehr zu suchen. Merken Sie sich das! Treffe ich Sie aber doch einmal an, so lasse ich Sie hinauswerfen.«

Gollwitz fuhr auf. Zu viel war es, was man ihm hier bot.

Nur mühsam bezwang er sich.

»Daß ich vermögenslos bin, ist mein Verbrechen, ich weiß es wohl, Herr Onkel,« sagte er. »Aber man sagte mir, daß auch Sie arm waren –«

»Hinaus!« kreischte Brak wild.

»Ich gehe und mögen Sie niemals Ihre harten Worte bereuen. Lebte Tante Fallner noch, stände alles anders. Sie betrachtete es als ihr Lieblingsprojekt, uns beide, mich und Luise, zu vermählen. Nun der Tod sie aus ihrem Wirken gerissen, wird mir keine andere Aussicht bleiben, als Wilberg zu verlassen, wo ich niemals mehr Ruhe finden könnte, denn Luise verschachert zu wissen –«

Peter Brak riß wutschäumend an dem Glockenzug.

»Hinaus – Vagabund – Mörder!«

Gollwitz, von den Worten bis ins Mark getroffen, fuhr jäh empor.

Er wollte sich auf Brak stürzen, aber der Inspektor hielt ihn am Arm zurück.

»Gehen Sie, gehen Sie, Gollwitz! Ich bedaure Sie, aber jetzt ist hier nichts für Sie zu gewinnen. Hoffen Sie auf eine bessere Zeit!«

Diese letzten Worte hatte der Inspektor nur halblaut gesprochen.

Gollwitz stand bereits auf der Schwelle.

»Ich gehe, ich gehe ja schon!« murmelte er. »Aber zu hoffen habe ich wohl nichts mehr.«

»Wer weiß!«

Damit drängte ihn der Polizeiinspektor auf den Korridor hinaus.

Dort traten Gollwitz auch schon zwei Hotelbedienstete entgegen, die jedoch von dem Inspektor sogleich wieder zurückgeschickt wurden.

Als Gollwitz schweren Herzens in die nächste Straße einbog, stieß er auf Balthasar, den alten Diener der ermordeten Frau Fallner.

»Ich habe Ihnen noch nicht Glück wünschen können zu Ihrer Freisprechung, Herr Gollwitz,« sagte der biedere Alte. »Ich tue es deshalb nachträglich. An Ihre Schuld habe ich von allem Anfang an keinen Augenblick geglaubt.«

Diese ehrlichen, aufrichtigen Worte taten dem jungen Mann wohl. Er drückte mit Worten des Dankes dessen Hand.

»Wenn jedermann nur so dächte wie Sie, Balthasar!« sagte er. »Aber leider habe ich soeben die Erfahrung machen müssen, daß das Wort Mörder im Zorn noch immer auf mich Anwendung findet.«

Der Alte blickte auf.

»Ich verstehe! Sie haben es gewagt, Brak einen Besuch zu machen?«

»Ja; ich wollte ihn um Verzeihung bitten. Ein so großes Verbrechen habe ich doch dadurch allein nicht schon begangen, daß ich Luise liebe? Aber mein Onkel war im höchsten Grade erregt, aufgebracht über mich, und verbot mir jedweden ferneren Verkehr in seinem Haus. Dabei fielen Worte von seiner Seite, die er niemals verantworten kann.«

»Ich habe mir das gedacht,« nickte Balthasar, »als ich Sie in den Goldenen Stern eintreten sah. Ich wartete deshalb hier auf Sie, weil ich mir denke, daß Sie eine Hilfe oder doch einen guten Rat in Ihrer jetzigen Lage brauchen können. Was gedenken Sie nun anzufangen?«

Ein Zug der Bitterkeit legte sich um den Mund Gollwitz'.

»Ich stehe im Vorbereitungsdienst und bin gänzlich ohne Vermögen. Was das bedeutet, werden Sie wohl begreifen, Balthasar! Meine Existenz basierte auf der gütigen Unterstützung meiner armen Tante. Es bleibt mir nun kaum etwas anderes übrig, als bei irgendeinem Rechtsanwalt oder Notar – Schreiberdienste zu tun.«

»Das kann Ihr Ernst nicht sein, Herr Gollwitz!?« rief Balthasar erschrocken.

»Was bleibt mir denn sonst übrig? Aber seien Sie versichert, in Wilberg bleibe ich nicht, hier soll niemand Zeuge meiner Erniedrigung sein.«

Balthasar legte plötzlich seine Hand auf den Arm des Referendars.

»Hören Sie, Herr Gollwitz!« sagte er. »Wenn Frau Fallner noch lebte, würde sie das nie geduldet haben. Daß Sie von ihr in einem Testament als Miterbe bestimmt werden sollten, weiß ich selbst. Leider verschob sie die rechtmäßige Abmachung des Dokumentes. Aber sobald Sie aus dem Vorbereitungsdienst austreten, verlieren Sie Ihre ganze Karriere.«

»Ich kann unter günstigen Verhältnissen später vielleicht wieder von vorn anfangen!«

»Eine hübsche Aussicht! Sie werden dabei ein alter Mann!«

»Und was tut das?«

»So? Haben Sie denn Luise aufgegeben?«

»Ja, weil ich muß. Jetzt noch daran zu denken, daß ihr Vater sie mir, dem Enterbten, geben würde, wäre Wahnsinn! Sie wird mich gewiß bald vergessen, wenn ich nur erst einmal fort aus Wilberg bin.«

Balthasar schüttelte ernst den grauen Kopf.

»Das sind Worte, die Ihnen schwer genug fallen, sie auszusprechen,« sagte er. »Sie glauben selbst nicht daran. Luise liebt Sie mehr als nur oberflächlich, das hat sie bewiesen. Wie könnte sie Sie da so schnell vergessen? Und Ihnen gelingt es noch weit weniger. Weshalb auch wollen Sie so allen Mut aufgeben? Sind Sie erst einmal fest angestellt, können Sie auch eine Frau ernähren.«

»Aber ich werde das nie, denn ich vermag mich so nicht zu halten.«

»Warten Sie nur! Ich wollte sagen, bis dahin kann sich manches ändern in dem Brakschen Haus. Luise bleibt Ihnen treu, das dürfen Sie glauben. Sie müssen Ihre Karriere festhalten, und da wollte ich Sie bitten« – Balthasar fand nicht gleich die richtigen Worte – »mir zu erlauben – daß ich bis dahin die Stelle meiner armen Herrin bei Ihnen vertrete.«

»Sie, Balthasar?« rief Gollwitz, betroffen stehen bleibend.

»Ja – ich! Erschrecken Sie doch nicht, Herr Gollwitz. Ich habe ein ganz nettes Sümmchen mir in den langen Dienstjahren erspart, da ich ja nicht Kind, noch Kegel, auch keine Verwandten habe. Wollen Sie meine Hilfe nicht annehmen?«

»Nein,« versetzte ohne Zögern Gollwitz, indem eine jähe Röte sein Gesicht streifte, »ich danke Ihnen herzlich für den guten Willen, Balthasar. Aber was ich von Frau Fallner, die Mutterstelle an mir vertrat, annehmen konnte, darf ich niemals von Ihnen annehmen.«

»Das begreife ich nicht! Sie könnten lieber Ihre ganze Existenz aufgeben, Luise verlieren, als meine kleine Hilfe annehmen?«

»Luise habe ich an dem Tag verloren, da ich durch den Tod der armen Tante vermögenslos wurde. Dadurch wird auch meine Existenz unhaltbar. Wie könnte ich jemals darauf eingehen, Ihre Unterstützung anzunehmen!«

»Es können schlimme Tage kommen, Herr Gollwitz,« sagte Balthasar bedächtig, »und ich meine, ich sehe sie schon vor mir, denn Brak wird in seinem offenbaren Haß Ihnen auf jede Art zu schaden suchen. Und da wäre selbst ein Freund wie ich nicht zu verachten. Denken Sie daran.«

Gollwitz reichte dem Alten beide Hände.

»Das will ich Ihnen versprechen, Balthasar,« sprach er, mit Tränen in den Augen. »Wenn es zum Äußersten, Verzweifeltsten kommt, dann will ich an Sie denken, als den letzten, ehrlichsten Freund, der mir noch blieb. Wie aber wäre ein solches Unglück denkbar, da ich ja allem Hasse Braks aus dem Weg gehe.

Er haßt mich, da haben Sie recht, Balthasar, und schon deshalb darf ich Sie nicht ohne weiteres in eine schiefe Lage bringen. Sie stehen jetzt in seinem Dienst und er kann verlangen, daß Sie keine Beziehungen mit mir unterhalten.«

»Ich kann mir eine andere Stelle suchen, Brak gefiel mir nie. Wenn ich noch länger bleibe, so geschieht es nur, weil ich denke, Luise wird sich nach einer Person sehnen, die ihr über den Referendar Gollwitz und dessen Tun Aufschluß geben kann, die vielleicht kleine Briefchen besorgt. Schütteln Sie nur nicht so energisch den Kopf, ich habe mir fest vorgenommen, den Verkehr mit Ihnen und Luise zu ermöglichen, Sie trotz allem Unheil zusammenzubringen. Denn das war ja auch der Wille meiner seligen Herrin. Ich spiele den Postillon d'amour, wie man sagt, weiß Gott, das tue ich, und dann will ich doch sehen, ob Sie nicht wieder Mut und Hoffnung bekommen, da Sie sich von Luise geliebt wissen. Schlagen Sie meine Hilfe noch immer aus?«

»Ja, Balthasar, dabei bleibt es! Vorläufig nehme ich sie nicht an. Ich werde zunächst ja versuchen, mich durch Privatarbeiten auf der Höhe zu erhalten.«

»Das ist eine schwache Aussicht. Wie lange vermögen Sie sich noch zu halten, wenn Sie keine Privathilfe erlangen?«

»Noch etwa zwei Monate.«

»Nun, bis dahin werden Sie sich hoffentlich eines Besseren besinnen.«

Gollwitz blieb dabei, vorläufig unter keinen Umständen die mühsam ersparten Gelder des alten Dieners anzunehmen.

Er wäre sich erbärmlich dabei vorgekommen.

Einen eigentlichen festen Plan schon jetzt zu fassen, war ihm übrigens nicht möglich, da sein Kopf noch zu sehr von den Ereignissen des Tages eingenommen war.

Mit Balthasar, der Witwe Ballin und anderen Wilberger Zeugen fuhr er nach dem Städtchen zurück, wohin bereits der Ruf seiner Freisprechung gedrungen war.

Peter Brak mußte wohl oder übel mit Luise noch einige Tage im Goldenen Stern zurückbleiben.

*


 << zurück weiter >>