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I.

Es war in einer Juninacht. Tagsüber hatte eine starke Hitze geherrscht und gegen Abend bildeten sich schwarze Gewitterwolken am Himmel, die sich mehr und mehr zusammenballten.

Dennoch brach das Wetter nicht los.

Ein starker Wind trieb die Wolken von Zeit zu Zeit auseinander, so daß die Mondstrahlen auf die Erde fielen, doch waren dies nur seltene Momente.

Meist lag tiefe Finsternis über dem Forst, der schmalen Straße, die an dem Waldrand entlang und an einigen, einzeln stehenden Besitzungen vorüber, nach dem Städtchen Wilberg führte.

Nur ganz wenige Personen betraten um diese Zeit noch den Weg, der nach dem Wald und durch diesen nach dem Dorf Steinbach führte.

Wer aber dort etwas zu schaffen hatte, tat es bei Tage, oder doch ehe völlige Dunkelheit hereinbrach, denn der Forst besaß eine Ausdehnung von zwei Stunden und war stark verwildert.

Zudem wußte jedermann, daß es in der Nähe der gelben Steinbrüche, die sich dort befanden, eine Persönlichkeit gab, der man bei Tag nicht gern begegnete, noch viel weniger in dunkler Nacht.

Es schlug zehn Uhr von dem alten Turm der Martinskirche und kaum waren die dumpfen Schläge verklungen, so ertönte ein hastiger Schritt. Allem Anschein nach kam jemand aus der Stadt.

In der Nähe des Brakschen Hauses, einer Besitzung, die ziemlich einsam hier draußen am Weg lag und von einem großen Garten umgeben wurde, hielt der Schritt an.

Ein Windstoß fuhr in die Baumkronen, rüttelte sie, daß die Äste seufzten und stöhnten, und trieb die schwarzen Gewitterwolken gegen den Forst.

Der Schritt war nun nicht mehr zu hören. Wer es gewesen, der um diese Zeit sich hier heraus begab, wohin die Person verschwand, ließ sich nicht feststellen.

Der Mann, denn um einen solchen handelte es sich hier, mochte in der Dunkelheit seinen Weg nach dem zweiten hier draußen liegenden Besitztum fortgesetzt haben.

Dieses Haus gehörte der Schwester Braks, einer Frau Fallner, und wurde von dieser und zwei Dienstboten bewohnt. Es lag nicht allzuweit von Braks Besitztum entfernt.

Als der pfeifende Wind nachgelassen hatte und Ruhe eingetreten war, ließ sich nichts mehr von dem Schall eines Schrittes vernehmen, auch keine Gestalt in dem momentan aufblitzenden Mondlicht war zu sehen.

Das Gewitter kam diese Nacht nicht zum Ausbruch, bang und drohend hingen die düsteren Wolken am Nachthimmel.

Eine Viertelstunde vor Mitternacht trat ein Mann eilig aus dem Wald, den Hut auf dem Kopf, einen derben Knotenstock in der Hand.

Rüstig schritt er vorwärts, dem Städtchen zu.

Noch unheimlicher hatte sich das Aussehen des Nachthimmels gestaltet.

Der Mann warf einen Blick nach dem Wald, dessen rabenschwarzes Innere er soeben verlassen hatte.

»Gott sei Dank, daß ich so weit bin!« murmelte er, ordentlich erleichtert. »Noch eine kleine Weile, dann bin ich am Stadttor. Ist das eine Nacht! Das geht selbst dem vernünftigsten Menschen an die Nerven. So recht geschaffen zu Mord und Totschlag! Gott behüte uns davor!«

Ein Frösteln hatte den Mann unwillkürlich gepackt. Dann sagte er, sich mit Gewalt aufraffend:

»Unsinn! Wann wäre hier bei uns so etwas vorgekommen? Die Nacht ist keines Menschen Freund, und sitzt einem mal so eine Bangigkeit in den Knochen, so kriegt man sie nicht mehr los. Und bang kann einem schon werden bei dem Marsch durch den Wald und der rabenschwarzen Nacht. Horch! Seufzt da nicht jemand?«

Er lauschte. Aber es mußte wohl ein Ast gewesen sein, der sich an einem anderen rieb.

Der Mann löschte nun das Licht in seiner kleinen Laterne aus, denn er konnte auch in der Dunkelheit den Weg nach der Stadt nicht mehr verfehlen.

Eilig schritt er weiter.

In dem Augenblick, da er sich dem Peter Brakschen Besitztum näherte, schlug es vom Martinsturm Mitternacht.

Zu gleicher Zeit etwa riß der Wind wieder einmal die Wolkenballen auseinander und ein matter Mondstrahl fiel auf den Weg.

Der Mann blieb stehen.

Unwillkürlich war er heftig erschrocken.

Auf dem Weg, mit dem Rücken ihm zugewendet, als wäre er soeben aus derselben Richtung gekommen, die unser Mann einschlug, stand eine Gestalt.

Der junge Mann – denn daß es ein solcher war, soviel konnte der Beobachter erkennen – hatte wahrscheinlich nicht gehört, daß ihm jemand gefolgt war.

Die beiden Personen blieben nun stehen und unser Mann konnte beobachten, daß der andere mit einem lauten Ächzen die Hände vor das Gesicht schlug und dann förmlich zusammenbrach.

Schon berührten die Knie den Boden, da raffte sich die Gestalt wieder empor, ließ schlaff die Arme sinken und setzte den Weg nach der Stadt fort.

Dies mußte der Beobachter, ein Arbeiter aus dem Städtchen, wenigstens annehmen, da er die sich entfernenden Schritte hörte.

Zu erkennen vermochte er nichts mehr, da sich die Wolken wieder über den Mond geschoben hatten.

Die kurze Begegnung war jedoch so seltsam und kam ihm so sonderbar vor, so verdächtig, daß er sofort beschloß, dem Unbekannten zu folgen.

Hier war etwas geschehen, und der Arbeiter wollte wenigstens erfahren, wen er vor sich hatte. Furcht kannte er nicht und so eilte er den Weg entlang.

Aber der Voranschreitende schien es zu hören, daß ihn jemand verfolgte, denn er verdoppelte seine Schritte und als ihn der Arbeiter dennoch bald eingeholt hatte, rannte er in wilder Flucht dahin.

Der andere folgte ihm jedoch, und unter dem Torbogen, wo eine vom Wind stark niedergedrückte Laternenflamme brannte, hatte er den Fliehenden wirklich eingeholt und packte ohne Bedenken seinen Rock.

»Holla! Wer seid Ihr? Und was lauft Ihr so davon, als hättet Ihr einen Mord auf dem Gewissen?!« rief er.

Keuchend hielt der Angeredete still.

Es schien, als habe er einen anderen Mann in dem Verfolger vermutet.

Wie er sein bleiches Gesicht dem Arbeiter zuwandte, ließ dieser verblüfft den Rock frei.

»Ah – Sie sind es, Herr Referendar Gollwitz«, entfuhr es ihm.

»Ihr kennt mich?« stieß Gollwitz, heftig atmend, hervor und sein Körper bebte und zitterte vor Erregung. »Warum verfolgt Ihr mich?«

»Ich komme von Steinbach herüber, durch den Wald, Herr Referendar. Mein Bruder ist schwer krank und man holte mich am späten Nachmittag. Der Besuch hat sich in die Länge gezogen, aber herüber mußte ich noch, denn unsereins muß früh wieder an die Arbeit. Als ich in die Nähe des Brakschen Hauses komme, sah ich Sie ächzend und händeringend am Weg stehen. Aber ich erkannte Sie nicht und weil mir die Sache so sonderbar vorkam, so – so bin ich Ihnen eben gefolgt.«

Der Referendar faßte plötzlich den Arm des Arbeiters.

»Versprecht mir, keinem Menschen zu sagen, was Ihr gesehen habt in dieser Nacht!« rief er fast heiser.

»Das will ich meinetwegen schon versprechen!« antwortete erschrocken der Mann, denn Gollwitz genoß im Städtchen den besten Ruf, wenn gleich er ohne Vermögen war und von dem Wohlwollen seiner Tante, Frau Fallner, lebte. »Aber ich begreife gar nicht, woher Sie kamen, Herr Referendar, und wie Sie –«

»Denkt, was Ihr wollt,« unterbrach ihn hastig Gollwitz, »aber schweigt! Ich habe Euch manchen kleinen Gefallen getan und werde Euch gewiß nicht vergessen.«

»Verlassen Sie sich nur auf mich, Herr Referendar!« sagte der Arbeiter kurz. »Daß Sie von keiner schlechten Tat kommen, das weiß ich ja, und das übrige geht mich nichts an!«

Gollwitz preßte die Hand des Arbeiters.

»Ich danke Euch! Und jetzt will ich heimkehren!«

»Gute Nacht, Herr Referendar!«

»Gute Nacht!« murmelte Gollwitz dumpf und wandte sich zum Gehen.

Kopfschüttelnd sah ihm der Arbeiter nach, ehe er ebenfalls den Weg nach seiner eigenen Behausung antrat.

Heinrich Gollwitz zog fröstelnd den Überrockkragen in die Höhe, obwohl es wahrlich nicht kühl war, ließ den Kopf tief auf die Brust sinken und verschwand in einer der Gassen, wo er eine Tür aufschloß, wie der Arbeiter noch sah.

*

Nicht gar lange, nachdem sich Gollwitz und der Arbeiter, der ihn verfolgte, dem Stadttor genähert hatten, ereignete sich draußen auf dem verlassenen Weg abermals etwas Seltsames.

Das fahle Mondlicht lag für kurze Zeit wieder auf der Erde. Die Wolken oben am Himmel zerriß der Wind, so daß es sich nun ansah, wie eine weite, tiefe Schlucht, auf deren Grund die nicht völlig reine Mondscheibe lag.

Grünschillernder Dunst wogte über dem Licht, das die Wolkenränder zu beiden Seiten phantastisch erscheinen ließ. Das sah aus wie wild zerrissene, gezackte Bergwände, die bald grell beschienen, bald von dem schwarzen Schatten eines Felsblockes getroffen wurden.

Und auf dem Grund, gleichsam in trübem Wasser, schwamm der Mond und warf sein fahles, zitterndes Licht über den verlassenen Weg.

Eine lange, hagere Gestalt glitt nun über diesen, den Kopf vornübergebeugt.

Man hörte fast keinen Schritt, sah in dem unsicheren Mondlicht nur, wie die unheimliche Erscheinung im Zickzack dahinhuschte, bald vom Weg abwich, bald ihn wieder betrat, sah den flatternden Rock, der Rabenflügeln ähnlich war, und die langen, dünnen Arme.

Hielt die Gestalt nicht irgendeinen Gegenstand in der einen Hand?

Es schien so; zu erkennen war jedoch nichts Genaues.

Unter dem Pfeifen des Windes und während am Nachthimmel die Wolken zusammenprallten, alles Licht verdeckend, verschwand auch die rätselhafte Erscheinung.

*

Am nächsten Morgen, in aller Frühe schon, kam Balthasar, der Diener der alten Frau Fallner, atemlos und totenblaß in das Städtchen gelaufen, die Richtung nach der Polizei nehmend.

Einige Personen riefen ihn an, was es denn gäbe, doch erhielten sie keine Antwort von dem augenscheinlich gänzlich verstörten Alten.

Dieser gelangte nur mit Mühe die Treppe hinauf zu dem Zimmer des amtierenden Polizeikommissars.

Dieser war noch gar nicht anwesend, wie der Amtsdiener sagte, der Balthasar genau kannte.

»Rufe ihn augenblicklich her,« keuchte der Alte, »es ist keine Zeit mehr zu verlieren!«

»Aber was, zum Kuckuck, gibt es denn nur, Balthasar?« fragte der Amtsdiener neugierig.

»Etwas Schreckliches – fort! Ein Mord ist geschehen!« schrie Balthasar. »Wecke den Herrn Kommissar, wenn er noch schlafen sollte!«

Das fuhr dem Frager jäh in die Glieder.

Er tat auch gar keine weitere Frage vorderhand, sondern lief eilig davon.

Balthasar war auf einen Stuhl gesunken und trocknete sich mit dem Taschentuch die Stirn ab, wobei er kläglich ächzte:

»Wer hätte das geahnt! Wie konnte das nur geschehen? Es ist ja schrecklich!«

Lange brauchte Balthasar nicht zu warten, dann trat der Polizeibeamte in das Bureau.

Er hatte nicht mehr geschlafen, wie Balthasar glaubte, und die Meldung des Amtsdieners hatte auch ihn jäh erfaßt.

Ein Mord hier in dem kleinen Wilberg!

Das war eine Seltenheit und wohl geeignet, Sensation zu machen. Er beeilte sich deshalb sehr, aus dem Mund Balthasars etwas Näheres zu erfahren.

»Was höre ich?« rief er bereits im Eintreten. »Sie haben einen Mord zu melden?«

»Jawohl – einen schrecklichen Mord, Herr Kommissar,« ächzte der Diener, sich mühsam erhebend.

Dabei zitterten ihm auch jetzt die Glieder noch derart, daß ihm der Beamte zuwinkte, sitzenzubleiben.

»Vor allem: wer ist ermordet?« fragte er rasch.

»Meine Herrin, Frau Fallner –«

»Unmöglich!« fuhr der Beamte auf. »Frau Fallner, die bei alt und jung gleich beliebt war, die in der ganzen Gegend keinen Feind besaß! Irren Sie sich auch nicht, Balthasar? Die Dame hat vielleicht in der Nacht einen Blutsturz gehabt, ist von einem Schlaganfall betroffen worden?«

»Leider irre ich mich nicht, Herr Kommissar,« schüttelte Balthasar den Kopf. »Frau Fallner wurde ermordet, erschlagen!«

»Wirklich? So erzählen Sie, wie Sie die Dame fanden. Doch halt, einen Augenblick!«

Er gab ein Glockenzeichen und befahl dem eintretenden Diener, sogleich den Doktor Thoma und den Oberamtsrichter benachrichtigen zu lassen, daß sich ein Mord in Wilberg ereignet habe und im Polizeibureau das Nähere soeben festgestellt werde.

Dann sagte er zu Balthasar: »Erzählen Sie nun!«

Balthasar nahm sich gewaltsam zusammen und berichtete folgendes:

»Frau Fallner hatte die Gewohnheit, ziemlich früh aufzustehen und im Garten zu promenieren. Ehe sie jedoch das Haus verließ, sprach sie jedesmal erst in der Küche vor, um Ulrike die nötigen Anweisungen für den Tag zu geben. Diesen Morgen nun blieb Frau Fallner viel länger im Zimmer als gewöhnlich, so daß wir endlich anfingen, ängstlich zu werden.

Ulrike klopfte, erhielt aber keine Antwort. Wir warteten noch eine Zeitlang und klopften dann abermals, diesmal sehr stark. Doch kam wieder keine Antwort und wir mußten nun annehmen, daß Frau Fallner entweder bereits ausgegangen war, oder daß sie krank im Zimmer lag, so krank, daß sie nicht einmal eine Antwort auf unser Pochen geben konnte.

Nachdem ich mit Ulrike rasch den Garten durchsuchte, aber keine Spur von Frau Fallner entdeckte, beschloß ich, einen Blick durch das nicht allzu hohe Fenster in das Schlafzimmer zu tun.

Ulrike war zugegen, als ich auf das Fenstergesims stieg und in die Schlafstube blickte. Der eine Fensterflügel stand weit offen, was mir gleich auffiel, obwohl unsere Herrin fast immer bei offenem Fenster schlief. Doch war der Fensterflügel stets nur zu einem geringen Maß geöffnet und niemals so weit, wie diesmal.«

»Frau Fallner schlief in einem Parterrezimmer bei offenem Fenster?« fiel der Beamte ein. »In Anbetracht, daß ihr Haus so gut wie dasjenige ihres Herrn Bruders fast einsam liegt, ist dies doch eine große Unvorsichtigkeit!«

»Ich erlaubte mir auch öfters, gelinde Vorwürfe meiner Herrin zu machen,« versetzte der Diener, »aber Frau Fallner meinte: sie brauche niemanden zu fürchten, da sie keinen Feind besitze, weder unter Reich, noch Arm. Kein Notleidender, und war es der größte Strolch, ging unbeschenkt von ihrer Schwelle. Frau Fallner erwiderte oft, sie dürfe es wagen, überall, und sei es im tiefsten Wald, allein zu ruhen.«

»Der schreckliche Vorfall hat das Gegenteil bewiesen! Doch erzählen Sie weiter. Was bemerkten Sie zunächst vom Fenstersims aus?«

»Ich mußte meine Augen erst an die Dunkelheit gewöhnen, dann aber bemerkte ich, daß Frau Fallner in ihrem, von Vorhängen umgebenen Bett lag.

Der eine Vorhang war zurückgeschlagen, der andere jedoch bedeckte Gesicht und Brust.

Ich sah jedoch eine Hand herabhängen.

›Was sehen Sie, Balthasar!‹ rief mir Ulrike zu.

›Frau Fallner liegt zu Bett,‹ gab ich zur Antwort und rief meine Herrin gleichzeitig laut beim Namen.

Aber ich bekam keine Antwort.

›Sie regt sich gar nicht!‹ antwortete ich Ulrike.

›Am Ende ist sie tot?!‹ schrie diese angstvoll. ›Springen Sie hinein! Ich vergehe vor Angst!‹

Das tat ich denn; ich sprang in das Zimmer und eilte an das Bett.

Als ich den einen Vorhang, welcher Kopf und Brust verhüllte, beiseite zog, taumelte ich fast zugleich mit einem lauten Schrei zurück.

›Allmächtiger Gott!‹ schrie ich. ›Da ist ein Mord geschehen, Ulrike!‹

Auch diese schrie auf. Ich täuschte mich aber nicht, denn als ich den Vorhang zurückzog, sah ich das starre Antlitz der Frau Fallner vor mir, die Augen weit geöffnet, ebenso den Mund, als hätte sie im letzten Augenblick noch den Namen ihres Mörders hinausrufen mögen.

Das Kopfkissen war, wie auch Frau Fallners Gesicht, stark mit Blut bedeckt und auf der Stirn befand sich eine große, schreckliche Wunde. Frau Fallner muß erschlagen worden sein.

Ich konnte mich leicht überzeugen, daß sie tot war, dann aber floh ich, von Entsetzen geschüttelt, aus dem Zimmer in den Garten, vorbei an Ulrike, die auf einer Gartenbank ganz verwirrt saß, und eilte hierher. Sie wissen nun alles, Herr Kommissar.«

Der Beamte nickte.

»Leider scheinen Sie recht zu haben. Frau Fallner wurde ermordet. Von wem und unter welchen Umständen, dies wird ja hoffentlich die Untersuchung zutage fördern.«

Er machte sich einige Notizen und dann erschienen die beiden Herren, nach denen er geschickt hatte, der Oberamtsrichter und Doktor Thoma, der Kreisphysikus.

Mit einigen wenigen Worten waren sie verständigt und der Oberamtsrichter ordnete an, daß man sich sofort an den Ort der Bluttat begeben solle.

Dies geschah auch in einem geschlossenen Wagen.

Balthasar fuhr mit; seine Füße trugen ihn sowieso kaum mehr.

In kurzer Zeit erreichte das Gefährt den Garten der Frau Fallner, den ein nicht besonders hoher Heckenzaun umgab.

Das Besitztum lag tatsächlich stark isoliert.

Am offenen Gittertor stand die alte Ulrike, mit der Schürze die Augen sich trocknend.

Sie hatte die ganze Zeit über hier gestanden, nachdem sie Balthasar nachlief.

Nicht um alles in der Welt wäre sie allein mit der Toten im Haus geblieben.

»Gott sei Dank, daß Sie kommen, Balthasar!« rief sie nun.

»Hat sich während Balthasars Abwesenheit etwas ereignet?« fragte der Oberamtsrichter.

»Nein, Herr Oberamtsrichter,« schluchzte die Alte, »nichts, gar nichts!«

Die Männer schritten dem Haus zu.

»Wir werden die Tür des Schlafzimmers aufbrechen müssen,« sagte der Oberamtsrichter. »Haben Sie etwas dazu bei der Hand, Balthasar?«

»Das schon, Herr Oberamtsrichter –«

»Dann holen Sie es!«

Die Herren standen nun vor der Tür.

Sie war fest verschlossen von innen und da sich Balthasar unter keinen Umständen mehr dazu herbeiließ, durch das Fenster zu steigen, um die Tür von innen zu öffnen, so mußte dies eben von hier aus geschehen.

Man trat ein.

»Haben Sie irgend etwas in dem Zimmer geändert?« fragte der Richter Balthasar.

»Nein, nicht das geringste!« gab dieser zur Antwort.

Die Untersuchung begann nun.

Doktor Thoma fand Frau Fallner so, wie Balthasar geschildert hatte.

Sie war tot, seit Stunden schon.

Mehr nach der einen Schläfe zu, nicht direkt über der Stirn, befand sich die Wunde, die von einem oder mehreren Streichen, vermittels eines stumpfen, aber schweren Instrumentes ausgeführt, herrührte.

Und bald fand man auch die tödliche Waffe.

Es war dies ein sehr schwerer, roher Hammer, wie ihn die Arbeiter in den Steinbrüchen benutzen.

Er hatte einen kurzen, stark abgenutzten Stiel, in den zwei Buchstaben mit dem Messer geschnitzt waren. J. V. stand darauf.

Der Hammer war mit Blut befleckt und lag am Boden, dicht vor dem Bett.

Es schien, als ob er, zu schwer, der Hand des Mörders entfallen und so liegen geblieben war.

Daß mit ihm die Tat ausgeführt wurde, darüber herrschte kein Zweifel.

»Haben Sie während der Nacht keinen Hilferuf vernommen oder sonstwie ein verdächtiges Geräusch?« fragte der Richter Balthasar.

»Nein, nicht das mindeste,« gab dieser zur Antwort.

»Hm – das ist aber sonderbar!«

»Allem Anschein nach wurde die Dame im Schlaf überfallen,« bemerkte Doktor Thoma, »und durch einen heftigen Streich sogleich betäubt. Im weiteren dürfte der Tod schon nach wenigen Minuten eingetreten sein.«

Weitere Untersuchung ergab, daß Frau Fallner bei einem Nachtlicht schlief, das jedoch ausgebrannt war.

Der Richter nahm den Hammer in die Hand.

»Kennen Sie diesen Hammer, Balthasar?« fragte er.

»Nein,« lautete die Antwort, »ich habe ihn nie gesehen.«

»J. V.,« murmelte der Oberamtsrichter. »Was bedeutet dies? Doch jedenfalls den Namen des Mörders?«

Er wandte sich wieder Balthasar zu.

»Mit wem verkehrte Frau Fallner in den letzten Tagen?« fragte der Oberamtsrichter.

»Frau Fallner ging nur einigemal in das Städtchen, besuchte dann ihren Bruder, Herrn Brak, und empfing ihren Neffen, Herrn Gollwitz.«

»Sonst kam niemand hierher?«

»Nein.«

»Haben Sie auch gar keine Ahnung über die Person des Mörders?«

»Nicht die geringste, Herr Oberamtsrichter. Frau Fallner hatte ja keinen Feind.«

»Es kann Raubmord sein. Man weiß, daß Frau Fallner vermögend ist, daß sie bedeutende Summen im Haus hatte!«

»Das Geld lag stets hier in diesem Schrank,« sagte Balthasar, »und sehen Sie nur, Herr Richter – der Schrank steht offen!«

Dies war wirklich der Fall.

Der Richter trat an den Schrank heran, dessen Klappe, als Schreibtisch zu benützen, herabgelassen war.

Man bemerkte nicht die geringste Unordnung in den offen daliegenden Briefschaften.

Der Untersuchende zog die nächsten Schubfächer heraus. Dieselben waren durchweg offen.

»Das ist kein Raubmord,« rief der Richter überrascht, »hier liegen ja ganz bedeutende Summen offen da!«

Balthasar schüttelte ganz verwirrt den Kopf.

»Dann bleibt mir völlig unklar, weshalb dann unsere liebe Frau ermordet wurde!« sagte er.

Der Richter schwieg eine Weile, um dann zu fragen:

»Sagen Sie doch, Balthasar, Sie, als langjähriger Diener der Ermordeten, müssen uns doch angeben können, wer von den Verwandten der Frau Fallner eigentlich einen Nutzen aus diesem Todesfall ziehen könnte?«

»Einen Nutzen?« machte Balthasar verblüfft.

»Nun ja; wer sollte denn erben? Vielleicht dauerte es dem Betreffenden zu lange!«

»Als ihre Erben hatte Frau Fallner ihre beiden Lieblingspersonen, Luise Brak und Herrn Gollwitz bestimmt. Der letztere trug sich auch, wie ich einmal von meiner Herrin hörte, mit dem Gedanken, um Fräulein Luise zu werben. Solange er aber arm wie eine Kirchenmaus war, mußte er diesen Gedanken schon aufgeben.«

»Ei, was Sie sagen!« fuhr der Richter rasch auf.

Jetzt erst begriff Balthasar, daß er den jungen Gollwitz in eine schlimme Lage gebracht hatte, und versuchte sich rasch zu verbessern.

»Sie denken doch nicht etwa, Herr Oberamtsrichter,« rief er, »daß Herr Gollwitz –? O nein, das ist unmöglich! Der junge Herr könnte so etwas ja gar nicht ausführen. Dafür lege ich meine Hand ins Feuer!«

»Na, nicht so hitzig, Alterchen,« bekam er zur Antwort, »der Polizei sind schon ganz andere Fälle vorgekommen.«

»Um Gottes willen!« rief der geängstigte Diener. »Sie werden doch nicht etwa auf mein unbedachtes Reden hin Herrn Gollwitz beschuldigen, den Mord –«

»Wir beschuldigen gar niemand vorderhand,« unterbrach ihn der Richter, »aber da Frau Fallner keinen Feind besaß und ein Raubmord ausgeschlossen ist, so ist es unsere Pflicht, derartige Persönlichkeiten zu suchen, die einen Nutzen aus diesem Todesfall ziehen werden. Das ist nur logisch. Seien Sie aber ganz ruhig; kann sich Herr Gollwitz über die heutige Nacht ausweisen, so belästigt ihn kein Mensch weiter mehr.«

Der Richter ging nun daran, die schwachen Fußspuren, welche sich vom Teppich bis zum Fenster hinzogen, zu untersuchen.

Währenddem sprach Doktor Thoma mit dem Polizeikommissar.

»Ich kenne den jungen Herrn Gollwitz persönlich,« sagte er, »und glaube niemals, daß er imstande wäre, eine solche Tat auszuführen, selbst wenn er den größten Nutzen davon hätte. Hier muß etwas anderes vorliegen, das sich bis jetzt zwar noch ängstlich verhüllt, eines Tages aber doch zum Vorschein kommen wird.«

»Gollwitz soll aber doch sehr arm sein, und da er Luise Brak, seine Cousine, heiraten möchte, so wäre dies doch ein Zusammenhang!« versetzte der Kommissar.

Doktor Thoma lächelte.

»Es ist Ihnen natürlich darum zu tun, so rasch als möglich einen Täter zu erhaschen. Gollwitz ist es aber ganz gewiß nicht. Sie werden es sehen, er kann sich leicht ausweisen. Er ist Referendar hier und arm, das ist wahr, aber er liebte Frau Fallner wie eine zweite Mutter und sie sorgte auch so für ihn. Unmöglich, daß er seine Wohltäterin ermordet haben könnte. Meine Meinung ist, daß Sie eher den Besitzer dieses Hammers, diesen J. V., suchen sollten. Ein Raubmord ist es nicht; hat man jedoch erst diese Person, so könnte man auch erfahren, welche Gründe hier vorlagen.«

Das Gespräch stockte hier, denn der Oberamtsrichter kehrte vom Fenster zurück.

»Aus diesen Spuren ist nichts weiter zu ersehen, als daß jemand vom Garten aus durch das Fenster stieg. Einen Abdruck des Stiefels findet man jedoch nicht; zudem machte ja Balthasar denselben Weg. Wir wollen in den Garten gehen, vielleicht findet sich dort etwas,« sagte er.

Die Herren verließen das Haus und besichtigten auf das eingehendste den Garten.

Unter dem offenen Fenster waren wohl Fußspuren zu entdecken, auch an der Wand, doch konnten diese ebensogut von Balthasar herrühren.

Dagegen wurde eine zwar schwache, aber deutlich erkennbare Spur gefunden, die durch niederes Gras nach dem Heckenzaun lief.

Diese konnte nicht von Balthasar herrühren.

Näher tretend, bemerkte der Oberamtsrichter auch, daß der Heckenzaun an einer niederen Stelle übersprungen wurde.

Dabei mußte die betreffende Person hängen geblieben sein, denn die oberen Zweige waren niedergedrückt und geknickt.

»An dieser Stelle ist der Mörder eingedrungen,« sagte der Richter.

Weiter ließ sich nichts feststellen.

Im Begriff, sich in das Haus zurückzubegeben, kam ihnen der vorhin zurückgebliebene Balthasar entgegengeeilt.

Daß er durch sein Reden den jungen Gollwitz in solch schrecklichen Verdacht gebracht hatte, ließ ihm keine Ruhe.

Er grübelte beständig darüber nach, wie er den Richter auf andere Gedanken bringen konnte.

Und plötzlich schoß ihm ein Lichtstrahl durch den Kopf. Er eilte sofort in den Garten.

»Herr Oberamtsrichter!« rief er hastig. »Jetzt weiß ich, wer der Mörder ist!«

Die Herren schauten ihn betroffen an.

»Nun!« fragte der Richter gespannt.

»Ich wußte gleich, daß es der junge Gollwitz nicht sein kann. Der Wald-Sepp hat die Tat vollbracht

»Wie kommen Sie denn auf den Gedanken?«

»Es ließ mir keine Ruhe. Ich dachte immer an den Steinhammer. Wie käme denn Gollwitz zu solch schwerem Ding, abgesehen von allem. Dazu sind seine Hände ja viel zu weich. Und dann hatte ich's plötzlich; ich brachte die beiden Buchstaben heraus! J. V., Joseph Vroninger, in der Gegend bekannt als der Wald-Sepp!«

»Bei Gott!« fuhr der Richter auf. »Das stimmt auffallend!«

»Der Sepp ist ein total verkommener Mensch, der mit seiner sogenannten Braut draußen in der Nähe des gelben Steinbruchs im Wald wohnt,« fuhr Balthasar eifrig fort. »Der Hammer ist sein Eigentum. Sie werden es sehen!«

»Ich glaube selbst, daß wir da den rechten gefunden haben,« nickte der Oberamtsrichter. »Aus welchem Grund aber hätte er die Tat vollbracht?«

»Das weiß ich freilich nicht,« mußte Balthasar gestehen. »Aber getan hat er's sicher!«

»Nun, wir werden ja sehen. Der Bursche wird noch diesen Vormittag verhaftet, und das weitere wird sich dann finden.«

Nachdem der Richter das Fenster verschlossen, legte er auch an die Tür des Schlafzimmers das gerichtliche Siegel an.

Schon am Nachmittag konnte der Staatsanwalt aus der Residenz eintreffen.

Die Herren schritten nach dem Wagen zurück.

*


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