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VIII.

Es war der letzte Abend vor dem Morgen angebrochen, an dem über Heinrich Gollwitz das Urteil gesprochen werden sollte.

Doktor Bernstein, der Verteidiger des Referendars, ein sehr pflichteifriger junger Mann, saß noch spät in der Nacht in seinem Arbeitszimmer über die Akten des Angeklagten gebeugt, den er morgen von dem Verdacht des Mordes reinigen sollte.

»Es wird ein schweres Stück Arbeit werden,« murmelte der Rechtsanwalt. »Fast könnte man verzagen, wenn dies überhaupt meine Sache wäre. Aber Gollwitz ist unschuldig, davon bin ich fest überzeugt. Wird es mir gelingen, dies aber auch zu beweisen? Eigentlich zu beweisen wohl kaum, aber man darf es auch schon ein Glück nennen, wenn Gollwitz ›wegen mangelnder Beweise‹ frei kommt. Der Flecken hängt zwar auf ihm und seine Existenz ist vernichtet, aber immer noch besser, als das Schafott. Etwas Günstigeres zu erzielen ist eben, so wie die Dinge liegen, unmöglich.«

Er legte die einzelnen Papiere der Ordnung nach zurecht und wollte sich eben erheben, um zur Ruhe zu gehen, als ihm Hans, sein altes Faktotum, meldete, draußen stehe eine Dame, die den Herrn Rechtsanwalt dringend um eine Unterredung bitte.

Doktor Bernstein war nicht wenig überrascht.

»Eine Dame?« fragte er. »Und jetzt um diese Stunde, das geht doch nicht mit rechten Dingen zu.«

»Herr Doktor, Sie meinen wohl, die Person wäre nicht richtig bei Verstande?« versetzte Hans augenzwinkernd. »Habe ich auch anfangs gemeint, weil sie gar so aufgeregt tat und konfus sprach. Es ist aber doch nicht der Fall, denn die Dame kommt wegen der morgigen Verhandlung, und das scheint sie so in Angst gebracht zu haben!«

»Wer ist es?«

»Das will sie Ihnen selbst nur sagen, Herr Doktor!«

»Gut, führe sie herein.«

Mit leicht begreiflicher Spannung erwartete Doktor Bernstein den Eintritt der Gemeldeten.

Diese trat auch bald ein, voller Hast, heftig atmend, das Gesicht verschleiert.

Nachdem Hans sich zurückgezogen, bot ihr Bernstein rasch einen Stuhl, denn die junge Dame schien kraftlos zusammenbrechen zu wollen.

Sie sank auch sofort darauf nieder.

»Was verschafft mir die Ehre, meine Gnädige?« fragte der Rechtsanwalt.

Die Dame vermochte kaum zu sprechen; es schüttelte sie wie im Fieber.

Angstvoll blickte sie den Rechtsanwalt an.

»Ich bitte um Verzeihung, mein Herr, daß ich Sie noch belästige,« sagte sie hastig. »Der Schritt, den ich unternahm, ist unweiblich – und man wird mich falsch beurteilen. Aber, mein Gott, ich konnte ja nicht anders! Es war mir unmöglich, während des Tages abzukommen.«

Doktor Bernstein hatte sich ihr gegenüber auf einen Stuhl niedergelassen und betrachtete sie aufmerksam.

»Mein Diener sagte mir, daß Sie in einer Angelegenheit mich zu sprechen wünschten, die den Fall Gollwitz betrifft. Es muß etwas sehr Dringendes sein, das Sie zu so später Stunde zu mir, dem Verteidiger des Angeklagten, führt, denn ich sehe ja, wie erregt Sie sind. Dieser Schritt hat Sie große Überwindung gekostet, und wenn es Sie einigermaßen beruhigen kann, so nehmen Sie die Versicherung entgegen, daß ich ihn gewiß nicht falsch beurteile. Wie darf ich Sie nennen, meine Gnädige?«

Sie zog den Schleier zurück.

»Ich bin Luise Brak; Sie werden gewiß meinen Namen in den Akten erwähnt finden!« antwortete das zitternde Mädchen, sich gewaltsam etwas beruhigend.

»Ah!« rief Bernstein, »Sie, mein Fräulein! Und was bringen Sie mir noch am Vorabend der Schlacht? Gewiß etwas für Gollwitz Günstiges?«

»Ich kam nachmittags mit meinem Vater hierher, wo wir im Goldenen Stern zwei Zimmer nahmen. In der morgigen Verhandlung haben wir ja als Zeugen zu erscheinen.«

»Ich weiß!«

»Gestatten Sie mir vor allem eine Frage, Herr Rechtsanwalt: Halten Sie Gollwitz für schuldig?«

»Nein, dies kann ich mit gutem Gewissen beantworten. Mein Klient wird vielleicht ein Opfer unglückseliger Verkettungen, der Mörder ist er nicht!«

»Ich danke Ihnen für diese Worte!« hauchte Luise. »Sie glauben also, daß man ihn freisprechen wird?«

»Ich hoffe es, aber diese Hoffnung ist schwach. Ihnen gegenüber kann ich dies ja gestehen.«

Luise faßte nach ihrem Herzen.

»O, mein Gott! So wird man nichts auf die Aussage Balthasars geben?«

»Daß der wahre Mörder sich noch der Freiheit erfreue? Ich glaube, die Geschichte wird als Märchen behandelt, das erfunden wurde, um Gollwitz zu helfen. Glauben findet sie bis jetzt nicht den geringsten.«

»Ich hörte davon,« flüsterte Luise, »man sprach ja im Gasthof offen darüber, daß Gollwitz verurteilt werden müsse, wenn er nicht beweisen könne, wo er sich die lange Zeit, von neun Uhr abends bis nach Mitternacht, aufgehalten habe.«

»Ganz recht; mein Klient behauptet, eine Promenade gemacht zu haben, kann aber gar keine Zeugen dafür anführen. Der einzige, jener Arbeiter, der ihn sah und erkannte, belastet ihn nur um so mehr, da er ihn vor dem Haus Ihres Vaters, auf dem Weg, in großer Erregung stehen sah, als eben die Glocke zwölf schlug.

Bis dahin ist aber der Mord bereits begangen worden. Ich habe Gollwitz ernstlich zugeredet, mir zu sagen, wo er sich aufhielt, er bleibt jedoch hartnäckig bei seinen ersten Angaben. Ich vermute nun wohl nicht mit Unrecht, daß hinter dem Geheimnis eine Frau steckt, die er, selbst um den Preis seiner Freiheit, nicht kompromittirren will.«

Doktor Bernstein hatte dabei Luise scharf angeblickt.

Deutlicher konnte er nicht werden; das Mädchen mußte ihn verstehen, wenn sie ihn verstehen wollte. Und Luise verstand ihn.

»Gollwitz ist unschuldig, er kann die Tat nicht begangen haben, denn ich – ich – bin imstande, dies zu beweisen!« stieß das Mädchen verzweifelt hervor.

»Endlich ein Lichtblick! Gott sei Dank!« rief der Rechtsanwalt. »Noch ist es nicht zu spät! Sprechen Sie, mein Fräulein! Der Unglückliche muß gerettet werden!«

Aber so sehr erfreut der Jurist durch diesen Zwischenfall war, der ihm für morgen eine ganz unerwartete Waffe in die Hand gab, so qualvoll wurden dem Mädchen die folgenden Worte:

»Mit namenloser Angst im Herzen habe ich den Tag seiner Verurteilung herankommen sehen. Anfangs hatte ich versucht, ihn dem Vater gegenüber zu verteidigen, wollte ihm gestehen, daß – wir – beide uns liebten, unschuldsvoll wie Kinder, daß wir uns aber Treue für immer geschworen hatten.

Die gute Tante wußte es, und sie war damit einverstanden. Mein Vater aber ist sehr – sparsam und strenge und durfte nichts von unserem Bund erfahren, es hätte gewiß schon da ein Unglück gegeben. Auch die Tante riet uns davon ab, meinem Vater mitzuteilen, daß wir uns liebten.

Sie wollte uns beide zu ihren Erben einsetzen, und in diesem Fall hätte mein Vater wohl kaum mehr uns seine Einwilligung versagt, da Heinrich ja nicht mehr mittellos war. Nun aber hieß es warten, immer warten. Wir wünschten der guten Tante das längste Leben, aber Heinrich strebte auch danach, mit mir vereinigt zu werden, und ich hegte denselben Wunsch.

Es war mir ja schrecklich, nur immer ganz geheim mit Heinrich zusammenkommen zu können! So hatten wir denn beschlossen, uns neuerdings an Tante Fallner zu wenden, sie recht herzlich zu bitten, uns zu unserem Glück zu verhelfen. Dies konnte nur dadurch geschehen, daß die Tante meinen Bräutigam dem Vater gegenüber als ihren Erben erklärte und ein gutes Wort für uns einlegte.

Persönlich wagten wir nicht, der Guten gegenüberzutreten, sie hatte schon so viel für uns getan. Aber andererseits war der gegenwärtige Zustand auch unerträglich für uns beide geworden. So schrieb denn Heinrich an Tante Fallner. Die Antwort kennen Sie ja, mein Herr!«

»Es ist der Brief, der bei Gollwitz gefunden wurde und ihn stark belastet?«

»Ja, derselbe. Heinrich hatte mir durch ein heimliches Billett mitgeteilt, daß er mich sprechen müsse. Da es sich nur um Tante Fallners Antwort handeln konnte, so willigte ich ein. Es war gerade in der Mordnacht, als er mich im Garten, bei unserem Haus, versteckt im Gebüsch, erwartete. Hin und wieder trat er vor und sah zu den Fenstern herauf, von wo ich ihm ein Zeichen gab.«

Doktor Bernstein, der völlig den Schlaf vergessen hatte, notierte sich alles, was Luise berichtete.

»Aha!« rief er. »Da wissen wir ja plötzlich, wie die Fußspuren Gollwitz' in den Garten kommen und auch, weshalb er seine dortige Anwesenheit bestreitet. Nur weiter, mein Fräulein, bitte! Sie haben mir nun wohl zu sagen, daß Gollwitz, auf einen Wink von Ihnen, die Rebengeländer hinaufkletterte und in das Arbeitszimmer Ihres Vaters stieg, nachdem dieser schlafen gegangen war? Damit wäre ja sofort erklärt, wie es kam, daß nicht das Geringste in dem Zimmer vermißt wurde!«

Luise Brak war tief errötet.

Sie machte eine hastige Bewegung der Abwehr und antwortete mit vibrierender Stimme:

»O nein, mein Herr, Heinrich kam nicht in das Haus in jener Nacht! Niemals hätte ich mich soweit vergessen, ihm solches zu gestatten.«

»Aber die Spuren am Fenster, zwischen den Reben?«

»Dafür habe ich keine Erklärung.«

»Das ist sonderbar! Da stände man ja vor einem völligen Rätsel.«

»Ich vermag es nicht zu lösen, und mein Hiersein hat auch nur den Zweck, einen Unschuldigen von schwerem Verdacht zu reinigen.«

»Ganz recht; bitte, wollen Sie mir nun angeben, um welche Zeit sich Herr Gollwitz in dem Garten unten einfand?«

»Es war zehn Uhr.«

»Wissen Sie dies genau?«

»Ganz genau; er gab mir ein Zeichen, und ich zeigte mich am Fenster. Aber der Vater blieb ziemlich lange auf, und so wurde es halb elf Uhr, als ich mich zu Heinrich in den Garten schleichen konnte, eine tödliche Angst in der Brust, denn mir war es, als ob diese heutige Zusammenkunft entscheidend für mein ganzes Leben werden sollte.«

Rascher flog der Stift des Rechtsanwaltes über das Papier.

»Als Sie mit Gollwitz zusammentrafen, war es also halb elf Uhr. Um diese Zeit lebte Frau Fallner noch; das ist erwiesen durch die Aussage des Dieners Balthasar!« rief er. »Nun das wichtigste! Wie lange hielt sich Gollwitz bei Ihnen auf?«

»Es war Punkt zwölf, als er von mir ging. Denken Sie nicht schlecht von mir, daß es solange dauerte, aber wir hatten uns ja so viel zu sagen.«

»Ich denke nur das Beste von Ihnen und meinem Klienten,« versetzte der Rechtsanwalt. »Haben Sie sich auch nicht in der Zeit geirrt? Dieser Punkt ist von kolossaler Bedeutung!«

»Ich kann es mit tausend Eiden bekräftigen! Kaum, daß Heinrich über das Gitter des Gartens gesprungen war, schlug es laut und deutlich zwölf vom Martinsturm.«

Doktor Bernstein richtete sich hoch auf.

»Dann ist Gollwitz gerettet! Er kann nicht der Mörder sein, denn ein Zweiter, bis jetzt belastender Zeuge hat ihn von dem Schlag zwölf an nicht mehr aus den Augen gelassen, hat ihn sogar bis in die Stadt, bis fast an die Wohnung Gollwitz' verfolgt. Diese Aussage ist entscheidend.«

»Daß Heinrich unmöglich der Täter sein konnte, wußte ich vom ersten Augenblick an,« erwiderte das Mädchen, »aber er selbst schwieg ja, nur um mich nicht dem Zorn meines Vaters auszusetzen. Welch namenlose Angst habe ich ausgestanden um Heinrich, als ich hörte, daß immer weitere Verdachtsmomente gegen ihn vom Untersuchungsrichter gesammelt wurden, daß ihn alle Welt für verloren hielt. Ich wollte mich dem Vater zu Füßen werfen, ihm alles gestehen, aber die Angst war es wieder, die mich zurückhielt, denn mein Vater schnitt mir ja jedes Wort ab.«

»Noch eine kleine Frage, mein Fräulein,« bemerkte der Rechtsanwalt. »Wie kommt es, daß der Zeuge, dieser Arbeiter, Herrn Gollwitz auf dem Weg stehen sah, die Hände voller Verzweiflung vor das Gesicht geschlagen, aufstöhnend?«

Luise antwortete beinahe schluchzend:

»Wir hatten Abschied genommen. Heinrich erklärte mir, daß die Tante unter zwei Jahren ihre Einwilligung nicht gebe, daß es für ihn aber unmöglich wäre, so lange sich noch zu gedulden. Auch meinetwegen dürfe er dies nicht zugeben. Schon ein volles Jahr hatten wir uns heimlich verlobt. Nun sollte es noch zwei weitere Jahre währen.

Heinrich erklärte dies für einen unhaltbaren Zustand. In beiderseitigem Interesse war er fest entschlossen, mich und die Stadt zu verlassen. Er gab mir mein Wort zurück, und ich mochte einwenden, was immer ich auch wollte, er blieb fest. Aber diese Festigkeit muß nur Maske gewesen sein, denn als wir uns zum Abschied die Hände reichten, brach ein wildes Schluchzen über seine Lippen.

›Du bleibst, du wirst mich nicht verlassen?!‹ rief ich.

›Es muß sein!‹ erwiderte er. ›Leb' wohl!‹

Damit stürzte er davon in wilder Hast, schwang sich über das Gitter des Gartens, und in demselben Augenblick schlug es zwölf. Da ist es wohl denkbar, daß Heinrich auf der Straße stehenblieb und die Hände vor das Gesicht schlug.

Ich selbst habe es nicht mehr gesehen, denn ich eilte erschüttert ins Haus zurück. Erst am anderen Morgen erfuhr ich durch Heinrich selbst von der Ermordung der Tante, und er flüsterte mir dabei zu, daß von unserer nächtlichen Zusammenkunft niemand etwas erfahren dürfe. Ich schwieg aus Angst und er hielt sein Wort, zu seinem eigenen Unglück.«

Doktor Bernstein hatte seine Notizen beendet.

»Ich danke Ihnen, Fräulein!« rief er. »Sie haben durch diese Mitteilungen nicht nur dem Angeklagten, auch mir und dem ganzen Gerichtshof einen großen Dienst geleistet. Ah, diese Verhandlung morgen wird mit einer glänzenden Freisprechung enden.«

»So – muß es wirklich zur Verhandlung kommen?« fragte Luise angstvoll.

»Dem läßt sich nicht mehr vorbeugen, mein Fräulein. Bedenken Sie doch, es ist schon sehr spät in der Nacht. Morgen in aller Frühe tritt das Gericht zusammen. Aber was tut es! Mein Klient wird frei den Saal verlassen.«

»Und – ich muß wohl morgen vor allem Publikum bestätigen, was ich in dieser Nacht Ihnen anvertraute?«

»Leider gibt es hier keinen anderen Ausweg.«

»Das ist entsetzlich!« flüsterte das Mädchen fiebernd. »Ich hoffte, daß es mir erspart bliebe, ein solch demütigendes Geständnis vor Hunderten abzulegen, hoffte, daß Sie, sein Verteidiger, ihn zu retten vermöchten, ohne daß ich vor den rohen, neugierigen Zuhörern meine Schande preisgeben müsse, da ich Sie ja doch überzeugen konnte, daß Heinrich nicht schuldig ist.«

»Von Schande kann hier wohl keine Rede sein! Aber so leid es mir tut, ich kann und darf auf Ihre öffentliche Darstellung oder doch Bestätigung des eben Geschilderten nicht verzichten. Nur so ist Gollwitz gerettet.«

»O mein Gott!« stöhnte Luise auf. »Dann muß ja auch mein Vater das Geheimnis erfahren, und er wird mich verfluchen.«

»Herr Brak wird vernünftig sein und sich in das Unabänderliche fügen. Es kann ihm ja doch schließlich nicht gleichgültig sein, einen Mörder in seiner Verwandtschaft zu haben.«

»O, Sie kennen meinen Vater nicht!« rief Luise verzweifelt. »Er wird mir und Heinrich niemals vergeben, daß wir ihn betrogen haben, ja, er wird mir schon deshalb fluchen, daß ich in dieser Nacht, während er schläft, heimlich davon bin, um Ihnen das Material zu geben, Heinrich zu befreien.«

»So haßt Ihr Vater Herrn Gollwitz?«

»Er liebt ihn nicht, weil er arm ist!«

»Nun denn, ich hoffe, daß Herr Brak vernünftigen Vorstellungen Gehör gibt und Gollwitz durch die Hand seiner Tochter für die Angst entschädigt, die er ertrug, entschädigt auch für den bewiesenen Edelmut, sich lieber verurteilen zu lassen, als eine Dame scheinbar zu kompromittieren. Ich werde wenigstens mein Möglichstes tun, Herrn Brak milderen Regungen zugänglich zu machen. Das ist freilich alles, was ich Ihnen an Hoffnungen mitgeben kann, aber der schöne Gedanke mag Sie in all Ihrem Leid trösten, durch Ihr Geständnis einen Unglücklichen vor schmachvoller Verurteilung gerettet zu haben.«

Luise erhob sich.

»Ich will nun zurückkehren in den Gasthof. Ob ich den Mut dazu finde, noch vor der öffentlichen Verhandlung meinem Vater Mitteilung von dem Schritt zu machen, den ich unternahm, ich weiß es nicht. Aber ich werde es versuchen.«

Doktor Bernstein reichte dem Mädchen die Hand.

»Auf Wiedersehen – morgen im Gerichtssaal!« sagte er, die zitternde Gestalt voll Mitleid betrachtend. »Sind Sie allein hergekommen, so will ich Ihnen meinen Diener mitgeben, daß Sie nicht schutzlos durch die nächtlichen Straßen zu gehen brauchen.«

»Ich danke,« versetzte Luise schwach, »ich bedarf dessen nicht, denn ich ließ mich durch den Hausdiener des Gasthauses, einen alten Mann, hierher führen. Er wartet unten.«

Der Rechtsanwalt nickte und begleitete Luise nach der Tür.

Er befand sich nun allein und ging, die Hände auf dem Rücken, in seiner Stube auf und nieder.

»Die Kleine tut mir leid,« murmelte er, »aber ich kann ihr Geständnis nicht entbehren, es geht nicht anders. Dachte ich es mir doch, daß auch hier wieder ein Weib dahintersteckt. Der Referendar ist ein Teufelskerl! Nicht mit einem Worte hätte er sich verraten. Ich werde ihn ohne Mühe frei bekommen und ihn absichtlich nicht vor der Verhandlung von der günstigen Wendung seines Prozesses in Kenntnis setzen.«

Ein Lächeln der Genugtuung umzog den Mund des Rechtsanwalts.

»Immer zu, mein Herr Staatsanwalt! Ich werde Sie in aller Ruhe sprechen lassen, bis auch ich an die Reihe komme. Dann Schlag auf Schlag! Der Sieg ist mir ja gewiß, denn ich verwandle im Nu jenen Arbeiter aus einem belastenden Zeugen zum Zeugen, daß Gollwitz schuldlos ist.«

Wieder ging der Rechtsanwalt eine Weile hin und her, um dann stehenzubleiben.

»Aber wer ist nun eigentlich der Mörder? Gollwitz nicht, der Wald-Sepp nicht! Jetzt wird man die Erzählung Balthasars, daß er den Mörder in einer der letzten Nächte bemerkte, vielleicht glaubwürdiger finden und die Untersuchung nach jener Seite lenken. Aber was kümmert dies mich vorläufig! Für jetzt muß es mir genügen, meinen Klienten frei zu bekommen.«

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