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X.

Heinrich Gollwitz freigesprochen!

Diese Tatsache rief unwillkürlich die zweite Frage wach:

»Wer ist nun jetzt der Mörder? Wo ist er zu suchen?«

Diese wichtige Frage beschäftigte nicht nur allein das Publikum, sondern auch die Kriminalpolizei.

Man erinnerte sich der Worte des Dieners Balthasar, daß dieser in einer Nacht eine Gestalt im Dunkeln um das Haus der Ermordeten schleichen sah, sogar an dem Fensterglas scharren hörte.

Das konnte nicht unberücksichtigt bleiben.

Ein Kriminalbeamter wurde aus E… nach Wilberg geschickt und wachte mehrere Nächte hindurch, versteckt im Garten des Fallnerschen Anwesens.

Es ereignete sich jedoch nicht das geringste; von dem unbekannten, nächtlichen Gaste keine Spur.

Der Kriminalist wurde wieder zurückbeordert, die Sache schien aussichtslos.

Unterdessen war Peter Brak mit Luise nach Wilberg zurückgekehrt.

Trotz der bedeutenden Erkrankung hatte Luise sich doch wieder so ziemlich erholt.

Sobald es anging, ordnete Brak die Abreise an.

Das Mädchen hatte viel auszustehen von den Vorwürfen des ergrimmten Mannes, der in ganz unverantwortlicher Weise seinen Schmähungen über Gollwitz den weitesten Spielraum ließ.

Dennoch liebte Luise ihren Vater wie zuvor, aber selten zog mehr ein Lächeln um ihren bleichen Mund.

Hin und wieder kam Balthasar in das Haus Braks, und der Alte wußte es so einzurichten, daß er stets einige Worte über das Befinden Gollwitz' dem Mädchen zuflüstern konnte.

Luise hatte ihrerseits Heinrich mitteilen lassen, daß sie ihm treu bleibe, trotz allem Ungemach, und daß er, gleich ihr, an der Hoffnung festhalten möge.

Die beiden jungen Leute kamen persönlich jedoch nicht mehr zusammen.

Sie konnten auch keine Ahnung haben, was ihnen in allernächster Zeit bevorstand.

Da Gollwitz es ängstlich vermied, sich dem erzürnten Onkel Brak zu zeigen, so durfte er annehmen, daß er von dort aus unbelästigt blieb, und doch sollte jedes fernere Unheil, alles Unglück einzig von Peter Brak ausgehen.

Brak hatte sich in ruhigeren Stunden oftmals die Frage vorgelegt, wer in Wahrheit eigentlich der Mörder war, Gollwitz oder ein anderer.

Daß sich Brak sagte, der Referendar könne, trotzdem sein Alibi scheinbar nachgewiesen war, die Tat vollbracht haben, bewiesen seine Worte im Hotel zum goldenen Stern.

Es kamen jedoch auch ruhigere Stunden, in denen Brak an der Richtigkeit seiner bei sich behaltenen Ansicht wieder zweifelte.

Wenn aber Gollwitz nicht der Mörder war, so konnte es nur der andere sein, jener geheimnisvolle Unbekannte, der in sein Arbeitszimmer in der Mordnacht eindrang – zu welchem Zweck, ließ sich nicht recht sagen – der aber noch einmal gekommen war, trotz verschlossener Türen und Fenster.

Gollwitz war es nicht, wenigstens das letztemal nicht, denn zu dieser Zeit saß der Referendar ja bereits in Untersuchungshaft.

War er es das erstemal?

Wohl möglich, doch war viel eher anzunehmen, daß der Besuch von demselben Mann wiederholt wurde, der ihn das erstemal unternahm.

Und was wollte dieser denn?

Daß beide Male ein und dieselbe Person eingedrungen war, dagegen sprach wieder der Umstand, daß, falls es auf eine Beraubung des Kassenschrankes abgesehen war, der Dieb bereits das erstemal zu der Wahrnehmung kommen mußte, daß hier alle Mühe vergebens war.

Weshalb sollte er denn ein zweites Mal kommen?

Peter Brak schüttelte ganz verwirrt den Kopf.

Er hatte jedoch niemand eine Mitteilung über diesen zweiten Besuch gemacht, nicht der Polizei, nicht seinem Bruder oder Luise.

Er gedachte selbst die Augen offen zu halten.

Sein Geldschrank enthielt, in mehreren Fächern verteilt, eine bedeutende Geldsumme, da Brak nun auch die Erbschaft seiner Schwester angetreten hatte.

Er konnte nicht verhindern, daß ihn eine heftige Angst manchmal befiel, dieses Geld möchte ihm gestohlen werden.

Es einer Bank zu übergeben, dazu konnte er sich nicht entschließen.

Das einfachste nach seiner Ansicht wäre ein Vergraben des Geldes gewesen, doch stiegen ihm so mancherlei Bedenken darüber auf, daß er von diesem Vorsatz wieder abkam.

So waren etwa drei Wochen vergangen, während welcher der Wald-Sepp vom Gericht zu E… eine zweimonatliche Gefängnisstrafe zudiktiert erhielt.

Diese wurde in Anbetracht der Umstände, die Sepps Verhaftung herbeiführten und der erlittenen Untersuchungshaft so niedrig bemessen.

Eines Morgens erhob sich Peter Brak wieder einmal sehr spät, da ihn der Kopf schmerzte, und betrat sein sogenanntes Arbeitszimmer.

Kaum eingetreten, verzerrte sich sein Gesicht jedoch sofort und mit einem heiseren Aufschrei stürzte er auf den Geldschrank zu.

Dieser stand offen, ebenso eines der Fächer.

Peter Brak griff mit zuckenden Fingern hinein.

»Leer!« schrie er wild auf. »Man hat mich bestohlen!«

Pfeifend kam der Atem aus seiner Brust.

Er schlug sich wie toll vor die Stirn.

Noch gestern abend spät hatte er gerade in dieses Fach eine Summe von dreitausend Mark gelegt, das wußte er ganz genau.

Er hatte dabei den Gedanken gehegt, ein Dieb könne ihm seinen Schatz stehlen und verschloß deshalb das Fach, ließ den Schlüssel innen allerdings stecken.

Dafür aber schloß er den Schrank um so sorgfältiger ab, und hing den Schlüssel an die Schnur, die er Tag und Nacht um den Hals trug.

Und nun waren die dreitausend Mark fort, verschwunden.

Peter Brak drehte sich auf dem Absatz wie ein Kreisel.

Die Haare standen ihm zu Berge.

Sein wilder Blick fiel auf einen kleinen Gegenstand am Boden. Es war die Schnur mit dem Kassenschlüssel daran.

Man hatte ihm diesen Schlüssel direkt vom Halse gestohlen, und dabei mußte der Dieb noch mit dem Teufel im Bunde stehen, daß er es fertig brachte, das richtige Wort zu stellen, denn nur in diesem Falle ließ sich das kunstvolle Schloß öffnen.

Der Fensterflügel stand offen.

Brak stürzte darauf zu und beugte sich über den Rand.

»Ha!« kreischte er. »Da sind sie ja schon wieder, die Spuren! Der Einbrecher hat sich durch das Fenster entfernt, durch den Garten! Wo aber kam er denn herein?«

Peter Brak hatte in der Nacht die Tür, die in das Wohnzimmer führte, wie auch das Fenster, sorgfältig verschlossen.

Dies wußte er ganz genau.

Er hatte Decke und Wand untersucht, ob nicht hier irgendein verborgener Eingang zu entdecken war, die Bilder von der Wand genommen, den Boden beklopft.

Nichts Verdächtiges hatte er gefunden.

Aber dennoch war er in großer Besorgnis seines Geldes wegen zu Bett gegangen.

Nun, da man ihn wirklich bestohlen hatte, trotz allem, gebärdete sich der Sonderling wie toll.

Er rannte nach der Tür, die in die Wohnstube führte.

Sie war noch verschlossen!

Er öffnete sie und rief laut nach seiner Tochter.

Statt dessen kam die alte Magd gelaufen.

Sie war nicht wenig erschrocken über das Aussehen ihres Herrn.

»Wo ist meine Tochter?« rief Brak.

»Fräulein Luise wird gleich kommen,« antwortete die Magd, »sie ist mit ihrer Toilette noch nicht fertig.«

Die Alte durfte ja doch nicht sagen, daß Luise sich erst die Tränen trocknen mußte, die sie soeben Heinrichs wegen vergossen hatte.

»Laufe in die Stadt hinein, Friederike, so schnell du kannst, auf die Polizei, nach dem Kommissar!« kreischte der Sonderling.

»Was ist denn schon wieder geschehen, Herr Brak?« rief die Magd, noch mehr erschrocken.

»Ein Dieb war hier, ein elender Schuft, ein Einbrecher! Er hat mir mein schönes Geld gestohlen. Fort! Ich will die Polizei! Sie muß mir den Banditen herbeischaffen, mir mein Geld wiederbringen.«

Die Alte lief ohne Kopfbedeckung nach der Stadt, auf das Polizeiamt.

Luise, durch einige hastige Worte von dem Vorgefallenen zur Not unterrichtet, eilte zu dem Vater in dessen Arbeitszimmer.

Auf den ersten Blick sah sie, daß es sich wirklich so verhielt, wie ihr Friederike zugerufen hatte; der Kassenschrank stand offen, die Fächer waren herausgerissen, Papiere zerstreut.

»Man hat dich bestohlen, Vater, ist es möglich?« rief das Mädchen.

»Dreitausend Mark, dreitausend!« erwiderte er jammernd und erging sich in Verwünschungen über den unbekannten Täter.

Luise hörte voller Schrecken seiner Schilderung zu.

»Und du hast gar keine Ahnung,« fragte sie dann, »wer der Dieb sein könnte?«

Der Sonderling schlug sich plötzlich mit der Hand vor die Stirn.

Dann schoß er auf seine Tochter los und erfaßte sie krampfhaft am Arm.

»Warum fragst du so, he? Du vermeidest meinen Blick! Was ist das?«

Er schüttelte sie heftig und vor seinem wilden Blick fürchtete sie sich.

»Was willst du, Vater?« stieß sie verwirrt hervor. »Ich verstehe dich nicht!«

»Haha! Du verstehst mich ganz gut, du weichst mir nur aus, ich sehe es dir an! Du kennst den Dieb

Luise hatte plötzlich begriffen.

Sie stieß einen lauten Schrei aus, riß sich los und schlug die Hände vor das Gesicht.

»Habe ich dich, he?« kreischte der Alte. »Habe ich's erraten? Gollwitz, der Schuft, hat mich bestohlen, weil er sonst nichts mehr zu leben hat. Und du weißt darum!«

Langsam ließ Luise die Hände vom Gesicht sinken.

Sie war totenblaß.

»Daß du mir das antun konntest, Vater, hätte ich nie für möglich gehalten,« sprach sie leise. »Niemals habe ich einen Pfennig genommen, ohne daß du es wußtest. Und nun kannst du glauben, daß ich es billigte, wie man nächtlicherweise bei dir einbrach und dich bestahl? O, das ist entsetzlich!«

»Ach was, Papperlapapp!« rief Brak. »Wenn du selber auch dein Lebenlang keinen Pfennig veruntreut hast, so hängst du jetzt doch an dem Schuft, dem Gollwitz!«

»Heinrich Gollwitz ist so wenig der Dieb, wie er der Mörder war!« entgegnete mutig Luise.

»Und ich sage, er kann beides sein!« rief Brak wütend.

»Dein Haß macht dich ungerecht! Bedenke doch, Vater, was du aussprichst!« erwiderte Luise aufschreiend. »Gollwitz ist ein Ehrenmann!«

»Er war dein Liebhaber, ein Lump, dem ich den Schädel einschlage, wenn es mir nicht gelingt, ihn vorher ins Zuchthaus zu bringen!« schrie der sich wie rasend gebärdende alte Mann.

»Gott vergebe dir deine Worte!« antwortete Luise voll Schmerz. »Vielleicht kommt noch einmal die Stunde, wo du einsehen wirst, wie bitteres Unrecht du mir und Gollwitz tust!«

»Wie ich den Burschen kenne, werde ich beweisen, sobald die Polizei da ist!«

»Du – könntest wirklich Gollwitz des Einbruchs beschuldigen?« rief Luise zitternd.

»Jawohl!«

»O, tue es nicht, Vater,« flehte das Mädchen und sank auf ihre Knie. »Er ist ja unschuldig, ganz gewiß!«

»So? Willst du etwa wieder sein Alibi beweisen, indem du angibst, er hätte bei dir gesteckt!« wütete der Alte.

»Hab' Erbarmen, Vater!« jammerte das verzweifelte Mädchen. »Du weißt ja wohl, daß ich niemals mehr mit Gollwitz zusammengetroffen bin. Ich aber weiß, daß du ihm seine ganze, von ihm so schwer zu erkämpfende Karriere vernichtest, wenn du ihn schon wieder in Verdacht bringst, nachdem er sich von dem ersten kaum gereinigt hat.«

»Das will ich eben!« lachte Brak voll Hohn. »Solch ein Mensch darf nicht im Dienst des Staates bleiben.«

»Vater!«

»Nichts mehr davon, oder ich vergreife mich noch an dir selber!«

»Mißhandle mich, töte mich! Aber schone einen Unglücklichen, der schuldlos ist!«

»Hinaus! Ich will nichts von dem Burschen mehr aus deinem Mund hören!«

Luise erhob sich von den Knien und wankte aus dem Zimmer.

Wenige Minuten darauf betrat es der Polizeikommissar und vernahm den Bericht Braks, den er auf einem Stuhl sitzend fand, mit starrem Blick vor sich hinschauend.

»Verschaffen Sie mir mein Geld, mein schönes Geld!« kreischte der Sonderling.

»Haben Sie irgendeinen Verdacht, wer den Einbruch verübt haben könnte,« fragte der Beamte, nachdem er alles angehört hatte.

»Jawohl, einen Verdacht habe ich!« versetzte Brak keuchend. »Einen sicheren Verdacht! Der Referendar Gollwitz hat mich bestohlen!«

Betroffen sah der Kommissar den Alten an.

»Worauf gründet sich denn dieser Verdacht?«

»Gollwitz hat keine Geldmittel mehr, irgend woher muß er sich solche verschaffen. Er ist vertraut mit der Einrichtung des Hauses, kennt den Schrank und hat vielleicht das gestellte Wort einmal durch Zufall erfahren. Halten Sie sofort Haussuchung bei ihm. Dabei wird sich mein Geld ja wiederfinden.«

Der Kommissar meinte bedenklich:

»Daß Gollwitz der Dieb sein muß, will mir noch nicht recht einleuchten. Viel eher ließe sich doch annehmen, daß es derselbe Mann war, der hier schon einmal zur Nachtzeit einstieg und der auch wahrscheinlich identisch mit dem bis jetzt noch unbekannten Mörder der Frau Fallner ist.«

»Das kann ja eben auch Gollwitz gewesen sein!« rief Brak heftig.

»Daß dies nicht möglich ist, wissen Sie. Ihr Haß scheint Sie etwas ungerecht zu machen.«

»Sie verweigern es also, Gollwitz dieses Einbruchs wegen in Untersuchung zu ziehen?«

»Ich werde ihn fragen, wo er die vergangene Nacht war. Beweist er sein Alibi, so kann ich nichts machen.«

»Was kann er denn beweisen? Daß er zu Hause blieb und schlafen ging? Haha! Er kann jeden Augenblick nach Belieben wieder durch das Fenster heraussteigen!«

»Man darf doch nicht stets das schlimmste erwarten! Weshalb kann denn nicht jener unbekannte Mörder der Dieb sein? Damals fand er nichts, heute gelang ihm dies besser.«

»Nun, so suchen Sie dort!« rief Brak empört. »Bis Sie ihn aber nicht wirklich entdeckt haben, werde ich Gollwitz für den Dieb halten.«

Der Kommissar nahm noch einmal alles in Augenschein.

Die Sache kam ihm ganz unbegreiflich vor und auf dem Rückweg nach der Stadt murmelte er:

»Wie ist dieser Einbruch überhaupt nur möglich? Brak behauptet, am vergangenen Abend das Fenster, wie auch die Tür ins Wohnzimmer, geschlossen zu haben. Die erstere war auch am Morgen noch zu, das Fenster aber offen. Folglich kann der Dieb nur durch dieses eingedrungen sein. Der Schlüssel zum Schrank lag am Boden und Brak hatte ihn um den Hals an einer Schnur getragen.

Er muß ihm also während des Schlafes heimlich abgenommen worden sein. Das konnte wieder nur jemand tun, der mit diesem Umstand bekannt war. Hier käme freilich Gollwitz in Betracht. Aber unerklärlich ist und bleibt es, wie der Dieb durch das von innen verschlossene Fenster eindringen konnte. Sollte Brak mir da eine selbst inszenierte Komödie vorspielen, die den Zweck hat, den Referendar Gollwitz unschädlich zu machen?

Es hat beinahe den Anschein so, obwohl die ganze Sache sehr plump angelegt wäre. Daß nur gerade diese dreitausend Mark fehlen, die Brak, dieser Sonderling, noch in der Nacht, gut verpackt und gezählt, ängstlich in die betreffende Lade legte, macht mich ebenfalls stutzig, denn dicht daneben lagen Summen, die das Dreifache repräsentierten und in gutem Geld, das unverdächtig ausgegeben werden konnte. Nichts davon wurde berührt. Ich finde mich da noch nicht zurecht!«

Allerdings hatte der Sonderling Brak es doch unterlassen, den Kommissar darauf aufmerksam zu machen, daß seine Tochter Luise von ihm verdächtigt wurde.

Vorläufig wollte er zusehen, wie sich die Sache auch ohne dies gestaltete.

Dem Polizeikommissar kam plötzlich ein Gedanke.

»Wie, wenn doch Gollwitz den Diebstahl, im Verein mit einem anderen, ausgeführt hätte? Brak hat recht, der Referendar ist in Not geraten, es handelt sich um seine ganze Karriere. Wenn er im Hause selbst eine Person hätte, die ihm behilflich war, so allein könnte man sich erklären, daß er einzudringen vermochte, trotzdem das Fenster von Brak abgeschlossen wurde.

Diese Person hat ganz einfach den Reiber des Fensters unauffällig wieder zurückgeschoben, zu einer Zeit, als Brak die Wohnzimmertür noch nicht verschlossen hatte. Bevor er zu Bett ging, schloß er freilich die Tür ab, aber der Dieb konnte nun durch das Fenster ohne große Mühe eindringen.

Die Tür zum Wohnzimmer vermochte Gollwitz nun auch zu öffnen,« fuhr der Polizeikommissar in seinem Gedankengang fort, »um, wenn erwünscht, mit der mitverbündeten Person zusammenzutreffen. Nachdem die Tat ausgeführt war, trennten sich die beiden, und der Dieb schloß die Tür wieder von innen ab und entfernte sich durchs Fenster. Das wäre eine Lösung.

Aber wer könnte sich mit Gollwitz verbünden? Luise Brak, zu dem Zweck, ihren eigenen Vater zu bestehlen? Kaum glaublich! Und selbst, wenn man annehmen will, daß das Mädchen dem in Not geratenen Geliebten helfen wollte, so konnte sie viel leichter in den Besitz des Geldes gelangen, als auf diese umständliche Weise.

Außer Brak und dem Mädchen lebt nur noch die alte Magd in dem Hause. Soviel bekannt, steht diese allein in der Welt. Teufel! Die Geschichte verwickelt sich zu einem immer festeren Knoten, den schließlich kein Mensch mehr auseinander bringt.

Aber daß der Sonderling uns selbst diese Komödie vorspielt, dagegen spricht, daß er schon einen Einbruch meldete, zu einer Zeit, da er noch gar keine Veranlassung hatte, Gollwitz zu hassen, weil er noch nichts von dessen Verhältnis zu seiner Tochter ahnte.

Und hätte Brak selbst das Geld auf die Seite gebracht, woher kämen dann die Spuren am Fenster, wie an der Hausmauer außen? Heute wie damals sind sie zu bemerken. Ich werde mit dem Oberamtsrichter über die Sache noch sprechen.«

Mit diesem Entschluß begab sich der Kommissar nach dem Amtszimmer des Genannten.

Daß dieser Mann Gollwitz keinerlei Sympathie entgegenbrachte, weil ihm der Referendar nicht unterwürfig genug erschien, wissen wir bereits.

Auch jetzt hörte er mit großem Ernst den Bericht des Kommissars an und versetzte ohne Zögern darauf:

»Brak hat meiner Ansicht nach den ganz richtigen Gedanken geäußert, wenn er Gollwitz als denjenigen bezeichnete, der ihn wahrscheinlich beraubte. Der Referendar ist schon aus der Mordgeschichte nicht recht rein herausgegangen, und es wäre durchaus nicht unmöglich, daß bei passender Gelegenheit die Sache von neuem aufgenommen würde. Warten wir's nur ab. Ich habe über die Sache nachgedacht und noch einige unklare Punkte entdeckt. Was diesen Diebstahl betrifft, so dürfen wir den Wink Braks ja nicht verachten, sondern müssen uns an den Referendar halten. Man muß eine Haussuchung anordnen.«

Und dies geschah auch in Abwesenheit des jungen Mannes.

Man fand jedoch nichts Verdächtiges, besonders aber keine größere Geldsumme.

Weinend bat die alte Witwe Ballin, die Polizei möge doch ihren jungen Herrn ungeschoren lassen, da er an allem gänzlich unschuldig wäre und durch den Tod der guten Frau Fallner ohnehin schon schwer betroffen worden sei.

Ihre Worte waren natürlich zwecklos.

Heinrich Gollwitz wurde gleich darauf polizeilich vernommen, wobei er erfuhr, um was es sich handelte.

Auf das höchste entrüstet, verteidigte er sich und bewies durch seine Wirtin, daß er in der vergangenen Nacht sein Zimmer betreten und es erst am Morgen verlassen habe.

Er verlieh auch seiner Ansicht darüber Worte, daß Brak ihn mit Gewalt zu verderben suche, trotzdem er sich sagen müsse, daß er, Gollwitz, im Grunde nichts tat, diesen grenzenlosen Haß herauszufordern.

Da sich bei der Haussuchung nichts Belastendes herausgestellt hatte, mußte Gollwitz wieder entlassen werden, und die Polizei stellte anderweitige Recherchen an.

Auch die alte Magd, selbst Luise wurden vernommen. Aber auch hier ließ sich nichts feststellen, das eine Spur ergeben hätte.

Die alte Magd verkehrte mit keinem Menschen.

Der Sonderling von Wilberg hörte davon, daß Heinrich Gollwitz nicht zur Rechenschaft gezogen werden konnte, daß auch kein Pfennig der gestohlenen dreitausend Mark gefunden wurde.

Diese Mitteilung versetzte ihn in die größte Wut.

»Mein Geld, mein schönes Geld!« schrie er. »Der Schuft hat es verscharrt, damit man es nicht findet. Ich sehe es niemals wieder! Verflucht sei der Dieb!«

Luise ließ Gollwitz heimlich durch Balthasar mitteilen, daß ihr Vater ihn zu ihrem größten Kummer noch immer für den Dieb halte, sie selbst aber fest an seine völlige Unschuld glaube.

So sehr dies letztere den bedauernswerten jungen Mann freute und ermutigte, so mußte er sich andererseits doch auch sagen, daß unter solchen Verhältnissen seines Bleibens in Wilberg nicht mehr war.

Man trachtete danach, ihn hier moralisch zugrunde zu richten.

Deshalb mußte er fort, sobald sich nur eine Gelegenheit bot, denn solange nicht der Mörder seiner Tante und der Dieb, der bei Brak eingebrochen, entdeckt waren, lastete auf ihm der häßliche Verdacht, der, trotz allem Freispruch, immer wieder auftauchte.

Mancherlei Äußerungen hatten ihn darüber genügend belehrt.

Aber auch aus finanziellen Gründen mußte Gollwitz die Stadt verlassen.

Er konnte sich nicht mehr länger als noch einige Wochen halten, wenn er nicht die Hilfe Balthasars annehmen wollte, wozu er sich durchaus nicht entschließen konnte.

*


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