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9..
Der Hausmeister


In Herrn v. Schnabelberger sen. haben wir dir, geduldiger Leser, einen der Wiener Wauwau's vorgeführt. Heute liegt es uns ob, dich mit seinem Satelliten, dem furchtbaren Hausmeister, bekannt zu machen.

Wir wenden uns auf's Neue zur schon früher beschriebenen Zinsburg auf der Mariahilf. Wir öffnen das Pförtchen unter dem Thorwege und treten in die dunkeln Gemächer des Hausmeisters.

Es ist noch früh am Tage. Ein struppiges Individuum mit einer Pöbelmütze auf dem Kopfe sitzt vor einem wachstuchbespannten, schmierigen Tischchen und klappert mit Kupfer- und Silbermünzen. Die Einrichtung des Zimmers ist sehr einfach. Ein zusammengesessenes Sopha, ein Bett, nach Wiener Art mit einer sogenannten Copertdecke überspannt, dann eine Kommode, auf deren Platte sich ein räucheriges Kruzifix befindet, an der Wand einige Lithographien, theils Heiligenbilder, theils Scenen aus einer verschollenen Taschenbuchnovelle darstellend, ein Wandkalender, ein Schlüsselbrett und ein Weihwassernäpfchen an der Thüre bilden so ziemlich das Mobiliar. Am Fenster steht ein Käfig mit einem melancholischen Kanarienvogel. Eine große Katze hockt in der einen Sophaecke; ihr zur Seite, dem Mann gegenüber, sitzt ein schmutziges, altes Weib, die Lebensgefährtin unseres Cerberus.

»Sechsunddreißig und vier macht vierzig,« sagt der Hausmeister vor sich hin. »Der lumpige Maler ist schon wiederum seinen Sperrgroschen schuldig geblieben.«

»Ich sag's ja. Du bist ein alter Esel,« versetzt das Weib. »Warum läßt Du's angehen? Ich lasset' den Kerl gar nimmer herein.«

»Still, Weib, das verstehst Du nicht,« brummte der Hausmeister. »Kümmer' Dich um Deine Katz'; die Sperrgroschen sind meine Angelegenheit.«

Ein bescheidenes Klopfen an der Thüre stört unsern Mann in seinen Berechnungen. Auf sein mürrisches »Herein!« öffnet sich die Pforte und eine dem Anscheine nach wohlhabende Bürgersfrau tritt in die Höhle. Am Arme trägt sie einen schweren Korb, den sie neben sich niederstellt.

»'Morgen, Herr Hausmeister, 'Morgen Frau Hausmeisterin!« sagt die Frau, »könnt' ich mit Ihnen ein Wörtchen im Vertrauen reden?«

Der Hausmeister lüpft ein wenig seine Pudelmütze und weist auf einen Stuhl. Die Frau setzt sich.

»Mein Mann,« beginnt die Unbekannte, »ist Buchhalter in dem N.'schen Geschäft drin in der Stadt und hat seinen guten festen Gehalt. Wir wohnen in der Schönlaterngasse. Weil uns aber das Logis zu feucht und dunkel ist, so möchten wir gern in die Vorstadt ziehen. Frau v. Meissel ist eine gute Bekannte von mir. Sie hat mir gesagt, daß Sie beim Herrn v. Schnabelberger einen Stein im Brette haben. Ich möchte Sie deshalb gar schön bitten, daß Sie mir doch behilflich wären hier im Hause ein Logis zu bekommen und würde mich gewiß dankbar beweisen.«

Bei diesen Worten hat die Buchhaltersfrau ihren Korb ergriffen und denselben vor sich hingestellt. Die Hausmeisterin macht ein freundliches Gesicht. Ihre Blicke liebkosen den vielversprechenden Korb, während ihr Gatte den Kopf in die Hand stützt und sein Gesicht in nachdenkliche Falten legt.

»Hm!« sagt er, »es ist nur leider im Augenblick kein Logis frei!«

-»Auf zwanzig, dreißig Gulden Zins mehr sollt' es mir nicht ankommen,« bemerkt die Wohnungsuchende. »Könnte man denn kein Logis frei machen?«

»Wenn der gnä' Frau ein dritter Stock nicht zu hoch wäre,« wirft hier die Hausmeisterin mit freundlichem Grinsen ein, »so ließe sich vielleicht Rath schaffen. Wir haben da vornheraus so a' Bagaschi wohnen. Der Mann ist a' kleins Beamtl, a' Hungerleider, der jeden Abend vor zehn nach Haus geht um nur den Sperrgroschen zu sparen. Ich weiß, daß der Herr v. Schnabelberger das Volk gern los wär', wenn er dafür eine ordentliche Partei bekommt.«

»Hast Recht, Frau,« sagt der Hausmeister, »die Sache ließe sich machen.«

»Gegen den dritten Stock hätt' ich nichts einzuwenden,« meint die Buchhalterin, »wenn nur sonst die Wohnung paßt.«

»Ja, aber zuerst muß ich die gnä' Frau doch fragen, wie stark die Familie ist,« meint der Hausmeister.

»Nun, ich und mein Mann, mein Sohn und meine Tochter und das Stubenmädchen; das ist Alles.«

»Die Kinder sind schon groß?«, bemerkt der galante Cerberus mit einem prüfenden Blick auf das Gesicht der Petentin.

»Neunzehn und siebenzehn Jahre alt,« lautet die Antwort.

»Und haben die gnä' Frau auch einen Hund?« examinirt der Gestrenge weiter.

»A' klein's Pintscherl,« erwidert die Buchhalterin etwas ängstlich. »Aber sehr ein sauberes Viecher'l.«

Das Angesicht des Hausmeisters hat sich bei der Erwähnung des Vierfüßlers verdüstert.

»Herr v. Schnabelberger,« sagt er, »mag das Viehzeug nicht leiden.«

»O, mein Joli ist so ein gutes Hunderl,« ruft die Dame, »er bellt den ganzen Tag nicht. Man merkt gar nicht einmal, daß ein Hund im Hause ist. Unsere Lisette führt ihn des Tages drei Mal in Hof, das ist Alles.«

»Ja, schauen's, gnä' Frau,« versetzt der Hausmeister, in den Hof dürfte des Hunderl schon gar nicht kommen. Ihna Stubenmadl müßt' ihn jedes Mal auf d' Gassen führen.«

»Wenns weiter nichts ist,« versetzt die Buchhaltersfrau sichtbar erleichtert, »das kann schon geschehen.«

»Aber noch ein's, gnä' Frau,« sagt Cerberus, »hat Ihna Fräul'n Tochter schon ein Verhältniß?«

»Aber Herr Hausmeister, wo denken Sie hin, mit siebenzehn Jahren! Sie ist ja noch ein reines Kind!«

»Na, sehen's,« erwidert der unerschüttlicke Hausmeister, »Herr v. Schnabelberger kann des Gelauf auf der Stiegen für sein' Tod nicht ausstehen. Außer dem Haus hat er Nichts dagegen, aber im Haus kann er die Liebschaften nicht leiden.«

Die Logissucherin gibt die beruhigendsten Versicherungen. Man setzt nunmehr die Präliminarien fest, und der Hausmeister verspricht seinem Souverän die Sache in angemessener Form vorzutragen. Die gnädige Frau legt als vorläufiges Weihegeschenk den Inhalt des Korbes, bestehend in fünf Pfund Kaffee und eben so viel Zucker auf den Altar des Hauses nieder, wobei sie eine größere Gratifikation für den Fall des Gelingens in Aussicht stellt und entfernt sich unter vielen Komplimenten von Seiten des hausmeisterlichen Ehepaars. Drei Wochen später erhält das »Beamt'l« die schriftliche Aufkündigung.

Die Hausmeisterleute beginnen nunmehr ihre tägliche Amtsthätigkeit. Meister Wenzel, so heißt der Würdige, ergreift seinen Besen und fängt an Hof und Treppen zu reinigen. Seine Gattin dagegen begibt sich zu einer Herzensfreundin im hintern Trakt, um einen gestern Abend unterbrochenen Tratsch über eine unglückliche Partei zu Ende zu bringen.

Wer da behaupten wollte, Herr Wenzel arbeite, würde sich einer schweren Sünde gegen die Wahrheit schuldig machen. Während er hie und da ein wenig Schmutz zusammenkehrt, hält er ein scharfes Auge auf Alle, die im Hause ein- und ausgehen. Die ordentlichen Leute, das heißt, jene, die nach zehn Uhr Abends nach Hause kommen, begrüßt er durch ein leichtes Rücken an seiner Mütze; ab nimmt er sie nur vor den Gliedern der hausherrlichen Familie und vor Herrn v. Gimpelhuber, dem reichen, ledigen Bonvivant im ersten Stocke, der jede Nacht gegen zwei Uhr nach Hause kommt und dann 10 Neukreuzer Sperrgeld gibt. Seine einförmige Beschäftigung wird während des Tages nur durch den Frührapport bei dem Hausherrn, durch einen gelegentlichen Zank mit seiner Frau oder durch irgend eine markirtere Grobheit gegen eine Partei unterbrochen. Eine aufheiternde Abwechselung gewährt es ihm, wenn er eine naseweise Ratte im Hofe todtschlagen oder einen im Thorwege umherschnuppernden Hund hinausprügeln kann. Vor großen Hunden hat er indeß Respekt, seitdem eine übellaunige Bulldogge ihm bei solcher Gelegenheit einmal den Fond seiner Unaussprechlichen sammt etlichen Loth darin enthaltenen ungeschlachteten Fleisches zum Andenken mitgenommen hat. –

Die Funktionen des hausmeisterlichen Berufes sind hiermit noch keineswegs erschöpft. Unser wackerer Wenzel versieht, natürlich gegen gute Emolumente, auch das Amt des Postillon d'amour und des Keuschheitswächters.

Ein »fescher« junger Herr tritt in der Dämmerung unter den Thorweg. Meister Wenzel, der ewig gegenwärtige, fragt ihn um sein Begehren.

»Kommen's einmal her, Hausmeister,« sagt der junge Mann, indem er aus seiner Brieftasche ein Billet und einen Guldenzettel zieht. »Hier im Hause wohnt Fräulein Clotilde, die hübsche Putzmacherin, nicht wahr?«

»Ja wol, Ew. Gnaden,« lautet die höfliche Antwort. Der Hausmeister hat nämlich den Guldenzettel sofort als solchen erkannt.

»Stecken's ihr auf gescheidte Weise das Briefchen zu. In zwei Stunden komme ich vorbei und hole mir die Antwort.«

Zugleich mit dem Billet gleitet der Guldenzettel in die Hand des Zinsburgvogtes.

»Schon recht, Ew. Gnaden, werd's besorgen, können sich ganz auf mich verlassen.« Eine Viertelstunde später ist das Briefchen in der Hand der Putzmacherin ...

... Frau von Wachter, die reiche Wittwe im Erdgeschosse, hat ein einziges Töchterchen. – Fräulein Adelaide wagte es ihr Herzchen an einen liebenswürdigen jungen Mann zu verschenken, der leider die unglückliche Eigenschaft besitzt kein Vermögen zu haben. Natürlich ist das Verhältniß ein Dorn im Auge der Mama. Adelaiden ist jede Korrespondenz mit Adolph streng untersagt. Doch die Liebe ist schlau, aber Meister Wenzel, der von Mama besoldete Aufpasser, ist auch schlau, und so kommt es, daß Adolph, der arme Ritter, einen unablässigen Kampf mit der feindlichen Mama und ihrem Helfershelfer führen muß. Adolph hat zwar auf Adelaidens Rath versucht vermittelst einiger Zehnerzettel die Gunst des Keuschheitswächters zu gewinnen. Sein Streben scheiterte aber an dem Pflichtgefühl des wackern Wenzel. Mit Entrüstung wies er die Zehnerzettel zurück, wobei er nicht undeutlich zu verstehen gab, er werde nöthigenfalls seine Unbestechlichkeit mit dem Besenstiele vertheidigen. Seit jener Zeit ist die Zinsburg für Adolph ein verlorenes Paradies. Naht er sich der Pforte, so erscheint Wenzel mit dem Besen und versichert ihm höhnisch, Frau von Wachter sei nicht zu Hause. Mit einem Worte, die junge Liebe ist so lange von Verrath umgarnt, als Mama Wachter besser zahlt als Adolph. Wendet sich aber das Blatt und intervenirt Adelaide mit verschiedenen Guldenzetteln, dann fühlt auch Wenzels Herz ein menschliches Rühren und der hartherzige Verfolger wird zum Hort unglücklicher Liebe.

Ihren Kulminationspunkt erreicht die hausmeisterliche Thätigkeit, sobald die Sperrstunde herannaht. Zehn Minuten vor Zehn verläßt der Troglodyte seine Höhle, macht den einen Thorflügel zu und postirt sich hinter den andern. Sobald der erste Glockenschlag vom Thurme herabklingt, wirf er die Thüre zu, dreht den Schlüssel um und begibt sich zurück in sein stilles Gemach. Wer auch nur eine Minute später kommt, muß ohne Gnade den Sperrgroschen bezahlen. Wenn wir vom Sperrgroschen sprechen, so ist das, nebenbei bemerkt, reiner Euphemismus; denn wehe dem Sterblichen, der jedes Mal nur den vorgeschriebenen Groschen bezahlt oder nicht auf den ganzen Monat abbonnirt ist. Er ist den finstern Mächten verfallen! Zeichnen wir in wenig Strichen das Bild eines solchen Unglücklichen.

Es ist drei Viertel auf elf Uhr Nachts. In den Straßen weht ein ächt Wienerischer Novembersturm. Regen und Schnee kämpfen um die Hegemonie, alle Gaslichter flackern aufgescheucht in ihren Laternen, und Jeder, der sicher in seinen vier Pfählen ist, hat Ursache sein Loos zu preisen.

Meister Wenzel und Ehehälfte sitzen beim Tische und spielen Preferance. Eine wohlgefüllte Bierflasche steht neben der sogenannten Schusterkerze und findet fleißigen Zuspruch. Plötzlich geschieht ein heftiger Ruck an der Glocke.

»Das ist der »Lali,« vom vierten Stock,« sagt Wenzel sich gemächlich ein Glas vollschenkend. »Na, kannst warten.«

Drei Minuten vergehen. Wenzel hat sich wieder so sehr ins Spiel vertieft, daß er das zweite Signal gar nicht beachtet.

»Wenn's aber ein Anderer wär',« meint die Hausmeisterin, »am Ende gar der Herr v. Gimpelhuber!«

»Lern' Du mich's Anläuten kennen,« sagt Wenzel, »da, Coeur ist Atout!«

Wieder vergehen einige Minuten, dann geht das Glockenspiel aufs Neue los.

»Ah, das ist doch schon unverschämt, so ein Anläuten,« ruft der Hausmeister entrüstet. »Zur Straf muß er jetzt erst noch fünf Minuten warten.«

Sehen wir unterdessen, wie es draußen vor dem Thore steht. Der Hausmeister hat Recht gehabt. Es ist wirklich der »Lali« aus dem vierten Stock, der Principienreiter, welcher niemals mehr als den vorgeschriebenen Groschen zahlt. Um sich einigermaßen vor dem Sturme zu sichern, hat er sich in die Thorecke gedrängt. Leider hat dieser Platz die Unannehmlichkeit im Bereiche der lecken Dachrinne zu sein, so daß unser Mann sich buchstäblich aus dem Regen in die Traufe geflüchtet hat. Er flucht wie ein Türke über den verschlafenen Hausmeister; aber was hilft das Fluchen gegen unabänderliches Geschick? Er muß sie büßen, die schwere Schuld, sich das Mißvergnügen des Burgvogts zugezogen zu haben.

Endlich lassen sich im Thorwege schlürfende Schritte vernehmen; ein Lichtschein dringt unter der Pforte hervor. Der Harrende setzt sich in Positur und sucht seine Kupferkreuzer zusammen. Aber noch ist er nicht am Ziele seiner Leiden angelangt. Die Bosheit eines Hausmeisters kann sich bis zum Raffinement versteigen.

Mit einem Male erlischt das Licht unter der Thüre.

»Ei, hat mir der Malefizwind das Lichtl ausblasen!« ruft drinnen der Hausmeister. »Na, das wird ein schönes Aufsperren werden.«

Die Wahrheit ist, daß Meister Wenzel das Licht selbst ausgeblasen hat, nur um den »Lali« noch etwas länger draußen zu halten.

Die Schlüssel werden probirt. Erst der dritte schließt und langsam öffnet sich das Thor.

»Aber Hausmeister,« ruft der schnatternde Ankömmling, »hören's denn gar nicht läuten in Ihrem Schlaf? Geschlagene zwanzig Minuten habe ich heute wieder warten müssen.«

»Na, glauben's vielleicht, ich will mir wegen Ihrem lumpigen Groschen die Lungensucht holen? Soll ich vielleicht gleich aus dem Schweiß heraus in das Hundewetter laufen?« ist die bündige Antwort des Cerberus, während er den Groschen einsteckt und sich in seine Höhle drückt.

Was soll der unglückliche Miether thun? Ihm bleibt nur die Wahl, entweder schweigend zu dulden oder sich die Gunst des Hausmeisters durch reichere Opfergaben zu erwerben. –

Ist es nicht wunderbar, daß eine Bevölkerung von einer halben Million Menschen schutzlos die Tyrannei von einigen Tausend Hausherren und deren Vögten duldet und dulden muß, bloß um eine Stätte zu haben, wo sie ihr Haupt ruhig niederlegen können? Das soziale Leben in Wien bietet Anomalien so sonderbarer Art, daß es nicht gerathen ist darüber nachzudenken, weil man bei fortgesetztem Spekuliren zu Schlüssen kommt, die erbittern statt zu erheitern. Lassen wir also die Reflexion als unfruchtbar bei Seite, und hoffen wir, daß Neuösterreich Mittel und Wege finden wird auch der Hausmeistertyrannei einmal ein Ende zu machen.


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