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3.
Im Prater


Folge mir heute, mein würdiger Leser, aus dem Gezänke streitender Parteien nach einem Orte beschaulicher Ruhe und sorglosen Genusses. Du kennst ihn, den Hafen, an dem die stürmischen Wogen des Tages sich machtlos brechen; denn wer hätte noch nicht von dem Wiener Prater vernommen?

Ich versprach Dir beschaulichen Genuß. Folglich darf ich Dich nicht nach der Hauptallee, in das Getümmel einer Praterfahrt führen, wo an gewissen Frühlingstagen die Aristokratie der Geburt und die sogenannte Aristokratie des Geldes vor den Augen von vielleicht hunderttausend schaulustigen Wienern die ganze Pracht ihres Reichthums und ihrer Schönheit entfalten. An solchen Tagen weicht der Geist heiliger Ruhe aus den grünen Hallen des Praters. Schnaubende Rosse, kommandirende Aufsichtsorgane, kokettirende Damen, hofmachende Kavaliere, ein aufundabwogender, schwatzender, gaffender Menschenstrom füllen von 3 Uhr Nachmittags bis zur einbrechenden Dunkelheit die Alleen. Nur Wenige aus der glänzenden oder der vom Glanze angezogenen Schaar verirren sich alsdann in den benachbarten Wurstelprater; ja Hunderte und aber Hunderte der feinen Leute, welche mit religiöser Gewissenhaftigkeit keinen Corso versäumen, haben von dem poetischen Wurstelprater nicht mehr Kenntnisse, als wir vom Innern der Insel Madagaskar.

Wollen wir aber den Prater in seiner idyllischen Schönheit genießen, dann müssen wir uns einen schönen Sonntagnachmittag im Monate Juni aussuchen. Um diese Zeit ist nämlich Alles, was zur Crême der Gesellschaft gehört, schon längst auf den Villen zu Hitzing, Döbling, St. Veit, Hacking, Neuwaldeck etc. häuslich eingerichtet, oder sucht in Wiesbaden, Homburg etc. sein Geld auf fashionable Weise los zu werden. Das nicht zur Haute-Volee gehörige lebenslustige Publikum der Residenz eilt in Stellwagen und Eisenbahnwaggons hinaus nach allen Richtungen der Windrose, um in der Brühl oder sonst wo für theures Geld ein Backhändl zu verspeisen, welches man in der Stadt besser und billiger haben könnte. Wir aber, mein würdiger Leser, gehören nicht zu jener vergnügungssüchtigen Schaar, die da hinaus muß vor die Linien trotz Staub und Sonnengluth. Wir lenken in beschaulicher Ruhe unsere Schritte nach dem kühlen, schattigen Prater, dem sommerlichen Aschenbrödl der Kaiserstadt.

Ueber den zierlichen Sophienkettensteg am Ende des Lichtensteingartens schreiten wir langsam dem klassischen Boden zu. Vorher aber opfern wir noch einen Kreuzer Konventionsmünze auf dem Altare des Zöllners, d. h. wir lassen das kupferne Werthzeichen in eine uns entgegenstarrende schwielige Hand gleiten, die von der drunten weg fließenden Donau keine Ahnung zu haben scheint. Zuerst lacht uns eine blumige, mit hundertjährigen Bäumen geschmückte Wiese entgegen, dann windet sich der Weg am Saume eines hochstämmigen Waldes hin. Endlich betreten wir die große Praterwiese, wo in mondhellen Frühlingsnächten ganze Rudel Hirsche und Rehe ihre cours d'amour abhalten. Von Hochwild gewahren wir dermalen allerdings nichts; dafür aber wandert ein würdiger Eheherr sammt Gattin, Töchterchen und Hausfreund gemächlichen Schrittes dem Gasthause zum Hirschen jenseits der großen Allee zu. Erst werfen wir noch einen flüchtigen Blick in die fast eine Stunde lange vierreihige, schnurgerade Allee. Wie öde sie ist! Vor einem Monate wogten hier Hunderte der glänzendsten Equipagen auf und ab. Jetzt humpelt ein einziger, melancholischer Komfortable nach dem Rondeau. Die Reitallee ist gänzlich leer und in der Promenadenallee wandelt, die Hände auf dem Rücken, gesenkten Hauptes, ein junger Mann, allem Anscheine nach ein Poet, der hier in der Einsamkeit die Entwickelung seiner Tragödie sucht und sie im Gasthause zum Hirschen finden wird.

Wir schreiten über die Allee, biegen um die Ecke eines Landhauses, dessen Thüren und Fenster je offen gesehen zu haben sich Niemand erinnern kann und sind nun beim Hirschen.

Der Garten, wenn man einen nach allen Seiten hin offenen, mit mächtigen Ahornbäumen geschmückten Raum so nennen will, ist schon ziemlich gefüllt. Plumpe Tische, noch plumpere Strohstühle breiten sich vor dem hölzernen, weiß angestrichenen Hause weithin über die Wiese aus. Hier sitzen sie beisammen, die praktischen Philosophen der Kaiserstadt, die einen rauchend, die andern speisend; trinkend Alle. Der Jean oder Franz schleppt kleine Wagenladungen schäumenden Gerstensafts unter das durstige Volk. »Bier! a Bier!« ruft der blaugeschürzte Ganymed, und von allen Seiten erschallt ihm das Echo: Hier! entgegen. In den Zwischenräumen schießen italienische Salamimänner, ihre gewaltigen Käsemesser schwingend und mit der nie fehlenden Messingwaage klappernd, auf und ab.

» Subito, Signore! Gleich! gleich!« schreit aus vollem Halse der glatzköpfige Battista, der Doyen der ambulirenden Söhne Dante's und Petrarka's » Mezzo pfund, Signor Conte?« sagt er mit dem einladendsten Lächeln zu uns gewendet, indem er seinen schweren Tragkorb auf das Tischende stützt und sogleich zu Messer und Waage greift.

» Ebbene, Batista, come vanno gli affari?« fragt ihn unser Nachbar, dem es, wie jedem ächten Deutschen, Freude macht vor dem Publikum seine linguistischen Kenntnisse leuchten zu lassen.

» Male, malissimo, Signor Marchese,« versetzt der überhöfliche Friulaner. Battista hat es sich nämlich zum Grundsatz gemacht, seine Abnehmer mit den potenzirtesten Adelstiteln zu überschütten. Wer ein halbes Pfund Salami di Verona kauft, wird gleich Illustrissimo, Eccellenza oder Duca, ganz nach Belieben.

Wir kaufen uns sechs Loth Salami, thun einen kräftigen Schluck aus der schäumenden Halben und beobachten uns in Muße das Publikum.

Der Tisch neben dem unsrigen ist schon ziemlich besetzt. Ein Unterschied der Stände scheint im Prater ebensowenig zu herrschen, als im Paradiese. Obenan sitzt ein Offizier von Heß, ihm gegenüber ein Beamter der Nordbahn. Dann folgt ein Herr Rechnungsrath, auf ihn ein Bauer aus dem Marchfelde mit vorsündfluthlichem Rockkragen. Der nächste Herr ist eine breitschultrige Persönlichkeit mit gewaltigem Bauche und rothblondem Haar und Bart. Dieser treue Diener Sr. lotharingischen Majestät Gambrinus I hat den Rock auf den Knien liegen und sitzt behaglich in Hemdenärmeln da. Ein gelbhaariger Neufoundländer kauert zu seinen Füßen und wirft von Zeit zu Zeit einen ungeduldigen Blick auf seinen Herrn und Meister, der allem Anscheine nach eine lange Sitzung zu halten beabsichtigt. Der Herr Professor, diesen Titel führt nämlich der wohlbeleibte Herr, ist damit beschäftigt, in geläufigem Deutsch-französisch seinem Gegenüber die Vorzüge des Hirschenbiers, verglichen mit dem der Rose, auseinanderzusetzen. Alles plaudert im freundschaftlichem Tone mit einander, und wenn wir nicht irren, gibt der Mann aus dem Marchfelde seinem Nachbarn, dem Herrn Rechnungsrathe, soeben einen Abriß seiner Autobiographie zum Besten.

Eine ganz besondere Eigenthümlichkeit der Praterwirthschaften ist die urzuständliche Bedienung der Gäste. Tischtuch, Messer und Gabeln sowie Teller und andere derartige Luxusgegenstände gibt es für gewöhnlich nicht. Fühlt man Appetit, so wendet man sich einfach um, sucht die kürzeste Linie zwischen dem eigenen Sprachorgane und dem mit einem weißüberdeckten Korbe herumlaufenden Kellner zu ermitteln und schreit dann in der aufgefundenen Richtung: Brod! Auf diesen Ruf stürzen unfehlbar zwei bis drei konkurrirende Salamimänner herbei und loben jeder seine Waare auf Kosten des andern. An unterschiedlichen vattene in malora! (geh' zum Teufel), figliuol d'un can! (Hundesohn) etc. fehlt es dabei natürlich nicht. Der angerufene Kellner ist derweilen langsam herbeigekommen, hat zwei bis drei Stücke Schwarzbrod auf den Tisch gelegt, empfängt dafür seine zwei oder drei Kreuzer und trollt sich dann einem anderen Brodrufer entgegen. Unterdessen hat man sich für einen der kompetirenden Salamimänner entschieden, erhält sein Stück Käse oder Wurst in einem Fetzen Zeitungspapier eingewickelt (möglicher Weise findet man seinen eigenen Leitartikel von gestern oder vorgestern im Korbe des Salamisten wieder) und beginnt seinen Schmaus mit denselben Eßapparaten, deren sich einst Vater Adam und Mutter Eva bei dem verhängnißvollen Gouter im Garten Eden bedienten. Nach aufgehobener Tafel wischt man die Hände am Taschentuche ab, nimmt einen frischen Schluck, und das eine der materiellen Bedürfnisse ist auf eine geraume Weile befriedigt.

Doch wir kommen hier eigentlich von der Hauptsache, dem Publikum des Hirschen, viel zu sehr ab. Wir sagten oben unserem Leser, daß der Prater ein Ort beschaulicher Ruhe sei, ein Eiland, an dem die Wogen des stürmischen Residenztreibens machtlos abprallen. Und in der That, wer könnte auch nur einen Augenblick lang vermuthen, daß jenen sanftlächelnden Lippen dort, die soeben schaumbefeuchtet aus dem mächtigen Halbeglas auftauchen, jemals ein Wort zündender Beredsamkeit entfahren sei, daß sie sich jemals zu grinsendem Hohn verzogen hätten? Hier bespricht man in behaglicher Rückerinnerung die lustige Landpartie vom vorigen Sonntage; dort tischt ein Witzbold sein letztes Bonmot auf und findet sofort anerkennende Lacher. Drüben auf der Wiese kugeln sich Kinder im hohen Grase, necken sich Hunde mit lustigem Gebell, und weiterher aus dem eigentlichen Wurstelprater klingt die Trompete des Hanswursts, brummt die große Trommel des Karoussels, aber gedämpft und leise verklingend wie das Abendgeläute der verlorenen Waldkapelle.

Doch wir können nicht länger verweilen an diesem Orte des Friedens. Die Trompete des Hanswursts hat uns erinnert, daß der Wurstelprater dem Beschauer noch Reize anderer Art zu bieten hat. Wir greifen zu Hut und Stab und gehen auf gut Glück dem Schall der Trompete nach. Die weißangestrichenen Holzhäuser, jedes Haus selbstverständlich ein Wirthshaus, rücken mehr und mehr zusammen. Etwas wie ein Dorf oder ein Marktflecken zeigt sich hingesäet auf den grünen, von hochrauschenden Bäumen umsäumten Wiesenplan. Hier hat sich alles zusammengefunden, was das Herz der Jugend, ihrer Wärterinnen, der bei solchen Gelegenheiten nie fehlenden Soldaten, der Herren Lehrjungen etc. einen ganzen Sommernachmittag hindurch zu fesseln im Stande ist. Hier gibt es Kreuzertheater, Karoussels, Wachsfiguren, Menagerien, ein Affentheater, worin die treuen Pudel alle halbe Stunde die Festung Saida erstürmen, herabgekommene Professoren der Magie, die in fadenscheinigem Frack und zweifelhaft weißer Weste vor den Augen des hochverehrten Publikums die unbegreiflichsten Experimente ausführen. Dort drüben läßt sich ein wackerer Landmann aus Oberöstereich zu seinem Sonntagsvergnügen elektrisiren; hier werden Kegel geschoben, dort wird mit dem Balle nach dem Maulaffen geworfen. Ein Paar Schritte weiter sitzt eine Harfenistengesellschaft und singt unreproduzirbare Kouplets, welche dessenungeachtet oder vielleicht gerade deswegen den lautesten Applaus erhalten. Einige Schritte weiter sehen wir den Thespiskarren Meister Wurstels (ein Wiener Diminutiv für Hanswurst). Hier halten wir unsere Schritte an, denn die schmetternde Trompete gibt das Zeichen zum Beginne der Vorstellung.

Das Puppentheater ist, wie alle Puppentheater der Welt, ein mit Zitzkattun überzogener großer viereckiger Kasten. Ein kleiner umfriedigter Raum unmittelbar vor demselben stellt das Parquet vor. Hier sitzen, à Person ein Kreuzer, sechs Kinder mit ihren Wärterinnen. Das draußen stehende Publikum zahlt nach Belieben, d. h. sobald die Lebensgefährtin des Künstlers mit dem Blechteller zu rappeln anfängt, drücken sich sieben Achtel der Zuschauer, und nur schöne Seelen bleiben zurück, um ihren Kreuzer zu erlegen und das Stück bis zu Ende anzusehen.

Ein wahrer Jammer ist es, daß die hohe Polizei den Praterwurstel auf die Pantomime beschränkt hat. Dürfte er reden, welche Fülle drastischen Witzes würde der Künstler nicht entwickeln, dessen bloße Geberden schon im Stande sind keinen Zweifel über den Gang der Komödie aufkommen zu lassen. Doch da erscheint soeben Meister Wurstel selbst auf der Bühne. Folgen wir mit den Augen der Wißbegierde dem Verlaufe des Stückes.

Der langnäsige Held geht augenscheinlich mit einem Plane schwanger. Sein pantomimischer Monolog drückt dies deutlich aus. Auf dem Arme trägt er ein Kleidungsstück, unverkennbares Eigenthum der Madame Wurstel, das gerade nicht auf die rechtmäßigste Weise in den Besitz des durstigen Gemahls gekommen sein dürfte. Wohlgefällig breitet er den Unterrock auf der Brüstung aus, und scheint zu berechnen, wie viele Seidel Bier sich etwa aus demselben herausdividiren lassen. Nun erscheint der zweite Akteur, ein graubärtiger Jude, mit großem Sack und schwerem Geldbeutel. Der Handel beginnt. Der Hebräer betrachtet das Kleidungsstück nach allen Seiten und klopft dann viermal auf die Brüstung, was selbstverständlich ein Angebot von vier Groschen bedeuten soll. Hanswurst aber besteht auf acht, und klopft deshalb nachdrücklichst diese Zahl auf dem Unterrocke ab. Eine geraume Weile trommelt jeder seine Nummer mit steigender Energie, bis endlich Meister Wurstel mit einigen derben Kopfnüssen den verstockten Hebräer auf bessere Gedanken zu bringen sucht. Der Streit erhitzt sich unter dem Jubel des Publikums. Endlich verschwindet Wurstel, kehrt aber sogleich mit einem derben Stocke zurück und schlichtet die Differenz nach der Weise des großen Alexander, d. h. er zerhaut den gordischen Knoten, indem er den Juden einfach todtschlägt. Hierauf holt er eine große Kiste, schiebt die Judenleiche hinein und versteckt sich hinter die Koulissen, um den weiteren Verlauf der Dinge abzuwarten.

Eine Pause tritt ein. Dann erscheint Unheil ahnend die Gattin des Gemordeten. Sie gewahrt die Kiste, lüftet den Deckel und fährt entsetzt zurück. Der herzlose Mörder begleitet die Geberden ihres thränenlosen Schmerzes mit den lustigsten Grimassen. Er scheint an einem Opfer nicht genug zu haben. Und wirklich, kaum hat die trostlose Wittwe den Kastendeckel zurückgeschoben und sich wehklagend über die Leiche gebeugt, als Meister Wurstel ihr mit demselben Deckel eine so riesige Ohrfeige applizirt, daß die Aermste besinnungslos kopfüber in die Kiste stürzt. Nun schlägt der Mörder den Deckel zu, setzt sich darauf und gibt seine Freude über das gelungene Werk durch die wunderlichsten Kapriolen zu erkennen.

Aber die Nemesis naht. Diesmal erscheint kein Geringerer als der Gottseibeiuns in eigener Person. Er verlangt eine kategorische Erklärung über das Vorgefallene. Wurstel begnügt sich, ihm zur Antwort einen Esel zu bohren. Ein so unziemliches Benehmen scheint aber dem Schwarzen über die Grenzen des Spaßes zu gehen. Er versetzt deshalb dem Langnäsigen eine derbe Kopfnuß; dieser antwortet in demselben Tone. Wieder entsteht eine Prügelei, wieder jubelt das Publikum über jeden wohlgeführten Schlag und, wer hätte es geglaubt? der Kampf endigt mit der totalen Niederlage des Schwarzen. Herr Beelzebub spaziert zu Jude und Jüdin in den Kasten. Meister Wurstel, dem, o Verkehrtheit der Menschennatur, trotz aller Blutthaten die Sympathie der Zuschauer keinen Augenblick abwendig geworden ist, – Meister Wurstel nimmt den dreifachen Sarg auf die Schulter, steckt die Judenbörse in die Tasche und verschwindet unter dem allgemeinen Beifalle des Publikums, womit die Tragödie ihren Abschluß erreicht

Kaum ist hier das Stück glücklich zu Ende gekommen, als ein schmetternder Trompetenstoß in einer andern Ecke des permanenten Jahrmarktes das Signal zum Beginne desselben Dramas gibt. Ein großer Theil der Zuschauer läuft sogleich dahin und sieht sich andächtig das ganze Stück noch einmal von vorn bis hinten an. Jede Kritik ist dabei selbstverständlich ausgeschlossen; doch gibt es unter den Habitués des Wursteltheaters Schusterjungen von entschieden kritischer Begabung, welche den Charakter jedes einzelnen Wurstels in allen Nuancen studirt haben, und zwischen Wurstel und Wurstel mit derselben Schärfe unterscheiden, wie unsere gewiegtesten Kritiker zwischen dieser und jener Primadonna.

Der volle Akkord einer Militärbande lockt uns nach einer andern Richtung. Mitten durch den Menschenstrom, vor ewig zischenden Wurstkesseln vorüber, gelangen wir durch eine Defilé von Semmel- und Obstweibern nach dem Garten, wo die Bande von Erzherzog Rainer spielt. Hier ist kein Platz mehr zu haben. Wir bleiben deßhalb vor dem Stackete stehen und hören uns den meisterhaft ausgeführten Zigeunerchor aus Trovatore an. Die Bande spielt mit einer solchen Vollendung, daß man sich unwillkürlich fragt, ob es nicht Sünde ist, solche Perlen der Harmonie in das Getümmel des Wurstelpraters zu werfen. Doch einige Augenblicke genügen, um uns eines Besseren zu belehren. Der Trompeter, ein Virtuos im weißen Waffenrock, setzt zum Miserere ein. In demselben Augenblick schweigt jedes Gespräch, die steinernen Bierflaschen, Plutzer genannt, bleiben unberührt auf dem Tische stehen. Mit wollüstig athemlosem Lauschen horcht Alles auf die leise hinzitternden, melancholischen Töne. Wursteltrompete, Carousseltrommel sind für die Zuhörer so gut wie nicht vorhanden. Nun fällt das Orchester mit der Fermate ein, und dieselben schwieligen Hände, die während der langen Woche den Schmiedehammer geschwungen oder den Besen geführt haben, klatschen an derselben Stelle Beifall, wo die ständigen Gäste der italienischen Oper ihrem Enthusiasmus Luft zu machen pflegen.

Während die Bande einen Straußischen Walzer anstimmt, wenden wir uns zu den starkbesuchten Schaukeln gegenüber. Hier fliegt ein Lehrjunge auf einem hölzernen Löwen reitend von Baumesgipfel zu Baumesgipfel; dort sitzen zwei böhmische Dienstmädchen, ein noch ungeleckter Barbiergeselle und ein ungarischer Soldat auf der Schaukel. In der Kahnschaukel zur Seite schwingen sich zwei Handlanger vor den Augen ihrer Schätze mit erstaunlicher Bravour zu einer Höhe empor, daß man glaubt, jeden Augenblick müßten dem Gesetze der Schwere zufolge die Insassen des Kahnes kopfüber auf die vaterländische Erde niederfliegen. Doch damit hat es gute Wege. Die Herrn, welche sich dieses nauseale Sonntagsvergnügen machen, haben Nervenstränge von der Dicke eines Kreuzerstrickes, die schon einen Puff aushalten.

Noch stundenlang könnten wir Dir von den Herrlichkeiten des Praters erzählen, müßten wir nicht befürchten, Deine Geduld, geehrter Leser, zu sehr in Anspruch zu nehmen. Auch beginnt die Sonne bereits längere Schatten auf das lebensreiche Bild vor unsern Augen zu werfen. Leichte weiße Nebel erheben sich im Wildprater und senden ihren kühlen Hauch auf den Schwingen des Abendwindes zu uns herüber. Wir kennen sie aus Erfahrung, diese maliziösen Praternebel, Erlkönigs tückisches Hofgesinde. Auf kariöse Zähne und empfindliche Schleimhäute haben sie es besonders abgesehen. Hüllen wir uns also fester in unsere Ueberzieher, werfen wir noch einen letzten Blick auf das lustige Völkchen, das die Praterdünste eben so wenig fürchtet, als die Geister des in überreichem Maße consumirten Weines und Bieres (Schnaps trinken in Wien nur gänzlich verwahrloste Subjekte) und wenden wir uns dann über den Praterstern und die prachtvolle Jägerzeile nach der innern Stadt, wo uns des Blumenstöckels gastliche Hallen behagliche Ruhe nach den vielfachen Aufregungen unserer Wanderung bieten.


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