Saadi
Bostan
Saadi

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Zehnte Pforte.

Gebet und Schluß.

(244.)

    1   Komm, laß vom Herzen uns erheben eine Hand,
Die morgen heben sich nicht kann aus Staub und Sand.
2   In winterlicher Zeit, o siehst du nicht den Baum,
Der durch die Kälte steht der Blätter leer im Raum?
3   Des Mangels leere Händ' erhebet er mit Flehn;
Wird vom Erbarmen er mit leerer Hand ausgehn? 278
4   Ein namhaft Ehrenkleid wird das Geschick ihm senden,
Der ew'ge Ratschluß wird im Schoß ihm Früchte spenden.
5   O glaube nicht, daß dort zum nieverschloßnen Thor
Je einer hoffnungslos die Hände heb' empor.
6   Sie alle bringen Dienst und Bitte bettlerhaft;
So komm, daß zu dem Thron der Bettlerpflegeschaft
7   Wir wie die nackten Zweig' auch unsre Hand erheben;
Denn länger können wir der Frucht uns nicht begeben.
8   O Lenker des Geschicks, thu einen Blick der Huld;
Denn kommen kann von uns im Leben nichts denn Schuld.
9   Ja, Sünde kommt allein vom staubgebückten Knechte
In Hoffnung auf des Herrn vergebungsreiche Mächte.
10   Wir sind die Pfleglinge, Großmüt'ger, deiner Labe,
Die Kinder, die gewöhnt sind an des Vaters Gabe.
11   Da wo der Bettler sieht Großmut und Mild' und Spenden,
Wird er sich ab vom Schweif des Spendenden nie wenden.
12   Da du in Ehren hier uns hieltest in der Welt,
Ist unsre Hoffnung, daß man dort auch so uns hält.
13   Ehr' und Erniedrigung verleihest nur du Einer,
Erniedern den von dir Geehreten wird keiner.
14   Bei deiner Ehr', o Gott, erniedrige mich nicht!
Beschäme nicht mit Schmach der Schuld mein Angesicht.
15   Vor deinem Angesicht muß ich genug mich schämen;
O laß nicht Schande mich vor einem andern nehmen!
16   Gib über mich Gewalt nicht einem meines gleichen;
Besser von deiner Hand wird mich die Straf' erreichen.
17   So schlimm auf dieser Welt ist nichts wie dieses Schlimme:
Dulden zu müssen Schmach von eines Gleichen Grimme.
18   Doch wenn mir auf das Haupt von dir ein Schatte fällt,
So ist mein niedrigstes Gemach das Sternenzelt.
19   Und wenn ein Königsschmuck das Haupt mir soll umlauben,
Bewahr ihn mir, daß ihn mir niemand dürfe rauben. 279

 
(245.)

    1   Nie denk' ich, ohne daß erzittert mein Gebein,
An jenes Brünstigen Gebet beim heil'gen Schrein.
2   So sprach der Brünstige, den Busen heiß von Wehn:
»Vergib mir, o mein Gott, verschmähe nicht mein Flehn!«
3   So tiefbekümmert sprach er zum Erbarmungsreichen:
»Verlaß mich nicht! es wird die Hand mir niemand reichen.
4   Ruf' mich in Huld herbei, treib' mich nicht von der Stelle;
Es hat ja keinen Ort mein Haupt als deine Schwelle.
5   Du weißt, daß ohne Hülf' und ohne Rat ich bin
Bedrängt von Sinnlichkeit, der bösen Heischerin.
6   Nicht also bäumen sich die trotzigen Gewalten,
Daß die Vernunft vermöcht' am Zügel sie zu halten.
7   Wer könnte mit Gewalt begegnen ihrem Sturm?
Aufnehmen kann den Kampf mit Tigern nicht der Wurm.
8   O bei den Männern, die auf deinen Wegen gehn,
Gib einen Weg und laß den Feinden mich entgehn!
9   Herr, bei der Herrlichkeit, dem Wesen, das dir eigen,
Den Eigenschaften des ohn' Ähnlichs, ohne gleichen!
10   Beim Ruf der Pilgerschar im heiligen Gebiete!
Bei dem Begrabenen in Jathreb (ihm sei Friede)![Jathreb = el Medina; der Begrabene in Jathreb = Mohammed.]
11   Beim Schlachtruf »Gott ist groß« der Helden in den Schlachten,
Die selbst nur als ein Weib den Mann in Waffen achten!
12   Bei aller Frömmigkeit der alten treubemühten,
Bei aller Innigkeit der jungen ueuerblühten!
13   Spring mir in diesem Drang der einen Stunde bei
Gegen die Schmach, daß ich vom Einen sage Zwei!der einen Stunde = des kurzen nichtigen Lebens (d. h. gegen Abgötterei, vermutlich Christenglauben). 280
14   Mein Hoffen steht auf die, die gute Werke thaten,
Um zu vertreten die, die solcher Werk' entraten.
15   O bei den Reinen, halt' mich vor Besudlung rein;
Und wenn ich Schlechtes that, laß es entschuldigt sein.
16   Bei allen Greisen, die mit andachtkrummem Rücken
Aus Scham vor Sündigem auf den Fußrücken blicken!
17   Verschließ' mein Auge nicht vor meiner Seele Wohl,
Und meinen Mund nicht, wo er dich bezeugen soll!
18   Halt eine Leuchte hin mir auf den rechten Pfad,
Und halte mir gekürzt die Hand von böser That!
19   O wende mir vom nicht zu Seh'nden ab den Blick,
Und vom Unziemenden zieh' mir die Hand zurück!
20   Ich bin das Stäubchen Nichts im Hauche deines Seins;
Dasein und Nichtsein ist in meiner Kleinheit eins.
21   Vom Sonnschein deiner Huld gnügt mir ein einz'ger Glanz,
Damit auf ewig man mich seh' in Freudentanz.
22   Sieh einen Schlechten an, der nicht verdient das Glück!
Dem Bettler ist vom Schah genug ein gnäd'ger Blick.
23   Willst du mich fassen nach Verdienst und Recht, so klagt
Mein Herz, daß deine Huld nicht das ihm zugesagt.
24   O treib' mich nicht, mein Gott, von deiner Thür mit Schmach!
Denn denkbar ist für mich kein ander Ruhgemach.
25   Und wenn aus Unverstand ich fern blieb ein paar Tage,
Komm' ich zurück, o nicht die Thür vor mir zuschlage!
26   Was zur Entschuldigung der Unzucht führ' ich an?
Nur meine Schwachheit bring' ich vor: O reicher Mann,
27   Ich bin ein armer, faß mich nicht bei meiner Schuld!
Ein reicher Mann hat mit dem Bettelmann Geduld.
28   Um meine Schwäche was soll klagen ich unnützer?
Ich selber zwar bin schwach, doch stark ist mein Beschützer.
29   Aus Unbedachtsamkeit brach ich, o Gott, den Bund;
Wo ist Anstrengung, die dem Schicksal widerstund? 281
30   Bei allem meinem Rat was kommt heraus? Genung
Ist dieser Spruch zu meines Fehls Entschuldigung:
31   Du hast all was ich that geworfen übern Hauf;
Welch Selbsein nähm' es wol mit dem Selbsei'nden auf?
32   Ich habe nicht mein Haupt entzogen deiner Macht,
Von deiner Macht ist's so mir übers Haupt gebracht.
33   Mein Gott, wir nahen dir mit mangelhaftem Zoll;
Wir nahn mit leerer Hand und Herzen hoffnungsvoll.«

 
(246.)

    1   Als einen Schwärzlichen einst jemand häßlich hieß,
Erwidert' er darauf, was jenen staunen ließ:
2   »Ich selber habe nicht mein Bild hervorgebracht,
Daß du mich tadeltest, ich hab' es schlecht gemacht.
3   Was geht die Häßlichkeit meines Gesichts dich an,
Da ich kein häßliches noch schönes machen kann?« –
4   Dem, was von Anbeginn du schriebest an mein Haupt,
Dem wird nichts zugesetzt, o Herr, und nichts geraubt.
5   Und du weißt wol, daß mir jedwede Kraft gebrach;
Allmächtig unbeschränkt bist du; wer bin ich, ach!
6   Wenn du den Weg mir zeigst, gelang' ich hin zum Glück;
Und wenn du mich verlierst, bleib' ich vom Ziel zurück.
7   Wenn seinen Beistand nicht verleiht der Welternährer,
Wie könnte frommes Werk vollbringen ein Verehrer!

 
(247.)

    1   Wie treffend ist, was einst der schwache Derwisch sprach,
Der Buße that bei Nacht, und sie am Morgen brach: 282
2   »Wenn er die Buße schenkt, dann ist sie dauerhaft;
Denn unsre Festigkeit ist ohne Halt und Kraft.« –
3   Bei deiner Wahrheit! schleuß mein Aug' dem Lügenschein!
Bei deinem Lichte! gib mich nicht der Feuerpein!
4   Zur Erde vom Verdruß ist mein Gesicht gelegt,
Und meiner Sünde Staub zum Himmel aufgeregt.
5   O der Barmherzigkeit Gewölk, gib einmal Regen!
Denn vor dem Regen hält kein Staub sich auf den Wegen.
6   Verschuldung gibt mir Raum im Erdenreiche nicht,
Und auf das Himmelreich was gibt mir Zuversicht?
7   Du hörst die Seelen, wo die Zungen sind gebunden;
Den Balsam gibst nur du für alle Herzenswunden.

 
(248.)

    1   Ein Mage hatte vor der Welt die Thür geschlossen,Mage = Götzendiener, nach V. 11 Christ.
Vor einem Götzenbild in Andacht sich ergossen.
2   Nach Jahren ward dem Mann, im Glauben so verkehrt,
Durch göttliches Geschick ein harter Stand beschert.
3   Der Arme wälzte sich in Hoffnung, daß ihm müsse
Erhörung werden, hin vor seines Bildes Füße:
4   »Ich bin erlegen, reich' mir eine Hand, mein Götze!
Ans Leben geht es mir; erbarm' dich und mich letze!«
5   In Dienstbeflissenheit so winselt' er gar oft,
Und nie zu Stande kam sein Ding, wie er gehofft.
6   Wie sollt' ein Götzenbild auch eines Manns Anliegen
Vollbringen, das von sich nicht wehren kann die Fliegen!
7   In Zorn geriet der Mann: »Du, der Verirrung Strick,
Viel Jahre beugte dir umsonst sich mein Genick. 283
8   Nun dies Anliegen, das ich habe, mir vollbringe!
Wo nicht, so bitt' ich es vom Schöpfer aller Dinge.«
9   Noch lag der Mage dort, das Haupt in Staub und Kot,
Da ward sein Wunsch vollbracht vom Herrn der Reinheit, Gott.
10   Doch ein Rechtgläubiger ward darum sehr betrübt,
Ihm ward die Lauterkeit des Lebens schwer getrübt:
11   »Solch ein hirmschwindliger gemeiner Götzenknecht,
Dem von dem Tempelwein das Haupt noch ist bezecht,
12   Der von Unglauben noch das Herz, die Hand von Trug
Nicht reinwusch, Gott vollbringt ihm seinen Wunsch im Flug.«
13   Als sein Nachsinnen in dies Rätsel sich verlor,
Kam ein Geheimnisgruß zu seinem Seelenohr:
14   »Vor seinem Götzen hat der Alte blöd von Sinnen
Viel vorgebracht, und konnt' Erhörung nicht gewinnen.
15   Wenn er von unsrer Thür auch abziehn soll mit Spott,
Wo wär' ein Unterschied vom Götzen und von Gott?« –
16   Freund, am lebend'gen Gott laß sich dein Herz ergötzen;
Denn was da lebet, ist ohnmächtiger als Götzen.[was da lebet, d. h. die Geschöpfe; sie sind noch ohnmächtiger, als Götzen.]
17   Unmöglich legest du dein Haupt auf Seine Schwelle,
Und gehst mit Händen unbefriedigt von der Stelle.

 
(249.)

    1   Ich hört' erzählen, daß ein Trunkner einst von Wein
Erhitzt gedrungen sei in den geweihten Schrein.
2   Zu winseln hub er an dort an der Gnadenschwelle:
»Im höchsten Paradies, Herr, gib mir eine Stelle.«
3   Am Kragen packte da ihn der Mu'eddhin: »Fort,[Mu'eddhin, Gebetrufer.]
Mensch ohne Gottesfurcht! ein Hund und dieser Ort! 284
4   Was thatst du, um dafür den Himmel zu verlangen?
Zum häßlichen Gesicht steht dir nicht an dies Prangen.«
5   Er sprach's, da weinete der Trunkne bitterlich:
»Ich bin betrunken; Mann, leg nicht die Hand an mich!
6   Es nimmt dich Wunder, daß zur milden Gnadengabe
Des Allernährenden ein Sünder Hoffnung habe!
7   Ich sage nicht zu dir: nimm meine Fürbitt' an;
Gott ist mein Hort, die Thür der Reu' ist aufgethan.
8   Ich muß vorm Gütigen mich schämen, seiner Huld[vorm; Rückert: vom.]
Genüber irgend groß zu nennen eine Schuld.
9   Wer von dem Alter sich geworfen sieht danieder,
Reicht man ihm nicht die Hand, so steht er auf nicht wieder.
10   Ich bin ein solcher so gefallner schwacher Greis;
Gott, reiche mir die Hand, um deines Namens Preis!
11   Ich sage nicht, du sollst mir Größ' und Ehre schenken;
Du sollst mir meinen Fall und Sündenschwere schenken!
12   Wenn ein Genosse sieht an mir nur kleinen Fehl,
Macht er in Unverstand gleich ruchbar meinen Hehl.
13   Du schaust, indes wir scheu uns vor einander wahren,
Und deckst Gebrechen, die wir schonlos offenbaren.
14   Die Menschen heben laut von außen ein Geschrei,
Du im Verborgnen willst, daß es verborgen sei.
15   Lehnt sich ein Diener auf in unverständ'gem Sinn,
So zieht ein güt'ger Herr den Griffel drüber hin.
16   Erlässest du Vergehn nach Maße deiner Huld,
So bleibet auf der Welt nicht übrig Eine Schuld;
17   Doch wenn du strafen willst nach deines Zorns Gewicht,
So sende mich zur Höll', und nimm die Wage nicht!
18   Wenn du die Hand mir reichst, werd' ich ein Ziel erreichen!
Und stößest du mich weg, wer soll die Hand mir reichen? 285
19   Wer kann Gewalt mir thun, wenn du mir Beistand leihst?
Und wer nimmt mich in Haft, wenn du mich, Herr, befreist?
20   Zwei Haufen werden sein am Auferstehungstag;
Ich weiß nicht, welches Wegs man dort mich weisen mag.
21   Da nichts durch meine Hand als Unrecht ist ergangen:
O Wunder, wenn ich soll zur rechten Hand gelangen!
22   Mein Herz läßt mich von Zeit zu Zeit den Trost vernehmen,
Vor meinem weißen Haar werde der Herr sich schämen;
23   Allein, wie sollt' er denn vor mir sich schämen, da
Ich vor mir selber nicht geschämt mich habe ja?
24   Hat Joseph, der so lang ertragen Haft und Not,
Bis hoch ward seine Würd' und geltend sein Gebot,
25   Den Söhnen Jakobs nicht großmütig einst verziehn?
Denn lieblicher Gestalt ist edler Sinn verliehn.
26   Nicht legen wollt' er sie in Haft um ihr Vergehn,
Noch den geringen Preis in ihrer Hand verschmähn.
27   Auch ich, Erhabenster, muß dieser Hoffnung leben;
Mir, dem der Kaufpreis fehlt, wirst du geschenkt es geben.
28   So schwarz wie mich sah man noch keinen angeschrieben;
Denn nichts ist angenehm von dem, was ich getrieben,
29   Als dieses nur, daß ich auf deinen Beistand traue,
Und meine Hoffnungen auf dein Vergeben baue.
30   Als einen Kaufpreis bring' ich meine Hoffnung blos:
Laß, Gott, nicht von der Huld mich ausgehn hoffnungslos!«

 


 


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